Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an Zeugenbeweis. Vorgesehene rechtliche Beteiligung des Bürgen am finanzierten Objekt. Miteigentumsanteil. Notarieller Vertragsentwurf. Eigeninteresse des Bürgen

 

Leitsatz (amtlich)

Vermag sich eine Partei an ein Geschehen nicht zu erinnern, kann sie dazu gleichwohl eine ihr günstige Behauptung unter Zeugenbeweis stellen, wenn sie hinreichende Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass der Zeuge - anders als sie selbst - das notwendige Wissen hat.

Zur Annahme eines auf einen freien Willensentschluss hindeutenden und ein Handeln allein aus emotionaler Verbundenheit widerlegenden Eigeninteresses des finanziell krass überforderten Bürgen an dem verbürgten Darlehen seiner Lebensgefährtin genügt, dass eine rechtliche Beteiligung des Bürgen an dem finanzierten Objekt konkret vorgesehen ist. Das trifft insbesondere zu, wenn bei Übernahme der Bürgschaft der Entwurf eines notariellen Vertrags vorliegt, durch den der Bürge hälftiges Miteigentum an dem Objekt erhalten soll.

 

Normenkette

ZPO § 286; BGB §§ 765, 138

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 26.05.1999)

LG Hagen (Urteil vom 08.09.1998)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 31. Zivilsenats des OLG Hamm v. 26.5.1999 aufgehoben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Hagen v. 8.9.1998 im Kostenpunkt aufgehoben und insoweit abgeändert, als der Beklagte zur Zahlung von mehr als 250.000 DM nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank seit dem 1.9.1997 verurteilt worden ist. Im Umfang der Abänderung wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionsinstanz - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer Bürgschaft in Anspruch. Sie gewährte der Lebensgefährtin des Beklagten, Frau M. L. (im Folgenden auch: Hauptschuldnerin) am 30.8.1994 ein ERP-Existenzgründungsdarlehen über 585.000 DM und am 6.10.1994 zwei Hausbankdarlehen über 120.000 DM und 15.000 DM. Weiterhin räumte sie Frau L. am 6.10.1994 einen Kontokorrentkredit über 100.000 DM ein. Die Kredite dienten gemeinsam mit einem Frau L. am 1. Juli/30.8.1994 durch die D. A. bank gewährten EKH-Eigenkapitalhilfedarlehen i. H. v. 380.000 DM dem Kauf und der Modernisierung des Hotels "W. " in St. (S. ), das Frau L. betreiben wollte.

Der Beklagte übernahm unter dem 26.9.1994 zur Sicherung aller bestehenden, künftigen und bedingten Ansprüche der Klägerin gegen die Hauptschuldnerin eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Betrag von 1.145.000 DM. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte, der seine ursprüngliche Arbeitsstelle aufgegeben hatte, bereits für den Hotelbetrieb von Frau L. tätig. Der Beklagte und Frau L. beabsichtigten, das Hotel gemeinsam zu führen. Es war geplant, den Beklagten "eigentumsmäßig" zur Hälfte zu beteiligen; ein entsprechender notarieller Vertrag lag im Entwurf vor. Wegen eines Gebührenstreits mit dem AG kam es im Folgenden nicht zu einer Übereignung. Als die Aufgabe des Hotelbetriebs abzusehen war, wurde der Vertrag annulliert.

Mit Schreiben v. 7.8.1997 kündigte die Klägerin der Hauptschuldnerin wegen der Aufgabe des Hotelbetriebs die von ihr gewährten Darlehen sowie namens und in Vollmacht der D. A. bank auch das EKH-Darlehen. Die Verbindlichkeiten der Hauptschuldnerin gegenüber der Klägerin beliefen sich zu diesem Zeitpunkt auf 689.579,78 DM. Ebenfalls mit Schreiben v. 7.8.1997 nahm die Klägerin den Beklagten aus dessen Bürgschaft in Anspruch und forderte ihn auf, den offenen Debet-Saldo mit Einschluss des EKH-Darlehens i. H. v. insgesamt 1.069.579,78 DM bis zum 31.8.1997 auszugleichen.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin einen Teilbetrag von 350.000 DM nebst Zinsen geltend gemacht. Nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils einigte sich die Klägerin am 16.12.1998 mit der Hauptschuldnerin und dem Beklagten, dass diese gesamtschuldnerisch nur noch für einen Betrag von 250.000 DM nebst Zinsen aus dem im Obligo stehenden Kreditengagement der Klägerin haften. Von dieser Vereinbarung blieb das EKH-Darlehen i. H. v. 380.000 DM ausdrücklich ausgenommen.

LG und Berufungsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und wegen des 250.000 DM nebst Zinsen übersteigenden Betrages (EKH-Darlehen) zur Klageabweisung, im Übrigen zur Zurückverweisung.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die von dem Beklagten übernommene Bürgschaft sei wirksam. Insbesondere habe es sich nicht um eine gegen das Schriftformgebot verstoßende sog. Blankobürgschaft gehandelt. Der Bürgschaftsvertrag sei trotz der Höhe des Bürgschaftsbetrages auch nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Zwar dürfte ein Missverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des Beklagten bestehen. Beide Lebensgefährten hätten in ihrer Selbstauskunft v. 20.9.1994 ein "sonstiges Vermögen" (Guthaben, Wertpapiere) i. H. v. 30.000 DM und 70.000 DM angegeben. Diese für sich genommen nicht unbedeutende Summe falle gegenüber dem Höchstbetragsrahmen der Bürgschaft von 1.145.000 DM nicht ins Gewicht. Auch das in der Selbstauskunft des Beklagten angegebene monatliche "Fixum + Provision i. H. v. 1.500,00 DM" habe für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beklagten keine Bedeutung. Indessen hätten der Beklagte und die Hauptschuldnerin vorgehabt, das Hotel "W. " gemeinsam zu betreiben. Der Durchführung dieses Vorhabens hätten nicht nur die Kredite der Hauptschuldnerin, sondern auch die Bürgschaft des Beklagten gedient. Diese sei deshalb für ihn ein wirtschaftlich sinnvolles Geschäft gewesen, das maßgeblich von unabhängigen, eigenverantwortlichen Erwägungen des Beklagten gesteuert worden sei, die ihre Ursache außerhalb seiner persönlichen Beziehung zu der Hauptschuldnerin gehabt hätten. Soweit der Beklagte behaupte, die Zeugin Str. - Zweigstellenleiterin der Klägerin - habe vor Unterzeichnung der Bürgschaft ausdrücklich erklärt, dass sie diese nur "pro-forma" benötige, sei dem wegen des Vorhabens, das Hotel "W. " gemeinsam mit der Hauptschuldnerin zu betreiben, keine Bedeutung beizumessen.

Die Klägerin sei auch berechtigt, den Beklagten über den aus dem Gesamtobligo verbleibenden Betrag von 250.000 DM hinaus i. H. v. weiteren 100.000 DM aus dem EKH-Darlehen der D. A. bank in Anspruch zu nehmen. Aus Sinn und Zweck des Darlehensvertrages zwischen der Hauptschuldnerin und der D. A. bank folge, dass die darin mit der Verwaltung des Darlehens betraute Klägerin rechtlich die Stellung einer mittelbaren Stellvertreterin wahrnehmen sollte. Nach den Vertragsbestimmungen sei vorrangig die Klägerin Ansprechpartnerin der Hauptschuldnerin und des Beklagten gewesen, die durch die Weiterleitung der ihr als Hausbank zur Verfügung gestellten Darlehensvaluta jedenfalls im eigenen Namen berechtigt und verpflichtet werden sollte.

II.

Das Berufungsurteil hält rechtlicher Nachprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.

1. Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft die Voraussetzungen einer Blankobürgschaft verneint, greift durch.

Fehlt in der Bürgschaftsurkunde mindestens eines der zur Wahrung der Schriftform unabdingbaren Merkmale und hat der Bürge einen anderen mündlich ermächtigt, die fehlenden Angaben zu ergänzen, handelt es sich um eine unwirksame Bürgschaft (BGH v. 29.2.1996 - IX ZR 153/95, BGHZ 132, 119 [122 f.] = MDR 1996, 810). Danach ist die Schriftform nur gewahrt, wenn die Urkunde außer dem Willen, für fremde Schuld einzustehen, auch die Bezeichnung des Gläubigers, des Hauptschuldners und der verbürgten Forderung enthält (BGH v. 12.3.1980 - VIII ZR 57/79, BGHZ 76, 187 [189] = MDR 1980, 664; Urt. v. 3.12.1992 - IX ZR 29/92, MDR 1993, 1179 = NJW 1993, 724 [725]; v. 30.3.1995 - IX ZR 98/94, MDR 1995, 892 = NJW 1995, 1886 f).

Der Beklagte hat behauptet, er habe die Bürgschaftsurkunde unterzeichnet, als weder die Person des Bürgen noch die Höhe von Darlehens- und Bürgschaftsverpflichtung eingetragen gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem LG hat der gem. § 141 ZPO angehörte Beklagte allerdings erklärt, er wisse nicht mehr, ob das Bürgschaftsformular blanko von ihm unterzeichnet worden sei. Er könne sich weder auf die eine noch auf die andere Richtung festlegen.

Das Berufungsgericht hat zu Unrecht von einer Beweisaufnahme abgesehen. Der Beklagte hat in der Berufungsbegründung substanziiert ausgeführt, das Bürgschaftsformular sei bei der Unterzeichnung durch ihn nicht ausgefüllt gewesen. Einer Partei darf nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Sie kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen (BGH, Urt. v. 25.3.1987 - IVa ZR 224/85, MDR 1987, 915 = NJW 1988, 60 [63] m. w. N.; v. 20.6.2002 - IX ZR 177/99, BGHReport 2003, 102 = MDR 2002, 1270 = ZIP 2002, 1408 [1410]). Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt (BGH, Urt. v. 4.3.1991 - II ZR 90/90, MDR 1991, 688 = NJW-RR 1991, 888 [891] m. w. N.; v. 23.4.1991 - X ZR 77/89, MDR 1992, 76 = NJW 1991, 2707 [2709]; v. 25.2.1992 - X ZR 88/90, MDR 1992, 804 = NJW 1992, 1967 [1968]; v. 25.4.1995 - VI ZR 178/94, MDR 1995, 738 = NJW 1995, 2111 [2112]; v. 17.9.1998 - III ZR 174/97, NJW-RR 1999, 361). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; i. d. R. wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (vgl. BGH, Urt. v. 23.4.1991 - X ZR 77/89, MDR 1992, 76 = NJW 1991, 2707 [2709]; v. 25.2.1992 - X ZR 88/90, MDR 1992, 804 = NJW 1992, 1967 [1968]; v. 25.4.1995 - VI ZR 178/94, MDR 1995, 738 = NJW 1995, 2111 [2112]; v. 17.9.1998 - III ZR 174/97, NJW-RR 1999, 361).

Hier hat der Beklagte für die Richtigkeit seiner Behauptungen die Zeuginnen L. und Str. benannt und zugleich hinreichende Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass diese Zeuginnen - anders als er selbst - wissen und bekunden können, die Bürgschaftsurkunde habe nicht den zu einer formwirksamen Bürgschaft nötigen Inhalt gehabt, als er sie unterschrieb.

2. Ein weiterer Verfahrensverstoß ist dem Berufungsgericht bei der Verneinung der tatsächlichen Voraussetzungen für eine Sittenwidrigkeit der Bürgschaft unterlaufen.

a) Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings eine Sittenwidrigkeit der Bürgschaft allein wegen krasser Überforderung des Beklagten und seiner emotionalen Verbindung zur Hauptschuldnerin abgelehnt.

aa) Zwar wird der Beklagte - wie das Berufungsgericht richtig ausführt - durch die Bürgschaft wirtschaftlich krass überfordert. Es bestand auch eine emotionale Verbundenheit zur Hauptschuldnerin, weil der Beklagte mit ihr in einer eheähnlichen Gemeinschaft zusammenlebte; insofern sind Lebensgefährten und Ehepartner gleich zu behandeln (BGH, Urt. v. 4.12.2001 - XI ZR 56/01, BGHReport 2002, 203 = MDR 2002, 347 = NJW 2002, 744 [745] m. w. N.). Unter diesen Umständen wird widerleglich vermutet, dass die ruinöse Bürgschaft oder Mithaftung allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen wurde und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (BGH, Urt. v. 4.12.2001 - XI ZR 56/01, BGHReport 2002, 203 = MDR 2002, 347 = NJW 2002, 744 [745]; v. 26.4.2001 - IX ZR 337/98, BGHReport 2001, 671 = MDR 2001, 1180 = NJW 2001, 2466 [2467] m. w. N.; v. 13.11.2001 - XI ZR 82/01, BGHReport 2002, 159 = MDR 2002, 284 = NJW 2002, 746).

bb) Diese tatsächliche Vermutung ist jedoch widerlegt. Der Beklagte hat sich bei der Übernahme der Bürgschaft von einer realistischen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos leiten lassen.

Ein auf einen freien Willensentschluss hindeutendes und ein Handeln allein aus emotionaler Verbundenheit widerlegendes Eigeninteresse des finanziell krass überforderten Partners an der Darlehensgewährung ist grundsätzlich zu bejahen, wenn er zusammen mit dem Lebensgefährten ein gemeinsames Interesse an der Kreditgewährung hat oder ihm aus der Verwendung der Darlehensvaluta unmittelbare und ins Gewicht fallende geldwerte Vorteile erwachsen sind (BGH v. 14.11.2000 - XI ZR 248/99, BGHZ 146, 37 [42, 45] = BGHReport 2001, 132 = MDR 2001. 403; Urt. v. 27.1.2000 - IX ZR 198/98, MDR 2000, 467 = NJW 2000, 1182 [1184]; Nobbe/Kirchhof, BKR 2001, 5 [12]). Bei wirtschaftlicher Betrachtung besteht dann kein wesentlicher Unterschied zu den Fällen, in denen die Lebensgefährten den Kredit als gleichberechtigte Vertragspartner aufgenommen und verwandt haben. Als eigener geldwerter Vorteil kommt auch der Erwerb von Miteigentum an den mit den Krediten finanzierten Gegenständen in Betracht (vgl. BGH, Urt. v. 27.1.2000 - IX ZR 198/98, MDR 2000, 467 = NJW 2000, 1182 [1184]).

Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Beklagte zusammen mit der Hauptschuldnerin ein gemeinsames Interesse an der Kreditgewährung hatte. Der von der Klägerin finanzierte Hotel- und Restaurantbetrieb sei als Investitionsmodell für die Zukunft beider Lebenspartner gedacht gewesen. Der Beklagte habe mit seiner Lebensgefährtin eine neue Existenz in den neuen Bundesländern aufbauen wollen. Deshalb hat das Berufungsgericht die Bürgschaft als Investition zum Aufbau einer Existenz und den beabsichtigten Betrieb des Hotels als "joint venture" beider Lebenspartner gewertet. Der Beklagte habe selbst erklärt, von ihm und der Hauptschuldnerin sei beabsichtigt gewesen, das Hotel gemeinsam zu führen. Es sei geplant gewesen, ihn später eigentumsmäßig zur Hälfte zu beteiligen. Ein entsprechender notarieller Vertrag sei bereits entworfen worden. Zu einer Übereignung sei es aber wegen eines langwierigen Gebührenstreits mit dem AG nicht gekommen. Es sei dann auch die Aufgabe des Hotelbetriebs abzusehen gewesen, so dass der Vertrag annulliert worden sei. Unbestritten hat der Beklagte zudem etwa 120.000 DM in das Objekt investiert.

Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Interesse des Beklagten an dem Vorhaben der Hauptschuldnerin habe sich auf Hoffnungen und Erwartungen beschränkt. Der Beklagte sei zum Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung weder rechtlich noch wirtschaftlich an dem Projekt der Hauptschuldnerin beteiligt gewesen. Anders als die Revision meint, kommt es nicht darauf an, ob die Erwartungen des Bürgen, am Erfolg des Unternehmens beteiligt zu werden, rechtlich abgesichert sind. Ob ein wirtschaftliches Eigeninteresse vorliegt, ist in erster Linie eine tatsächliche Frage. Daher genügt es für ein wirtschaftliches Eigeninteresse des Bürgen, wenn für ihn bei Abgabe seiner Bürgschaftserklärung eine realistische Aussicht besteht, unmittelbar von der Kreditgewährung zu profitieren. Hier lag bereits der Entwurf eines notariellen Vertrages vor, mit dem der Beklagte hälftiges Eigentum am Hotel erhalten sollte. Dass sich diese Aussichten nach der Bürgschaftserklärung aus Gründen zerschlugen, die die Klägerin nicht zu vertreten hat, beseitigt das bei der Bürgschaftserklärung bestehende wirtschaftliche Eigeninteresse des Beklagten nicht. Daher genügt es, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der - nach der Planung der Lebensgefährten - auch dem Beklagten unmittelbar zugute kommenden Verwendung des Darlehens und der Bürgschaft nicht zu leugnen ist (vgl. BGH, Urt. v. 6.10.1998 - XI ZR 244/97, MDR 1999, 47 = NJW 1999, 135 zur Umschuldung bei Krediten, die ein Ehegatte aufgenommen hat). So liegt der Fall hier.

cc) Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Klägerin die Bürgschaft auch oder allein deshalb verlangt hat, weil sie die Nachteile möglicher Vermögensverschiebungen ausgleichen wollte. Da die Bürgschaft angesichts des von wirtschaftlich vernünftigen Erwägungen geleiteten Eigeninteresses des Beklagten von der Klägerin nicht in sittenwidriger Weise erlangt ist, führt es nicht zur Sittenwidrigkeit, wenn die von der Gläubigerin verfolgten (anderen) Motive für die Bürgschaftsbestellung nicht vorliegen oder ein Schutz vor Vermögensverschiebungen rechtlich nicht erheblich sein sollte (so nunmehr BGH, Urt. v. 14.5.2002 - XI ZR 50/01, BGHReport 2002, 688 = GmbHR 2002, 742 = NJW 2002, 2228 ff.; v. 14.5.2002 - XI ZR 81/01, BGHReport 2002, 691 = GmbHR 2002, 745 = NJW 2002, 2230 ff.). Daher kann dahinstehen, ob die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Schlüssigkeit der entsprechenden Einwendungen des Beklagten zutreffen.

b) Eine Sittenwidrigkeit der Bürgschaft ist jedoch zu bejahen, wenn die Behauptung des Beklagten zutreffen sollte, die Zweigstellenleiterin der Klägerin habe vor Unterzeichnung der Bürgschaft erklärt, die Bürgschaft sei eine Formsache, sie benötige diese nur pro forma.

Wirkt das Kreditinstitut selbst in unzulässiger Weise auf die Entschließung des finanziell überforderten Bürgen ein, indem es durch Angestellte die Tragweite der Bürgschaft verharmlost oder verschleiert, insbesondere die Unterschrift als reine Formalität darstellt, kann dies die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft begründen (vgl. BGH v. 24.11.1992 - XI ZR 98/92, BGHZ 120, 272 [277] = MDR 1993, 138; Urt. v. 24.2.1994 - IX ZR 227/93, MDR 1994, 575 = NJW 1994, 1341 [1343]; v. 8.10.1998 - XI ZR 244/97, MDR 1999, 47 = NJW 1999, 135 [136]). Dabei kommt es jedoch auf die Gesamtumstände an. So fehlt es an einer sittenwidrigen Beeinträchtigung der Willensfreiheit, wenn es sich für die Beteiligten erkennbar nur um eine allgemeine Redensart ohne inhaltliche Aussage über Umfang und Bedeutung des Risikos handelt (BGH, Urt. v. 5.1.1955 - IV ZR 112/54, WM 1955, 375 [376]; Urt. v. 24.2.1994 - IX ZR 227/93, MDR 1994, 575 = NJW 1994, 1341 [1344]; vgl. auch Urt. v. 15.4.1997 - IX ZR 112/96, MDR 1997, 777 = NJW 1997, 3230 [3231]).

Im Streitfall liegt eine unzulässige Einflussnahme der Klägerin auf den Beklagten vor, wenn sich die Richtigkeit seiner Behauptungen beweisen sollte. In der Klageerwiderung des Beklagten heißt es insoweit:

"Der Beklagte wies darauf hin, dass er nach Kündigung seines Anstellungsvertrages bei seiner Arbeitgeberin zunächst über kein Einkommen verfügte und hoffte, zukünftig ein angemessenes Einkommen in dem geplanten Hotelbetrieb seiner Lebensgefährtin erarbeiten zu können. Gerade für den Fall, dass das Hotel nicht rentabel betrieben werden konnte und infolgedessen Kredite Not leidend werden könnten, hätte ja auch der Beklagte kein Einkommen mehr, so dass die Erfüllung einer Bürgschaftsverpflichtung genau für den Fall, dass die Bürgschaft in Anspruch genommen werden müsste, mangels eines Einkommens des Beklagten gar nicht erfüllt werden könnte (und zwar unabhängig von der Höhe der Bürgschaft).

Die Zweigstellenleiterin der Klägerin erklärte daraufhin, dass sie die Bürgschaft nur pro forma benötige, woraufhin der Beklagte das Bürgschaftsformular schließlich unterschrieb."

Zum Beweis für dieses Vorbringen hat der Beklagte sich auf das Zeugnis der Hauptschuldnerin berufen. In der Berufungsbegründung hat der Beklagte ausgeführt:

"Ein weiterer besonderer Umstand, welcher die Bürgschaft als Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden erscheinen lässt, liegt darin begründet, dass die Zeugin Str. vor Unterzeichnung des Vertrages ausdrücklich erklärt hat, dass sie die Bürgschaft nur 'pro forma' benötige."

Zum Beweis für diese Behauptung hat sich der Beklagte wiederum auf das Zeugnis der Hauptschuldnerin und zusätzlich auf das von H. Str. , der Zweigstellenleiterin der Klägerin, berufen. Schließlich hat der Beklagte in der Berufungsinstanz im Schriftsatz v. 12.4.1999 vorgetragen:

"Bei der Bürgschaftsübernahme erbat deren [d. h. der Klägerin] Mitarbeiterin Str. vom Beklagten eine Einkommensbescheinigung seines Arbeitgebers. Der Beklagte erklärte dazu, dass er ohnehin früher als freier Handelsvertreter tätig gewesen sei und zudem diese Tätigkeit schon lange nicht mehr ausübe. ... Als Reaktion darauf erklärte die klägerische Mitarbeiterin Str. , dass es dann auch so gehe, weil die Bürgschaft ja ohnehin nur eine Formsache sei."

Zum Beweis für dieses Vorbringen hat der Beklagte sich erneut auf das Zeugnis der Hauptschuldnerin und von H. Str. berufen.

Erweisen sich diese Behauptungen als richtig, wurde insbesondere die Erklärung des Beklagten, er könne im Bürgschaftsfall gar nicht zahlen, mit dem Hinweis beantwortet, die Klägerin benötige die Bürgschaft nur pro forma, konnte der Beklagte dem entnehmen, er werde unter den von ihm geschilderten Umständen im Bürgschaftsfall nicht in Anspruch genommen werden. Wenn er im Vertrauen darauf die Bürgschaftsurkunde unterschrieb, handelt die Klägerin anstößig, wenn sie den durch die Bürgschaft finanziell krass überforderten Beklagten gleichwohl an seiner Erklärung festhält; der Bürgschaftsvertrag ist dann wegen Sittenwidrigkeit nichtig.

III.

Das Berufungsurteil kann deshalb keinen Bestand haben und ist aufzuheben.

1. Soweit die Klägerin 250.000 DM nebst Zinsen wegen der Verbürgung für die von ihr ausgelegten Kredite begehrt, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die für die Behauptungen des Beklagten zur "Blanko-" und zur "pro-forma-Bürgschaft" angetretenen Beweise erheben kann.

2. Soweit die Klage auf eine Verbürgung des EKH-Darlehens gestützt wird, ist die Sache zur Endentscheidung reif. In diesem Umfang ist die Klage abzuweisen, weil dieses Darlehen von der Bürgschaft nicht umfasst wird.

a) Der Grund dafür ist freilich nicht in der Unwirksamkeit der formularmäßig weiten Zweckerklärung zu suchen (vgl. insoweit § 9 Abs. 1 AGBG [jetzt § 307 Abs. 1 BGB n. F.]; BGH v. 18.5.1995 - IX ZR 108/94, BGHZ 130, 19 [32 f.] = MDR 1996, 133). Die von der Klägerin geltend gemachten Kredite sind sämtlich Anlasskredite für die Bürgschaft gewesen. Maßgeblich ist der objektive Anlass, der sich nach dem aktuellen Sicherungsbedürfnis des Gläubigers und der Wahrung des Verbots der Fremddisposition richtet (BGH v. 18.5.1995 - IX ZR 108/94, BGHZ 130, 19 [33 f.] = MDR 1996, 133). Bei Abgabe der Bürgschaftserklärung waren den Beteiligten unstreitig alle beantragten Kreditmittel bekannt, zu deren Sicherung die Bürgschaft dienen sollte, insbesondere standen Kreditbeträge und Kreditgeber bereits fest. Dass die Hauptschuldnerin einzelne Kreditverträge erst kurze Zeit nach der Bürgschaftserklärung rechtsverbindlich unterzeichnete, steht daher der Einordnung als Anlasskredit nicht im Wege.

b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sichert die Bürgschaft jedoch nicht das EKH-Darlehen. Die D. A. bank ist nicht Gläubigerin der Bürgschaft; die Bürgschaftsurkunde bezeichnet allein die Klägerin als Gläubigerin.

Bei dem EKH-Darlehen handelt es sich auch nicht um Ansprüche der Klägerin, die von der Bürgschaft umfasst sein könnten. Der Darlehensvertrag wurde zwischen der Hauptschuldnerin und der D. A. bank abgeschlossen. Die Hauptschuldnerin beantragte die Gewährung dieses Darlehens unmittelbar bei der D. A. bank. Die Klägerin sollte das Darlehen zwar verwalten, jedoch im Namen der D. A. bank. Hierzu erklärte sich die Klägerin im Begleitschreiben zum Darlehensantrag der Hauptschuldnerin ausdrücklich bereit. Dementsprechend ist die Klägerin verfahren; soweit ersichtlich, hat sie Erklärungen bezüglich des Darlehens der D. A. bank immer in deren Namen abgegeben. Dies gilt insbesondere auch für die Kündigung der Kredite. Das EKH-Darlehen hat die Klägerin gesondert und ausdrücklich "namens und in Vollmacht der D. A. bank handelnd" gekündigt. Bei der Angabe der Gesamtverbindlichkeiten in dem an die Hauptschuldnerin gerichteten Kündigungsschreiben bezog die Klägerin das EKH-Darlehen nicht ein. Danach besteht - wie die Revision zutreffend rügt - kein Anhaltspunkt für die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe im Hinblick auf das EKH-Darlehen die Stellung einer mittelbaren Stellvertreterin wahrnehmen sollen. Dazu hätte die Klägerin zumindest im eigenen Namen handeln müssen. Dies hat sie an keiner Stelle getan; auch das Berufungsgericht zeigt ein solches Handeln der Klägerin in Bezug auf das EKH-Darlehen nicht auf. Bei der Vereinbarung v. 16.12.1998 hat die Klägerin das EKH-Darlehen ausdrücklich ausgenommen und ausgeführt, dass dieses "neben der Forderung der Klägerin besteht und im Obligo der D. A. bank in B. steht". Damit hat die Klägerin selbst klar zu erkennen gegeben, dass auch sie bezüglich des EKH-Darlehens nicht von einer eigenen Forderung gegen die Hauptschuldnerin ausging. Dass die D. A. bank nach der Auffassung des Berufungsgerichts "möglichst weit außen vorgehalten werden sollte", mag zwar als Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse zutreffen, enthält jedoch keinen Anknüpfungspunkt für die allein nach rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilende Frage, ob die Klägerin Ansprüche aus dem EKH-Darlehen im eigenen Namen geltend machen durfte. Auch die Klägerin hat hierzu im Prozess nichts vorgetragen. Vielmehr hat sie erklärt, dass das EKH-Darlehen "von der D. A. bank über die Klägerin als eingeschaltete Primärbank gewährt worden" sei. Dies genügt nicht, um die Forderung aus dem EKH-Darlehen zu einer eigenen Forderung der Klägerin zu machen, die durch die Bürgschaft gesichert wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 962603

DB 2003, 2486

BGHR 2003, 1145

FamRZ 2003, 1741

FuR 2003, 464

NJW-RR 2004, 337

EWiR 2003, 1127

JurBüro 2004, 52

KTS 2003, 620

MittBayNot 2005, 221

WM 2003, 1563

WuB 2003, 937

ZAP 2003, 1042

ZIP 2003, 1596

EzFamR aktuell 2003, 278

MDR 2003, 1365

VuR 2003, 391

ArbRB 2003, 291

BKR 2003, 668

ZBB 2003, 371

Kreditwesen 2003, 1416

ProzRB 2003, 290

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