Leitsatz (amtlich)

Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn ein Rechtsanwalt seiner Büroangestellten die Anweisung erteilt hat, den Namen des Berufungsklägers in der von ihm unterzeichneten Rechtsmittelschrift zu berichtigen, dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen und die Berufungsschrift anschließend per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu übermitteln, die Angestellte den Schriftsatz aber unverändert absendet.

 

Normenkette

ZPO § 233

 

Verfahrensgang

LG Schwerin (Beschluss vom 04.03.2003)

AG Wismar

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der Zivilkammer 6 des LG Schwerin v. 4.3.2003 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist.

Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.

Der Berufungskläger zu 2 hat die Kosten seiner Rechtsbeschwerde zu tragen, nachdem er diese zurückgenommen hat.

Der Gegenstandswert der Beschwerdeverfahren beträgt je 3.197,28 Euro.

 

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes auf Schadensersatz in Anspruch. Das AG hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 11.11.2002 zugestellt worden. Am 11.12.2002 hat ihr Prozessbevollmächtigter zunächst im Namen ihres Ehemannes Berufung eingelegt. Auf den am 30.12.2002 zugegangenen Hinweis des Gerichts hat er am 13.1.2003 auch in ihrem Namen Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen, die Bürokraft ihres Prozessbevollmächtigten, die Rechtsanwaltsfachangestellte F., habe am letzten Tag der Berufungsfrist einen Berufungsschriftsatz gefertigt, in dem fälschlicherweise nicht die Klägerin, sondern deren Ehemann als Berufungsführer aufgeführt gewesen sei. Dieses sei ihrem Prozessbevollmächtigtem nach der Unterzeichnung aufgefallen. Er habe Frau F. daraufhin angewiesen, das Rubrum zu berichtigen, dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen und die Berufungsschrift anschließend per Fax an das LG zu übermitteln. Zusätzlich habe er auf der zweiten Seite des Schriftsatzes einen gelben Klebezettel mit dem Vermerk angebracht: "falscher Berufungskläger - austauschen H. V.". Versehentlich habe Frau F. den unterzeichneten Schriftsatz ohne Änderung des Namens des Berufungsklägers an das Gericht gefaxt. Frau F. sei eine geschulte und sehr zuverlässige Angestellte, die, wie regelmäßige Kontrollen durch ihn ergeben hätten, Anweisungen bisher stets sorgfältig und ohne Beanstandungen ausgeführt habe. Der Ehemann der Klägerin hat seine Berufung später zurückgenommen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das LG die begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Hiergegen haben sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann Rechtsbeschwerde eingelegt. Letzterer hat seine Rechtsbeschwerde zurückgenommen. Die Klägerin hält ihre Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und wegen grundsätzlicher Bedeutung, jedenfalls aber zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für zulässig (§ 574 Abs. 2 Ziff. 2 und 1 ZPO).

II.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist gem. §§ 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf Grund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. BVerfG v. 28.2.1989 - 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372 [376 f.]; v. 14.12.2001 - 1 BvR 1009/01, NJW-RR 2002, 1004 [1005]).

Das Berufungsgericht übersieht, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Anwalts (§§ 85 Abs. 2, 233 ZPO) an der Fristversäumung grundsätzlich nicht gegeben ist, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 26.9.1995 - XI ZB 13/95, MDR 1996, 195 = VersR 1996, 348; v. 18.3.1998 - XII ZB 180/96, NJW-RR 1998, 1360 f.; v. 6.7.2000 - VII ZB 4/00, MDR 2000, 1158 = NJW 2000, 2823; v. 2.7.2001 - II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60; v. 1.7.2002 - II ZB 11/01, BGHReport 2002, 950 = MDR 2002, 1095 = NJW-RR 2002, 1289 f.; v. 23.10.2003 - V ZB 28/03, z. V. b.). Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt (vgl. BGH, Beschl. v. 4.11.2003 - VI ZB 50/03, z. V. b.; v. 23.4.1997 - XII ZB 56/97, NJW 1997, 1930; v. 27.2.2003 - III ZB 82/02, MDR 2003, 763 [764] = BGHReport 2003, 511). So liegt der Fall hier, denn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte seiner Angestellten F. konkret aufgetragen, die von ihm unterzeichnete Berufungsschrift zu berichtigen, dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen und die Berufungsschrift anschließend per Fax an das LG zu übermitteln. Hätte Frau F. diese Einzelanweisung befolgt, wäre die Berufungsfrist gewahrt worden.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts traf den Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht die Pflicht, die ordnungsgemäße Ausführung der Korrektur zu überprüfen (vgl. BGH, Beschl. v. 10.2.1982 - VIII ZB 76/81, VersR 1982, 471; v. 27.2.2003 - III ZB 82/02, BGHReport 2003, 511 = MDR 2003, 763 [764]). Eine besondere Kontrolle wäre allenfalls dann notwendig gewesen, wenn die Rechtsmittelschrift mehrere für die Zulässigkeit relevante Fehler aufgewiesen hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 18.10.1994 - XI ZB 10/94, MDR 1995, 529 = VersR 1995, 558). Das war hier nicht der Fall. Wenn die Berufungsschrift entsprechend der Anordnung des Prozessbevollmächtigten korrigiert worden wäre, hätte sie den sich aus § 519 ZPO ergebenden Anforderungen genügt. Insbesondere wäre die Klägerin als Partei des Berufungsverfahrens hinreichend deutlich bezeichnet gewesen. Dem steht nicht entgegen, dass es auf der zweiten Seite der Rechtsmittelschrift heißt, die Berufung werde "namens des Berufungsklägers" eingelegt. Mängel der Parteibezeichnung in Rechtsmittelschriften sind unbeachtlich, wenn sie in Anbetracht der jeweiligen Umstände keinen vernünftigen Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers oder des Rechtsmittelbeklagten offen lassen (BGH, Beschl. v. 7.11.1995 - VI ZB 12/95, MDR 1996, 92 = VersR 1996, 251; Urt. v. 15.12.1998 - VI ZR 316/97, MDR 1999, 625 = VersR 1999, 900; v. 19.2.2002 - VI ZR 394/00, BGHReport 2002, 518 = MDR 2002, 713 = VersR 2002, 777). Wenn die Partei eines Berufungsverfahrens namentlich und mit zutreffender Angabe ihrer Wohnungsanschrift benannt wird, ist es für ihre Identifizierung grundsätzlich ohne Belang, wenn sie statt als "Berufungsklägerin" versehentlich als "Berufungskläger" bezeichnet wird. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht, hätten im Streitfall bei ordnungsgemäßer Ausführung der angeordneten Korrektur der Rechtsmittelschrift keine vernünftigen Zweifel daran bestanden, dass die Berufung im Namen der Klägerin eingelegt werden sollte.

 

Fundstellen

Inf 2004, 172

BGHR 2004, 622

EBE/BGH 2004, 3

NJW-RR 2004, 711

ZAP 2004, 463

MDR 2004, 477

VersR 2005, 138

IVH 2004, 59

NJW-Spezial 2004, 48

RENOpraxis 2004, 113

BRAK-Mitt. 2004, 75

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