Entscheidungsstichwort (Thema)

Sportboot. Explosion. Verschuldensvermutung nach § 836 BGB. Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten für Vorliegen eines objektiven Fehlers des Schädigers. Möglichkeit einer anderen Ursache. Verkehrssicherungspflichtverletzung. Bedienungs- oder Wartungsfehler

 

Leitsatz (amtlich)

Nach Explosion eines Sportboots kommt ein Anscheinsbeweis dafür, dass ein baulicher Bestandteil des Boots objektiv mangelhaft war, nicht in Betracht, wenn Tatsachen festgestellt sind, nach welchen die ernsthafte Möglichkeit einer anderen Ursache für die Explosion des Boots besteht.

 

Normenkette

BGB § 836

 

Verfahrensgang

OLG Bremen (Urteil vom 20.06.2005; Aktenzeichen 5 U 56/04)

LG Bremen (Entscheidung vom 12.08.2004; Aktenzeichen 6 O 426/04)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Bremen vom 20.6.2005 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1]Der Kläger, Eigner der Segelyacht "Sutje", verlangt vom Beklagten, Eigner der Yacht "Goldstern", Schadensersatz wegen der Beschädigung seines Sportboots.

[2]Am 13.8.2003 ereignete sich auf der Yacht "Goldstern", die im Hafen des Wassersportvereins W. lag, eine Explosion mit nachfolgendem Brand, nachdem der Beklagte den Motor fünfzehn Minuten hatte laufen lassen. Dabei wurde die in unmittelbarer Nähe liegende Yacht des Klägers überwiegend durch Hitzeeinwirkung beschädigt. Die Wasserschutzpolizei kam zu dem Ermittlungsergebnis, dass aus dem voll gefüllten Kraftstofftank eines in einer Backskiste gelagerten externen Notstromaggregats Benzindämpfe oder Kraftstoff aufgrund der im Sommer 2003 herrschenden extremen Hitze ausgetreten sein müssten, wodurch sich ein Luft-Kraftstoff-Gemisch gebildet habe, das durch den laufenden Motor so erhitzt worden sei, dass es explodierte. Sie konnte die Ursache der Explosion jedoch nicht abschließend klären, weil die Zündquelle nicht eindeutig festzustellen war.

[3]Der Kläger verlangt mit seiner Klage Ersatz des an seinem Boot entstandenen Schadens i.H.v. 10.665 EUR. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die im zweiten Rechtszug geltend gemachte Klageerweiterung abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

[4]I.

Das Berufungsgericht verneint eine schuldhafte Verletzung der dem Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht. Ein vom Kläger behaupteter "ständiger Benzingeruch" auf dem Schiff des Beklagten, der hinreichende Anhaltspunkte für eine Verkehrssicherungspflichtverletzung ergeben hätte, sei durch die Beweisaufnahme nicht erwiesen; für andere behauptete Pflichtverletzungen sei kein Beweis angeboten worden.

[5]Auch dem Vortrag des Beklagten sei keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu entnehmen. Der Beklagte habe nicht damit rechnen müssen, dass die auf dem Schiff eingebauten Tanks und/oder der Tank des Notstromaggregats zu einer Gefahr für Dritte werden könnten, weil aufgrund der außergewöhnlichen Hitze des Sommers 2003 Benzindämpfe aus ihnen austreten und sich entzünden könnten. Vielmehr habe er darauf vertrauen dürfen, dass die Tanks dicht seien, solange keine entgegenstehenden Anzeichen wie Benzingeruch vorgelegen hätten.

[6]Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB liege beim Kläger. Eine Umkehr der Beweislast in entsprechender Anwendung des § 836 Abs. 1 BGB sei nicht angezeigt.

[7]Soweit der Kläger das Bestehen eines Erfahrungssatzes dahin behauptet habe, die Explosion eines Luft-Kraftstoff-Gemisches an Bord eines Schiffes sei typischerweise auf einen Bedienungs- oder Wartungsfehler zurückzuführen, sei dies nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen.

[8]II.

1. Soweit das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils die Revision wegen der Frage zugelassen hat, ob die Beweislastregel des § 836 BGB auf die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten bezüglich beweglicher Sachen entsprechend anwendbar sei, liegt keine wirksame Beschränkung der Revisionszulassung vor. Wird eine Revision im Hinblick auf eine Rechtsfrage zugelassen, so erfasst die Zulassung den gesamten Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat und für den die zur Zulassung führende Rechtsfrage von Bedeutung ist (BGH, Urt. v. 25.3.2003 - VI ZR 131/02, BGHReport 2003, 807 = MDR 2003, 931 = GesR 2003, 264 = VersR 2003, 1441 [1442]; v. 28.3.2006 - VI ZR 50/05, z.V.b.).

[9]2. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand; das angefochtene Urteil stellt sich jedenfalls aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

[10]a) Es kann offen bleiben, ob entgegen der gefestigten Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 30.5.1961 - VI ZR 310/56, NJW 1961, 1670 [1672]; Urt. v. 8.6.1961 - III ZR 66/60, VersR 1961, 806 [808]; v. 14.6.1976 - III ZR 81/74, VersR 1976, 1084 [1085]; v. 17.3.1983 - III ZR 116/81, MDR 1983, 1000 = VersR 1983, 588; OLG Celle v. 20.2.1991 - 9 U 235/89, VersR 1991, 1382 [1383]; OLG Stuttgart v. 26.4.1995 - 9 U 261/94, VersR 1997, 340 f.) die Beweislastverteilung des § 836 BGB auch - wie die Revision meint - auf bewegliche Sachen, insb. "komplexe" Anlagen wie Fahrzeuge und Schiffe, und auch für nicht auf Masseeinwirkung beruhende Schädigungen entsprechend anzuwenden wäre (allgemein für eine entsprechende Anwendung der Beweislastregel des § 836 BGB etwa Wagner in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 836 Rz. 4 ff.; Staudinger/Belling/Eberl-Borges, BGB, Bearb. 2002, § 836 Rz. 42 ff.; Erman/Schiemann, BGB, 11. Aufl., § 836 Rz. 7; Bamberger-Roth/Spindler, BGB, § 836 Rz. 2; zweifelnd Soergel/Krause, BGB, 13. Aufl., § 836 Rz. 16; ablehnend RGR-Kommentar-BGB/Kreft, 12. Aufl., § 836 Rz. 27; jurisPK-BGB/Moritz, § 836 Rz. 12).

[11]b) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts wäre nämlich auch bei Anwendung der Beweislastregel des § 836 BGB kein Anscheinsbeweis für einen pflichtwidrigen Zustand des Boots anzunehmen und damit keine Haftung zu begründen.

[12]aa) Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsgericht davon aus, dass der das Schiff selbst führende Eigner aus dem Gesichtspunkt der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB für den gefahrlosen Zustand des Schiffs verantwortlich ist (OLG Hamburg VersR 1972, 660; Rheinschifffahrtsobergericht Köln, Urt. v. 21.12.1993 - 3 U 77/93, juris; Klein, VersR 1978, 197 [200]). Die deliktische Haftung für eigenes Verschulden des Schiffseigners steht neben den Vorschriften des Binnenschifffahrtsgesetzes, das insoweit keine eigene Anspruchsgrundlage enthält (vgl. Vortisch/Bemm, Binnenschifffahrtsrecht, 4. Aufl., § 3 Rz. 9, § 4 Rz. 3; Klein, VersR 1978, 197 [200]). Eine Haftungsbegrenzung (vgl. § 4 BinSchG) ist dem Beklagten als Sportbooteigner verwehrt (§ 4 Abs. 1 Satz 1 BinSchG n.F., der insoweit die schon zur vorigen Gesetzeslage bestehende Rechtsanwendung kodifiziert, Vortisch/Bemm, Binnenschifffahrtsrecht, 4. Aufl., § 4 Rz. 25; Klein, VersR 1978, 197 [200]).

[13]Eine Haftung ohne Verschulden (Gefährdungshaftung) gibt es im Bereich der Sportboote nicht (Klein, VersR 1978, 197 [203]); eine solche Haftung ist wegen des für die Gefährdungshaftung geltenden Enumerationsprinzips (BGHZ 54, 332 [336 f.]; BGHZ 55, 229 [232 f.]) auch nicht in Gesetzesanalogie zum Straßenverkehrsgesetz, Luftverkehrsgesetz, Haftpflichtgesetz oder anderen gesetzlichen Regelungen zu begründen.

[14]In diesem Haftungsrahmen enthält § 836 BGB - seine Anwendbarkeit unterstellt - keine eigenständige Rechtsgrundlage, sondern regelt einen lediglich hinsichtlich der Verschuldensvermutung eigens geregelten Sonderfall der Verletzung der für jedermann bestehenden und auf § 823 Abs. 1 BGB beruhenden privatrechtlichen allgemeinen Verkehrssicherungspflichten (BGH, Urt. v. 30.5.1961 - VI ZR 310/56, NJW 1961, 1670 [1671]; v. 11.12.1984 - VI ZR 218/83, MDR 1985, 833 = VersR 1985, 336 [337]; BGHZ 55, 229 [235]; Urt. v. 14.6.1976 - III ZR 81/74, WM 1976, 1056 [1057 f.]).

[15](1) Bei einer Anwendung des § 836 BGB greift dessen den Geschädigten begünstigende Beweislastregel wegen vermuteten Verschuldens des Schädigers erst ein, wenn nachgewiesen ist, dass der Schaden im Organisations- und Gefahrenbereich des Schädigers durch einen objektiven Mangel oder Zustand der Verkehrswidrigkeit ausgelöst worden ist. Der Geschädigte muss damit das Vorliegen eines objektiven Fehlers, eines Schadens und die Ursächlichkeit des Fehlers für den Schaden darlegen und ggf. beweisen.

[16]Gleiches hat der erkennende Senat für die auf der Grundlage der Beweislastverteilung des § 836 BGB entwickelten Grundsätze zur Produkthaftung ausgesprochen, welche die Literatur zum Anlass für ihre Forderungen nach einer entsprechenden Anwendung des § 836 BGB nimmt (vgl. grundlegend Senatsurteile BGHZ 51, 91 [102, 105] - Hühnerpest; v. 11.6.1996 - VI ZR 202/95, MDR 1996, 909 = WM 1996, 1638 [1639]; Erman/Schiemann, BGB, 11. Aufl., § 836 Rz. 14; Wagner in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 836 Rz. 14; Soergel/Krause, BGB, 13. Aufl., § 836 Rz. 29; Staudinger-Belling/Eberl-Borges, BGB, Bearb. 2002, § 836 Rz. 2).

[17](2) Für den Eintritt der Verschuldensvermutung des § 836 Abs. 1 Satz 1 BGB ist der Nachweis ausreichend, dass das Gebäude oder ein baulicher Bestandteil des Gebäudes in einem objektiv mangelhaften Zustand war. Der Beweis einer Fehlerhaftigkeit des Bauwerkes wird dem Geschädigten nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats durch einen Beweis des ersten Anscheins erleichtert, weil ordnungsgemäß errichtete und unterhaltene Bauwerke normalerweise weder einstürzen noch Teile verlieren (BGHZ 58, 149 [154 f.]; Soergel/Krause, BGB, 13. Aufl., § 836 Rz. 29). Dieser Anscheinsbeweis erstreckt sich über die Fehlerhaftigkeit des Bauwerkes hinaus auch auf deren Kausalität für das schädigende Ereignis (Einsturz oder Teilablösung; vgl. BGHZ 58, 149 [154], m.w.N.; Urt. v. 14.12.1993 - VI ZR 271/92, MDR 1994, 613 = VersR 1994, 324 [325], m.w.N).

[18]bb) Ein solcher Beweis des ersten Anscheins wird jedoch durch feststehende (erwiesene oder unstreitige) Tatsachen entkräftet, nach welchen die Möglichkeit eines anderen als des typischen Geschehensablaufs ernsthaft in Betracht kommt (BGH v. 14.12.1993 - VI ZR 271/92, MDR 1994, 613 = VersR 1994, 324 [325]; v. 4.3.1997 - VI ZR 51/96, MDR 1997, 645 = VersR 1997, 835 [836], m.w.N.; zum Anscheinsbeweis im Binnenschifffahrtsrecht vgl. bereits BGH, Urt. v. 11.11.1976 - II ZR 191/74, VersR 1977, 247 [248]). Der Einstieg in die Vermutungsregel des § 836 BGB wird daher verhindert, wenn die ernsthafte Möglichkeit feststeht, dass das schädigende Ereignis auf einer anderen Ursache als der fehlerhaften Errichtung oder Bedienung oder der mangelhaften Unterhaltung beruht.

[19]Von der ernsthaften Möglichkeit eines anderen als des typischen Geschehensablaufs ist das Berufungsgericht nach seinen tatsächlichen Feststellungen ausgegangen. Es hat nämlich dem Ermittlungsergebnis der Wasserschutzpolizei ohne Verstoß gegen § 286 ZPO entnommen, dass der Austritt von Gasen durch die länger andauernde ungewöhnliche Sommerhitze des Jahres 2003 verursacht worden sein konnte. Dass der Kläger diesen möglichen Hergang der Bildung des Luft-Gas-Gemisches bestritten und das Berufungsgericht insoweit einen Beweisantritt übergangen hätte, macht die Revision nicht geltend.

[20]Hinzu kommt, dass das externe Notstromaggregat, dessen Kraftstofftank als Auslöser der Explosion in Frage steht, kein baulicher Bestandteil des Boots (BGH v. 4.3.1997 - VI ZR 51/96, MDR 1997, 645 = VersR 1997, 835 [836]; v. 27.4.1999 - VI ZR 174/98, MDR 1999, 1067 = NJW 1999, 2593 [2594]; Wagner in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 836 Rz. 14; Staudinger-Belling/Eberl-Borges, BGB, Bearb. 2002, § 836 Rz. 7) war.

[21]Das Berufungsgericht hat auch ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die Entzündung des Luft-Gas-Gemisches infolge der damals herrschenden großen Hitze durch das Laufenlassen des Motors dem Beklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, weil er mit einer Undichtigkeit der Tanks nicht rechnen musste, solange keine gegenteiligen Anzeichen (wie etwa länger dauernder Benzingeruch) vorlagen. Die Würdigung des Berufungsgerichts, dass Benzingeruch auf dem Schiff des Beklagten nicht bewiesen sei, beanstandet die Revision nicht. Rechtsfehler sind hierzu nicht ersichtlich.

[22]Da hiernach die damaligen Witterungsbedingungen als weitere mögliche Ursache der Explosion ernsthaft in Betracht kommen und die Explosion damit auf einer von Wartungs- und Bedienungsfehlern unabhängigen Verkettung von Umständen beruhen kann, spricht sie nicht, auch nicht im Wege des Anscheinsbeweises, für eine objektive Fehlerhaftigkeit der Yacht des Beklagten, die Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung des § 836 BGB wäre. Selbst wenn man daher mit der Revision annehmen wollte, § 836 BGB sei entsprechend auf die Explosion eines Luft-Gas-Gemisches an Bord eines Schiffes anzuwenden und diese sei typischerweise auf einen Bedienungs- oder Wartungsfehler des Eigners zurückzuführen, weil sich ein solches Gemisch nicht ohne einen solchen Fehler bilde, wäre der auf einen solchen Erfahrungssatz gestützte Anschein im vorliegenden Fall wirksam erschüttert.

[23]Auf die der Revisionszulassung zugrunde liegende Frage einer entsprechenden Anwendung des § 836 BGB und damit auch der Beweislastverteilung für Verschulden kommt es daher nicht an.

[24]c) Aus denselben Gründen kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht die Behauptung eines Satzes der Lebenserfahrung, die Explosion eines Luft-Kraftstoff-Gemisches an Bord eines Schiffes sei typischerweise auf einen Bedienungs- oder Wartungsfehler des Eigners zurückzuführen, nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO zurückweisen durfte. Auf diesen Vortrag kommt es wegen der ernsthaften Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs infolge der extremen Bedingungen im Sommer 2003 nicht an.

[25]III.

Nach allem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1523993

BGHR 2006, 1024

NJW-RR 2006, 1098

DAR 2006, 498

MDR 2006, 1224

NZV 2006, 539

VersR 2006, 931

ZfS 2006, 494

StoffR 2006, 188

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