Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung rechtlichen Gehörs

 

Leitsatz (redaktionell)

Weicht ein Gericht in der Rechtsmittelinstanz erst im zweiten mündlichen Verhandlungstermin von der Rechtsauffassung der erstinstanzlichen Entscheidung ab und weist es in diesem Termin den Kläger darauf hin, dass er nun unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung nachvollziehbar darzulegen habe, ob und in welcher Höhe eine Forderung der Beklagten bestehe, muss es dem Kläger ausreichend Gelegenheit geben, sein Vorbringen zu ergänzen. Die Nichtberücksichtigung eines nicht nachgelassenen Schriftsatzes des Klägers mit dem geforderten Inhalt verletzt diesen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 544 Abs. 7

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 18.03.2003; Aktenzeichen 15 U 160/01)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des Einzelrichters des 15. Zivilsenats des KG v. 18.3.2003 zugelassen.

Auf das Rechtsmittel des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters des 15. Zivilsenats des KG v. 18.3.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 4. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 143.161,73 EUR

 

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich im Wege der Vollstreckungsgegenklage gegen die Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde.

Die beklagte Bank gewährte dem Kläger zwischen 1988 und 1991 acht durch Grundschulden über insgesamt 2.380.000 DM gesicherte Kredite mit unterschiedlichen Zinsfestschreibungszeiträumen.

Im Zusammenhang mit der Veräußerung des belasteten Grundstücks trafen die Parteien zur vorzeitigen Ablösung von Krediten im Februar 1996 eine Vereinbarung, nach der die Beklagte die offenen Kreditbeträge und die von ihr verlangte Vorfälligkeitsentschädigung von 113.995 DM von einem ihr verpfändeten Konto des Klägers anfordern sollte und in der sich der Kläger u.a. verpflichtete, zur Sicherstellung der nach der Ablösung verbleibenden Kredite eine Grundschuld über 280.000 DM auf einem anderen ihm gehörenden Grundstück eintragen zu lassen. Dabei behielt sich der Kläger vor, die Angemessenheit der von der Beklagten verlangten Vorfälligkeitsentschädigung gerichtlich überprüfen zu lassen.

Vereinbarungsgemäß bestellte der Kläger mit notarieller Urkunde v. 6.3.1996 die Grundschuld über 280.000 DM, übernahm in gleicher Höhe die persönliche Haftung und unterwarf sich der Zwangsvollstreckung in das belastete Grundeigentum sowie sein persönliches Vermögen.

Ferner überwies der Kläger zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus der Ablösungsvereinbarung einen Betrag ohne die von der Beklagten verlangte Vorfälligkeitsentschädigung. Nachdem die Beklagte die Zahlung des Restbetrages erfolglos angemahnt hatte, überwies sie den vom Kläger gezahlten Betrag zurück und vertrat in der Folgezeit die Auffassung, dass sie wirksam von der Ablösungsvereinbarung zurückgetreten sei.

Nach wechselseitiger Kündigung der Geschäftsbeziehung durch die Parteien im August 1999 betreibt die Beklagte die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde v. 6.3.1996. Sie hat die ihr zustehende Gesamtforderung zuletzt auf 775.994,32 DM für den Fall eines wirksamen Rücktritts von der Ablösungsvereinbarung und der Fortführung sämtlicher Kredite bis August 1999 berechnet. Für den Fall des Fortbestandes der Ablösungsvereinbarung beziffert sie ihre Gesamtforderung hilfsweise auf 352.358,24 DM. Der Kläger bestreitet die Richtigkeit der Forderungsberechnung der Beklagten und rechnet hilfsweise mit Gegenforderungen auf.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Das Berufsgericht hat sie abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Zur Begründung seiner vom Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die vom Kläger aufgenommenen Kredite seien auf der Grundlage der wirksamen fortbestehenden Ablösungsvereinbarung der Parteien abzurechnen. Die Beklagte habe ihrer Darlegungslast zum Bestand der gesicherten Forderungen jedenfalls nach dem ersten Verhandlungstermin im Berufungsverfahren genügt. Sie habe mit Schriftsatz v. 22.10.2002 schlüssig vorgetragen, dass ihre Forderung bei Fortbestehen der Ablösungsvereinbarung am 28.5.2002 352.358,24 DM betragen habe. Der Kläger habe die Abrechnung zwar in einzelnen Punkten beanstandet. Er habe aber bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar dargelegt, ob und in welcher Höhe die Forderung der Beklagten nach seiner Auffassung berechtigt sei. Dies gehe zu seinen Lasten. Ein Gericht sei - jedenfalls wenn ein umfängliches Rechenwerk zu erstellen sei - nicht verpflichtet, rechnerisch einen Parteivortrag aufzuarbeiten. Soweit der Kläger hilfsweise mit Schadensersatzansprüchen bzw. Gegenforderungen die Aufrechnung erklärt habe, habe er jedenfalls die Höhe der Ansprüche nicht schlüssig dargelegt.

Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene, nicht nachgelassene Schriftsatz des Klägers habe nicht berücksichtigt werden können (§ 296a ZPO). Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sei nicht geboten. Im zweiten Verhandlungstermin des Berufungsverfahrens sei ausführlich erörtert worden, dass der Kläger nachvollziehbar darzulegen habe, ob und in welcher Höhe eine Forderung der Beklagten bestehe. Das von ihm in diesem Termin vorgelegte Rechenwerk sei aus sich heraus nicht verständlich gewesen.

II.

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (BGH, Beschl. v. 11.5.2004 - XI ZB 39/03, MDR 2004, 1135 = BGHReport 2004, 1185 = WM 2004, 1407 [1408 f.]). Aus demselben Grund ist das angefochtene Urteil gem. § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten das Recht, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (BVerfG v. 24.3.1982 - 2 BvH 1/82, 2 BvH 2/82, 2 BvR 233/82, BVerfGE 60, 175 [210]; v. 17.5.1983 - 2 BvR 731/80, BVerfGE 64, 135 [143] = MDR 1983, 813; v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133 [144]). Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann. Ein Gericht verstößt gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn es ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfG v. 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188 [190]; v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133 [144 f.]; v. 7.10.2003 - 1 BvR 10/99, BVerfGE 108, 341 [345 f.]; v. 17.1.1994 - 1 BvR 245/93, NJW 1994, 1274; v. 12.6.2003 - 1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524).

a) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH darf eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht ihr rechtzeitig einen Hinweis erteilt, wenn es der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will (§ 139 ZPO). Außer zur Hinweiserteilung ist das Berufungsgericht auch verpflichtet, der betroffenen Partei Gelegenheit zu geben, auf den Hinweis zu reagieren und ihren Tatsachenvortrag zu ergänzen (BGH, Urt. v. 25.5.1993 - XI ZR 141/92, NJW-RR 1994, 566 [567]; v. 27.4.1994 - XII ZR 16/93, MDR 1994, 684 = WM 1994, 1823 [1824]; v. 27.11.1996 - VIII ZR 311/95, NJW-RR 1997, 441; v. 8.2.1999 - II ZR 261/97, MDR 1999, 758 = WM 1999, 1379 [1380]; v. 21.12.2004 - XI ZR 17/03, Umdr. S. 6; BVerfG, Beschl. v. 15.1.1991 - 1 BvR 1635/89, NJW 1992, 678 [679]; v. 12.6.2003 - 1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524). Hat ein Gericht erst in der mündlichen Verhandlung einen erforderlichen Hinweis erteilt, ist es zur Wiedereröffnung der bereits geschlossenen mündlichen Verhandlung verpflichtet, wenn die Partei hierauf entscheidungserhebliches Vorbringen in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz vorträgt (st.Rspr. zu § 156 a.F.: BGH, Urt. v. 7.10.1992 - VIII ZR 199/91, MDR 1993, 173 = WM 1993, 177 [178]; v. 8.2.1999 - II ZR 261/97, MDR 1999, 758 = WM 1999, 1379 [1381]; nunmehr § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Hiergegen hat das Berufungsgericht verstoßen. Es ist noch im ersten Verhandlungstermin in Übereinstimmung mit dem landgerichtlichen Urteil davon ausgegangen, dass die Beklagte ihrer Darlegungslast nicht entsprochen habe, hat deshalb die mündliche Verhandlung geschlossen und Termin zur Verkündung einer Entscheidung anberaumt. Erst auf das weitere Vorbringen der Beklagten hin hat es die Verhandlung wiedereröffnet und im zweiten Verhandlungstermin erstmalig den Kläger darauf hingewiesen, dass es den Vortrag der Beklagten nunmehr als schlüssig erachte und dass es jetzt die Aufgabe des Klägers sei, nachvollziehbar darzulegen, ob und in welcher Höhe bei Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung eine Forderung der Beklagten bestehe. Da der Kläger auf diesen Hinweis im Verhandlungstermin nicht angemessen reagieren konnte, hätte das Berufungsgericht ihm ausreichend Gelegenheit zur Ergänzung seines Vorbringens geben müssen, indem es ihm entweder eine Schriftsatzfrist bewilligte oder sogleich einen neuen Verhandlungstermin anberaumte. Jedenfalls hätte es auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz des Klägers hin, der die geforderte Abrechnung des Klägers enthielt, die mündliche Verhandlung wieder eröffnen müssen.

b) Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör auch in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO). Der Kläger hat in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz eine Abrechnung vorgelegt, die mit einem Saldo zu seinen Gunsten abschließt. Bei Berücksichtigung dieses Vortrages hätte das Berufungsgericht von seinem Standpunkt aus die Angriffe des Klägers gegen die Abrechnung der Beklagten in der Sache prüfen müssen und wäre möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt (BVerfG v. 20.4.1982 - 1 BvR 1242/81, BVerfGE 60, 247 [250]; v. 14.12.1982 - 2 BvR 434/82, BVerfGE 62, 392 [396]; v. 8.2.1994 - 1 BvR 765/89, 1 BvR 766/89, BVerfGE 89, 381 [392 f.]).

2. Die Verletzung des Klägers in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Dabei hat der Senat von der auch und gerade im Anwendungsbereich des § 544 Abs. 7 ZPO bestehenden Möglichkeit des § 563 Abs. 1 S. 2 ZPO Gebrauch gemacht.

Für das weitere Verfahren wird auf Folgendes hingewiesen: Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur fortbestehenden Wirksamkeit der Ablösungsvereinbarung v. 1./27.2.1996 begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Bei der Abrechnung der Kredite der Beklagten auf der Grundlage dieser Vereinbarung wird zu beachten sein, dass nicht die Beklagte, sondern der Kläger für das Nichtbestehen der gesicherten Forderungen darlegungs- und beweisbelastet ist, da es bezogen auf die am 6.3.1996 bestellte Grundschuld nicht um künftige Forderungen geht (BGH v. 10.11.1989 - V ZR 201/88, BGHZ 109, 197 [204] = MDR 1990, 324; Urt. v. 18.2.1992 - XI ZR 134/91, MDR 1992, 470 = WM 1992, 566). Soweit es auf die vom Kläger erklärte Hilfsaufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wegen Nichtfreigabe des Restbetrages auf dem der Beklagten verpfändeten Konto ankommen sollte, wird die Rechtskraft des Urteils des KG v. 20.3.2000 (KG, Urt. v. 20.3.2000 - 12 U 3985/98) zu berücksichtigen sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1332605

BGHR 2005, 936

AnwBl 2005, 80

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