Leitsatz (amtlich)

a) Die Grundsatzbedeutung einer Rechtsfrage kann sich, auch wenn sich an ihr kein Streit in Rechtsprechung oder Literatur entzündet hat, aus ihrem Gewicht für die beteiligten Verkehrskreise (hier: Rechtsanwälte und Rechtsbeistände) ergeben.

b) Einer besonderen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit, der Klärungsfähigkeit und der über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Sache bedarf es nicht, wenn sich dies unmittelbar aus dem Prozessrechtsverhältnis ergibt.

c) Die Beschränkung der forensischen Tätigkeit der in die Rechtsanwaltskammer aufgenommenen Rechtsbeistände in Zivilsachen auf die Amtsgerichte verletzt deren Rechte aus Art. 12 GG nicht.

 

Normenkette

GG § 12; ZPO §§ 78, 574 Abs. 2 Nr. 1, § 575 Abs. 3 Nr. 2; EGZPO § 25; BRAO § 209

 

Verfahrensgang

LG Heidelberg (Beschluss vom 03.02.2003)

AG Heidelberg

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Heidelberg v. 3.2.2003 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 1.631,74 Euro.

 

Gründe

I.

Der Beklagte, ein in die Rechtsanwaltskammer aufgenommener Rechtsbeistand, ist vom AG verurteilt worden, verschiedene Gegenstände aus dem Abstandsbereich zum Grundstück des Klägers zu entfernen und eine Zahlung zu leisten. Die von dem Beklagten - ohne anwaltliche Vertretung - eingelegte Berufung ist durch Beschluss des LG als unzulässig verworfen worden. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Beklagte die Zurückverweisung der Sache an das LG anstrebt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1i. V. m. § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO statthaft. Auch die weitere (BGH, Beschl. v. 7.5.2003 - XII ZB 191/02, BGHReport 2003, 823 = MDR 2003, 1054) Zulässigkeitsvoraussetzung des § 574 Abs. 2 ZPO ist gegeben, denn der Beklagte hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt (BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207). An die Darlegung (BGH, Beschl. v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822, für BGHZ best.) sind keine besonderen Anforderungen zu stellen, denn die zu beantwortende Rechtsfrage, ob nämlich der in § 209 BRAO in die Rechtsanwaltskammer aufgenommene Rechtsbeistand ("Kammerrechtsbeistand") im Anwaltsprozess (§ 78 ZPO) postulationsfähig ist, und die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage ergeben sich unmittelbar aus dem Prozessrechtsverhältnis. Zur Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und der über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Sache war ein Hinweis auf Streit in Rechtsprechung und Literatur nicht möglich (s.u. III 1). Der von der Rechtsbeschwerde geforderten Gleichbehandlung der "Kammerrechtsbeistände" mit den Rechtsanwälten kommt aber für beide Berufsstände tatsächliche und wirtschaftliche Bedeutung zu. Dies kann Grundsatzbedeutung begründen (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Zivilprozessreform, BR-Drucks. 536/00, 266; Wenzel, NJW 2002, 3353 [3354]) und bewirkt dies im Streitfall. Der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde steht es nicht entgegen, dass der Wert der geltend gemachten Beschwer 20.000 Euro nicht übersteigt (BGH, Beschl. v. 4.9.2002 - VIII ZB 23/02, BGHReport 2002, 1113 = NJW 2002, 3783; Beschl. v. 19.9.2002 - V ZB 31/02, BGHReport 2002, 1112 = MDR 2003, 46 = NJW-RR 2003, 132; anders für die Nichtzulassungsbeschwerde bei Verwerfung der Berufung durch Urteil: BGH, Beschl. v. 30.4.2003 - IV ZR 336/02, = BGHReport 2003, 897 = MDR 2003, 1007; zur vorgesehenen Regelung im Entwurf eines Justizmodernisierungsgesetzes vgl. BT-Drucks. 15/1508).

III.

In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

1. Nach § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO müssen sich die Parteien vor den Landgerichten durch einen bei einem Amts- oder LG zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen; der Rechtsanwalt, der danach zur Vertretung berechtigt ist, kann sich auch selbst vertreten (§ 78 Abs. 6 ZPO). § 25 EGZPO stellt den gem. § 209 BRAO in die Rechtsanwaltskammer aufgenommenen Inhaber der Erlaubnis zur geschäftsmäßigen Rechtsbesorgung, mithin den "Kammerrechtsbeistand", in bestimmten Beziehungen, nämlich i. S. d. § 88 Abs. 2, § 121 Abs. 2, § 133 Abs. 2, §§ 135, 157 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1, § 169 Abs. 2, §§ 174, 178 Abs. 1 Nr. 2, §§ 195, 317 Abs. 4 S. 2, § 397 Abs. 2, § 811 Nr. 7 ZPO, einem Rechtsanwalt gleich. Eine darüber hinausgehende Gleichstellung ist nicht erfolgt. Die Bestimmungen sind eindeutig und lassen eine ausdehnende Auslegung zu Gunsten des "Kammerrechtsbeistands" nicht zu. Auch eine analoge Anwendung auf diese Berufsgruppe kommt nicht in Frage. Ziel des durch das Dritte Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze v. 31.8.1998 (BGBl. I, 2585) eingeführten § 25 EGZPO war es, Rechtsbeistände alten Rechts den Rechtsanwälten in bestimmten Beziehungen gleichzustellen, wenn sie der Kammer beigetreten waren; dies sollte ausdrücklich in Zivilsachen nur für Verfahren vor den Amtsgerichten gelten (vgl. BT-Drucks. 13/4184, 56). Dementsprechend ist es einhellige Meinung im Schrifttum, dass § 25 EGZPO am Anwaltszwang nichts geändert hat und "Kammerrechtsbeistände" in einem Anwaltsprozess nicht vertretungsberechtigt sind (vgl. statt aller Wolf in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 25 EGZPO Rz. 2; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 25 EGZPO Rz. 2; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 25 EGZPO Rz. 1; zum Verhältnis des Kammerrechtsbeistands zu sonstigen Rechtsbeiständen, vgl. BGH, Beschl. v. 26.3.2003 - VIII ZB 104/02, MDR 2003, 949).

2. Hiergegen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das BVerfG hat bei der Entscheidung über die Schließung des Berufs des Rechtsbeistandes alten Rechts keinen Anlass gesehen, gegen das Überleitungsrecht, zu dem die Beschränkung der Zulassung der "Kammerrechtsbeistände" auf das Verfahren vor dem AG zählt, Bedenken zu erheben (BVerfG v. 5.5.1987 - 1 BvR 724/81, BVerfGE 75, 246 [278 ff.] = MDR 1988, 203). Der Vorbehalt der umfassenden forensischen Tätigkeit zu Gunsten der Rechtsanwälte stellt eine subjektive, auf persönliche Eigenschaften, Tätigkeiten und erworbene Abschlüsse abstellende Berufszulassungsvoraussetzung dar, die dem Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsgutes, der Qualität der Zivilrechtspflege, dient. Die unterschiedliche Behandlung der beiden Berufe ist sachlich gerechtfertigt, denn die Tätigkeit als "Kammerrechtsbeistand" erfordert, anders als diejenige als Rechtsanwalt (dazu § 4 BRAO), nicht die Befähigung zum Richteramt. Zudem verfügen Kammerrechtsbeistände regelmäßig über eine geringere fachliche Ausgangsqualifikation als Rechtsanwälte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.7.1989, NJW 1989, 2611 [2612]; BGH, Beschl. v. 25.1.1999 - AnwZ(B) 53/98, NJW 1999, 1116 [1117]).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1058753

BB 2003, 2428

NJW 2003, 3765

NWB 2004, 448

BGHR 2004, 55

FamRZ 2004, 95

JurBüro 2004, 343

WM 2004, 491

MDR 2004, 119

KammerForum 2004, 56

ProzRB 2004, 69

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