Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährung des nachbarrechtlichen Beseitigungsanspruchs. Störung in der Ausübung des Grundstückseigentums

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB findet auf den Beseitigungsanspruch wegen einer Störung in der Ausübung des Grundstückseigentums keine Anwendung (Bestätigung u.a. von BGH, Urt. v. 23.2.1973 - V ZR 109/71, BGHZ 60, 235, 238).

2. Auch nach der Verjährung des Anspruchs aus § 1004 BGB bleibt der von dem Störer geschaffene Zustand rechtswidrig; er kann von dem Gestörten daher auf eigene Kosten beseitigt werden.

 

Normenkette

BGB § 902 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 10.06.2010; Aktenzeichen 8 U 5370/09)

LG Deggendorf (Urteil vom 28.10.2009; Aktenzeichen 2 O 625/07)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG München vom 10.6.2010 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Deggendorf vom 28.10.2009 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin ist seit Oktober 1986 Eigentümerin eines bebauten Grundstücks, welches an eine Straße mit erheblichem Gefälle angrenzt. Die Straße wird seit 1986 oder 1987 durch eine von dem beklagten Markt errichtete Mauer aus Stahlbeton abgestützt. Die Mauer wurde mit einer Deckenplatte, die über das Grundstück der Klägerin verläuft, mit dem Wohngebäude der Klägerin verbunden. Ferner ist auf der Stützmauer ein Geländer errichtet und in die Außenmauer des Gebäudes eingeputzt worden.

Rz. 2

Die Klägerin macht geltend, durch die Deckenplatte würden erhebliche statische Kräfte auf ihr Gebäude geleitet, was zu Rissen und Schäden führe. Sie verlangt von der Beklagten die Beseitigung der auf ihrem Grundstück befindlichen Deckenplatte sowie eine Gestaltung der Stützmauer derart, dass von dieser keine statischen Kräfte auf ihr Grundstück einwirkten und das Geländer nicht mehr in ihrem Haus verankert sei. Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

Rz. 3

Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG hat ihr stattgegeben. Mit der von dem OLG zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, möchte der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 4

Das Berufungsgericht meint, der Beklagte sei nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB verpflichtet, die Stützmauer so umzubauen, dass das Eigentum der Klägerin nicht beeinträchtigt werde. Es gebe keinen Rechtsgrund, der die Klägerin verpflichte, den derzeitigen Zustand zu dulden. Der Beseitigungsanspruch unterliege nach § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht der Verjährung. Die gegenteilige Auffassung des BGH überzeuge nicht.

II.

Rz. 5

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der von der Klägerin geltend gemachte Beseitigungsanspruch ist verjährt.

Rz. 6

1. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH findet die Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach Ansprüche aus eingetragenen Rechten nicht der Verjährung unterliegen, auf den Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB keine Anwendung; dieser verjährt daher innerhalb der regulären Frist (BGH, Urt. v. 23.2.1973 - V ZR 109/71, BGHZ 60, 235, 238; Urt. v. 8.6.1979 - V ZR 46/78, LM § 1004 BGB Nr. 156; Urt. v. 22.6.1990 - V ZR 3/89, NJW 1990, 2555, 2556 [insoweit in BGHZ 112, 1 nicht abgedruckt]; BGH, Urt. v. 1.2.1994 - VI ZR 229/92, BGHZ 125, 56, 63; BGH, Urt. v. 12.12.2003 - V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1036; Urt. v. 16.3.2007 - V ZR 190/06, NJW 2007, 2183 Rz. 14; ebenso: OLG Celle NJW-RR 2007, 234, 235; Fritzsche in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 1004 Rz. 112; Palandt/Bassenge, BGB, 70. Aufl., § 1004 Rz. 45).

Rz. 7

An dieser Auffassung ist trotz der gegen sie erhobenen Kritik festzuhalten (vgl. LG Tübingen NJW-RR 1990, 338; Staudinger/Gursky, BGB [2008], § 902 Rz. 9; ders., BGB [2006], § 1004 Rz. 201; MünchKomm/BGB/Kohler, 5. Aufl., § 902 Rz. 5; MünchKomm/BGB/Baldus, 5. Aufl., § 1004 Rz. 121; Jauernig, BGB, 13. Aufl., § 902 Rz. 1; Toussaint in jurisPK-BGB, 4. Aufl., § 902 Rz. 14; Wilhelm, Sachenrecht, 4. Aufl., Rz. 1180; Picker, JuS 1974, 357, 358; Baur, JZ 1973, 560; Volmer, ZfIR 1999, 86, 87 f.). Richtig an der Kritik ist allerdings, dass die Anwendbarkeit von § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht davon abhängen kann, ob sich der jeweilige Anspruch aus dem Inhalt des Grundbuchs ergibt (so noch BGH, Urt. v. 23.2.1973 - V ZR 109/71, BGHZ 60, 235, 239). Denn das Grundbuch verlautbart nur das dingliche Stammrecht, nicht dagegen die aus diesem Recht folgenden Ansprüche (vgl. Staudinger/Gursky, BGB [2005], § 1004 Rz. 201; Baur, JZ 1973, 560). Auch der Herausgabeanspruch des Grundstückseigentümers nach § 985 BGB, für den § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB nach allgemeiner Meinung gilt (BGH, Urt. v. 16.3.2007 - V ZR 190/06, NJW 2007, 2183 Rz. 7), lässt sich nicht aus dem Grundbuch ersehen; aus diesem ergibt sich nämlich nicht, wer Besitzer des Grundstücks ist und ob ein den Anspruch hinderndes Recht zum Besitz nach § 986 BGB besteht.

Rz. 8

Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Anwendung oder Nichtanwendung der Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB ist vielmehr deren Zweck, den Bestand der im Grundbuch eingetragenen Rechte dauerhaft zu sichern (MünchKomm/BGB/Baldus, 5. Aufl., § 1004 Rz. 121; Staudinger/Gursky, BGB [2008], § 902 Rz. 1). Unverjährbar sind deshalb alle Ansprüche, die der Verwirklichung des eingetragenen Rechts selbst dienen und sicherstellen, dass die Grundbucheintragung nicht zu einer bloßen rechtlichen Hülse wird. Geht es dagegen nur um eine Störung in der Ausübung des Rechts, welche die dem Grundstückseigentümer zustehende Rechtsmacht (§ 903 BGB) unberührt lässt, steht der Schutzzweck des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB der Möglichkeit der Verjährung eines auf Beseitigung der Störung gerichteten Anspruchs nicht entgegen (BGH, Urt. v. 22.10.2010 - V ZR 43/10, NJW 2011, 518 Rz. 21).

Rz. 9

Letzteres trifft ohne Weiteres auf Störungen zu, deren Quelle sich - wie hier - auf dem Grundstück des gestörten Eigentümers befinden, und die deshalb von diesem im Rahmen seiner aus § 903 BGB folgenden Rechtsmacht beseitigt werden können. Denn der von dem Störer geschaffene Zustand bleibt auch nach der Verjährung des Anspruchs aus § 1004 BGB rechtswidrig, muss also von dem Eigentümer nicht geduldet werden. Sind auf dem Grundstück beispielsweise fremde Leitungen verlegt, deren Beseitigung der Eigentümer nach § 1004 BGB verlangen konnte, entsteht nach Verjährung des Anspruchs nicht etwa ein Recht des Störers, die Leitungen auf dem Grundstück zu halten (verkannt von Vollmer, ZfIR 1999, 86, 88). Der Eigentümer ist vielmehr berechtigt, diese von seinem Grundstück zu entfernen; einen damit verbundenen Eingriff in seine Sachen muss der Störer dulden. Die Verjährung des Anspruchs aus § 1004 BGB hat lediglich zur Folge, dass der Grundstückseigentümer die Störung auf eigene Kosten beseitigen muss. Die Gefahr, dass das eingetragene Recht infolge der Verjährung des Beseitigungsanspruchs "inhaltslos" (so Picker, JuS 1974, 357, 358) oder ein "Rechtskrüppel" (vgl. Staudinger/Gursky, BGB [2008], § 902 Rz. 1) wird, besteht daher nicht; ebenso wenig wird das Grundstückseigentum faktisch mit einer aus dem Grundbuch nicht ersichtlichen Duldungsdienstbarkeit belastet (so aber Baur, JZ 1973, 560, 561).

Rz. 10

2. So liegt es auch hier. Der gegen den Beklagten ursprünglich bestehende Beseitigungsanspruch diente nicht der Verwirklichung des Eigentumsrechts der Klägerin, sondern betraf eine bloße Störung in der Ausübung dieses Rechts. Die Klägerin ist ungeachtet der Verjährung des Beseitigungsanspruchs berechtigt, die auf ihr Grundstück ragende Deckenplatte zu entfernen und die Verankerung des Geländers in der Außenwand ihres Gebäudes zu lösen (wegen der damit verbundenen Folgen für die Statik der Stützmauer allerdings nur nach entsprechender Ankündigung gegenüber dem Beklagten). Es ist dann Sache des Beklagten, für eine neue, das Eigentum der Klägerin nicht beeinträchtigende Abstützung der Straße zu sorgen.

III.

Rz. 11

Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei der Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und weitere tatsächliche Feststellungen nicht in Betracht kommen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Verjährung des Beseitigungsanspruchs ist, nachdem die reguläre Verjährungsfrist durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz auf drei Jahre verkürzt wurde (§ 195 BGB), unter Berücksichtigung der Übergangsvorschrift in Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB mit Ablauf des 31.12.2004 und damit vor Erhebung der Klage eingetreten. Dies führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

IV.

Rz. 12

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2648623

NJW 2011, 1068

BauR 2011, 996

EBE/BGH 2011, 100

DNotI-Report 2011, 61

JR 2011, 529

JurBüro 2011, 390

NZM 2011, 327

ZMR 2011, 460

MDR 2011, 477

Info M 2011, 235

RÜ 2011, 283

LL 2011, 442

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