Leitsatz (amtlich)

a) Der Verwalter ist auch im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft befugt, einen Massegegenstand freizugeben.

b) Erklärt der Verwalter die Freigabe eines vom Schuldner rechtshängig gemachten Anspruchs, wird dadurch der Insolvenzbeschlag aufgehoben mit der Folge, dass die Unterbrechung des Verfahrens endet.

 

Normenkette

InsO § 1 S. 1, §§ 35, 85; ZPO § 240

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Zwischenurteil vom 25.07.2003; Aktenzeichen 14 U 207/01)

LG Konstanz

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Zwischenurteil des OLG Karlsruhe - 14. Zivilsenat in Freiburg - v. 25.7.2003 aufgehoben.

Der Rechtsstreit ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr unterbrochen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die klagende GmbH und Co. KG hat die Beklagte auf Ersatz eines ihr angeblich durch die Pressemitteilung eines Beamten der Beklagten verursachten Schadens von mehr als 6 Mio. DM sowie auf Feststellung des Bestehens weiterer Schadensersatzansprüche ab Beginn des Geschäftsjahres 2000 in Anspruch genommen. Das LG hat die Klage abgewiesen.

Nach Eingang der Berufungsbegründung ist über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter hat ggü. den Geschäftsführern der Komplementär-GmbH der Klägerin erklärt, er gebe den Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte frei. Daraufhin hat die Klägerin die Aufnahme des Rechtsstreits erklärt und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils nach ihren erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen. Das Berufungsgericht hat nach mündlicher Verhandlung durch Zwischenurteil ausgesprochen, dass der Rechtsstreit infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen sei (OLG Karlsruhe v. 25.7.2003 - 14 U 207/01, OLGReport Karlsruhe 2003, 454 = ZIP 2003, 1510). Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision (BGH v. 8.6.2004 - IX ZR 281/03, BGHReport 2004, 1516 = MDR 2004, 1312 = WM 2004, 1656) begehrt die Klägerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Die Klägerin ist befugt, den Rechtsstreit im eigenen Namen fortzusetzen.

I.

Das Berufungsgericht meint, das Berufungsverfahren sei nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin weiterhin unterbrochen. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Personengesellschaft, deren persönlich haftende Gesellschafterin weder eine natürliche Person noch eine nicht insolvente juristische Person sei, könne der Verwalter keine streitbefangenen Massegegenstände freigeben. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle das Vermögen einer solchen Gesellschaft vollständig abgewickelt werden, so dass sich an das Insolvenzverfahren keine gesellschaftsrechtliche Liquidation anschließe. Es sei zudem mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens, eine maximale Gläubigerbefriedigung zu erzielen, nicht vereinbar, dem Verwalter das Freigaberecht zu geben. Der Verwalter sei bei Verneinung einer Freigabemöglichkeit auch nicht gezwungen, wenig aussichtsreiche Prozesse fortzuführen; denn er könne die Klage zurücknehmen oder ein Verzichtsurteil erwirken.

II.

Das Berufungsgericht folgt einer in der Literatur insb. von K. Schmidt (KTS 1994, 309 ff.; K. Schmidt, ZIP 2000, 1913 [1916 f.]; ebenso Bork, Das neue Insolvenzrecht, 3. Aufl., Rz. 133 ff.; Jaeger/H.-F. Müller, InsO, § 35 Rz. 148) vertretenen Auffassung. Der Senat hat dagegen bereits in dem noch zur Gesamtvollstreckungsordnung ergangenen Urteil v. 5.7.2001 (BGH v. 5.7.2001 - IX ZR 327/99, BGHZ 148, 252 [258 f.] = BGHReport 2001, 758) zum Ausdruck gebracht, dass die nach früherem Recht allgemein anerkannte generelle Freigabebefugnis des Verwalters durch die Insolvenzordnung nicht beseitigt worden sei. Diese in Rechtsprechung und Schrifttum ganz überwiegend vertretene Auffassung (BVerwG v. 23.9.2004 - 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145 [2147]; OLG Naumburg ZInsO 2000, 154 [155]; OLG Rostock ZInsO 2000, 604 [605]; OLG Stuttgart v. 5.11.2003 - 13 W 51/03, OLGReport Stuttgart 2004, 89 [90]; Kübler/Prütting/Lüke, InsO, § 80 Rz. 9 f., § 85 Rz. 69 f.; Lwowski in MünchKomm/InsO, § 35 Rz. 107 ff.; Schumacher in MünchKomm/InsO, § 85 Rz. 26 ff.; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 36 Rz. 48 ff.; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rz. 494; Smid, InsO, 2. Aufl., § 80 Rz. 30, § 85 Rz. 18; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 35 Rz. 24; Henckel, FS für Kreft, S. 291, 300 ff.; Lwowski/Tetzlaff, WM 1999, 2336 [2345 f.]) erweist sich auch unter Berücksichtigung der Argumentation des Berufungsgerichts als zutreffend. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person ist der Insolvenzverwalter ebenfalls befugt, einzelne Gegenstände aus der Masse freizugeben.

1. Diese Befugnis mit der Folge, dass der Insolvenzbeschlag erlischt und der Schuldner die Verfügungsbefugnis zurück erhält, ist in der Insolvenzordnung nicht näher geregelt. Wie die Vorschrift des § 32 Abs. 3 InsO zeigt, geht das Gesetz allerdings ohne weiteres davon aus, dass dem Insolvenzverwalter ein solches Recht zusteht. Im Grundsatz wird das Freigaberecht demzufolge in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt.

2. Die ein Freigaberecht des Insolvenzverwalters bei juristischen Personen leugnende Auffassung beruft sich insb. auf die im RegE zur Insolvenzordnung in § 1 Abs. 2 S. 3 vorgesehene Vorschrift. Danach tritt das Insolvenzverfahren bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit an die Stelle der gesellschafts- oder organisationsrechtlichen Abwicklung. In der Begründung dazu heißt es, ein ggf. verbleibendes Restvermögen solle unter den an der Schuldnerin beteiligten Personen verteilt werden (BT-Drucks. 12/2443, 109). Diese Bestimmung wurde später vom Rechtsausschuss des Bundestages gestrichen, um die Vorschrift zu straffen und auf ihre wesentlichen Ziele zurückzuführen (BT-Drucks. 12/7302, 155). Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Entschließung eine Änderung des vom Gesetzgeber dem § 1 InsO zunächst zugewiesenen Inhalts zur Folge hat (BGH v. 5.7.2001 - IX ZR 327/99, BGHZ 148, 252 [258] = BGHReport 2001, 758; BVerwG v. 23.9.2004 - 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145 [2147]; Bork, Das neue Insolvenzrecht, 3. Aufl., Rz. 135); denn auch aus der ursprünglich geplanten Gesetzesfassung hätte sich nicht herleiten lassen, dass dem Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft das Freigaberecht versagt ist.

Das Insolvenzverfahren dient vorrangig dazu, die Gläubiger des Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem dessen Vermögen verwertet und der Erlös verteilt wird (§ 1 S. 1 InsO). Dieser Grundsatz galt auch nach der zunächst beabsichtigten gesetzlichen Fassung ohne jede Einschränkung. Die Begründung des Regierungsentwurfs hebt deshalb die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger als Hauptziel des Verfahrens besonders hervor (BT-Drucks. 12/2443, 108). Daraus folgt, dass das Ziel einer Vollbeendigung der Gesellschaft im Insolvenzverfahren jedenfalls dort zurücktreten muss, wo es in Widerspruch zu den Belangen der Gläubigergesamtheit gerät. Das berechtigte Interesse der Gläubiger, aus der Masse eine Befriedigung ihrer Ansprüche zu erhalten und deshalb möglichst die Entstehung von Verbindlichkeiten zu vermeiden, die das zur Verteilung zur Verfügung stehende Vermögen schmälern, hat im Rahmen der insolvenzrechtlichen Abwicklung unbedingten Vorrang.

3. Ein rechtlich schutzwürdiges Bedürfnis, dem Verwalter die Möglichkeit der Freigabe einzuräumen, besteht regelmäßig dort, wo zur Masse Gegenstände gehören, die wertlos sind oder Kosten verursachen, welche den zu erwartenden Veräußerungserlös möglicherweise übersteigen. Dies hat insb. bei wertausschöpfend belasteten oder erheblich kontaminierten Grundstücken große praktische Bedeutung. Es wäre mit dem Zweck der Gläubigerbefriedigung nicht zu vereinbaren, wenn der Insolvenzverwalter in solchen Fällen gezwungen wäre, Gegenstände, die nur noch geeignet sind, das Schuldnervermögen zu schmälern, allein deshalb in der Masse zu behalten, um eine Vollbeendigung der Gesellschaft zu bewirken (Henckel, FS für Kreft, S. 302 f.; Lwowski in MünchKomm/InsO, § 35 Rz. 114; Smid, InsO, 2. Aufl., § 80 Rz. 30, § 85 Rz. 18; BVerwG v. 23.9.2004 - 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145 [2147]).

4. Der Ausschluss des Freigaberechts ließe sich zudem nicht mit § 85 Abs. 2 InsO vereinbaren. Nach dieser Vorschrift steht es dem Insolvenzverwalter generell frei, die Aufnahme eines bei Verfahrenseröffnung anhängigen Aktivprozesses abzulehnen. In diesem Falle kann aber der Schuldner den Rechtsstreit aufnehmen. Die Ablehnung der Aufnahme des Prozesses ist danach notwendigerweise mit der Freigabe des streitgegenständlichen Massevermögens verbunden; denn der Schuldner erhält die gesetzliche Prozessführungsbefugnis nur zurück, sofern der Streitgegenstand wieder zum massefreien Vermögen gehört (Henckel, FS für Kreft, S. 303 f.).

5. Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung führt auch im hier vorliegenden Rechtsstreit zu keinem sachgerechten Ergebnis. Wie das angefochtene Urteil im Ansatz zutreffend ausführt, bliebe dem Verwalter, der die Aufnahme des Prozesses nicht ablehnen kann, nur die Möglichkeit, die Klage mit Zustimmung des Gegners zurückzunehmen oder ein Verzichtsurteil zu beantragen. Damit wäre er jedoch in die Verantwortlichkeit für den Prozess eingetreten, womit die gesamten Kosten des Rechtsstreits eine Masseverbindlichkeit darstellen würden (Jaeger/Henckel, InsO § 55 Rz. 21; Hefermehl in MünchKomm/InsO, § 55 Rz. 45 Fn. 86). Dies bestätigt die Wertung, dass das Prinzip der Vollbeendigung einer juristischen Person sich mit dem Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung ebenso wenig vereinbaren lässt wie mit der in § 85 Abs. 2 InsO normierten verfahrensrechtlichen Regel. Den schutzwürdigen Belangen aller Beteiligten ist dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass der Insolvenzverwalter, sofern er von der Freigabebefugnis in schuldhaft pflichtwidriger Weise Gebrauch macht, gem. § 60 Abs. 1 InsO auf Schadensersatz haftet.

III.

Der Insolvenzverwalter hat ausdrücklich klargestellt, dass seine Erklärung eine echte Freigabe enthalte, die zum Erlöschen des Insolvenzbeschlags und zur Wiedererlangung der Verfügungsbefugnis durch die Schuldnerin führe. Ein eventuell von ihr im Prozesswege erzieltes Vermögen fällt daher nicht gem. § 35 InsO in die Masse (Henckel, FS für Kreft, S. 296 ff.). Damit besteht das in § 240 ZPO geregelte Prozesshindernis nicht mehr. Der Rechtsstreit ist fortzuführen.

IV.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind Teil der Kosten der Hauptsache (Prütting in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 280 Rz. 13).

 

Fundstellen

BGHZ 2005, 32

BB 2005, 1468

DB 2005, 1682

DStZ 2005, 500

DStZ 2005, 844

NJW 2005, 2015

BGHR 2005, 1078

EWiR 2005, 603

JR 2006, 208

StuB 2005, 822

WM 2005, 1084

ZIP 2005, 1034

DZWir 2005, 387

JuS 2005, 845

MDR 2005, 1190

NZI 2005, 387

Rpfleger 2005, 465

ZInsO 2005, 594

ZVI 2005, 492

ZVI 2006, 64

SJ 2005, 56

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge