Entscheidungsstichwort (Thema)

Beratungs- / Aufklärungsverschulden eines Kreditinstituts. Dokumentationspflicht für Beratung bzw. Aufklärung durch Kreditinstitut

 

Leitsatz (amtlich)

Kreditinstitute haben keine zivilrechtliche Pflicht oder Obliegenheit zur schriftlichen Dokumentation der Erfüllung ihrer Beratungs- und Aufklärungspflichten gegenüber Kapitalanlegern.

 

Normenkette

BAWeRL v. 9.5.2000 Abschnitt D; WpHG §§ 31-32, 34

 

Verfahrensgang

OLG Koblenz (Urteil vom 09.09.2004; Aktenzeichen 6 U 1336/03)

LG Koblenz (Entscheidung vom 15.10.2003; Aktenzeichen 3 O 25/03)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Koblenz vom 9.9.2004 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die beklagte Bank wegen angeblicher Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Umschichtung eines Wertpapierdepots auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Klägerin, Ehefrau eines Zahnarztes im Rentenalter, unterhielt bei der Beklagten ein Depot, in dem sich am 31.12.1999 zu 40,96 % Anteile an Aktienfonds und zu 59,04 % Anteile an Rentenfonds befanden. Sie hatte am 5.9.1996 mit der Beklagten einen "Beratungsvertrag zum D. -Depot" abgeschlossen und in der Folgezeit ihr Anlagevermögen in eine von der Beklagten angebotene "Vermögensverwaltung mit Investmentzertifikaten" eingebracht. Nach einer Besprechung am 28.2.2000, an der die Klägerin, ihr Ehemann und zwei Angestellte der Beklagten teilnahmen, verkaufte die Klägerin alle im Depot befindlichen Wertpapiere mit einem Erlös i.H.v. 304.333,27 DM. Stattdessen erwarb sie für insgesamt 300.024,32 DM Anteile an von der Gruppe der Beklagten emittierten Multimedia-, Biotechnologie-, Software- und Internetfonds. Außerdem nahm sie zur Finanzierung des Erwerbs einer Eigentumswohnung durch ihren Sohn ein Darlehen i.H.v. 150.000 DM zu einem effektiven Jahreszins von 5,906 % auf. Als Sicherheit verpfändete sie die neu erworbenen Wertpapiere. Deren Kurs verfiel in der Folgezeit. Hierüber führten die Parteien in regelmäßigen Zeitabständen Telefongespräche. Im April 2002 verkaufte die Klägerin sämtliche Anteile für 48.327,60 EUR.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe am 28.2.2000 Teile ihres Depots veräußern wollen, um ihrem Sohn 150.000 DM zuwenden zu können. Ein Angestellter der Beklagten habe ihr trotz ihres konservativen Anlageverhaltens die Umschichtung des Depots und die Aufnahme eines Kredits empfohlen, ohne sie über die Risiken der neu erworbenen Fondsanteile und die Gefahr, dass bei einem etwaigen Kursverfall das Darlehen nicht mehr ausreichend gesichert sei, aufzuklären. In den späteren Telefongesprächen habe der Angestellte trotz des Kursverfalls zum Halten der Anteile geraten.

Die Klage auf Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 114.659,12 EUR nebst Zinsen ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch aus einem Beratungs- oder Aufklärungsverschulden der Beklagten nicht zu. Zwischen den Parteien habe unabhängig davon, ob der Beratungsvertrag vom 5.9.1996 und die spätere Vermögensverwaltung beendet worden seien, ein am 28.2.2000 stillschweigend geschlossener Beratungsvertrag bestanden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die beweisbelastete Klägerin für ihre Behauptung beweisfällig geblieben, die Beklagte habe ihre Beratungs- und Aufklärungspflichten am 28.2.2000 verletzt, weil sie die Depotumschichtung von einer konservativen in eine hochspekulative Anlageform initiiert habe, ohne auf die damit verbundenen Risiken hinzuweisen. Die Darstellung des Gesprächs vom 28.2.2000 durch die Beklagte sei nicht widerlegt. Danach habe der Ehemann der Klägerin den entscheidenden Anstoß zur Änderung des Anlageverhaltens gegeben. Die Klägerin sei dem Drängen ihres Ehemannes gefolgt, obwohl der Angestellte der Beklagten S. sie über die erheblichen Risiken der neuen hochspekulativen Anlageform, die nicht ihrer bisherigen Anlagementalität entspreche, aufgeklärt habe. Die diesbezüglichen Zeugenaussagen des Ehemannes der Klägerin und des Angestellten der Beklagten S. stünden einander unvereinbar gegenüber und ließen keine sicheren Feststellungen zu. Ein wichtiges, für die Darstellung des Zeugen S. sprechendes Indiz sei ein Schreiben vom 25.4.2002, in dem der Ehemann der Klägerin sich nicht gegen die Beratung am 28.2.2000, sondern nur gegen das spätere Verhalten des Zeugen S. gewandt habe.

Die angebliche Empfehlung der neu erworbenen Fondsanteile sei für sich betrachtet keine Pflichtverletzung. Nach den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen sei der spätere Kursverfall am 28.2.2000 noch nicht vorhersehbar gewesen.

Die Klägerin habe auch nicht nachweisen können, dass der Zeuge S. sie von ihrem ursprünglichen Vorhaben, die zur Unterstützung ihres Sohnes benötigten 150.000 DM durch den Verkauf von Wertpapieren aufzubringen, abgebracht und ihr zur Aufnahme eines Darlehens geraten habe. Auch hier widersprächen sich die Bekundungen des Ehemannes der Klägerin und des Zeugen S., ohne dass die Richtigkeit einer dieser Darstellungen feststellbar sei.

Auch für eine fehlerhafte Beratung nach dem 28.2.2000 sei die Klägerin beweisfällig geblieben. Ihr Vortrag, sie selbst habe sich wegen des fortschreitenden Kursverfalls alle drei Monate telefonisch an den Zeugen S. gewandt und stets den Rat "Kaufen" oder "Halten" bekommen, sei nicht erwiesen. Während der Ehemann diesen Vortrag aufgrund von Erzählungen der Klägerin bestätigt habe, habe der Zeuge S. bekundet, er habe die Klägerin immer wieder gebeten, die Entscheidung für die neu erworbenen Fondsanteile erneut zu überdenken.

Die Voraussetzungen der §§ 447, 448 ZPO für die Vernehmung der Klägerin als Partei lägen nicht vor. Die - vom Berufungsgericht angehörte - Klägerin habe den Anbeweis für die Richtigkeit ihres Vortrags nicht erbracht. Auch der Grundsatz der Waffengleichheit (EuGHMR v. 27.10.1993 - 37/1992/382/460, NJW 1995, 1413 ff.) gebiete ihre Vernehmung als Partei nicht. Die Klägerin und der Zeuge S. seien bei dem Gespräch am 28.2.2000 und den späteren Telefonaten nicht beide Repräsentanten der jeweiligen Partei gewesen. Die Klägerin sei vielmehr selbst Partei, während der Zeuge S. ein Angestellter der Beklagten sei.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.

1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte nach ihrem eigenen Sachvortrag keine Beratungs- oder Aufklärungspflichten verletzt hat, ist rechtsfehlerfrei und wird von der Revision nicht angegriffen.

2. Rechtlich zutreffend ist auch die Meinung des Berufungsgerichts, die Klägerin trage die Darlegungs- und Beweislast für die Verletzung einer Beratungs- oder Aufklärungspflicht der Beklagten.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH trägt derjenige, der eine Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung behauptet, dafür die Beweislast. Die mit dem Nachweis einer negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten werden dadurch ausgeglichen, dass die andere Partei die behauptete Fehlberatung substantiiert bestreiten und darlegen muss, wie im Einzelnen beraten bzw. aufgeklärt worden sein soll. Dem Anspruchsteller obliegt dann der Nachweis, dass diese Gegendarstellung nicht zutrifft (BGH v. 9.6.1994 - IX ZR 125/93, BGHZ 126, 217 [225] = BRAK 1995, 129 = MDR 1995, 419; Urt. v. 16.9.1981 - IVa ZR 85/80, MDR 1982, 299 = WM 1982, 13 [16]; Urt. v. 5.2.1987 - IX ZR 65/86, MDR 1987, 666 = WM 1987, 590 [591]; Urt. v. 9.11.1989 - IX ZR 261/88, MDR 1990, 240 = WM 1990, 115 f.; Urt. v. 3.12.1992 - IX ZR 61/92, AG 1993, 173 = MDR 1993, 582 = GmbHR 1993, 300 = WM 1993, 510 [512]; Urt. v. 10.12.1998 - IX ZR 358/97, MDR 1999, 446 = WM 1999, 645 [646]). Dies gilt auch für den Bereich der Anlageberatung (BGH, Urt. v. 9.5.2000 - XI ZR 159/99, MDR 2000, 1021 = WM 2000, 1441 [1443]; Urt. v. 27.6.2000 - XI ZR 174/99, MDR 2000, 1201 = WM 2000, 1685 [1686]).

Die Rechtsprechung des BGH hat in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Frankfurt v. 25.3.1993 - 16 U 200/92, WM 1993, 1030 [1032]; OLG Frankfurt v. 7.5.1998 - 16 U 152/97, OLGReport Frankfurt 1998, 246 = ZIP 1998, 2148 [2149 f.]; KG v. 5.2.2002 - 19 U 38/01, KGReport Berlin 2002, 168 = WM 2002, 746 [748 f.]; OLG Köln v. 17.9.2003 - 13 U 183/02, OLGReport Köln 2004, 133; v. 30.7.2003 - 13 U 2/03, OLGReport Köln 2004, 176 [177]) und im Schrifttum (Balzer in Welter/Lang, Handbuch der Informationspflichten im Bankverkehr, Rz. 7.93; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, 2. Aufl., Anhang § 282 Rz. 23; Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute bei der Kapitalanlage, S. 154; Musielak/Foerste, ZPO, 4. Aufl., § 286 Rz. 40; Grüneberg in Bamberger/Roth, BGB, § 280 Rz. 68; Horn in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 7/1341; Ellenberger in Ellenberger/Schäfer, Fehlgeschlagene Wertpapieranlagen, S. 59, 92; Schäfer/Müller, Haftung für fehlerhafte Wertpapierdienstleistungen, Rz. 79 f.; Waldeck in Cramer/Rudolph, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 647, 654; Wieneke, Discount-Broking und Anlegerschutz, S. 215; Drygala, WM 1992, 1213 [1221 f.]; a.A. Reich, WM 1997, 1601 [1605]; Tilp in Horn/Krämer, Bankrecht, 2002, S. 419, 437 ff.) ganz überwiegend Zustimmung gefunden.

b) Eine Beweislastumkehr oder Beweiserleichterungen ergeben sich entgegen der Auffassung der Revision nicht aus einer Verletzung einer Dokumentationsobliegenheit. Nach dem Sachvortrag der Parteien hat die Beklagte die Erfüllung ihrer Beratungs- und Aufklärungspflichten zwar nicht schriftlich dokumentiert. Eine Obliegenheit oder Pflicht zur Dokumentation bestand aber auch nicht. Sie ergibt sich weder aus dem Beratungsvertrag noch aus dem Wertpapierhandelsgesetz oder den Richtlinien des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel gem. § 35 Abs. 2 WpHG vom 26.5.1997 (BAnz. S. 6586) bzw. gem. § 35 Abs. 6 WpHG vom 9.5.2000 (BAnz. S. 13792).

aa) Aus einem Vertragsverhältnis kann sich zwar gem. § 242 BGB eine Dokumentationspflicht des Vertragspartners ergeben, der die Belange des anderen wahrzunehmen hat und dabei Maßnahmen oder Feststellungen trifft, die der andere nicht selbst erkennen oder beurteilen kann (BGH, Urt. v. 15.11.1984 - IX ZR 157/83, MDR 1985, 669 = WM 1985, 138 [139]). Eine solche Pflicht, die etwa Ärzte trifft (BGHZ 72, 132 [138]; BGH, Urt. v. 6.7.1999 - VI ZR 290/98, MDR 1999, 1265 = NJW 1999, 3408 [3409 f.]), besteht aber bei der Anlageberatung durch Kreditinstitute ebenso wenig wie bei der Beratung durch Rechtsanwälte und Steuerberater (BGH, Urt. v. 13.2.1992 - IX ZR 105/91, MDR 1992, 614 = WM 1992, 701 [703]). Der beratene Anleger kann auch ohne besondere Fachkunde eigene Aufzeichnungen über das Beratungsgespräch fertigen oder zu dem Gespräch einen Zeugen hinzuziehen. Selbst ohne Zeugen besteht im Prozess die Möglichkeit, durch Abtretung oder durch Parteivernehmung eine beweisrechtlich ebenbürtige Stellung mit der Bank herzustellen (Ellenberger in Ellenberger/Schäfer, Fehlgeschlagene Wertpapieranlagen, S. 57, 93 f.; Schwennicke, WM 1998, 1101 [1109]; a.A. Roller/Hackenberg, VuR 2005, 127 [129]).

bb) Eine Aufzeichnungspflicht folgt auch nicht aus dem Wertpapierhandelsgesetz.

(1) Die in § 34 Abs. 1 WpHG enumerativ aufgeführten gesetzlichen Aufzeichnungspflichten beziehen sich nur auf den Geschäftsabschluss und setzen damit erst nach der (unterlassenen) Aufklärung bzw. Beratung ein (Balzer in Welter/Lang, Handbuch der Informationspflichten im Bankverkehr, Rz. 7.96; Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute bei der Kapitalanlage, S. 253 f.; Horn in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 7/1341; Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, § 14 Rz. 1, § 19 Rz. 16; Schäfer/Müller, Haftung für fehlerhafte Wertpapierdienstleistungen, Kap. 1 Rz. 81; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, WpHG, 3. Aufl., § 34 Rz. 13; Schwennicke, WM 1998, 1101 [1108]). Die nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 WpHG aufzuzeichnenden Anweisungen des Kunden schließen dessen inhaltliche Aufklärung nicht ein. Der Begriff der Anweisung umfasst nur den Auftrag als solchen, d.h. seine Konditionen und Abwicklung.

Eine Rechtsverordnung gem. § 34 Abs. 2 WpHG zur Begründung weiterer Aufzeichnungspflichten ist bislang nicht erlassen worden.

(2) §§ 31, 32 WpHG begründen ebenfalls keine Dokumentationspflicht oder -obliegenheit (Ellenberger in Ellenberger/Schäfer, Fehlgeschlagene Wertpapieranlagen, S. 57, 94; Koller in Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., § 31 Rz. 94a, 119a; Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, § 14 Rz. 1; Möllers/Ganten, ZGR 1998, 773 [803]; Eisele in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 2. Aufl., § 109 Rz. 34; Schwennicke, WM 1998, 1101 [1108]; Balzer, WM 2000, 441 [446 Fn. 69]; a.A. Reich, WM 1997, 1601 [1605]; Roller/Hackenberg, VuR 2005, 127 [128 f.]; Tilp in Horn/Krämer, Bankrecht, 2002, S. 419, 437 ff.).

Die Wohlverhaltensregeln der §§ 31, 32 WpHG sehen eine Aufzeichnung des Aufklärungs- bzw. Beratungsgespräches nicht ausdrücklich vor. Ein Dokumentationserfordernis kann auch nicht im Wege der Auslegung aufgrund der anlegerschützenden Funktion der §§ 31, 32 WpHG angenommen werden. Dadurch würde den in § 34 Abs. 1 WpHG ausdrücklich geregelten Aufzeichnungspflichten (Möllers/Ganten, ZGR 1998, 773 [803]) und der Ermächtigung gem. § 34 Abs. 2 WpHG, weitere Aufzeichnungspflichten durch Rechtsverordnung festzulegen, ein sinnvoller Anwendungsbereich entzogen (Möllers/Ganten, ZGR 1998, 773 [803]). Gerade diese Ermächtigung spricht dafür, dass der Gesetzgeber eine Erweiterung der Aufzeichnungspflichten allein dem förmlichen Weg einer Rechtsverordnung vorbehalten wollte.

cc) Aus Nr. 3.7 der zur Zeit des Beratungsgesprächs am 28.2.2000 geltenden Richtlinie gem. § 35 Abs. 2 WpHG des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel vom 26.5.1997 (BAnz. S. 6586) und aus Abschnitt D der zur Zeit der späteren Telefongespräche geltenden Richtlinie vom 9.5.2000 (BAnz. S. 13792), wonach die Aufklärung des Kunden so durchzuführen ist, dass sie im Rahmen der Prüfung nach § 35 Abs. 1 oder § 36 Abs. 1 WpHG nachvollzogen werden kann, ergibt sich ebenfalls keine Dokumentationspflicht oder -obliegenheit. Bei der Richtlinie handelt es sich um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, die keine neuen Pflichten begründen kann und die die Zivilgerichte nicht bindet (BGH v. 8.5.2001 - XI ZR 192/00, BGHZ 147, 343 [350] = MDR 2001, 1307 = BGHReport 2001, 833 m. Anm. Koller; Döhmel in Vortmann, Prospekthaftung und Anlageberatung, § 4 Rz. 104; Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, § 14 Rz. 3). Dies verkennen Kieninger (Kieninger, AcP 199 (1999), 190 [246]) und Wieneke (Wieneke, Discount-Broking und Anlegerschutz, S. 215 f.), der die Richtlinie fälschlich als Rechtsverordnung gem. § 34 Abs. 2 WpHG ansieht. Der Senat teilt außerdem die im Schrifttum vertretene Auffassung (Ellenberger in Ellenberger/Schäfer, Fehlgeschlagene Wertpapieranlagen, S. 57, 95; Schwennicke, WM 1998, 1101 [1108]; a.A. Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute bei der Anlageberatung, S. 254), dass die gebotene Nachvollziehbarkeit keine schriftliche Dokumentation erfordert. Dafür spricht bereits der Wortlaut der Richtlinie vom 26.5.1997, die in Nr. 3.4 und 4.6 ausdrücklich die Dokumentation der Verweigerung der Kundenangaben bzw. der Ausführung des Auftrages, in Nr. 3.7 aber lediglich die Nachvollziehbarkeit der Aufklärung des Kunden vorschreibt. Die Nachvollziehbarkeit kann entgegen der Ansicht der Revision auch durch organisatorische Maßnahmen, z.B. durch Mitarbeiterschulungen, Handbücher und Kontrollen, sichergestellt werden (Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., Rz. 16.606; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, WpHG, 3. Aufl., § 31 Rz. 42).

3. Das Berufungsgericht hat, anders als die Revision meint, die Darlegungs- und Beweislast auch nicht bei der Verneinung einer Pflichtverletzung in der Zeit nach dem 28.2.2000 verkannt. Es hat die vom Zeugen S. bekundete wiederholte Empfehlung, die getroffene Anlageentscheidung nochmals zu überdenken, als ausreichende Beratung angesehen und bei dieser Beurteilung die Möglichkeit zugrunde gelegt, dass die Klägerin zuvor die Depotumschichtung gegen den Rat des Bankangestellten S. veranlasst hatte.

Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin trägt, wie dargelegt, die Darlegungs- und Beweislast für die Verletzung einer Beratungs- oder Aufklärungspflicht. Sie hat deshalb die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sie einen bestimmten Umfang der Beratungs- oder Aufklärungspflicht herleiten will (BGH, Urt. v. 9.11.1989 - IX ZR 261/88, MDR 1990, 240 = WM 1990, 115 [116]). Dazu gehört im vorliegenden Zusammenhang, dass die Klägerin die Depotumschichtung nicht gegen den Rat der Beklagten veranlasst hat. Denn bei einer gegen seinen Rat vorgenommenen Anlage enthält die wiederholte Empfehlung, die Anlageentscheidung nochmals zu überdenken, die höflich formulierte Information, dass er der Anlage weiterhin negativ gegenüberstehe.

4. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Klägerin nicht als Partei gem. § 448 ZPO zu vernehmen, weil sie den Anbeweis für die Richtigkeit ihrer Darstellung der Telefongespräche nach dem 28.2.2000 nicht erbracht habe, verstößt entgegen der Auffassung der Revision nicht gegen den Grundsatz der Waffengleichheit.

a) Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Grundsatz der Waffengleichheit erfordere eine Vernehmung der Klägerin als Partei bereits deshalb nicht, weil die streitigen Telefongespräche nicht auf beiden Seiten von "Repräsentanten" der Parteien, sondern auf Seite der Klägerin von ihr selbst geführt worden seien, ist allerdings rechtsfehlerhaft. Auch in einem solchen Falle gebietet der Grundsatz der Waffengleichheit, der Partei, die für ein Vier-Augen-Gespräch keinen Zeugen hat, Gelegenheit zu geben, ihre Darstellung des Gesprächs in den Prozess persönlich einzubringen (BGH, Urt. v. 27.9.2005 - XI ZR 216/04, BGHReport 2006, 49 = MDR 2006, 285 = NJW-RR 2005, 61 [63]).

b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich aber aus anderen Gründen auch insoweit als richtig dar (§ 561 ZPO). Nach der Rechtsprechung des BGH wird der Grundsatz der Waffengleichheit gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK (EuGHMR v. 27.10.1993 - 37/1992/382/460, NJW 1995, 1413 ff.) nicht verletzt, wenn ein Gericht nach Vernehmung eines Zeugen davon absieht, die Gegenpartei gem. § 448 ZPO von Amts wegen zu vernehmen, weil es keine Wahrscheinlichkeit für die Parteibehauptung erkennt (BGH, Urt. v. 19.12.2002 - VII ZR 176/02, MDR 2003, 467 = BGHReport 2003, 831 = WM 2003, 1740 [1742], m.w.N.). Dem Grundsatz der Waffengleichheit, dem Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG und dem Recht auf Gewährleistung eines fairen Prozesses und eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gem. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist Genüge getan, wenn die Partei gem. § 141 ZPO angehört wird (BGH, Urt. v. 27.9.2005 - XI ZR 216/04, BGHReport 2006, 49 = MDR 2006, 285 = NJW-RR 2006, 61 [63], m.w.N.). Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gewährleistet, dass das Ergebnis der Anhörung ausreichend Gewicht hat (BGH, Urt. v. 19.12.2002 - VII ZR 176/02, MDR 2003, 467 = BGHReport 2003, 831 = WM 2003, 1740 [1742]). Ein Gericht ist nicht gehindert, im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme einer Parteierklärung, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt ist, den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen zu geben (BGH, Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 32/96, MDR 1999, 699 = NJW 1999, 363 [364], m.w.N.). Dies gilt entgegen der Auffassung der Revision auch dann, wenn nicht nur die Glaubhaftigkeit der Aussage, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Partei in Frage steht. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung sind stets beide Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Den zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit erforderlichen persönlichen Eindruck (BGH, Urt. v. 3.5.1995 - XI ZR 236/94, NJW-RR 1995, 1210 [1211]) gewinnt das Gericht auch durch die Anhörung gem. § 141 ZPO.

III.

Die Revision war demnach als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1487647

BGHZ 2006, 56

DB 2006, 663

DStZ 2006, 279

NJW 2006, 1429

NWB 2006, 389

BGHR 2006, 662

EBE/BGH 2006, 94

EWiR 2006, 287

JurBüro 2006, 333

WM 2006, 567

ZIP 2006, 504

JZ 2006, 1080

MDR 2006, 1061

RDV 2006, 70

VersR 2006, 979

VuR 2006, 166

VuR 2006, 191

BKR 2006, 163

BKR 2006, 80

NWB direkt 2006, 12

RdW 2006, 181

ZBB 2006, 153

ZGS 2006, 124

BBBW 2006, 69

BBV 2006, 108

Kreditwesen 2006, 621

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