1 Leitsatz

Ein Nießbraucher eines Wohnungseigentums kann ein rechtliches Interesse an der Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahren gegen die Wohnungseigentümer haben.

2 Normenkette

ZPO § 485; WEG §§ 25, 43 Nr. 1

3 Entscheidung

LG Dortmund, Beschluss v. 29.11.2019, 17 T 76/19

4 Sachverhalt

Der Nießbraucher A eines Wohnungseigentums beantragt die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens. Das AG meint, der Antrag, mit dem u. a. festgestellt werden soll, ob und warum Wasser in die Wand zwischen Loggia der Wohnung und Essbereich eindringt und welche Maßnahmen zu welchen Kosten getroffen werden müssen, um das Eindringen von Wasser nachhaltig zu beseitigen, sei unzulässig. A habe als Nießbraucher kein berechtigtes Interesse an der Begutachtung und damit kein rechtliches Interesse i. S. v. § 485 Abs. 2 ZPO. Dagegen wendet sich A im Wege der sofortigen Beschwerde.

5 Die Entscheidung

Mit Erfolg! A als Nießbraucher habe ein berechtigtes Interesse an der Begutachtung. Zwar habe A kein Stimmrecht in der Eigentümerversammlung (§ 25 WEG) und sei als Nicht-Eigentümer weder zur Anfechtung eines gefassten Beschlusses berechtigt (§ 46 Abs. 1 WEG), noch in die "verbandsrechtliche Rechtsstellung" eines Wohnungseigentümers eingerückt oder eingebunden. Als dinglich Nutzungsberechtigter (§ 1036 BGB) und zur Erhaltung der Sache Verpflichteter (§ 1041 BGB) habe er aber ein berechtigtes Interesse daran, dass der Zustand des gemeinschaftlichen Eigentums und des ihm zur Nutznießung überlassenen Sondereigentums einer Begutachtung unterzogen werde, um festzustellen, ob und in welchem Umfang ein Mangel des gemeinschaftlichen Eigentums oder des Sondereigentums bestehe und inwieweit ihm oder den Wohnungseigentümern eine Pflicht zur Abhilfe obliege. Soweit sein Besitz etwa durch das Eindringen von Wasser oder Feuchtigkeit beeinträchtigt werde, kämen auch eigene Unterlassungs-, Beseitigungs- oder gegebenenfalls auch Schadensersatzansprüche in Betracht, ebenso wie er als Nießbraucher ggf. unmittelbar Ansprüchen der Eigentümer ausgesetzt sein könne. Die gerichtliche Verfügung derartiger Ansprüche kann unter Umständen durch die Einholung eines Gutachtens vermieden werden.

 

Hinweis

Im Wohnungseigentumsrecht ist ein selbstständiges Beweisverfahren nach §§ 485ff. ZPO möglich. Nach Ansicht des BGH müssen allerdings sowohl die anderen Wohnungseigentümer als auch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer es nicht dulden, dass das gemeinschaftliche Eigentum geöffnet wird. Sofern es um Mängel des Sondereigentums geht, wird das Verfahren von dem jeweiligen Sondereigentümer betrieben. Möglich soll es allerdings auch sein, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in gewillkürter Prozessstandschaft (hierzu bedarf es einer Ermächtigung; ein Beschluss ist nicht ausreichend) für einen Wohnungseigentümer wegen Mängeln des Sondereigentums auftritt, sofern dieser das Verfahren auch wegen Mängeln des gemeinschaftlichen Eigentums betreibt. Wegen Mängeln des gemeinschaftlichen Eigentums ist zwischen einem selbstständigen Beweisverfahren gegen den Bauträger und solchen im Lauf des Lebens einer Wohnungseigentümergemeinschaft zu unterscheiden:

  • Der Wohnungseigentümer als Erwerber kann gegen den Bauträger ohne besondere Ermächtigung ein selbstständiges Beweisverfahren zur Feststellung von Mängeln am gemeinschaftlichen Eigentum einleiten – selbst wenn es um ein gemeinschaftsbezogenes Mängelrecht geht. Das von einem Wohnungseigentümer selbstständig durchgeführte Beweissicherungsverfahren hemmt die Verjährung seiner Gewährleistungsansprüche ohne Rücksicht darauf, ob sie gemeinschaftlich verfolgt werden müssten. Etwas anderes gilt, wenn die Wohnungseigentümer die Geltendmachung der Mängel der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zugewiesen haben.
  • Für ein selbstständiges Beweisverfahren gegen einen Werkunternehmer bestehen keine Besonderheiten. Antragsteller kann allein die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sein.
  • Die Durchführung eines gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichteten selbstständigen Beweisverfahrens über Mängel am gemeinschaftlichen Eigentum ist möglich und setzt nicht voraus, dass der antragstellende Wohnungseigentümer sich zuvor um einen Beschluss der Wohnungseigentümer bemüht hat, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ein Sachverständigengutachtens zu den behaupteten Mängeln einholt. Dieses Vorgehen ist freilich – außer zur Beweissicherung – nicht sinnvoll. Da sich die Wohnungseigentümer nach ihrem Ermessen gegen eine Erhaltungsmaßnahme und jedenfalls auf Grundlage eines weiteren Gutachtens sich für ganz andere Maßnahmen entscheiden können, sollten die anderen Wohnungseigentümer stets mit der Frage, ob und wie das gemeinschaftliche Eigentum zu erhalten ist, vorbefasst werden. Allein dieses Vorgehen sichert auch, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Kosten eines etwaigen Gutachtens trägt.

Die Kosten eines selbstständigen Beweisverfahrens gehören zu den Kosten des anschließenden Hauptsacheverfahrens und sind von der darin getroffenen Kostenentscheidung mit umfasst. Voraussetzung der Festsetzung...

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