Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Nichtberücksichtigung von Beweisangeboten

 

Leitsatz (redaktionell)

Artikel 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die von den Gerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 544 Abs. 7, § 563 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 24.10.2003; Aktenzeichen 6 U 92/03)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Oldenburg v. 24.10.2003 zugelassen.

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Oldenburg v. 24.10.2003 aufgehoben.Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 1. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 1.997.888,99 EUR

 

Gründe

I.

Die Parteien, eine Bank sowie der Insolvenzverwalter einer Autohändlerin, streiten über die Verteilung des Erlöses aus der Verwertung von Kraftfahrzeugen. Die Autohändlerin schloss im Februar 1999 mit der F. AG (im folgenden: Lieferantin) einen formularmäßigen "Händlervertrag", der einen Eigentumsvorbehalt an den gelieferten Fahrzeugen bis zur Bezahlung aller gegenwärtig bestehenden und künftig entstehenden Ansprüche aus der Geschäftsverbindung der Händlerin mit der Lieferantin und mit der Klägerin vorsah, und im Mai 1999 mit der Klägerin einen "Rahmenvertrag" für Händler-Einkaufsfinanzierungen, in dem die Sicherungsübereignung finanzierter Fahrzeuge an die Klägerin vereinbart wurde. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Händlerin vereinbarten die Parteien, die vorhandenen Kraftfahrzeuge zu verwerten und die Verwertungserlöse auf ein Sicherheitenerlöskonto einzuzahlen. Die Parteien begehren nun wechselseitig im Wege von Klage und Widerklage die Zustimmung zur Auszahlung des Guthabens auf dem Sicherheitenerlöskonto, das im August 2002 2.124.911,45 EUR aufwies.

Die Klägerin hat unter Zeugenbeweis gestellt, sie habe mit der Lieferantin eine Vereinbarung getroffen, dass die Kaufpreiszahlung der Klägerin an die Lieferantin in jedem Fall mit der Maßgabe erfolge, dass der Betrag nur unter der Bedingung verwendet werden dürfe, dass die Lieferantin ihren Kaufpreisanspruch gegen die Händlerin an die Klägerin abtrete, ihr Vorbehaltseigentum an den betreffenden Fahrzeugen an die Klägerin übertrage und alle weiteren gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche und Rechte aus dem jeweiligen Kaufvertrag an die Klägerin übergingen. Hilfsweise hat die Klägerin geltend gemacht, aufgrund der in dem "Rahmenvertrag" getroffenen Vereinbarungen habe sie Sicherungseigentum an den finanzierten Fahrzeugen erworben.

Das LG hat der Klage stattgegeben und die Widerklage - abgesehen von einem durch Teilanerkenntnisurteil erledigten Betrag - abgewiesen, da das Vorbehaltseigentum der Lieferantin auf die Klägerin übertragen worden sei. Im Berufungsverfahren, in dem die Klägerin ihr vorbezeichnetes Vorbringen unter Benennung des Zeugen wiederholt hat, hat das OLG die Klage ohne Beweisaufnahme mit Ausnahme eines Betrages von 50.058,04 EUR abgewiesen und der Widerklage stattgegeben, da der Klägerin an den von der Lieferantin unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Kraftfahrzeugen kein Aussonderungsrecht zugestanden habe. Nur für die Lieferantin sei wirksam Vorbehaltseigentum begründet worden, nicht aber für die Klägerin als finanzierende Bank. Soweit im "Händlervertrag" neben den Ansprüchen der Lieferantin auch die Sicherung von Ansprüchen der Klägerin geregelt sei, sei dies unwirksam, weil es sich um Forderungen eines "Dritten" i.S.v. § 455 Abs. 2 BGB a.F. handele. Entgegen der Auffassung des LG habe die Klägerin auch nicht die Kaufpreisforderung nebst Vorbehaltseigentum durch Abtretung von der Lieferantin erworben. Eine Abtretung sei den Verträgen nicht zu entnehmen. Es sei auch nichts dafür ersichtlich, dass die Forderungen stillschweigend abgetreten worden seien.

II.

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (BGH, Beschl. v. 11.5.2004 - XI ZB 39/03, MDR 2004, 1135 = BGHReport 2004, 1185 = WM 2004, 1407 [1408 f.]). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gem. § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die von den Gerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge (BVerfG v. 20.4.1982 - 1 BvR 1242/81, BVerfGE 60, 247 [249 ff.]; v. 29.11.1983 - 1 BvR 1313/82, BVerfGE 65, 305 [307]; v. 30.1.1985 - 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141 [143]). Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Die Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt aber dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG v. 8.11.1978 - 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32 [36]; v. 20.4.1982 - 1 BvR 1429/81, BVerfGE 60, 250 [252]; v. 29.11.1983 - 1 BvR 1313/82, BVerfGE 65, 305 [307]; v. 30.1.1985 - 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, 141 [144]).

a) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Die Klägerin hat bereits in erster Instanz den Abschluss einer Vereinbarung mit der Lieferantin behauptet, dass die Lieferantin jeweils bei Eingang des von der Händlerin aufgenommenen Darlehensbetrages der Klägerin das Vorbehaltseigentum an den finanzierten Fahrzeugen und die Kaufpreisansprüche gegen die Händlerin übertrage. Für die Richtigkeit dieser Behauptung auf S. 6 ihres Schriftsatzes v. 18.9.2002 hat sie sich auf die Vernehmung eines Zeugen berufen. Dass der Beweisantritt erst auf S. 8 des Schriftsatzes erfolgt ist, ist ohne Belang. Die Klägerin hat ausdrücklich klargestellt, dass der Zeuge "zum Beweis für die Richtigkeit des gesamten vorstehenden Sachvortrages" benannt werde. Diesen Vortrag und den dazugehörenden Beweisantritt hat die Klägerin auch in der Berufungsinstanz aufrecht erhalten.

Das angefochtene Urteil lässt nicht erkennen, dass das Berufungsgericht dieses Vorbringen der Klägerin sowie den Beweisantritt zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. In den Entscheidungsgründen wird lediglich ausgeführt, dass eine Abtretung des Vorbehaltseigentums durch die Lieferantin den schriftlichen Verträgen nicht zu entnehmen sei. Es sei auch nichts für eine stillschweigende Abtretung ersichtlich. Zu der behaupteten mündlichen Vereinbarung der Übertragung von Vorbehaltseigentum verhält sich das Berufungsurteil mit keinem Wort. Ebenso wenig lassen die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils erkennen, aus welchen Gründen das Berufungsgericht meint, sich mit diesem Vorbringen der Klägerin sowie dem diesbezüglichen Beweisantritt nicht befassen zu müssen.

b) Das Übergehen des Vortrages und des Beweisantritts der Klägerin verletzt ihren Anspruch auf rechtliches Gehör auch in entscheidungserheblicher Weise (§ 544 Abs. 7 ZPO). Die behauptete Übertragung des Vorbehaltseigentums auf die Klägerin scheitert nicht etwa daran, dass ein Eigentumsvorbehalt für die Lieferantin nicht in wirksamer Weise begründet worden wäre. Dass im "Händlervertrag" der Eigentumsvorbehalt in Form eines Konzernvorbehalts vereinbart worden ist, ändert daran nichts. Nach § 455 Abs. 2 BGB a.F. ist die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts zwar nichtig, soweit der Eigentumsübergang davon abhängig gemacht wird, dass der Käufer Forderungen eines Dritten, insb. eines mit dem Verkäufer verbundenen Unternehmens erfüllt. Gem. § 139 BGB ist aber davon auszugehen, dass die Teilnichtigkeit der Vereinbarung den Eigentumsvorbehalt zugunsten der Lieferantin unberührt lässt.

Diesem Ergebnis steht auch das für Allgemeine Geschäftsbedingungen maßgebliche Verbot der geltungserhaltenden Reduktion nicht entgegen. Die Eigentumsvorbehaltsklausel ist nach ihrem Wortlaut ohne weiteres sinnvoll trennbar in den inhaltlich zulässigen Eigentumsvorbehalt zugunsten der Lieferantin und in den unzulässigen Konzernvorbehalt (BGH v. 18.11.1988 - V ZR 75/87, BGHZ 106, 19 [25] = MDR 1989, 434; Urt. v. 20.3.2002 - IV ZR 93/01, BGHReport 2002, 599 = MDR 2002, 833 = WM 2002, 1117 [1118]).

2. Eine weitere Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG liegt darin, dass das Berufungsgericht das auf Nr. 6b des Rahmenvertrages gestützte Hilfsvorbringen der Klägerin, von der Händlerin Sicherungseigentum an den finanzierten Fahrzeugen übertragen bekommen zu haben, übergangen hat. Auch auf diesen schlüssigen Sachvortrag, der die Klägerin zwar nicht zur Aussonderung der finanzierten Fahrzeuge nach § 47 InsO, wohl aber zur abgesonderten Befriedigung nach § 51 Nr. 1 InsO berechtigen würde, ist das Berufungsgericht ohne jeden erkennbaren Grund mit keinem Wort eingegangen. Das rechtfertigt die Annahme, dass der Vortrag zu dem von der Klägerin hilfsweise vorgebrachten Klagegrund vom Berufungsgericht nicht zur Kenntnis genommen und erwogen worden ist.

3. Die Verletzung der Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör rechtfertigt gem. § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das OLG. Dabei hat der Senat von der auch und gerade im Anwendungsbereich des § 544 Abs. 7 ZPO bestehenden Möglichkeit des § 563 Abs. 1 S. 2 ZPO Gebrauch gemacht.

 

Fundstellen

BGHR 2005, 939

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