Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit einer Klageänderung bei Geltendmachung des Anspruchs aus nunmehr abgetretenem Recht. Sachdienlichkeit einer Klageänderung. Kaufvertrag über Ölgemälde. Abweisung der Klage wegen fehlender Aktivlegitimation nach bereits erfolgter Beweisaufnahme

 

Leitsatz (amtlich)

a) Mit dem in § 533 Nr. 1 ZPO bestimmten Merkmal der Sachdienlichkeit einer Klageänderung in der Berufungsinstanz ist die entsprechende Zulassungsschranke der §§ 523, 263 ZPO in der bis zum 31.1.2001 geltenden Fassung unverändert in das neue Berufungsrecht übernommen worden.

Zu den Tatsachen, auf die gem. § 533 Nr. 2 ZPO eine Klageänderung gestützt werden kann, weil sie das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat, gehören auch solche, die bereits in erster Instanz vorgetragen waren, von dem erstinstanzlichen Gericht aber als unerheblich beurteilt worden sind und deshalb im Urteilstatbestand keine Erwähnung gefunden haben; kommt es aus der allein maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts aufgrund der Klageänderung auf diese Tatsachen an, bestehen erhebliche Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, die das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO zu eigenen Feststellungen berechtigen und verpflichten (im Anschluss an BGH, Urt. v. 19.3.2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 309 f. = BGHReport 2004, 1110 m. Anm. Kramer = MDR 2004, 1077 (LS)).

b) Das Gericht verletzt seine Hinweispflicht aus § 139 Abs. 2 ZPO, wenn es ohne vorherigen Hinweis eine Klage mangels Aktivlegitimation des Klägers abweist, nachdem es zuvor durch eine Beweisaufnahme zu erkennen gegeben hat, dass es die Klage für schlüssig hält.

 

Normenkette

ZPO § 139 Abs. 2, § 533 Nrn. 1-2

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 03.12.2003; Aktenzeichen 8 U 181/02)

LG Bielefeld (Entscheidung vom 09.08.2002; Aktenzeichen 3 O 232/00)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Hamm vom 3.12.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Der Beklagte bot im November 1999 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 550 Ölgemälde aus dem 18. bis 20. Jahrhundert für 280.000 DM zum Kauf an. Am 3.12.1999 schlossen der Zeuge F. - der Ehemann der Klägerin - und der Beklagte einen entsprechenden Kaufvertrag. Bei der Übergabe der Bilder am 9.12.1999 wurde der Vertrag auf Veranlassung des Zeugen F. von den Beteiligten ohne Wissen der Klägerin auf diese als Käuferin umgeschrieben. Am selben Tag beglich der Zeuge F. auch den Kaufpreis - ob vollständig oder nur teilweise ist streitig - mit Mitteln, die er zuvor von der Klägerin als Darlehen erhalten hatte.

[2] Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Rückzahlung von 280.000 DM nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe von 433 Bildern, die der Beklagte dem Zeugen F. nach ihrem Vortrag nur übergeben hat. Das LG hat die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation der Klägerin abgewiesen. Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung hat die Klägerin Ansprüche auch aus abgetretenem Recht des Zeugen F. geltend gemacht und die Feststellung begehrt, dass sich der Beklagte mit der Annahme der 433 Bilder in Annahmeverzug befinde. Die Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr zweitinstanzliches Begehren nur noch aus abgetretenem Recht des Zeugen F. weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

[3] Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

[4] Es könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass es sich bei der Zahlung des Kaufpreises um eine Leistung der Klägerin i.S.v. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB gehandelt habe, weil aus der maßgeblichen Sicht des Beklagten eine solche nur gegeben sei, wenn die Geldzahlung nach der Umschreibung des Kaufvertrags auf die Klägerin erfolgt sei; dies habe sie nicht zur vollen Überzeugung des Senats bewiesen. Für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB wegen einer behaupteten Täuschung des Zeugen F. durch den Beklagten über die Anzahl und die Qualität der verkauften Gemälde fehle es schon nach dem eigenen Vortrag der Klägerin an einem Schaden, weil durch den Verlust des dem Zeugen F. darlehensweise überlassenen Geldes ohne gleichwertige Gegenleistung nur dieser, nicht aber die Klägerin geschädigt worden sein könne.

[5] Soweit die Klägerin ihre Klageforderung im Berufungsverfahren auch auf abgetretenes Recht des Zeugen F. gestützt habe, liege darin eine nach § 533 ZPO nicht zulässige Klageänderung. Nach § 533 Nr. 2 ZPO könne eine Klageänderung nur zugelassen werden, wenn diese auf Tatsachen gestützt werden könne, die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen habe. Das sei hier nicht der Fall. Bei Berücksichtigung der Klageänderung müsse der Frage nachgegangen werden, ob ein abgetretener Anspruch des Zeugen F. wegen eines gegen ihn gerichteten Anspruchs aus § 179 BGB nicht durchsetzbar sei. Im Rahmen des § 179 BGB stellten sich die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen, ob der Kaufvertrag sittenwidrig, wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten oder infolge Wandelung rückabzuwickeln sei. Dies könne nur aufgrund eines Sachverhalts entschieden werden, den der Senat derzeit nicht zu beurteilen habe. Voraussichtlich wären weitere Feststellungen durch Vernehmung von Zeugen oder die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Wert der Kunstwerke erforderlich. Daraus folge, dass die Klageänderung auch nicht als sachdienlich angesehen werden könne, was weitere Voraussetzung ihrer Zulassung sei, nachdem der Beklagte in die Änderung nicht eingewilligt habe.

[6] Ob das LG die Klage nicht ohne vorherigen Hinweis an die Klägerin mangels Schlüssigkeit habe abweisen dürfen, nachdem es zuvor aufwendig Beweis erhoben habe, könne dahinstehen, weil sich ein möglicher Verfahrensfehler nicht ausgewirkt habe. Selbst wenn die Klägerin einen solchen Hinweis zum Anlass genommen hätte, sich auf eine Abtretung zu berufen, wäre eine Klageänderung auch vom LG nicht zuzulassen gewesen. Es sei davon auszugehen, dass der Beklagte wie auch in zweiter Instanz der Klageänderung widersprochen hätte; die Sachdienlichkeit wäre in gleicher Weise zu verneinen gewesen, wie es in der Berufungsinstanz der Fall sei.

II.

[7] Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen des § 533 ZPO für eine Klageänderung in der Berufungsinstanz rechtsfehlerhaft verneint.

[8] 1. Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Geltendmachung eines Anspruchs aus abgetretenem Recht auch bei einem einheitlichen Klageziel einen anderen Streitgegenstand darstellt als die Geltendmachung aus eigenem Recht (BGH, Urt. v. 17.11.2005 - IX ZR 8/04, BGHReport 2006, 292 = MDR 2006, 689 = NJW-RR 2006, 275 = WM 2006, 592 unter A II 2b bb; Urt. v. 4.5.2005 - VIII ZR 93/04, BGHReport 2005, 1165 = MDR 2005, 1153 = NJW 2005, 2004 unter II 3; Urt. v. 13.4.1994 - XII ZR 168/92, NJW-RR 1994, 1143 = WM 1994, 1545 unter II 1; Urt. v. 29.11.1990 - I ZR 45/89, MDR 1991, 673 = NJW 1991, 1683 unter I 2a), weil der der Klage zugrunde gelegte Lebenssachverhalt im Kern geändert wird, wenn die Klage statt auf eigenes auf fremdes Recht gestützt wird. Die deshalb durch die zusätzliche Geltendmachung des Anspruchs aus abgetretenem Recht eingetretene nachträgliche (Eventual-)Klagenhäufung (§ 260 ZPO) ist wie eine Klageänderung i.S.d. §§ 263, 533 ZPO zu behandeln (BGH, Urt. v. 19.3.2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 305 = BGHReport 2004, 1110 m. Anm. Kramer = MDR 2004, 1077 (LS); Urt. v. 15.6.2005 - VIII ZR 74/04, BGHReport 2005, 1363 = WM 2005, 2057 unter II 5; BGH, Urt. v. 10.1.1985 - III ZR 93/83, MDR 1985, 741 = NJW 1985, 1841 unter 4).

[9] 2. Die Revision rügt jedoch zu Recht, dass die Annahme des Berufungsgerichts, die Klageänderung sei nicht sachdienlich (§ 533 Nr. 1 ZPO), von Rechtsfehlern beeinflusst ist. Das Revisionsgericht kann zwar die Verneinung der Sachdienlichkeit nur darauf überprüfen, ob das Berufungsgericht den Begriff der Sachdienlichkeit verkannt oder die Grenzen seines Ermessens überschritten hat (Senatsurteil v. 15.6.2005, a.a.O.; BGH, Urt. v. 19.10.1999 - XI ZR 308/98, MDR 1999, 1519 = NJW 2000, 143, unter II 2b; BGH, Urt. v. 7.7.1993 - IV ZR 190/92, BGHZ 123, 132, 137 = MDR 1993, 1009). Das ist hier jedoch der Fall, weil das Berufungsgericht einerseits für die Beurteilung wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat und andererseits Gesichtspunkte in die Abwägung eingeflossen sind, die so nicht hätten berücksichtigt werden dürfen.

[10] a) Die Beurteilung der Sachdienlichkeit erfordert eine Berücksichtigung, Bewertung und Abwägung der beiderseitigen Interessen (BGH, Urt. v. 19.10.1999, a.a.O., unter II 2a). Nach ständiger Rechtsprechung zu dem bis zum 31.12.2001 geltenden Berufungsrecht (Senatsurteil v. 15.6.2005, a.a.O., unter II 5a; BGH, Urt. v. 30.11.1999 - VI ZR 219/98, BGHZ 143, 189, 197 f. = MDR 2000, 330 m.w.N.) kommt es für die Frage der Sachdienlichkeit allein auf die objektive Beurteilung an, ob und inwieweit die Zulassung der Klageänderung den sachlichen Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräumt und einem andernfalls zu gewärtigenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt. Maßgebend ist der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit. Unter diesem Gesichtspunkt ist nicht die beschleunigte Erledigung des anhängigen Prozesses, sondern die Erledigung der Streitpunkte zwischen den Parteien entscheidend. Deshalb steht der Sachdienlichkeit einer Klageänderung nicht entgegen, dass im Falle ihrer Zulassung Beweiserhebungen nötig werden und dadurch die Erledigung des Prozesses verzögert würde. Die Sachdienlichkeit kann vielmehr bei der gebotenen prozesswirtschaftlichen Betrachtungsweise im allgemeinen nur dann verneint werden, wenn ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt werden soll, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertet werden kann.

[11] Daran hat sich durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.2001 (BGBl. I 1887) nichts geändert. Denn mit den in § 533 Nr. 1 ZPO bestimmten Merkmalen der Einwilligung des Gegners oder der Sachdienlichkeit wollte der Gesetzgeber die bereits nach bisherigem Recht (§ 523 ZPO a.F. i.V.m. § 263 ZPO) geltenden Zulässigkeitsvoraussetzungen einer zweitinstanzlichen Klageänderung übernehmen (BT-Drucks. 14/4722, 102).

[12] b) Das OLG hat bei seiner Würdigung der Sachdienlichkeit außer Acht gelassen, dass der von der Klägerin in der Berufung neu geltend gemachte Anspruch aus abgetretenem Recht entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung unmittelbar an den vorherigen Prozessstoff anknüpft. Die Klägerin hatte, wie die Revision zu Recht geltend macht, bereits in erster Instanz zu den vom Beklagten angeblich gegebenen Zusicherungen, dem Ablauf der Vertragsverhandlungen, der Übergabe der Bilder und des Geldes, zum wahren Wert der Bilder sowie zu einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung vorgetragen und sich auf Gewährleistungsansprüche berufen. Das LG hatte auch bereits Beweis erhoben über die Umstände des Kaufvertragsabschlusses am 3.12.1999 und der nachträglichen Vertragsgestaltung, die Höhe des gezahlten Kaufpreises und die Zahl der zur Erfüllung übergebenen Bilder durch Vernehmung des Zeugen F. und durch kommissarische Vernehmung des Zeugen L. V. in Rumänien. Dass es darauf aus der Sicht des Berufungsgerichts für die Abweisung des Anspruchs der Klägerin aus eigenem Recht nicht ankam, hindert die Sachdienlichkeit der Klageänderung nicht; der bisherige Vortrag der Parteien und die dazu bereits gewonnenen Beweisergebnisse können gleichwohl bei der Verhandlung und Entscheidung über den von der Klägerin neu geltend gemachten Anspruch aus abgetretenem Recht verwertet werden. Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit spricht deshalb für die Sachdienlichkeit der Klageänderung. Anders als das Berufungsgericht meint, steht dieser nach dem oben (unter a) Ausgeführten auch nicht entgegen, dass die Klageänderung weitere Feststellungen durch Vernehmung von Zeugen oder die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich macht.

[13] 3. Die Klageänderung kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch auf Tatsachen gestützt werden, die dieses seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hatte (§ 533 Nr. 2 ZPO).

[14] Dabei kann offen bleiben, ob die von der Revision als rechtsfehlerhaft gerügte Ansicht des Berufungsgerichts zutrifft, bei Berücksichtigung der Klageänderung müsse der Frage nachgegangen werden, ob der abgetretene Anspruch des Zeugen F. wegen eines gegen ihn gerichteten Anspruchs aus § 179 BGB nicht durchsetzbar sei. Auch über einen - die Klageforderung hindernden - möglichen Gegenanspruch des Beklagten ggü. dem Zeugen F. kann aufgrund der Tatsachen entschieden werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hatte.

[15] a) Für einen solchen Anspruch kommt es darauf an, ob und mit welchem Inhalt das zunächst zwischen dem Zeugen F. und dem Beklagten abgeschlossene und sodann auf die Klägerin "umgeschriebene" Geschäft - vorbehaltlich des Fehlens der Vertretungsmacht des Zeugen F. - wirksam zustande gekommen ist, ob es infolge Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nichtig ist oder ob Erfüllungs- oder Schadensersatzansprüchen des Beklagten aus diesem Geschäft die Sachmängeleinrede entgegensteht. Das LG hat dazu zwar keine Tatsachen festgestellt (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) in dem Sinne, dass es aufgrund einer freien Beweiswürdigung gem. § 286 Abs. 1 ZPO die Entscheidung getroffen hat, die insoweit behaupteten Tatsachen seien wahr oder nicht wahr. Denn darauf kam es nach der materiell-rechtlichen Beurteilung des - nach mehrfachem Richterwechsel - letztlich erkennenden Einzelrichters beim LG nicht an.

[16] Nach der Rechtsprechung des BGH gelangt jedoch mit dem zulässigen Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozessstoff erster Instanz ohne Weiteres in die Berufungsinstanz. Das Berufungsgericht darf also auch schriftsätzlich angekündigtes, entscheidungserhebliches Parteivorbringen berücksichtigen, das von dem erstinstanzlichen Gericht für unerheblich erachtet worden ist, auch wenn es im Urteilstatbestand keine Erwähnung gefunden hat (BGH, Urt. v. 19.3.2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 309 = BGHReport 2004, 1110 m. Anm. Kramer = MDR 2004, 1077 (LS); BGH, Urt. v. 12.3.2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 278, 280 ff. = BGHReport 2004, 833 m. Anm. Gehrlein = MDR 2004, 954). Die Klägerin hatte - wie oben (unter 2b) bereits ausgeführt - zu den tatsächlichen Umständen, aus denen sie die Sittenwidrigkeit des Vertrags wegen eines groben Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung (§ 138 Abs. 1 und 2 BGB), dessen Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) oder jedenfalls die Berechtigung eines Wandelungsverlangens (§§ 462, 459 ff. BGB in der bis zum 31.1.2001 geltenden Fassung) herleitet, schon in erster Instanz vorgetragen. Der entsprechende Vortrag in der Berufungsbegründung war daher nicht neu i.S.v. § 531 Abs. 2 ZPO. Kommt es aus der allein maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts aufgrund der Klageänderung für die Entscheidung auf Tatsachen an, die - wie hier - in dem erstinstanzlichen Urteil trotz entsprechenden Parteivortrags nicht festgestellt sind, bestehen erhebliche Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, die das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO zu eigenen Feststellungen berechtigen und verpflichten (vgl. BGH, Urt. v. 19.3.2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 310 = BGHReport 2004, 1110 m. Anm. Kramer = MDR 2004, 1077 (LS)).

[17] b) Neu war in der Berufungsinstanz allerdings die Behauptung der Klägerin, der Zeuge F. habe einen ihm zustehenden Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises an sie abgetreten. Dieser Vortrag war aber, wie die Revision zu Recht rügt, nach § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen, weil er im ersten Rechtszug infolge eines Verfahrensmangels nicht geltend gemacht worden ist; er war daher vom Berufungsgericht gem. § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zu berücksichtigen.

[18] aa) Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die erstinstanzliche Klageabweisung wegen mangelnder Schlüssigkeit ohne vorherigen Hinweis an die Klägerin verfahrensfehlerhaft war, nachdem das LG zuvor in anderer Besetzung aufwendig Beweis erhoben hatte. Die Frage ist zu bejahen.

[19] Nach § 139 Abs. 2 ZPO darf das Gericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat oder den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien, nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Die Hinweispflicht dient vor allem der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und besteht auch ggü. der anwaltlich vertretenen Partei, wenn der Prozessbevollmächtigte der substantiierungspflichtigen Partei ersichtlich darauf vertraut, dass sein schriftlicher Vortrag ausreicht (BGH, Urt. v. 27.10.1994 - VII ZR 217/93, BGHZ 127, 254, 260 = MDR 1995, 469; BGH, Urt. v. 25.6.2002 - X ZR 83/00, BGHReport 2002, 966 = MDR 2002, 1183 = NJW 2002, 3317 unter II 2a; Urt. v. 18.5.1994 - IV ZR 169/93, NJW-RR 1994, 1085 unter 3b; Urt. v. 4.7.1989 - XI ZR 45/88, BGHR ZPO § 139 Abs. 1 Anwaltsprozess 3 m.w.N.). Deshalb hat das Berufungsgericht auf Bedenken hinzuweisen und Gelegenheit zur Ergänzung des Sachvortrags zu geben, wenn es anders als das erstinstanzliche Gericht das Klagevorbringen nicht als schlüssig ansieht (BGH, Urt. v. 16.5.2002 - VII ZR 197/01, BGHReport 2002, 1009 = MDR 2002, 1139 = NJW-RR 2002, 1436 unter II 1). Ein Hinweis ist weiter geboten, wenn ein Gericht von seiner in einer gerichtlichen Verfügung geäußerten Auffassung später abweichen will (BGH, Urt. v. 25.6.2002, a.a.O.). Nichts anderes kann gelten, wenn es die Klage mangels Sachbefugnis des Klägers als unschlüssig abweisen will, obwohl es zuvor durch Anordnung einer Beweisaufnahme konkludent zu erkennen gegeben hat, dass es die Klage für schlüssig und insb. die Aktivlegitimation des Klägers für gegeben hält (OLG Saarbrücken v. 18.6.2003 - 1 U 167/03-41, MDR 2003, 1372 f.; OLG Bamberg v. 16.12.1997 - 7 U 16/97, NJW-RR 1998, 1608 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 139 Rz. 30; Musielak/Stadler, ZPO, 4. Aufl., § 139 Rz. 8).

[20] So liegt der Fall hier. Die Parteien konnten die Anordnung der Vernehmung des von der Klägerin benannten Zeugen F. in der mündlichen Verhandlung vom 11.8.2000 und die aufgrund Beweisbeschluss vom 30.7.2001 erfolgte Vernehmung des von dem Beklagten gegenbeweislich benannten Zeugen V. in Rumänien nur dahin verstehen, dass das LG jedenfalls nach der persönlichen Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 11.8.2000 von der Schlüssigkeit ihres Klagevorbringens und damit auch von ihrer Aktivlegitimation ausging. Nach Eingang der Aussage des Zeugen V. ist nicht erneut mündlich verhandelt, sondern nach § 128 ZPO das schriftliche Verfahren angeordnet worden. Weder von Seiten des Gerichts noch von Seiten des Beklagten ist in diesem Stadium die Schlüssigkeit des Klagevorbringens im Hinblick auf die Aktivlegitimation der Klägerin erneut thematisiert worden. Vor diesem Hintergrund stellte sich das landgerichtliche Urteil für die Klägerin als Überraschungsentscheidung dar.

[21] bb) Dies hat die Klägerin, wie die Revision zutreffend geltend macht, mit ihrer Berufungsbegründung gerügt (§§ 529 Abs. 2 Satz 1, 520 Abs. 3 ZPO) und vorgetragen, sie und der Zeuge F. seien sich bereits vor Klageerhebung einig gewesen, dass alle in Betracht kommenden Rückforderungsansprüche, auch soweit sie in der Person des Zeugen F. entstanden sein sollten, der Klägerin zustehen sollten. Gleichzeitig hat sie eine aktuelle Abtretungsvereinbarung vorgelegt und ausgeführt, auf einen Hinweis des LG hin wäre zur Klarstellung bereits im ersten Rechtszug (nochmals) die Abtretung erklärt worden.

[22] cc) Der Berücksichtigung der auf eine Verletzung von § 139 Abs. 2 ZPO durch das LG gestützten Verfahrensrüge und der mit der Rüge vorgetragenen neuen Tatsachen durch das Berufungsgericht stand auch nicht der Schutzzweck von § 139 ZPO entgegen. Zwar soll die Vorschrift grundsätzlich der betroffenen Partei nur die Möglichkeit geben, sich zu dem gegebenen Streitgegenstand umfassend zu äußern. Das Gericht darf nicht auf neue, in dem Vortrag der Parteien noch nicht andeutungsweise enthaltene Klagegründe hinweisen (BGH, Urt. v. 9.10.2003 - I ZR 17/01, BGHReport 2004, 333 = MDR 2004, 408 = NJW-RR 2004, 495, unter II 1c bb). Das schließt jedoch nicht aus, dass die Partei auf einen zulässigen und gebotenen Hinweis nach § 139 ZPO, der die Schlüssigkeit ihres bisherigen Vorbringens in Frage stellt, von sich aus - im Rahmen von § 263 ZPO - einen neuen Klagegrund in das Verfahren einführt (BGH, Urt. v. 9.10.2003, a.a.O.; Urt. v. 7.12.2000 - I ZR 179/98, BGHReport 2001, 485 = MDR 2001, 1009 = NJW 2001, 2548, unter III 1b und c; Urt. v. 25.11.1992 - XII ZR 116/91, NJW 1993, 597, unter 2b und c; zum Parteiwechsel BGH, Urt. v. 30.4.1984 - II ZR 293/83, BGHZ 91, 132, 134 = MDR 1984, 818). Auch diese Reaktionsmöglichkeit wird vom Schutzzweck des § 139 ZPO umfasst.

III.

[23] Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; das Urteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da es zu dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch aus abgetretenem Recht weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1621048

NJW 2007, 2414

BGHR 2007, 28

ZAP 2007, 450

MDR 2007, 353

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