Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsbeschwerde gegen Kostenentscheidung. Übereinstimmende Hauptsacheerledigungserklärung. Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache. Erfordernis der Rechtsfortbildung. Keine Prüfung im Rahmen der Rechtsbeschwerde gegen die Kostenentscheidung. Summarische Prüfung des materiellen Rechts

 

Leitsatz (amtlich)

Die Rechtsbeschwerde gegen Kostenentscheidungen des Berufungsgerichts nach § 91a ZPO ist nicht geeignet, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden, soweit es um Fragen des materiellen Rechts geht.

 

Normenkette

ZPO § 574 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

Saarländisches OLG (Beschluss vom 29.05.2002; Aktenzeichen 5 Verg 1/01)

LG Saarbrücken

 

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Saarländischen OLG v. 29.5.2002 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Der Streitwert des Berufungsverfahrens und der Wert des Vergleichs werden auf 56.927,52 DM = 29.106,58 EUR festgesetzt.

3. Streitwert des Beschwerdeverfahrens: Die Hälfte der bis zur Einlegung der Rechtsbeschwerde entstandenen Kosten.

 

Gründe

I. Der Kläger nahm die Beklagte aus einer bei ihr unterhaltenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung auf Zahlung von Rente und Beitragsbefreiung in Anspruch. Vor dem OLG haben die Parteien einen Vergleich geschlossen und streiten jetzt noch über die Kosten des Rechtsstreits, über die das Berufungsgericht nach § 91a ZPO entschieden hat.

Der Kläger unterrichtet, inzwischen als Oberstudienrat, am Gymnasium Mathematik, Biologie und Informatik. Er erlitt 1993 einen Verkehrsunfall, der zu einem halbseitigen Gesichtsfeldausfall bei beiden Augen führte. Wegen dieser Augenerkrankung beträgt der Grad seiner Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz 70 %. Die Schulbehörde hat deshalb seine Unterrichtsverpflichtung von 24 auf 19 Stunden reduziert bei vollem Gehalt.

Der Kläger behauptete, zu mindestens 50 % berufsunfähig zu sein, obwohl er 19 Stunden unterrichte. Sein über der Hälfte liegendes Unterrichtspensum beruhe auf einem überobligationsmäßigen Einsatz in verschiedener Hinsicht.

Das LG gab der Klage statt. Das OLG wies sie ab. Der Senat hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung und erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (BGH, Urt. v. 11.10.2000 - IV ZR 208/99, MDR 2001, 274 = BGHReport 2001, 68 = VersR 2001, 89).

Das Berufungsgericht hat die Parteien, insbesondere den Kläger, durch Aufklärungsbeschlüsse zu weiterem Sachvortrag veranlasst. Beweis hat es nicht mehr erhoben. Im Vergleich haben die Parteien sich darauf geeinigt, dass die Rentenansprüche durch Zahlung etwa des hälftigen Barwerts abgefunden werden, Beiträge i. H. v. 948,95 EUR durch die Beklagte erstattet werden und die Lebensversicherung mit eingeschlossener Unfallzusatzversicherung von September 1995 bis zu ihrem Ablauf beitragsfrei geführt wird. Sodann haben sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und um Kostenentscheidung nach § 91a ZPO gebeten.

Das Berufungsgericht hat die Kosten des Rechtsstreits den Parteien jeweils zur Hälfte auferlegt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde beantragt der Kläger, der Beklagten die gesamten Kosten aufzuerlegen.

II. 1. Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO mit Bindungswirkung für den BGH zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Rechtsbeschwerde hätte allerdings nicht zugelassen werden dürfen, wie die Beschwerdeerwiderung zutreffend ausführt. Die Rechtssache hat, anders als das Berufungsgericht meint, weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts i. S. v. § 574 Abs. 2 ZPO. Die Zulassung ist damit begründet worden, in der Rechtsprechung und in der rechtswissenschaftlichen Literatur sei bislang nicht abschließend geklärt, nach welchen Kriterien im Rahmen einer Gesamtschau zu beurteilen sei, ob eine Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % vorliege, wenn der Versicherte überobligationsmäßige Leistungen erbringe oder wenn er einzelne Tätigkeiten, die zu seinem Beruf gehörten, nicht mehr oder nur noch eingeschränkt ausüben könne.

a) Es ist nicht Zweck einer Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits nach § 91a ZPO, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden, soweit es um Fragen des materiellen Rechts geht. Die Kostenentscheidung ergeht, wenn der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, nur nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes. Grundlage der Entscheidung ist demgemäß lediglich eine summarische Prüfung, bei der das Gericht - auch bei einer Entscheidung im Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahren - grundsätzlich davon absehen kann, in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen der Verteilung der Kosten alle für den Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen abzuhandeln (BGH, Beschl. v. 8.5.2003 - I ZB 40/02, MDR 2003, 1195 = BGHReport 2003, 895 = NJW-RR 2003, 1075, unter 2 und Beschl. v. 16.11.1999 - KVR 10/98, NJW-RR 2000, 776, unter 1, jeweils m. w. N.; BVerfG v. 18.9.1992 - 1 BvR 1074/92, NJW 1993, 1060 f.).

b) Abgesehen davon handelt es sich bei der angeführten Zulassungsfrage weitgehend nicht um eine Rechtsfrage. Die wertende Gesamtschau aller Umstände, die bei der Feststellung der Berufsunfähigkeit nicht selten geboten sein wird, ist in erster Linie Sache des Tatrichters und im Revisions- und Rechtsbeschwerdeverfahren nach §§ 546, 576 Abs. 3 ZPO nur beschränkt nachprüfbar (vgl. BGH, Urt. v. 16.6.1993 - IV ZR 145/92, VersR 1994, 45 unter II 2a und b; Urt. v. 12.6.1996 - IV ZR 118/95, MDR 1996, 1244 = VersR 1996, 1090 unter II 3b bb; Wenzel in MünchKomm/ZPO, Aktualisierungsband, § 546 Rz. 15; Voit, Berufsunfähigkeitsversicherung, Rz. 310-316). Mangels abschließender Feststellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen läuft die Zulassung der Rechtsbeschwerde zudem auf die Klärung abstrakter Rechtsfragen hinaus. Das ist nicht der Zweck von § 574 Abs. 3 S. 1 ZPO.

2. Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

a) Das Berufungsgericht hat die Kosten den Parteien je zur Hälfte mit der Begründung auferlegt, nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Erledigungserklärungen sei völlig offen, aber auch nicht auszuschließen, dass der Kläger hätte nachweisen können, zu mindestens 50 % berufsunfähig zu sein. Ohne weitere Aufklärung und Beweisaufnahme zu mehreren Punkten - die auf S. 24 des angefochtenen Beschlusses zusammenfassend dargelegt sind - lasse sich nicht mit einiger Sicherheit vorhersagen, wie der Rechtsstreit ausgegangen wäre.

b) Die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts hält der allein gebotenen summarischen rechtlichen Nachprüfung stand. Der Kläger meint unter Hinweis auf BGHZ 123, 264 [266] (BGH v. 16.9.1993 - V ZR 246/92, BGHZ 123, 264 [266] = MDR 1994, 523) eine mindestens überwiegende Wahrscheinlichkeit seines Obsiegens hätte ausgereicht, die Kosten der Beklagten allein aufzuerlegen. Er zeigt aber nicht auf, dass das Berufungsgericht dies rechtsfehlerhaft verneint hat. Das Beschwerdevorbringen bewegt sich weitgehend im Bereich der im Rechtsbeschwerdeverfahren unbeachtlichen eigenen Sachverhaltswürdigung. Auch die Beschwerde räumt ein, dass einige Fragen in tatsächlicher Hinsicht noch nicht abschließend geklärt sind. Das betrifft u. a. den zeitlichen Mehraufwand insgesamt, den der Kläger benötigt, um seine schulischen Aufgaben zu erfüllen, die objektive Qualität seiner Leistungen und die Auswirkung seiner Sehbehinderung auf das Mikroskopieren. Schon das steht der Annahme entgegen, im Zeitpunkt der Erledigungserklärungen habe eine mindestens überwiegende Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen des Klägers bestanden. Eine solche Beurteilung hätte zudem kaum rechtsfehlerfrei vorgenommen werden können, weil das von beiden Parteien angeregte (erst noch einzuholende) berufskundliche Gutachten nicht vorlag.

III. Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren wird gem. § 25 Abs. 2 S. 2 GKG geändert.

Der Streitwert ist im ersten Berufungsverfahren und im Revisionsverfahren nach §§ 3, 9 ZPO (vgl. dazu Senatsbeschluss v. 25.11.1998 - IV ZR 199/98 - NVersZ 1999, 239 unter a) auf 56.927,52 DM festgesetzt worden (12.770,40 DM rückständige Rente und Beitragsrückzahlung bei Klageeinreichung, 42.000 DM künftige Rente und 2.157,12 DM Feststellung der künftigen Beitragsfreiheit). Nunmehr hat das Berufungsgericht den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 84.262,88 DM festgesetzt. Es hat hierbei die vollen Rentenbeträge von 80.000 DM für die Zeit von September 1995 bis zum Abschluss des Vergleichs im April 2002 zu Grunde gelegt, ferner eine bezifferte Beitragsrückforderung von 770,40 DM und die Beiträge von September 1996 bis April 2002 abzgl. 20 % Feststellungsabschlag i. H. v. 3.492,48 DM.

Diese Streitwertfestsetzung ist nicht richtig. Auch bei Abschluss eines Prozessvergleichs bleibt es dabei, dass für den Streitwert der bei Klageeinreichung noch nicht fälligen künftigen Ansprüche auf Rente und Beitragsbefreiung § 9 ZPO maßgebend ist (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 3 Rz. 16 Abfindungsvergleich, Vergleich; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 3 Rz. 68 Vergleich [Allgemeines], § 9 Rz. 17; Baumbach/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., Anh. nach § 3 Rz. 127; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 11. Aufl., Rz. 4567, 4569, 4675). Da durch den Vergleich (nur) die Ansprüche erledigt wurden, die bisher schon Gegenstand des Rechtsstreits waren, beträgt der Streitwert unverändert 56.927,52 DM = 29.106,58 EUR. Das ist auch der Wert des Vergleichs.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1143419

BB 2004, 1078

BGHR 2004, 977

EBE/BGH 2004, 2

FamRZ 2004, 1097

NJW-RR 2004, 1219

WM 2005, 394

ZAP 2004, 868

MDR 2004, 1015

VersR 2004, 1578

AGS 2004, 402

GuT 2004, 103

RVGreport 2005, 80

ProzRB 2004, 217

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