Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstinstanzlicher Vortrag. Von Amts wegen zu prüfende Anspruchsgrundlage. Berufung. Neues Angriffsmittel. Sperrkonto. Einzahlungsverweigerung. Anspruch auf Auszahlung Sicherungseinbehalt. Nachfrist

 

Leitsatz (amtlich)

Vortrag zu einer in erster Instanz nicht ausdrücklich erwähnten, von Amts wegen zu prüfenden Anspruchsgrundlage ist kein neues Angriffsmittel in der Berufung, wenn sich deren Voraussetzungen bereits aus dem erstinstanzlichen Vortrag ergeben.

Der Auftragnehmer kann die sofortige Auszahlung des Sicherungseinbehalts ohne Nachfrist verlangen, wenn der Auftraggeber die Einzahlung auf ein Sperrkonto endgültig verweigert hat.

 

Normenkette

ZPO § 531 Abs. 2; VOB/B § 17 Nr. 6 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Potsdam (Urteil vom 01.07.2002)

AG Brandenburg

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 13. Zivilkammer des LG Potsdam v. 1.7.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das LG zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt die Auszahlung eines Sicherungseinbehaltes von 2.787,71 DM.

Die Beklagten beauftragten den Kläger mit Dachdeckungs- und Abdichtungsarbeiten. Der Vertrag, nach dessen § 1 Abs. 2 Nr. 6 die VOB/B Vertragsbestandteil sein sollte, sah einen Gewährleistungseinbehalt von 5 % der Bruttoabrechnungssumme vor, der durch unbefristete Bürgschaft abgelöst werden durfte. Für die Verpflichtung zur Einzahlung des Einbehalts auf ein Sperrkonto sollte nach § 9 Abs. 5 des Vertrages § 17 Nr. 6 VOB/B gelten. Nach Abschluss der Arbeiten legte der Kläger eine Bürgschaftsurkunde vor. Die Beklagten zahlten daraufhin 2.844,60 DM. Die Parteien streiten darum, ob mit dieser Zahlung der Sicherungseinbehalt ausgezahlt oder die Zahlung anderweitig verrechnet worden ist. Die Beklagten sind der Auffassung, die Forderung auf Auszahlung des Sicherungseinbehalts sei mit der Zahlung erloschen. Der Kläger hat eine Bürgschaft vorgelegt, die befristet ist. Er hat seine Klage allein auf sein Ablösungsrecht nach Vorlage dieser Bürgschaft gestützt.

Das AG hat die Klage abgewiesen. Ungeachtet der Frage, ob der Anspruch überhaupt bestehe, könne der Kläger schon deshalb keine Auszahlung des Sicherungseinbehalts verlangen, weil die Bürgschaft befristet sei und damit nicht der Sicherungsvereinbarung entspreche.

Mit der Berufung hat der Kläger vorgetragen, die Beklagten seien schon deshalb gem. § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B zur Auszahlung des Sicherungseinbehalts verpflichtet, weil sie diesen nicht auf ein Sperrkonto eingezahlt hätten. Eine an sich erforderliche Nachfristsetzung sei entbehrlich gewesen, weil sie ihre Verpflichtung zur Einzahlung auf ein Sperrkonto bereits dem Grunde nach bestritten hätten. Zudem habe der Kläger vorsorglich nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils eine Nachfrist gesetzt, die fruchtlos abgelaufen sei. Die Berufung ist zurückgewiesen worden. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis finden die Gesetze in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB). Für das Verfahrensrecht gelten die Regelungen der Zivilprozessordnung in der seit dem 1.1.2002 gültigen Fassung.

I.

Das Berufungsgericht führt aus, auf der Grundlage der vom AG festgestellten Tatsachen stehe dem Kläger kein Zahlungsanspruch zu.

Soweit der Kläger in der Berufung erstmals vortrage, der Gewährleistungseinbehalt sei von den Beklagten nicht auf ein Sperrkonto eingezahlt worden, dürfe dieses Vorbringen nicht berücksichtigt werden. Die verspätete Einführung dieser neuen Tatsache beruhe nicht auf einem Verfahrensmangel. Die Verspätung des Vorbringens beruhe auf Nachlässigkeit des Klägers. Die Tatsache hätte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorgetragen werden können. Der Anspruch auf Auszahlung gem. § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B sei nicht erst durch Ablauf der vorsorglich gesetzten Nachfrist entstanden. Die Beklagten hätten die Zahlung des Sicherungseinbehalts endgültig verweigert. Die Fristsetzung sei deshalb entbehrlich gewesen.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. In der Revision hat der Senat zugunsten des Klägers zu unterstellen, dass die im Vertrag enthaltene Regelung über die Einzahlung auf ein Sperrkonto mit ihrem Verweis auf § 17 Nr. 6 VOB/B wirksam in den Vertrag einbezogen worden ist. Das ist so, wenn die Beklagten Verwender des Vertragsformulars waren. War der Kläger Verwender, so musste er den Beklagten gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGBG bei Vertragsabschluss Gelegenheit verschaffen, den Inhalt des § 17 Nr. 6 VOB/B zur Kenntnis zu nehmen. Es fehlen jegliche Feststellungen dazu, wer Verwender des Vertragsformulars war und ob die Beklagten Gelegenheit hatten, den Inhalt des § 17 Nr. 6 VOB/B zur Kenntnis zu nehmen. Aus der Bemerkung des amtsgerichtlichen Urteils, dem Vertrag läge die VOB/B zugrunde, ergibt sich Letzteres nicht. Es ist lediglich eine Rechtsauffassung, die durch Tatsachen für die wirksame Einbeziehung der VOB/B in den Vertrag nicht belegt ist. Daran ändert es auch nichts, dass die Parteien diese Rechtsauffassung teilen (BGH, Urt. v. 8.7.1999 - VII ZR 237/98, MDR 1999, 1378 = BauR 1999, 1294 = ZfBR 2000, 30).

2. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass der Kläger den Sicherungseinbehalt nach § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B ohne Ablauf einer Nachfrist herausverlangen kann. Zugunsten der Revision ist zu unterstellen, dass der Sicherungseinbehalt noch nicht ausgezahlt worden ist.

a) Der Auftraggeber ist gem. § 17 Nr. 6 Abs. 1 und Abs. 2 VOB/B verpflichtet, einbehaltene Sicherheitsbeträge auf ein Sperrkonto einzubezahlen. Zahlt er den Betrag nicht rechtzeitig ein, so kann ihm der Auftragnehmer hierfür eine angemessen Nachfrist setzen. Lässt der Auftraggeber auch diese verstreichen, so kann der Auftragnehmer die sofortige Auszahlung des einbehaltenen Betrages verlangen und braucht dann keine Sicherheit mehr zu leisten, § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B. Der Auftragnehmer kann die sofortige Auszahlung des Sicherungseinbehalts auch ohne Nachfrist verlangen, wenn diese entbehrlich ist. Es entspricht allgemeinen Rechtsgrundsätzen, dass eine an sich erforderliche Fristsetzung entbehrlich ist, wenn sie reine Förmelei wäre (vgl. z. B. BGH, Urt. v. 12.9.2002 - VII ZR 344/01, BGHReport 2003, 1 = MDR 2003, 24 = BauR 2002, 1847 = NZBau 2002, 668 = ZfBR 2003, 30). Das ist der Fall, wenn der Schuldner seine Leistungsverpflichtung endgültig verweigert, vgl. § 281 Abs. 2 BGB n. F.. Dieser Grundsatz gilt auch für § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B (Ingenstau/Korbion, VOB, 14. Aufl., B § 17 Rz. 169; Beck'scher VOB-Komm./Jagenburg, § 17 Nr. 6 Rz. 34; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 9. Aufl., B § 17 Rz. 40).

b) Die Beklagten haben sich zwar nicht ausdrücklich geweigert, den Sicherungseinbehalt auf ein Sperrkonto zu zahlen. Sie haben jedoch die Auffassung vertreten, sie schuldeten überhaupt keine Auszahlung des Sicherungseinbehalts, weil sie ihn bereits ausgezahlt hätten. Danach stand fest, dass die Beklagten einer Aufforderung zur Einzahlung des Sicherungseinbehalts auf ein Sperrkonto keine Folge leisten würden. Die Nachfrist gem. § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B war von vornherein entbehrlich.

2. Dem Berufungsgericht kann nicht darin gefolgt werden, dass das Vorbringen des Klägers, die Beklagten hätten den Sicherungseinbehalt nicht auf ein Sperrkonto einbezahlt, ein neues Angriffsmittel ist, das in der Berufung nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO berücksichtigt werden könnte.

a) Ein neues Angriffsmittel i. S. d. § 531 Abs. 2 ZPO kann auch ein neuer Tatsachenvortrag sein, der das Gericht nötigt, eine neue Anspruchsgrundlage zu prüfen. Ein neues Angriffsmittel wird dagegen nicht in den Prozess eingeführt, wenn sich der Anspruch bereits aus dem erstinstanzlichen Vortrag ergibt und der Vortrag in der Berufungsinstanz diesen Umstand nur verdeutlicht oder erläutert (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.1991 - VIII ZR 129/90, NJW-RR 1991, 1214 [1215]).

b) Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass sich aus dem beiderseitigen Vortrag der Parteien in der ersten Instanz zwanglos auch ohne ausdrückliche Hervorhebung durch den Kläger ergibt, dass die Beklagten den Betrag nicht auf ein Sperrkonto eingezahlt und die Einzahlung endgültig verweigert haben. Das folgt bereits daraus, dass sie behauptet haben, der Betrag sei bereits an den Kläger ausgezahlt. Aus diesem Sachverhalt ergab sich ein Auszahlungsanspruch des Klägers aus § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B für den Fall, dass der Sicherungseinbehalt noch nicht ausgezahlt war. Diese aus dem vorgelegten Vertrag ersichtliche Anspruchsgrundlage war von den Gerichten von Amts wegen zu berücksichtigen. Denn die Gerichte entscheiden über den Streitgegenstand unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten (vgl. BGH, Urt. v. 18.7.2002 - III ZR 287/01, BGHReport 2002, 939 = BauR 2002, 1831 [1833]; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 308 Rz. 5). Es kommt deshalb nicht darauf an, dass der Kläger erstinstanzlich seinen Anspruch auf Auszahlung des Sicherungseinbehalts rechtlich allein aus der Ablösungsbefugnis abgeleitet hat.

Bereits das AG hätte nach dem gebotenen richterlichen Hinweis auf Grundlage dieses Zahlungsanspruchs entscheiden müssen. Soweit das Berufungsgericht meint, das AG sei nicht verpflichtet gewesen, eine unschlüssige Klage durch seinen Hinweis erfolgreich zu machen, verkennt es, dass die Klage schlüssig war.

III.

Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da der Senat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht selbst entscheiden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 959674

BGHR 2003, 1103

BauR 2003, 1559

EBE/BGH 2003, 258

FamRZ 2003, 1381

NJW-RR 2003, 1321

EWiR 2003, 1211

IBR 2003, 534

IBR 2003, 581

WM 2004, 86

ZfIR 2003, 809

MDR 2003, 1286

NJ 2003, 653

ZfBR 2003, 686

BrBp 2003, 235

NZBau 2003, 560

ZBB 2003, 449

JbBauR 2005, 320

JbBauR 2005, 357

JbBauR 2005, 375

KammerForum 2003, 418

Mitt. 2003, 531

ProzRB 2003, 293

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