Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Missachtung rechtlichen Gehörs. Sicherung einheitlicher Rechtsprechung. Revisionsgericht. Volles Überprüfungsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

a) Ein Berufungsurteil beruht auf der Verletzung rechtlichen Gehörs, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte.

b) Eine Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht führt nicht zur Zulassung der Revision, wenn sich nach einer rechtlichen Überprüfung in dem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren das Berufungsurteil aus anderen Gründen als richtig darstellt.

c) Ist die Revision wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zugelassen, so ist die Überprüfung des Berufungsurteils in dem Revisionsverfahren, als das das Beschwerdeverfahren gem. § 544 Abs. 6 S. 1 ZPO fortgesetzt wird, nicht auf die Gesichtspunkte beschränkt, die für die Zulassung der Revision maßgebend waren.

 

Normenkette

ZPO (2002) § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, § 544 Abs. 6 S. 1

 

Verfahrensgang

KG Berlin

LG Berlin

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des KG in Berlin vom 2.5.2002 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Zivilkammer 23 des LG Berlin vom 8.11.2000 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt die Klägerin.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Beklagte trat seit Mitte 1990 als Rechtsnachfolgerin der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD) und der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) auf. Sie nutzte zwischen dem 3.10.1990 und dem 31.12.1991 elf Grundstücke, die zuvor als Volkseigentum in Rechtsträgerschaft jeweils einer dieser Parteien gestanden hatten. Während dieser Zeit vereinnahmte die Beklagte 1.258.519,44 DM aus der Vermietung der Grundstücke. Ein Teil der Mieten wurde auf ein Konto der Beklagten bei der Berliner Bank gezahlt, das unter treuhändischer Verwaltung der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben stand. Ferner ersparte die Beklagte durch Eigennutzung der Grundstücke Mietzahlungen in Höhe weiterer 517.616,13 DM. Dem standen von ihr aufgewandte Verwaltungskosten für die Grundstücke i. H. v. mindestens 1.081.741 DM gegenüber.

In einem Rechtsstreit vor dem VGH Berlin nahm die Beklagte die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben auf Wiederzurverfügungstellung bestimmter Vermögenswerte wegen eines vermeintlichen Erwerbs nach materiell-rechtsstaatlichen Grundsätzen in Anspruch. Beigeladene dieses Rechtsstreits war auch die Klägerin, vertreten durch die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen in der früheren DDR. Unter Einbeziehung der Beigeladenen schlossen die Beklagte und die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben in dem Verwaltungsstreitverfahren am 11.12.1995 einen Prozessvergleich. In dessen Präambel wird ausgeführt, dass "unterschiedliche Rechtsauffassungen darüber (bestehen), welche Vermögensgegenstände von der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands/des Bundes Freier Demokraten (LDPD) und der National-Demokratischen Partei Deutschlands nach materiell-rechtsstaatlichen Grundsätzen ... erworben wurden und diesen daher wieder zur Verfügung zu stellen sind." Weiter bestehe Streit darüber, ob die Beklagte "vermögensrechtlich Rechtsnachfolgerin der LDPD und NDPD geworden" sei. Außerdem gebe es unterschiedliche Auffassungen über die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe die Beklagte "Altvermögen der LDPD und NDPD für Zwecke in Anspruch genommen hat, für die sie nur Neuvermögen hätte einsetzen dürfen." Die Beteiligten seien sich in dem Ziel einig, "bestehende Ungewissheit im Wege dieses Vergleichs endgültig zu beseitigen ...". Im Anschluss daran wurde unter § 1 S. 1 des Vergleichs vereinbart:

"Gegenstand dieses Vergleichs ist das am 7.10.1989 vorhandene und seither an die Stelle dieses Vermögens getretene Vermögen der LDPD und NDPD."

Nach § 2 des Vergleichs wurden der LDPD, die sich ihrerseits zur Übertragung auf die Beklagte verpflichtete, zwei Grundstücke sowie ein Geldbetrag von 4,8 Mio. DM wieder zur Verfügung gestellt. Auf die Wiederzurverfügungstellung aller anderen "Vermögenswerte des Altvermögens von LDPD und NDPD" verzichtete die Beklagte unter § 3 des Vergleichs. Als Gegenstand des Verzichts sind u. a. die Forderungen aus dem für die Mietzahlungen bestimmten Bankkonto der Beklagten bei der Berliner Bank aufgeführt. In § 4 Abs. 1 des Vergleichs ist festgehalten, dass zwar unterschiedliche Auffassungen wegen der "Verwendung des Altvermögens" nach dem 7.10.1989 bestünden, die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben jedoch auch gegen die Beklagte "keine Regressansprüche wegen des endgültigen Abflusses von Altvermögenswerten" geltend mache. Der "Verzicht" soll sich nicht auf solches Vermögen beziehen, auf das LDPD, NDPD und die Beklagte "noch eine Zugriffsmöglichkeit" haben.

Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin von der Beklagten Zahlung von 694.394,54 DM (= 355.038,29 Euro), die sich aus den vereinnahmten bzw. ersparten Mieten unter Abzug der unstreitigen Verwaltungskosten ergeben. Sie ist der Auffassung, der vor dem VGH geschlossene Prozessvergleich habe ihre nun geltend gemachten zivilrechtlichen Ansprüche nicht erfasst; es seien lediglich die Auswirkungen der treuhänderischen Verwaltung durch die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben auf das LDPD- und NDPD-Vermögen sowie deren teilweise Beendigung geregelt worden. Außerdem sei sie an dem Vergleich auch nicht beteiligt gewesen. Die Klage ist in erster Instanz ohne Erfolg geblieben. Auf die Berufung der Klägerin hat das KG der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht bejaht einen Anspruch der Klägerin aus § 988 BGB. Als unentgeltliche Besitzerin sei die Beklagte zur Nutzungsherausgabe verpflichtet. Der Anspruch sei durch den Vergleich v. 11.12.1995 nicht ausgeschlossen. Als früheres Volkseigentum seien die Grundstücke nun Teil des Bundesfinanzvermögens. Damit könnten sie nicht Gegenstand des Vergleichs sein, der nach § 1 nur das Altvermögen der früheren DDR-Parteien erfasst habe. Zu diesem zählten die betreffenden Grundstücke nicht, weil die früheren DDR-Parteien nie deren Eigentümer gewesen seien, sondern lediglich die Rechtsträgerschaft erhalten hätten. Forderungen aus dem Bundesfinanzvermögen seien nicht geregelt worden. Auch die Erwähnung des Kontos, auf dem die Beklagte Mieteinnahmen aus den Grundstücken angesammelt habe, in § 3 des Vergleichs führe zu keinem anderen Ergebnis, weil zuvor klargestellt worden sei, dass sich der Verzicht nur auf das Altvermögen beziehe.

Dies hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

II.

1. Der Senat kann das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Revisionsrechts in vollem Umfang überprüfen; er ist nicht auf die Gründe beschränkt, die Anlass waren, der Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten stattzugeben.

a) Mit der Nichtzulassungsbeschwerde hat die Beklagte zu Recht eine Missachtung ihres Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) beanstandet.

aa) Entgegen der Darstellung in dem angefochtenen Urteil haben die Parteien in der Berufungsinstanz nicht "ausschließlich" darüber gestritten, ob der Klageanspruch Gegenstand der abschließenden Regelung im Vergleich v. 11.12.1995 sei und daher nicht mehr geltend gemacht werden könne. Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, dass die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben, weitere von der Klageforderung abzuziehende Kosten geltend gemacht, hilfsweise aufgerechnet und einen - jeder Auslegung vorgehenden (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2001 - V ZR 65/01, BGHReport 2002, 359 = MDR 2002, 510 = NJW 2002, 1038 [1039] m. w. N.) - übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien vorgetragen hat. Diesen Teil ihres Verteidigungsvorbringens aus dem ersten Rechtszug brauchte die Beklagte vor dem Berufungsgericht nicht ausdrücklich zu wiederholen. Die Beklagte ist nämlich im ersten Rechtszug schon deshalb erfolgreich gewesen, weil nach der Auslegung des LG durch den Vergleich auch die Klageforderung ausgeschlossen war. Die Klägerin wandte sich mit ihrer Berufung gegen diese Interpretation, während die Beklagte sich darauf beschränken konnte, das Urteil zu verteidigen. Auf das weitere Verteidigungsvorbringen der Beklagten kam es hiernach zunächst nicht mehr an, womit es aber noch nicht - gegen alle Vernunft - fallen gelassen war. Da die Beklagte in der Berufungserwiderung auf ihr Vorbringen aus erster Instanz Bezug genommen hat, ist die Nichtberücksichtigung ihres Vorbringens aus dem ersten Rechtszug als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu qualifizieren (vgl. BVerfG BVerfGE 46, 315 [319 f.]; v. 21.4.1982 - 2 BvR 810/81, BVerfGE 60, 305 [311]; v. 8.10.1985 - 1 BvR 33/83, BVerfGE 70, 288 [295] = MDR 1986, 288; v. 16.10.1991 - 2 BvR 458/89, NJW 1992, 495; v. 2.1.1995 - 1 BvR 234/94, NJW-RR 1995, 828).

bb) Das Berufungsurteil beruht auch auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des BVerfG, schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfG BVerfGE 7, 95 [99]; v. 20.4.1982 - 1 BvR 1242/81, BVerfGE 60, 247 [250]; v. 14.12.1982 - 2 BvR 434/82, BVerfGE 62, 392 [396]; v. 8.12.1994 - 1 BvR 765/89, 1 BvR 766/89, BVerfGE 89, 381 [392 f.]). Damit steht es im Einklang, wenn die Verletzung rechtlichen Gehörs, die im Zivilprozess nicht zu den absoluten Revisionsgründen zählt (Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 547 Rz. 22; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 547 Rz. 19; teilw. a. A. aber Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 551 Rz. 19), hier als Verfahrensfehler angesehen wird, bei dem für die Ursächlichkeit der Rechtsverletzung allein die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung des Berufungsgerichts genügt (Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 547 Rz. 22; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 547 Rz. 19). Im vorliegenden Fall kann diese Möglichkeit zwar - weil die vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB a. F. nicht für den hier geltend gemachten Anspruch auf Nutzungsersatz aus § 988 BGB gilt (vgl. BGH, Urt. v. 18.7.2003 - V ZR 205/02, zur Veröffentlichung vorgesehen) - für die übergangene Verjährungseinrede ausgeschlossen werden. Auf der Grundlage der hier maßgeblichen rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 16) gilt das aber nicht für das Vorbringen der Beklagten zu angeblichen Gegenforderungen und zu dem gemeinsamen umfassenden Abgeltungswillen.

b) Die Verletzung eines Verfahrensgrundrechts führt nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (vgl. BGH, Beschl. v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822 = NJW 2003, 1943 [1946] zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

aa) Hieraus folgt allerdings nicht, dass der Senat in dem Revisionsverfahren, als das das Beschwerdeverfahren gem. § 544 Abs. 6 S. 1 ZPO fortgesetzt wird, bei der Überprüfung des Berufungsurteils auf die Gesichtspunkte beschränkt wäre, die für die Zulassung der Revision maßgebend waren. Auch dann, wenn die Revisionsinstanz erst durch eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde eröffnet wird, richtet sich der Umfang der revisionsrechtlichen Überprüfung nach den allgemeinen Regeln, insbesondere aus § 557 ZPO. Dies wird durch die Systematik des Gesetzes bestätigt, das zwischen der Nichtzulassungsbeschwerde und dem Revisionsverfahren klar trennt (vgl. Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 544 Rz. 18). So gibt § 544 Abs. 6 S. 3 ZPO, der den Beginn der Revisionsbegründungsfrist an die Zustellung der Entscheidung über die Zulassung der Revision knüpft, dem Revisionskläger Gelegenheit, seine Angriffe im Hinblick auf die nun eröffnete volle Überprüfung des Berufungsurteils - wenn notwendig - neu vorzutragen (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 544 Rz. 16). Ergibt sich der Zulassungsgrund aus einem Verfassungsverstoß des Berufungsgerichts, so gilt nichts anderes. Das Revisionsgericht hat die Rechtssache nicht etwa allein unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen. Anders als im Verfahren der Verfassungsbeschwerde, das einer Überprüfung auf Verfassungsverstöße dient und dessen Prüfungsintensität entsprechend eingeschränkt ist, haben sich die Fachgerichte vielmehr mit jeder Rechtsbeeinträchtigung zu befassen (BVerfG v. 30.4.2003 - 1 PbvU 1/02, MDR 2003, 886 = NJW 2003, 1924 [1926]).

bb) Auf Grund der weiter gehenden Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts ist der Senat zudem im Verfahren der Nichtzulassungbeschwerde selbst nach Feststellung eines Verfassungsverstoßes nicht an einer Prüfung des einfachen Gesetzesrechts gehindert. Gelangt das Revisionsgericht daher bei Prüfung einer Nichtzulassungsbeschwerde zu dem Ergebnis, dass sich das Berufungsurteil trotz der Gehörsverletzung in der Vorinstanz im Ergebnis als richtig darstellt, weil im Fall richtiger Anwendung des formellen und des materiellen Rechts auch bei Beachtung des übergangenen Vorbringens kein anderes Urteil hätte ergehen können, so sind die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nicht gegeben. Die bisher unterbliebene Berücksichtigung und Erwägung des Vorbringens wurde dann in der Revisionsinstanz nachgeholt und die Verletzung des rechtlichen Gehörs auf diese Weise geheilt (vgl. BVerfG BVerfGE 5, 22 [24]; v. 14.12.1982 - 2 BvR 434/82, BVerfGE 62, 392 [397]). Zugleich steht fest, dass die Frage der Gehörsverletzung keine Entscheidungserheblichkeit erlangen kann, weil selbst bei einer Zulassung der Revision, dieses Rechtsmittel nach § 561 ZPO nicht zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils führen könnte (vgl. BVerwG BVerwGE 15, 24 [26]; BVerwGE 52, 33 [42]; NVwZ-RR 2000, 233 [234]; Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 561 Rz. 8). Ist eine Frage nicht entscheidungserheblich, so kann sie auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Zulassung der Revision eröffnen (vgl. BGH, Beschl. v. 19.12.2002 - VII ZR 101/02, BGHReport 2003, 347 = MDR 2003, 468 = NJW 2003, 831; auch Beschl. v. 25.7.2002 - V ZR 118/02, BGHReport 2002, 941 = MDR 2002, 1389 = NJW 2002, 3180 [3181]). Indessen kann das Berufungsurteil im vorliegenden Fall auch mit einer anderen Begründung keinen Bestand haben.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin von der Beklagten nicht gem. § 988 BGB die Herausgabe der aus den fraglichen elf Grundstücken gezogenen Nutzungen verlangen. Zwar sind die Grundstücke seit dem 3.10.1990 gemäß Art. 22 Abs. 1 S. 1 des Einigungsvertrages als Finanzvermögen Eigentum der Klägerin, und die Beklagte hat den Besitz an diesen Grundstücken auch unentgeltlich erlangt (vgl. BGH, Urt. v. 20.2.1998 - V ZR 319/96, NJW 1998, 1709 [1710]). Ferner zählen zu den von ihr gezogenen Nutzungen nach § 99 Abs. 3 BGB die hier herausverlangten Mieteinnahmen sowie nach §§ 100, 818 Abs. 2 BGB auch der Wertersatz für die durch die Eigennutzung erlangten Gebrauchsvorteile. Gleichwohl steht der Klägerin nach den im Prozessvergleich v. 11.12.1995 getroffenen Vereinbarungen der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Das abweichende Verständnis des Berufungsgerichts beruht auf einer fehlerhaften Auslegung des Prozessvergleichs und bindet daher den Senat nicht.

a) Die tatrichterliche Auslegung eines Prozessvergleichs unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht jedenfalls hinsichtlich der Beachtung der anerkannten Auslegungsgrundsätze, der gesetzlichen Auslegungsregeln, der Denkgesetze und der Erfahrungssätze (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.1995 - VII ZR 116/94, MDR 1995, 890 = NJW-RR 1995, 1201 [1202]; Urt. v. 13.12.1995 - XII ZR 194/93, MDR 1996, 461 = NJW 1996, 838 [839]). Für den vorliegenden Fall ergeben sich aus dem Umstand, dass der Prozessvergleich in einem Verwaltungsstreitverfahren abgeschlossen wurde und - zumindest in seinen wesentlichen Teilen - als öffentlich-rechtlicher Vertrag zu qualifizieren ist (vgl. Kopp/Schänke, VwGO, 13. Aufl., § 106 Rz. 5) keine Besonderheiten. Insbesondere gelten die Auslegungsgrundsätze des Zivilrechts über § 62 S. 2 VwVfG auch für öffentlich-rechtliche Verträge (vgl. BVerwG v. 19.1.1990 - 4 C 21/89, BVerwGE 84, 257 [264]). Einer Prüfung nach den hiernach maßgebenden Grundsätzen hält die Auslegung des Berufungsgerichts nicht stand.

aa) Entscheidend für das Verständnis des Berufungsgerichts ist die Überlegung, dass die fraglichen elf Grundstücke als Eigentum des Volkes und bloßer Rechtsträgerschaft der LDPD und der NDPD niemals Vermögen dieser Parteien waren und daher - insbesondere wegen der Festlegung des Vergleichsgegenstandes (§ 1 des Prozessvergleichs) - von dem Vergleich nicht erfasst sein könnten. Hierbei ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht bei seiner Auslegung an den von den Parteien gewählten Wortlaut der Vereinbarungen anknüpft (BGH v. 10.12.1992 - I ZR 186/90, BGHZ 121, 13 [16] = MDR 1993, 635; Urt. v. 11.9.2000 - II ZR 34/99, NJW 2001, 144; Urt. v. 27.3.2001 - VI ZR 12/00, BGHReport 2001, 567 = NJW 2001, 2535). Das Berufungsgericht hat jedoch nicht hinreichend den allgemein anerkannten Auslegungsgrundsatz beachtet, dass bei Erklärungen, die sich an Angehörige eines bestimmten Verkehrskreises richten, nicht das allgemeinsprachliche Verständnis der Aussagen entscheidend ist, sondern das in dem maßgeblichen Fachkreis verkehrsübliche Verständnis (vgl. BGH, Urt. v. 23.6.1994 - VII ZR 163/93, MDR 1994, 1119 = NJW-RR 1994, 1108 [1109]; Urt. v. 12.12.2000 - XI ZR 72/00, BGHReport 2001, 248 = MDR 2001, 464 = NJW 2001, 1344 [1345] m. w. N.). Hier wurde der Prozessvergleich zwischen - zudem noch speziell beratenen - Beteiligten geschlossen, die auf dem Gebiet der Vermögensangelegenheiten der politischen Parteien der früheren DDR besonders fachkundig waren. Dies gilt namentlich für die Parteien des durch den Prozessvergleich beendeten Verwaltungsstreitverfahrens, nämlich die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben und die hiesige Beklagte als vermeintliche Rechtsnachfolgerin zweier politischer Parteien der früheren DDR. Soweit daher in dem Prozessvergleich von dem "Vermögen" der LDPD und der NDPD gesprochen wird, ist mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass dieser Begriff i. S. d. einschlägigen §§ 20 a, 20 b PartG-DDR Verwendung finden sollte.

bb) Entsprechend dem Regelungszweck einer möglichst vollständigen Erfassung und Einziehung des Partei- und Organisationsvermögens für gemeinnützige Aufgaben (vgl. Toussaint in Kimme, Offene Vermögensfragen, § 20 b PartG-DDR Rz. 1) ist für die §§ 20 a, 20 b PartG-DDR von einem wirtschaftlichen Vermögensbegriff auszugehen (vgl. Berger, RVI, § 20 b PartG-DDR Rz. 39). Danach zählen zwar Grundstücke, die im Volkseigentum standen und einer Partei nur in Rechtsträgerschaft überlassen worden waren, als fremdes Eigentum nicht zu deren Vermögen. Anderes gilt aber für den tatsächlichen Besitz, der einer Partei an solchen Grundstücken verblieben ist. Er stellt nach der maßgeblichen wirtschaftlichen Sicht einen Vermögenswert dar, der der Partei zuzurechnen ist (BGH, Urt. v. 9.1.1998 - V ZR 263/96, MDR 1998, 526 = WM 1998, 987 [988]; auch Urt. v. 20.2.1998 - V ZR 319/96, NJW 1998, 1709 [1711] für das Recht zum Besitz; Berger, RVI, § 20 b PartG-DDR Rz. 40, 42; Berger, Die treuhänderische Verwaltung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR, 1998, S. 132 f; Toussaint in Kimme, Offene Vermögensfragen, § 20 b PartG-DDR Rz. 64). Soweit das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang ausführt, der Besitz sei unerheblich, weil er allein das Ziehen von Nutzungen nicht rechtfertige, wird verkannt, dass der Besitz jedenfalls die tatsächliche Nutzung ermöglicht und ihm deshalb ein Vermögenswert nicht abgesprochen werden kann. Nach alledem hat das Berufungsgericht für seine Auslegung einen zu engen Vermögensbegriff zugrunde gelegt. Damit ist, weil sich für eine Begrenzung der Regelungen des Vergleichs auf Grundstücke, die im Eigentum der LDPD oder der NDPD standen, auch im Übrigen kein Hinweis findet, dem Ergebnis der Auslegung des Berufungsgerichts die Grundlage entzogen.

b) Die fehlerhafte Auslegung des Berufungsgerichts zwingt nicht zu einer Zurückverweisung der Sache (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen und weitere relevante Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat den Prozessvergleich selbst auslegen (vgl. BGH, Urt. v. 12.2.1997 - V ZR 250/96, MDR 1998, 490 = NJW 1998, 1219). Dies führt zu dem Ergebnis, dass der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auf Nutzungsherausgabe nicht mehr zustehen.

aa) Wird - wie geboten - der fachsprachliche Vermögensbegriff der §§ 20 a, 20 b PartG-DDR zugrunde gelegt, so folgt bereits aus dem Wortlaut des Vergleichs die Einbeziehung auch der Ansprüche auf Herausgabe der Nutzungen von Grundstücken, die bis zum 2.10.1990 in Rechtsträgerschaft der Parteien standen. Da die hier betroffenen elf Grundstücke ersichtlich schon am 7.10.1989 zum derart bestimmten Parteivermögen zählten, also nach § 20 b Abs. 2 PartG-DDR "Altvermögen" waren, werden Ansprüche auf Nutzungsherausgabe bereits in der Präambel des Vergleichs durch den Hinweis angesprochen, dass unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, ob und ggf. in welcher Höhe die Beklagte Altvermögen der Parteien unberechtigt "in Anspruch genommen hat." Hieran anknüpfend stellt die Vereinbarung des Vergleichsgegenstandes unter § 1 S. 1 klar, dass nach dem Willen der am Vergleich Beteiligten das Altvermögen von LDPD und NDPD insgesamt und mithin unter Einschluss der Nutzungen des Rechtsträgervermögens in den Prozessvergleich einbezogen ist.

bb) Dies findet durch die Vereinbarung unter § 3 Abs. 1 des Prozessvergleichs seine Bestätigung. Im Anschluss an den Verzicht der Beklagten auf die Wiederzurverfügungstellung weiterer Vermögenswerte aus dem Altvermögen der Parteien in S. 1 dieser Klausel, stellt S. 2 klar, dass "hierunter" auch die Forderungen der Beklagten u. a. aus dem Bankkonto fallen, auf dem ein Teil der Mieteinnahmen aus den zuvor in Rechtsträgerschaft überlassenen Grundstücken hinterlegt war. Auch nach der Systematik des Vergleichs gingen demnach die Beteiligten davon aus, dass das zum Vergleichsgegenstand gemachte Altvermögen die Nutzungen aus dem Rechtsträgervermögen umfasste. Das hiervon abweichende Verständnis des Berufungsgerichts führt demgemäß auch zu einem denkgesetzwidrigen Ergebnis. Die Beklagte müsste nämlich, obwohl sie mit dem Guthaben des genannten Bankkontos einen Teil der gezogenen Nutzungen verloren - und nur zur Begleichung ihres unter § 2 des Vergleichs geregelten Zahlungsanspruchs zurückerhalten - hat, den entsprechenden Betrag nochmals an die Klägerin herausgeben.

cc) Zudem spricht die beiderseitige Interessenlage für eine Einbeziehung der Nutzungen aus dem Rechtsträgervermögen beider Parteien in den Vergleich. Die Beteiligten haben im zweiten Abs. der Vergleichspräambel ihr gemeinsames Ziel, die "bestehende Ungewissheit" über ihre Streitpunkte "endgültig zu beseitigen" klar zum Ausdruck gebracht. Da sich aus dem vorstehenden Abs. der Präambel ergibt, dass Streit auch wegen der Inanspruchnahme des Altvermögens und damit auch wegen der Nutzung der früheren Rechtsträgergrundstücke durch die Beklagte bestand, wäre es mit dem Interesse an einer umfassenden Bereinigung nicht zu vereinbaren, wenn die streitgegenständlichen Ansprüche von dem Vergleich unberührt blieben.

dd) Demnach unterfallen die streitgegenständlichen Nutzungen - soweit sie nicht bereits durch die Überlassung des unter § 3 des Vergleiches angesprochenen Bankguthabens ausgeglichen sind - als "Verwendung des Altvermögens" der Regelung unter § 4 Abs. 1 des Vergleichs. Hinsichtlich der verbleibenden Beträge wurde unter § 4 Abs. 1 S. 2 ein Erlass vereinbart; denn "Regressansprüche wegen des endgültigen Abflusses von Altvermögenswerten" sollten gegen die Beklagte nicht geltend gemacht werden. Der von dem Erlass in S. 4 ausgenommene Fall, dass die Beklagte auf das Vermögen "noch eine Zugriffsmöglichkeit" hat, liegt nicht vor und wird von der Klägerin auch nicht geltend gemacht. Er setzt, wie schon die Wortwahl zeigt, voraus, dass der betreffende Teil des Altvermögens - insbesondere auf treuhänderisch verwalteten Konten - noch gegenständlich vorhanden ist. Demgemäß führt die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen in ihrem Bericht über das Vermögen u. a. der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands und der National-Demokratischen Partei Deutschlands aus (BT-Drucks. 13/5376, 205), dass der Beklagten unter Einbeziehung von "Einnahmen aus Altvermögen" i. H. v. 12.339.000 DM und nach Abzug noch vorhandener Geldbestände unter treuhänderischer Verwaltung i. H. v. 4.440.000 DM ein Betrag von 17.292.000 DM erlassen wurde (krit. deshalb Berger, Die treuhänderische Verwaltung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR, 1998, S. 188 "erhebliche vermögensmäßige Privilegierung").

c) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Vergleich auch hinsichtlich der Vereinbarungen über die Herausgabe der Nutzungen wirksam zustande gekommen.

aa) Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass Ansprüche auf Nutzungsherausgabe nicht Gegenstand des Verwaltungsstreitverfahrens waren, das durch den Prozessvergleich v. 11.12.1995 beendet worden ist. Dieser Umstand berührt indessen die Wirksamkeit des Prozessvergleiches nicht. Auch bei Abschluss eines Prozessvergleichs im Verwaltungsstreitverfahren sind die Parteien nach § 106 VwGO nicht auf Vereinbarungen über den Streitgegenstand beschränkt, sondern können insbesondere zivilrechtliche Ansprüche - wie hier die Ansprüche aus § 988 BGB - zum Gegenstand des Prozessvergleichs machen (vgl. Dolderer in Sodan/Ziekow, NKVwGO, § 106 Rz. 17 f.; Kopp/Schänke, VwGO, 13. Aufl., § 106 Rz. 5).

bb) Die am Abschluss des Vergleichs beteiligte Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben konnte zudem im eigenen Namen über die Ansprüche der Klägerin auf Nutzungsherausgabe verfügen, insbesondere einen (teilweisen) Erlass mit der Beklagten vereinbaren. Hierbei bedarf es keiner Entscheidung über die Frage, ob diese Ansprüche als Nutzungen des Parteivermögens ebenfalls zu den durch § 20 b Abs. 2 PartG-DDR erfassten Vermögenswerten zählen (vgl. Berger, RVI, § 20 b PartG-DDR Rz. 39) und daher nach der Maßgabenregelung der Anlage II Kapitel II Sachgebiet A Abschnitt III des Einigungsvertrages der treuhänderischen Verwaltung der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben und damit auch ihrer Verfügungsbefugnis unterliegen (vgl. Toussaint in Kimme, Offene Vermögensfragen, § 20 b PartG-DDR Rz. 126). Die Befugnis der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, im eigenen Namen über die fraglichen Ansprüche zu verfügen, besteht nämlich auch dann, wenn diese dem Finanzvermögen des Bundes nach Art. 22 Abs. 1 des Einigungsvertrages zugeordnet werden. In diesem Fall sind die Klägerin und die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben als Mitgläubigerinnen nach § 432 BGB anzusehen (vgl. BGH, Urt. v. 9.1.1998 - V ZR 263/96, MDR 1998, 526 = WM 1998, 987 [988]). Zwar kann ein Mitgläubiger allein keinen Erlass mit der Folge des Erlöschens der gesamten Forderung vereinbaren (vgl. Staudinger/Noack, BGB [1999], § 432 Rz. 46), anderes gilt aber dann, wenn ein Mitgläubiger insbesondere auf Grund erteilter Befugnis mit Wirkung für den anderen Mitgläubiger handeln kann (vgl. Staudinger/Noack, BGB [1999], § 432 Rz. 43). Von einer solchen der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben durch die Klägerin erteilten Befugnis ist auszugehen, nachdem die Verwaltung und Verwertung der ehemals in Rechtsträgerschaft stehenden Vermögensgegenstände der Parteien und verbundenen Organisationen mit Erlass des Bundesministers der Finanzen v. 30.12.1991 (vgl. dazu Schneider in Rodenbach/Söfker/Lochen, InVorG, § 25 Rz. 35) der damaligen Treuhandanstalt - jetzt Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben - übertragen worden ist.

3. Da mithin der geltend gemachte Anspruch der Klägerin schon durch die Vereinbarungen im Rahmen des Prozessvergleichs ausgeschlossen ist, kommt es auf das von dem Berufungsgericht übergangene Vorbringen nicht mehr an.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 971081

HFR 2004, 273

NJW 2003, 3205

BGHR 2003, 1231

FamRZ 2003, 1652

JurBüro 2004, 111

VIZ 2003, 594

WM 2004, 46

ZfIR 2003, 927

MDR 2004, 48

KammerForum 2003, 420

ProzRB 2004, 12

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