Verfahrensgang

LG Lüneburg (Urteil vom 27.06.2001; Aktenzeichen 6 S 35/01)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine zivilgerichtliche Verurteilung zum Schadensersatz wegen unberechtigter Eigenbedarfskündigung.

1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer einer in Lüneburg gelegenen Wohnung, die er an die Klägerin des Ausgangsrechtsstreits vermietet hatte. Er kündigte dieses Mietverhältnis zum 31. Mai 1990 mit der Begründung, dass er die Wohnung für seinen Sohn zu Wohnzwecken benötige. Das Amtsgericht Lüneburg verurteilte die Klägerin des jetzigen Ausgangsrechtsstreits in einem Vorprozess zur Räumung der Wohnung.

Anfang des Jahres 2001 erhob die frühere Mieterin Klage gegen den Beschwerdeführer. Sie verlangte Schadensersatz aus positiver Forderungsverletzung des Mietverhältnisses und trug hierzu unwidersprochen vor, dass der Sohn des Beschwerdeführers in den Folgejahren nach der Kündigung nicht in die Wohnung eingezogen sei. Der Beschwerdeführer räumte ein, dass der Einzug erst am 28. Februar 1996 stattgefunden habe, da die Wohnung zunächst in Eigenleistung renoviert und umgebaut worden sei. Das habe – zusätzlich verzögert durch eine Krankheit des Sohnes – erheblich Zeit in Anspruch genommen. Das Amtsgericht Lüneburg wies die Klage ab und führte zur Begründung an, dass ein Anspruch aus positiver Forderungsverletzung nach einer Eigenbedarfskündigung nur in Betracht käme, wenn der vom Eigentümer vorgesehene Nutzer nicht in die Wohnung einziehe, sondern diese anderweitig verwertet würde.

Mit dem angegriffenen Berufungsurteil wurde die Entscheidung abgeändert und der Klage der früheren Mieterin im Umfang von DM 13.277,20 stattgegeben. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Der früheren Mieterin stehe ein Anspruch aus positiver Forderungsverletzung zu, weil der Beschwerdeführer die Wohnung zu Unrecht wegen Eigenbedarfs gekündigt habe. Unberechtigt sei eine Kündigung wegen Eigenbedarfs auch dann, wenn der Nutzungswille zu Wohnzwecken nicht in einem angemessenen Zeitraum nach der Kündigung verwirklicht werde. Der vorliegende Zeitraum von 5 ¾ Jahren zwischen dem Zeitpunkt des geltend gemachten Eigenbedarfs und dem Einzug in die Wohnung im Februar 1996 könne nicht mehr als angemessen angesehen werden. In dem zivilgerichtlichen Verfahren, das zur Räumung der Wohnung geführt habe, habe der Sohn des Beschwerdeführers ausgesagt, dass er den Platz für Zeichenblätter im Rahmen seines Studiums benötige. Auch wolle er mit seiner Freundin zusammenziehen. Hätte er hingegen angegeben, die Wohnung erst Jahre später zu benötigen und vorher für die Dauer mehrerer Jahre zu renovieren, wäre die Räumungsklage nicht erfolgreich gewesen.

2. Der Beschwerdeführer trägt mit der Verfassungsbeschwerde vor, dass das angegriffene Urteil den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Eigenbedarfskündigung nicht genüge. Danach gehöre zur Substanz des Eigentums auch die Freiheit, den Eigentumsgegenstand selbst zu nutzen, ohne dass die Lebensplanung des Eigentümers von den Fachgerichten bewertet werden dürfe. Eine zeitliche Komponente für die Umsetzung des Eigenbedarfs könne aus den bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht hergeleitet werden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Auslegung und Anwendung des Rechts zur Eigenbedarfskündigung von Wohnraummietverhältnissen nach § 564 b BGB sind wiederholt Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewesen (vgl. BVerfGE 68, 361 ≪370 ff.≫; 79, 292 ≪303 ff.≫; 81, 29 ≪33 f.≫; 85, 219 ≪223 f.≫; 89, 1 ≪5 ff.≫). Danach stehen auch für die hier zu beurteilende Fallgestaltung hinreichend konkretisierte Maßstäbe zur Verfügung.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Rechten angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Eine Verletzung des Eigentumsrechts des Beschwerdeführers aus Art. 14 Abs. 1 GG durch das angegriffene Urteil kann nicht festgestellt werden.

a) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass das grundgesetzlich geschützte Eigentum seinem Inhaber das Recht gewährt, den Eigentumsgegenstand entsprechend seiner eigenverantwortlichen Lebensgestaltung so zu nutzen, wie er dies nach seinen Plänen für richtig hält (vgl. BVerfGE 52, 1 ≪30≫). Deshalb haben die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB den Eigennutzungswunsch des Eigentümers grundsätzlich zu achten und ihrer Rechtsfindung zu Grunde zu legen. Ebenso haben sie grundsätzlich zu respektieren, welchen Wohnbedarf der Eigentümer als angemessen ansieht (BVerfGE 68, 361 ≪373≫). Gesetzliche Voraussetzung einer jeden Kündigung wegen Eigenbedarfs ist jedoch, dass der Vermieter die Räume als Wohnung für sich oder einen Angehörigen tatsächlich benötigt. Über den bloßen Eigennutzungswunsch des Vermieters hinaus müssen vernünftige und nachvollziehbare Gründe für die Entscheidung des Vermieters zur Eigennutzung oder Nutzung durch einen Angehörigen vorhanden sein (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, ZMR 1989, S. 408 ≪409≫). Die Fachgerichte haben deshalb allen Gesichtspunkten nachzugehen, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Selbstnutzungswunsches begründen oder ihn als vorgeschoben erscheinen lassen; einer missbräuchlichen Ausübung des Rechts haben sie zu begegnen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats, ZMR 1994, S. 101 ≪102≫). Wann dies der Fall ist, hängt weitgehend von den Umständen des Einzelfalls ab. Verbleibende Zweifel an der Ernsthaftigkeit gehen zu Lasten des Vermieters. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hat insoweit Vorrang vor dem Schutz der freien Nutzbarkeit des Eigentums (vgl. Heintzmann in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12. Aufl., 1997, zu § 564 b, Rn. 38).

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird das angegriffene Berufungsurteil gerecht. Das Landgericht hat weder bei der Bestimmung des Maßstabs, der an die Darlegung des Vermieters zur Ernsthaftigkeit des Nutzungsinteresses anzulegen ist, noch bei der Anwendung dieses Maßstabs das Ziel eines verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen den beiderseitigen Eigentumspositionen verfehlt.

Ein Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Eigenbedarfskündigung aus positiver Forderungsverletzung wird von den Fachgerichten allgemein anerkannt (vgl. Sternel, Mietrecht aktuell, 3. Aufl., 1996, Rn. 1076 ff.). Ein Anspruch wird insbesondere für den Fall bejaht, dass der Eigenbedarf von Anfang an nicht bestanden hat, sondern vorgespiegelt wurde. Das Landgericht vertritt hier die Auffassung, dass ein zur Kündigung berechtigender Eigenbedarf nicht gegeben sei, wenn der Nutzungswille zu Wohnzwecken nicht in einem angemessenen Zeitraum nach der Kündigung verwirklicht werde. Ein gleichwohl bestehender Wohnbedarf des Sohnes des Beschwerdeführers in unmittelbar zeitlichem Zusammenhang mit der Kündigung und der Räumungsklage sei vom Beschwerdeführer nicht substantiiert dargelegt worden.

Diese rechtliche Bewertung ist nicht Ausdruck einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie für den Eigentümer von Wohnraum. Der Selbstnutzungswunsch als Grundlage der Eigenbedarfskündigung ist eine innere Tatsache, die bei Abgabe der Kündigungserklärung bereits vorliegen muss. Eine Vorratskündigung im Hinblick auf einen demnächst entstehenden Eigenbedarf ist nicht vorgesehen. Der verlässlichen Beurteilung der Ernsthaftigkeit des Selbstnutzungswillens sind, solange er nicht realisiert ist, Grenzen gesetzt. Dem entspricht es, dass der Vermieter ihn lediglich nachvollziehbar darlegen muss (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪11≫). Wird der behauptete Selbstnutzungswunsch nach der Räumung jedoch nicht realisiert, so liegt der Verdacht nahe, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben gewesen ist (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1997, S. 2377). Zwar steht dem Eigenbedarf grundsätzlich nicht entgegen, dass zunächst bauliche Maßnahmen erforderlich sind, bevor der Vermieter oder sein Angehöriger die benötigte Wohnung für seine Zwecke nutzen kann (vgl. BVerfGE 79, 292 ≪307 f.≫; ZMR 1992, S. 287 ≪288≫; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats, ZMR 1994, S. 101 ≪102≫). Es ist aber von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Zivilgerichte die Ernsthaftigkeit des Selbstnutzungswillens an seine Verwirklichung innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach der Räumung und damit auch eine beschleunigte Realisierung der gegebenenfalls erforderlichen Umbau- und Renovierungsarbeiten knüpfen (vgl. zur Konkretisierung von Umbauplänen als Kriterium für die Ernsthaftigkeit des Eigennutzungswunsches OLG Frankfurt, NJW 1992, S. 2300 ff.; LG Kiel, WuM 1990, S. 22 ff.).

Auch bei der Anwendung dieses Maßstabs hat das Landgericht die seinem Wertungsspielraum verfassungsrechtlich gezogenen Grenzen nicht überschritten. Es hat aus dem Verhalten des Sohnes des Beschwerdeführers, der erst 5 ¾ Jahre nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung in die angeblich benötigte Wohnung eingezogen ist, gefolgert, dass zum Zeitpunkt der Kündigung und Räumung der Wohnung tatsächlich kein ernsthafter Selbstnutzungswille vorgelegen hat. Selbst wenn in Rechnung gestellt wird, dass die frühere Mieterin erst im Juni 1991 ausgezogen war und deshalb erst zu diesem Zeitpunkt mit den Renovierungsarbeiten begonnen werden konnte, stellt es keine verfassungsrechtlich zu beanstandende Wertung dar, einen Zeitraum von 4 ½ Jahren bis zur tatsächlichen Eigennutzung als gewichtiges Indiz gegen die Ernsthaftigkeit des Selbstnutzungswunsches zum Zeitpunkt der Kündigung anzusehen. Die dargelegte krankheitsbedingte Unterbrechung der Renovierungsarbeiten von neun Monaten im Jahre 1993 gebietet keine andere Beurteilung, weil bei Zugrundelegung des im Verfahren über die Räumungsklage vorgetragenen Bedarfs die Wohnung auch schon zu diesem Zeitpunkt vom Sohn des Beschwerdeführers hätte genutzt werden müssen.

Das Landgericht hat damit eine mit Art. 14 Abs. 1 GG zu vereinbarende Wertung und Abwägung der sich vorliegend gegenüberstehenden Eigentums- und Besitzrechte vorgenommen. Insbesondere das von Art. 14 Abs. 1 GG umfasste Recht eines Eigentümers von Wohnraum, diesen vor der Eigennutzung auch ausschließlich in Eigenleistung zu renovieren, wird nicht in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Wo hier die zeitliche Grenze für die Realisierung der Eigennutzung verläuft, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und obliegt zunächst der Beurteilung durch die Fachgerichte. Ob danach die hier vorgenommene fachgerichtliche Bewertung des Sachverhalts, diese Grenze vorliegend als überschritten anzusehen, zwingend ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls ist sie mit Blick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Steiner, Hoffmann-Riem

 

Fundstellen

Haufe-Index 1267192

ZMR 2002, 181

WuM 2002, 21

RdW 2002, 349

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge