Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallfahrzeug mit wirtschaftlichem Totalschaden. Schadensbehebung durch Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs. Abzug ausgewiesener Restwert vom Wiederbeschaffungswert. Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet. Tatsächlicher, ohne Aufwand erzielter, überdurchschnittlicher Veräußerungserlös als Grundlage der Restwertberechnung. Subjektbezogene Schadensbetrachtung. Wirtschaftlichkeitspostulat

 

Leitsatz (amtlich)

a) Ein überdurchschnittlicher Erlös, den der Geschädigte für seinen Unfallwagen aus Gründen erzielt, die mit dem Zustand des Fahrzeugs nichts zu tun haben, ist dem Schädiger nicht gutzubringen (im Anschluss an BGH, Urt. v. 5.3.1985 - VI ZR 204/83, MDR 1985, 748 = VersR 1985, 593 f.; Urt. v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, MDR 1992, 851 = VersR 1992, 457 f.).

b) Ein Geschädigter ist grundsätzlich nicht verpflichtet, einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen; er muss er sich jedoch einen höheren Erlös anrechnen lassen, den er bei tatsächlicher Inanspruchnahme eines solchen Sondermarktes ohne besondere Anstrengungen erzielt.

 

Normenkette

BGB § 249

 

Verfahrensgang

LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 13.04.2004; Aktenzeichen 9 S 178/03)

AG Staufen

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Freiburg v. 13.4.2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von den Beklagten restlichen Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall v. 24.11.2001, bei dem sein Fahrzeug einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitt. Der Beklagte zu 1) als Fahrer des am Unfall beteiligten Kraftfahrzeugs und die Beklagte zu 2) als dessen Haftpflichtversicherer haben für die Unfallschäden unstreitig in voller Höhe einzustehen. Die Parteien stritten vor dem Berufungsgericht um die Höhe des Schmerzensgelds und den Restwert des Fahrzeugs des Klägers.

Der Kläger hatte das Gutachten der Kfz-Sachverständigen K. v. 30.11.2001 eingeholt, das einen Wiederbeschaffungswert einschließlich Mehrwertsteuer von 13.200 DM, einen Restwert einschließlich Mehrwertsteuer von 1.600 DM und damit einen Fahrzeugschaden einschließlich Mehrwertsteuer von 11.600 DM ergab.

Er verkaufte das nicht reparierte Fahrzeug an einen von ihm im Internet ermittelten Käufer mit Kaufvertrag v. 5.12.2001 zu einem von ihm nicht mitgeteilten Preis.

Am 19.12.2001 teilte die Beklagte zu 2) dem Kläger mit, dass ihr ein verbindliches Angebot einer S. GmbH in L. vorliege, die bereit sei, für den Unfallwagen 6.000 DM zu bezahlen. Dementsprechend zahlte die Beklagte zu 2) an den Kläger

Wiederbeschaffungswert

13.200 DM

abzgl. Restwert

6.000 DM,

somit

7.200 DM.

Der Kläger hat den Unterschiedsbetrag zu obigem Restwert von 1.600 DM mit 4.400 DM, entsprechend 2.249,69 EUR neben einem Schmerzensgeld von weiteren 600 EUR mit seiner Klage geltend gemacht.

Das AG hat der Klage nur zum Schmerzensgeld i.H.v. 100 EUR stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der - vom Berufungsgericht lediglich hinsichtlich des materiellen Schadens (2.249,69 EUR) - zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Ersatz seines Schadens in Höhe des Unterschiedsbetrags der Restwerte.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das LG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, der Sachverständige des Klägers habe zu Recht auf den Preis abgestellt, der auf dem allgemeinen örtlichen Markt für das Unfallfahrzeug zu erzielen war, und nicht auf den Preis in dem Sondermarkt der Restwertaufkäufer im Internet, der vielen Geschädigten nicht zugänglich sei. Auch müsse sich der Kläger nicht das ihm von der Beklagten zu 2) übermittelte Kaufangebot der S. GmbH v. 19.12.2001 anrechnen lassen, das erst nach dem Verkauf des Unfallwagens bei ihm eingetroffen sei. Der Kläger müsse sich aber den tatsächlich erzielten Veräußerungserlös anrechnen lassen. Dieser sei nicht mit überobligationsmäßigen Anstrengungen erzielt worden. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers sei der Verkauf des Unfallwagens für ihn nur mit einem sehr geringen Aufwand verbunden gewesen. Er habe nicht dargelegt, dass es ihn größere Mühe gekostet habe, die entsprechenden Seiten im Internet aufzurufen und sein Angebot ins Internet zu stellen. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass er mehr habe tun müssen als auf das Angebot des Käufers zu warten oder dass irgendwelche Verhandlungen stattgefunden hätten.

Es sei davon auszugehen, dass der Kläger mindestens 6.000 DM für den Unfallwagen erhalten habe. Die entsprechende Behauptung der Beklagten habe er nicht bestritten.

II.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision stand.

1. Die Revision ist nach Zulassung durch das Berufungsgericht gem. § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, jedoch wirksam beschränkt auf den Anspruch des Klägers auf Ersatz seines materiellen Schadens als rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffes, über den gesondert hätte entschieden werden können (BGH, Urt. v. 9.12.2003 - VI ZR 38/03, BGHReport 2004, 611 = MDR 2004, 572 = VersR 2004, 388; BGHZ 155, 392 [393 f.]).

2. Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats davon aus, dass der Geschädigte, wenn er von der Ersetzungsbefugnis des § 249 S. 2 BGB a.F. (Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB) Gebrauch macht und den Schaden nicht im Wege der Reparatur, sondern durch Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs beheben will, bei der Bemessung des erforderlichen Betrags, den er für die Ersatzbeschaffung verlangt, den Restwert des beschädigten Fahrzeugs vom Wiederbeschaffungswert abzuziehen hat (BGH, Urt. v. 15.10.1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364 [372] = MDR 1992, 131; v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, MDR 1992, 851 = VersR 1992, 457; v. 6.4.1993 - VI ZR 181/92, MDR 1993, 622 = VersR 1993, 769 [770]). Dieser Ausgangspunkt ist zwischen den Parteien nicht umstritten.

3. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht auch den Restwert des Unfallfahrzeugs an dem Preis bemessen, den der Kläger nach dem von ihm nicht bestrittenen Beklagtenvortrag mindestens erzielt hat.

a) Zunächst ist festzustellen, in welcher Höhe dem Geschädigten angesichts des ihm verbliebenen Restwerts seines Fahrzeugs durch den Unfall überhaupt ein Vermögensnachteil erwachsen ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats ist nach einer Sachbeschädigung, wenn der Geschädigte gem. § 249 S. 2 BGB a.F. die Schadensbehebung selbst in die Hand nimmt, der zur Wiederherstellung erforderliche Aufwand nach der besonderen Situation zu bemessen, in der sich der Geschädigte befindet. Es ist also Rücksicht auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (BGHZ 66, 239 [245, 248 f.]; BGH, Urt. v. 15.10.1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364 [369] = MDR 1992, 131; BGHZ 155, 1 [5]). Diese "subjektbezogene Schadensbetrachtung" gilt auch für die Frage, in welcher Höhe dem Geschädigten wegen der ihm in seiner individuellen Lage möglichen und zumutbaren Verwertung seines Unfallfahrzeugs kein Schaden entstanden ist. Will er sein Fahrzeug etwa einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb eines Ersatzfahrzeugs in Zahlung geben, dann kann ihn der Schädiger ggü. deren Ankaufangeboten nicht auf einen höheren Restwerterlös verweisen, der nur auf einem dem Geschädigten erst durch den Schädiger eröffneten Sondermarkt, etwa durch Einschaltung spezialisierter Restwertaufkäufer, zu erzielen wäre (BGH, Urt. v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, MDR 1992, 851 = VersR 1992, 457; v. 6.4.1993 - VI ZR 181/92, MDR 1993, 622 = VersR 1993, 769 [770]).

Im Streitfall hat der Kläger sein Unfallfahrzeug zwar nicht in Zahlung gegeben, sondern es auf einem solchen Sondermarkt unter Einschaltung des Internets verkauft. Er hat dies aber erst nach Einholung eines Gutachtens (allerdings nicht auf der Grundlage des darin ausgewiesenen Restwerts) getan, das nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf den allgemeinen örtlichen Markt abgestellt war. Mehr als eine Schadensberechnung auf dieser Grundlage kann vom Geschädigten im Rahmen des Wirtschaftlichkeitspostulats grundsätzlich nicht verlangt werden, ohne die ihm nach § 249 S. 2 BGB a.F. zustehende Ersetzungsbefugnis auszuhöhlen. Eine Verpflichtung, über die Einholung eines Sachverständigengutachtens hinaus noch eine eigene Marktforschung zu betreiben und dabei die Angebote auch räumlich entfernter Interessenten einzuholen, traf den Kläger auch im hier zu entscheidenden Fall nicht. Der in dem Gutachten ausgewiesene Wert war daher eine geeignete Grundlage für die Bemessung des Betrages, in dessen Höhe dem Geschädigten durch den Unfall kein Vermögensnachteil entstanden ist.

b) Grundsätzlich ist allerdings ein überdurchschnittlicher Erlös, den der Geschädigte für seinen Unfallwagen aus Gründen erzielt, die mit dem Zustand des Fahrzeugs nichts zu tun haben, dem Schädiger nicht gutzubringen (BGH, Urt. v. 5.3.1985 - VI ZR 204/83, MDR 1985, 748 = VersR 1985, 593 [594]; Urt. v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, MDR 1992, 851 = VersR 1992, 457 f.). Anderes gilt aber dann, wenn der Geschädigte für das Unfallfahrzeug ohne überobligationsmäßige Anstrengungen einen Erlös erzielt hat, der den vom Sachverständigen geschätzten Betrag übersteigt. Dann hat er durch die Verwertung seines Fahrzeugs in Höhe des tatsächlich erzielten Erlöses den ihm entstandenen Schaden ausgeglichen. Da nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen der Geschädigte zwar vollen Ersatz verlangen kann, an dem Schadensfall aber nicht "verdienen" soll, kann ihn der Schädiger an dem tatsächlich erzielten Erlös festhalten (BGH, Urt. v. 29.4.2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395 [398] = BGHReport 2003, 792 = MDR 2003, 1048; Urt. v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, MDR 1992, 851 = VersR 1992, 457 [458]). So liegen die Dinge im Streitfall.

Soweit das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers dahin gewürdigt hat, er habe mit dem günstigen Verkauf des Pkw nur einen geringen Aufwand gehabt, weil er zufällig durch einen Arbeitskollegen von dem Restwertaufkäufermarkt im Internet erfahren und keine Mühe dargelegt habe, die zugehörigen Internetseiten aufzurufen und sein Angebot einzustellen, lässt das keinen revisionsrechtlich durchgreifenden Fehler erkennen.

aa) Das Berufungsgericht hat - entgegen der Ansicht der Revision --nicht verkannt, dass die Beklagten als Schädiger die Darlegungs- und Beweislast dafür tragen, dass der hohe Restwert ohne überobligationsmäßige Anstrengungen erzielt wurde (BGH, Urt. v. 30.11.1999 - VI ZR 219/98, BGHZ 143, 189 [194] = MDR 2000, 330; Urt. v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, MDR 1992, 851 = VersR 1992, 457 f.). Es hat indes keine Beweislastentscheidung getroffen, sondern sich in tatrichterlicher Würdigung des Klägervortrags davon überzeugt, dass dem Kläger der Verkauf über das Internet tatsächlich ohne weiteres möglich war. Aus dem Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses und dem Zeitpunkt der Übergabe des Unfallfahrzeugs an den Käufer hat das Berufungsgericht geschlossen, dass dieser das Fahrzeug ohne vorherige Besichtigung gekauft hat. Die Revision erhebt hierzu keine Beanstandungen.

Auch der Einwand der Revision, das Berufungsgericht habe im Rahmen der erforderlichen Würdigung verkannt, dass für die Frage der überobligationsmäßigen Anstrengung der Gesamtaufwand des Klägers und damit auch dessen Bemühungen um die von dem Zeugen W. vermittelten Interessenten zu berücksichtigen seien, bleibt ohne Erfolg. Der Vortrag des Klägers, er habe zu Besichtigungen seines Fahrzeugs durch jene Interessenten am Wochenende mehrfach von seinem Wohnort zu seiner Arbeitsstelle fahren müssen, war sowohl vom Umfang des Aufwands wie von der Zahl solcher Fahrten zu unbestimmt als dass das Berufungsgericht ihm nachgehen musste.

Bei dieser Sachlage hat das Berufungsgericht mit Recht auf das tatsächliche Veräußerungsgeschäft abgestellt, das unter den festgestellten Umständen keinen überobligationsmäßigen Aufwand verursacht hat. Auch wenn ein Geschädigter grundsätzlich nicht verpflichtet ist, einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen, muss er sich doch einen höheren Erlös anrechnen lassen, den er bei tatsächlicher Inanspruchnahme eines solchen Sondermarktes ohne besondere Anstrengungen erzielt hat (BGH, Urt. v. 30.11.1999 - VI ZR 219/98, BGHZ 143, 189 [195] = MDR 2000, 330). Der Schädiger hat freilich keinen Anspruch darauf, dass sich der Geschädigte zu einem Verkauf in dem Sondermarkt der Internet-Restwertaufkäufer entschließt (BGHZ 66, 239 [248]; BGH, Urt. v. 5.3.1985 - VI ZR 204/83, MDR 1985, 748 = VersR 1985, 593 f. [595]). Dass der Kläger zu der von ihm entwickelten Initiative nicht verpflichtet war, rechtfertigt es jedoch nicht, ihm den daraus resultierenden Erfolg zu Lasten des Schädigers und der Versichertengemeinschaft zu belassen. Auch dass der "Übererlös" für den Unfallwagen aus Gründen erzielt wurde, die mit dem Zustand des Fahrzeugs nichts zu tun hatten (BGH, Urt. v. 5.3.1985 - VI ZR 204/83, MDR 1985, 748 = VersR 1985, 593 f.; Urt. v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, MDR 1992, 851 = VersR 1992, 457), erfordert das nicht. Ein Verbleib des Übererlöses würde gegen das schadensrechtliche Bereicherungsverbot verstoßen, wonach der Geschädigte zwar vollen Ersatz verlangen kann, an dem Schadensfall aber nicht verdienen soll (BGH v. 29.4.2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395 [398] = BGHReport 2003, 792 = MDR 2003, 1048).

bb) Die Revision kann auch mit ihrer Rüge einer unvollständigen Ausschöpfung des Prozess-Stoffes (§ 286 Abs. 1 ZPO) nicht durchdringen. Von einer Begründung wird abgesehen (§ 564 S. 1 ZPO).

4. Die Höhe des Erlöses konnte das Berufungsgericht unbedenklich mit 6.000 DM annehmen, da der Kläger die entsprechende Behauptung des Beklagten nicht bestritten hat.

5. Nach allem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1297229

BB 2005, 352

NJW 2005, 357

BGHR 2005, 418

EBE/BGH 2005, 29

EBE/BGH 2005, 3

CR 2005, 455

EWiR 2005, 375

JurBüro 2005, 329

ZAP 2005, 384

DAR 2005, 152

MDR 2005, 330

NZV 2005, 140

VRS 2005, 161

VersR 2005, 381

ZfS 2005, 184

KfZ-SV 2006, 30

NJW-Spezial 2005, 113

SVR 2005, 264

VRA 2005, 40

VRR 2005, 147

VRR 2005, 3

r+s 2005, 124

DS 2005, 65

GuG-aktuell 2005, 14

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