Leitsatz (amtlich)

a) Zur Anwendbarkeit des § 242 BGB bei formnichtiger Honorarvereinbarung für eine über das zahnmedizinisch notwendige Maß hinausgehende zahnärztliche Versorgung.

b) Bei einem formnichtigen Heil- und Kostenplan steht der Schutzzweck des § 2 Abs. 3 Satz 1 GOZ, den Zahlungspflichtigen über die geplanten Leistungen und die voraussichtlich entstehenden Kosten zuverlässig zu informieren und ihn von einer unüberlegten und übereilten Honorarvereinbarung abzuhalten, Ansprüchen des behandelnden Zahnarztes aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung entgegen.

 

Normenkette

BGB § 125 S. 1, § 126 Abs. 2 S. 1, § 242; GOZ § 2 Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal (Urteil vom 27.08.2015; Aktenzeichen 9 S 52/15)

AG Wuppertal (Urteil vom 08.01.2015; Aktenzeichen 391 C 146/13)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Wuppertal vom 27.8.2015 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des AG Wuppertal vom 8.1.2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin ist Zahnärztin. Sie nimmt die gesetzlich krankenversicherte Beklagte auf Zahlung des Eigenanteils für zahnprothetische Leistungen in Anspruch.

Rz. 2

Nachdem die Beklagte sich am 3.9.2012 erstmals in der Praxis der Klägerin zur Zahnbehandlung vorgestellt hatte, erstellte diese unter dem 13.9.2012 zwei Heil- und Kostenpläne. Ein Plan hatte die Erbringung reiner kassenzahnärztlicher Leistungen (ohne Eigenanteil) zum Gegenstand, während der andere Plan zusätzliche, zahnmedizinisch nicht notwendige Arbeiten (mehrflächige Keramikverblendung sowie eine keramikverblendete Krone mit Geschiebe als Halterung) vorsah und in der Anlage einen voraussichtlichen Eigenanteil i.H.v. 6.838,52 EUR auswies. Die Beklagte, die von einer Praxismitarbeiterin darauf hingewiesen wurde, dass sie ihr Einverständnis zu der Behandlung schriftlich erklären müsse, nahm beide Pläne mit nach Hause und reichte schließlich den einen Eigenanteil ausweisenden Heil- und Kostenplan bei ihrer Krankenversicherung zur Genehmigung ein. Den mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Plan gab sie sodann an die Klägerin zurück, ohne jedoch die in dem Planformular und der beigefügten Anlage vorgesehene Unterschrift zu leisten. Die fehlende Unterschrift wurde von den Praxismitarbeitern nicht bemerkt. Ab dem 21.11.2012 erbrachte die Klägerin die vereinbarten zahnprothetischen Leistungen und verlangte mit Rechnung vom 31.12.2012 einen auf die Beklagte entfallenden Eigenanteil i.H.v. 3.860,30 EUR. Die Beklagte leistete trotz Mahnung keine Zahlungen. Daraufhin hat die Klägerin den Betrag gerichtlich geltend gemacht. Im Prozess hat sich die Beklagte darauf berufen, dass hinsichtlich eines von ihr zu tragenden Eigenanteils keine schriftliche Vereinbarung getroffen worden sei.

Rz. 3

Das AG hat die Beklagte zur Zahlung von 3.860,30 EUR nebst Zinsen sowie zur Erstattung vorgerichtlicher Anwalts- und Mahnkosten verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 4

Die zulässige Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten.

I.

Rz. 5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Klägerin könne die begehrte Bezahlung der privatärztlichen Zahnarztleistungen nicht verlangen. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) müssten über das zahnmedizinisch notwendige Maß hinausgehende Leistungen und ihre Vergütung in einem Heil- und Kostenplan schriftlich vereinbart werden. Eine solche Vereinbarung liege hier nicht vor, da keine der Parteien den maßgeblichen Heil- und Kostenplan vom 13.9.2012 unterschrieben habe. Dies habe dessen Nichtigkeit nach § 125 Satz 1 i.V.m. § 126 BGB zur Folge. Der Beklagten sei es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht verwehrt, sich auf diesen Formmangel zu berufen. Die Nichtigkeit der Vergütungsvereinbarung führe nicht zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis. Es habe sich nicht um einen Notfall gehandelt, so dass die Klägerin mit der Behandlung bis zur Leistung der Unterschrift hätte zuwarten können. Bereicherungsrechtliche Ansprüche seien ebenfalls ausgeschlossen. Die Formvorschriften in den Gebührenordnungen für Ärzte und Zahnärzte hätten den Zweck, den Zahlungspflichtigen wegen der Risiken einer Honorarvereinbarung vor einer übereilten Bindung zu schützen. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn man einem Zahnarzt, der eine formunwirksame Honorarvereinbarung abgeschlossen habe, die Möglichkeit eröffnete, über das Bereicherungsrecht wirtschaftlich zu demselben Ergebnis zu gelangen. Außerdem habe die Klägerin nicht ohne Rechtsgrund geleistet. Formnichtig sei nur die Honorarvereinbarung, nicht jedoch der Behandlungsvertrag.

II.

Rz. 6

Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand.

Rz. 7

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen vertraglichen Anspruch aus § 611 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem genehmigten Heil- und Kostenplan vom 13.9.2012 auf Zahlung eines Eigenanteils an den zahnärztlichen Behandlungskosten i.H.v. 3.860,30 EUR.

Rz. 8

1. Nach den nicht beanstandeten Feststellungen der Vorinstanzen ist zwischen den Parteien ein zahnärztlicher Behandlungsvertrag - jedenfalls konkludent - zustande gekommen, indem die Klägerin die Behandlung der Beklagten übernommen und auf der Grundlage des ausgewählten Heil- und Kostenplans im November und Dezember 2012 durchgeführt hat (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., § 630a Rz. 6).

Rz. 9

2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Parteien keine wirksame Honorarvereinbarung getroffen haben, da der der Behandlung zugrunde liegende Heil- und Kostenplan nicht der Form des § 2 Abs. 3 Satz 1 GOZ genügt und deshalb nach § 125 Satz 1 i.V.m. § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB nichtig ist.

Rz. 10

Gegenstand der Eigenanteilsrechnung der Klägerin vom 31.12.2012 sind zahnärztliche Leistungen, die über das Maß einer zahnmedizinisch notwendigen Versorgung hinausgingen und darauf beruhten, dass die Klägerin eine ästhetisch ansprechendere Lösung wünschte. Solche Leistungen darf der Zahnarzt nur berechnen, wenn sie auf Verlangen des - über die fehlende Notwendigkeit aufgeklärten - Zahlungspflichtigen erbracht (§ 1 Abs. 2 Satz 2 GOZ) und zuvor in einem Heil- und Kostenplan einschließlich der Vergütung schriftlich vereinbart worden sind (§ 2 Abs. 3 Satz 1 GOZ). Dabei handelt es sich um eine gesetzlich vorgeschriebene Schriftform i.S.d. § 126 BGB (Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl., § 2 GOZ Rz. 8, 22; s. auch OLG Köln, r+s 1993, 431; Miebach in Uleer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, 3. Aufl., § 2 GOÄ Rz. 30 jeweils zu der Formvorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 1 GOÄ). Dementsprechend muss der Heil- und Kostenplan von beiden Parteien eigenhändig unterschrieben werden (§ 126 Abs. 2 Satz 1 BGB). Daran fehlt es hier. Die Nichteinhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form hat gem. § 125 Satz 1 BGB die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge.

Rz. 11

3. Die Berufung der Beklagten auf die Formunwirksamkeit des Heil- und Kostenplans verstößt jedoch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Rz. 12

a) Der Formmangel eines Rechtsgeschäfts ist nur ausnahmsweise wegen unzulässiger Rechtsausübung unbeachtlich. Formvorschriften dürfen im Interesse der Rechtssicherheit nicht aus bloßen Billigkeitserwägungen außer Acht gelassen werden. Ausnahmen sind deshalb nur zulässig, wenn es nach den Beziehungen der Parteien und den gesamten Umständen mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, das Rechtsgeschäft am Formmangel scheitern zu lassen. Dabei sind aber strenge Maßstäbe anzulegen. Das Ergebnis darf die betroffene Partei nicht bloß hart treffen, sondern es muss schlechthin untragbar sein (z.B. BGH, Urt. v. 22.10.2015 - IX ZR 100/13, NJW 2016, 1391 Rz. 15 m.w.N.). Von der Rechtsprechung sind bislang insb. zwei Fallgruppen als Ausnahmen anerkannt worden: die Fälle der - hier nicht vorliegenden - Existenzgefährdung des einen Teils und die Fälle einer besonders schweren Treuepflichtverletzung des anderen Teils (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 20.9.1984 - III ZR 47/83, BGHZ 92, 164, 172; v. 13.10.2005 - III ZR 400/04, NJW 2005, 3633, 3636; BGH, Urt. v. 14.6.1996 - V ZR 85/95, NJW 1996, 2503, 2504; v. 24.4.1998 - V ZR 197/97, BGHZ 138, 339, 348; v. 16.7.2004 - V ZR 222/03, NJW 2004, 3330, 3331 f.; Einsele in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 125 Rz. 57 ff.; Palandt/Ellenberger, BGB, 75. Aufl., § 125 Rz. 22, 27 ff.; jeweils m.w.N.; s. auch BeckOGK/Hecht, BGB, § 125 Rz. 110 ff. [Stand: 1.9.2016], der in den vorgenannten Fallgruppen eine Korrektur der Rechtsfolge des § 125 Satz 1 BGB im Wege der teleologischen Reduktion vornehmen will). Eine besonders schwere Treuepflichtverletzung kommt regelmäßig dann in Betracht, wenn eine Partei in schwerwiegender Weise gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßen hat, etwa dadurch, dass sie die Erfüllung der von ihr übernommenen Verpflichtung verweigert, nachdem sie über längere Zeit die Vorteile aus der formunwirksamen Vereinbarung in Anspruch genommen hat (BGH, Urt. v. 14.6.1996, a.a.O., und vom 16.7.2004, a.a.O.; Einsele in MünchKomm/BGB, a.a.O., Rz. 60; Palandt/Ellenberger, a.a.O., Rz. 30, 33).

Rz. 13

b) Diese strengen Kriterien für die Annahme eines Verstoßes gegen Treu und Glauben durch die Berufung der Beklagten auf die Formnichtigkeit des Heil- und Kostenplans sind hier erfüllt. Die Voraussetzungen einer besonders schweren Treuepflichtpflichtverletzung liegen vor. Nach den Feststellungen des AG, von denen auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, hat sich die über die geplanten Leistungen und die voraussichtlich entstehenden Kosten umfassend aufgeklärte Beklagte bewusst für die teurere Behandlungsalternative entschieden. Dementsprechend hat sie allein den einen erheblichen Eigenanteil ausweisenden Heil- und Kostenplan bei ihrer Krankenversicherung eingereicht und nach Genehmigung in der Praxis der Klägerin vorgelegt, um auf dieser Basis die zahnprothetische Versorgung vornehmen zu lassen. Erstmals nach Abschluss der Behandlung, nachdem die Beklagte sämtliche Vorteile aus der zahnärztlichen Versorgung gemäß dem Heil- und Kostenplan in Anspruch genommen hatte, hat sie sich auf die Nichteinhaltung der Schriftform berufen. Es kommt hinzu, dass das Unterschriftserfordernis aus dem ausgehändigten Heil- und Kostenplan klar ersichtlich ist und die aus Albanien stammende, jedoch seit 1994 in Deutschland lebende Beklagte die erbetene Unterschriftsleistung lediglich deshalb (zunächst) zurückgestellt hatte, weil sie den - ihr bereits verständlich erläuterten - Heil- und Kostenplan (angeblich) nochmals übersetzen lassen wollte. Nach alledem ist das Verhalten der Beklagten als in hohem Maße widersprüchlich und treuwidrig zu werten, so dass sie sich auf den mit der Formvorschrift des § 2 Abs. 3 GOZ verfolgten Zweck (Schutz des Patienten vor einer übereilten Bindung, Information des Zahlungspflichtigen über die geplanten Leistungen und die voraussichtlich entstehenden Kosten) und die Formnichtigkeit der Vergütungsvereinbarung nicht berufen kann (zum Schutzzweck der Formvorschriften des § 2 Abs. 2, 3 GOZ s. die Begründung zur Ersten Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Zahnärzte, BR-Drucks. 566/11, 42 f.; Spickhoff, a.a.O., § 2 GOZ Rz. 8, 20).

Rz. 14

c) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Vertrauen der Klägerin auf das Zustandekommen einer wirksamen Honorarvereinbarung auch schutzwürdig.

Rz. 15

aa) Die Partei, die an dem formnichtigen Rechtsgeschäft festhalten will, muss auf die Formgültigkeit vertraut haben. Daher ist § 242 BGB unanwendbar, wenn beide Parteien den Formmangel kannten. Auch grobfahrlässige Unkenntnis des Formmangels verdient keinen Schutz (Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 125 Rz. 25). Sofern beide Vertragsparteien den Formmangel nicht kannten, kann sich regelmäßig auch derjenige Vertragspartner auf die Formnichtigkeit des Rechtsgeschäfts berufen, der diese objektiv verursacht hat (Einsele in MünchKomm/BGB, a.a.O., § 125 Rz. 61 m.w.N.).

Rz. 16

bb) Diese Grundsätze stehen der Berufung der Klägerin auf § 242 BGB nicht entgegen. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts führte lediglich ein schlichtes Büroversehen der Praxismitarbeiter der Klägerin dazu, dass die fehlende Unterzeichnung des Heil- und Kostenplans unentdeckt blieb. Weder kannten die Klägerin bzw. ihre Mitarbeiter (ggf. Wissenszurechnung gem. § 166 BGB) den Formmangel noch blieb er ihnen infolge grober Fahrlässigkeit verborgen, während die Beklagte - in Kenntnis des Unterschriftserfordernisses - den nicht unterschriebenen, jedoch inzwischen von der Krankenversicherung genehmigten Heil- und Kostenplan in der Praxis der Klägerin vorlegte, um diese nunmehr zu der in Aussicht genommenen zahnprothetischen Versorgung zu veranlassen.

Rz. 17

cc) Soweit die Beklagte offenbar meint, bereits das festgestellte Büroversehen begründe den Vorwurf grober Fahrlässigkeit, verkennt sie deren Maßstab. Grobe Fahrlässigkeit erfordert einen in objektiver Hinsicht schweren und in subjektiver Hinsicht nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Es muss eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegen, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 10.10.2013 - III ZR 345/13, NJW-RR 2014, 90 Rz. 26; BGH, Urt. v. 8.7.1992 - IV ZR 223/91, BGHZ 119, 147, 149; v. 29.1.2003 - IV ZR 173/01, NJW 2003, 1118, 1119; v. 12.7.2005 - VI ZR 83/04, NJW 2006, 1271; v. 11.7.2007 - XII ZR 197/05, NJW 2007, 2988 Rz. 15; v. 17.2.2009 - VI ZR 86/08, NJW-RR 2009, 812 Rz. 10; Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 277 Rz. 5; jeweils m.w.N.). Dass die Mitarbeiter der Klägerin die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bei Entgegennahme des bereits genehmigten Heil- und Kostenplans nach diesen Maßgaben in besonders schwerem Maße verletzt haben, ist weder festgestellt noch von der Beklagten vorgetragen oder sonst ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Praxismitarbeiter den Formmangel infolge (einfacher) Fahrlässigkeit nicht kannten, führt entgegen der Revisionserwiderung nicht zur Bejahung grober Fahrlässigkeit auf Seiten der Klägerin.

Rz. 18

d) Die Anwendbarkeit des § 242 BGB scheidet auch nicht deshalb aus, weil bei Berücksichtigung des Formmangels (§ 126 Abs. 2 Satz 1 BGB i.V.m. § 2 Abs. 3 GOZ) der Klägerin ein Schadensersatzanspruch wegen culpa in contrahendo (§ 280 Abs. 1 i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB), ein Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 683, 670 BGB oder ein bereicherungsrechtlicher Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zustünde.

Rz. 19

Die Berücksichtigung des Formmangels muss - wie unter 3a) ausgeführt - zu einem untragbaren Ergebnis führen. Das ist nicht der Fall, wenn der bei einem nichtigen Vertrag bestehende Rechtsschutz (insb. Ansprüche aus culpa in contrahendo, Geschäftsführung ohne Auftrag oder § 812 BGB) die berechtigen Interessen der schutzbedürftigen Partei ausreichend sichert (Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 125 Rz. 26; Einsele in MünchKomm/BGB, a.a.O., § 125 Rz. 68; s. auch BGH, Urt. v. 13.10.2005 - III ZR 400/04, NJW 2005, 3633, 3635). Daran fehlt es hier.

Rz. 20

aa) Ein etwaiger Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB (vorvertragliche Aufklärungspflichtverletzung hinsichtlich des Unterbleibens der Unterschrift) würde zu keinem angemessenen Ausgleich führen. Denn in diesem Fall könnte die Klägerin lediglich das negative Interesse ersetzt verlangen, d.h. sie wäre so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn sie nicht auf die Gültigkeit der Honorarvereinbarung vertraut hätte (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., Vorbem. vor § 249 Rz. 17). Dann wäre die aufwendigere Zahnbehandlung (mit Eigenanteil der Beklagten) unterblieben, so dass der Klägerin auch kein auf das Erfüllungsinteresse (Honorarzahlung für die medizinisch nicht notwendigen Zusatzleistungen) gerichteter Schadensersatzanspruch zustünde.

Rz. 21

bb) Ansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683, 670 BGB) bzw. aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB) steht der Schutzzweck der Formvorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 1 GOZ entgegen. Die Notwendigkeit der Vereinbarung eines schriftlichen Heil- und Kostenplans soll dem Bedürfnis des Zahlungspflichtigen nach Information über die geplanten Leistungen und die voraussichtlich entstehenden Kosten und damit der Transparenz und dem Patientenschutz auch bei sog. Verlangensleistungen Rechnung tragen (Begründung zur Ersten Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Zahnärzte, BR-Drucks. 566/11, 42 f.; Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl., § 2 GOZ Rz. 20). Wie § 2 Abs. 2 Satz 1 GOZ (dazu Spickhoff, a.a.O., Rz. 8) bezweckt auch § 2 Abs. 3 Satz 1 GOZ, den Zahlungspflichtigen wegen der Risiken einer Honorarvereinbarung vor einer unüberlegten und übereilten Bindung zu schützen. Dieser Schutzzweck würde unterlaufen, wenn dem Zahnarzt bei einer formnichtigen Honorarvereinbarung ein entsprechender Bereicherungsanspruch oder Aufwendungsersatzanspruch nach den Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag zustünde (s. auch BGH, Urt. v. 19.2.1998 - III ZR 169/97, BGHZ 138, 91, 99 und vom 17.10.2002 - III ZR 58/02, NJW 2002, 3772 zur Rechtslage bei unwirksamen Wahlleistungsvereinbarungen; v. 13.10.2005 - III ZR 400/04, NJW 2005, 3633, 3635 zur Rechtslage bei unwirksamer Vereinbarung von Zusatzleistungen im Rahmen eines Heimvertrags). Dabei spielt es keine Rolle, ob der Patient - wie im Streitfall - mündlich umfassend über etwaige Behandlungsalternativen und deren Kosten aufgeklärt worden ist. Zwingende Formvorschriften gelten vielmehr auch dann, wenn ihr Zweck im Einzelfall auf andere Weise erreicht wird (Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 125 Rz. 1 m.w.N.).

Rz. 22

cc) Selbst bei Anwendbarkeit der Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag bzw. der bereicherungsrechtlichen Bestimmungen käme ein diesbezüglicher Anspruch der Klägerin nicht in Betracht. Denn die Klägerin hat ihre Leistungen auf der Grundlage eines konkludent abgeschlossen (wirksamen) Behandlungsvertrags erbracht. Ohne schriftlichen Heil- und kostenplan ist lediglich die Honorarforderung nicht durchsetzbar (Spickhoff, a.a.O., § 2 GOZ Rz. 22). § 1 Abs. 2 Satz 2 und § 2 Abs. 3 Satz 1 GOZ verbieten, wenn die dort genannten Kriterien nicht erfüllt sind, lediglich die Abrechnung von Leistungen, die über das Maß einer zahnmedizinisch notwendigen zahnärztlichen Versorgung hinausgehen (s. auch Senatsurteil vom 19.2.1998, a.a.O., zum Vorliegen eines Rechtsgrundes bei unwirksamer Wahlleistungsvereinbarung).

III.

Rz. 23

Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).

Rz. 24

Die Sache ist zur Endentscheidung reif, so dass der Senat die Berufung der Beklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil zurückweisen kann (§ 563 Abs. 3 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 10021973

NJW-RR 2017, 596

ZAP 2016, 1275

MDR 2017, 18

MedR 2017, 478

VersR 2017, 232

FoVo 2017, 112

GesR 2017, 104

FMP 2017, 44

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge