Entscheidungsstichwort (Thema)

Beihilfe zur Vermittlung chancenloser Vermögensanlagen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Wertpapierhandelsbank leistet Beihilfe zur vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung von Anlegern durch die Vermittlung von chancenlosen Vermögensanlagen, wenn sie im Rahmen der Zulassung von Aktien zum Handel im regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse (FWB) unter besonders leichtfertiger Verletzung ihrer Berufspflichten als Zulassungsantragstellerin und Spezialistin gemäß §§ 85 ff. Börsenordnung FWB der dreisten Forderung der Emittentin kritiklos nachgibt, den durch die Wertpapierhandelsbank als Spezialistin gemäß § 89 Abs. 2 Börsenordnung zu stellenden ersten indikativen Quote bzw. Preis auf das 15.000-fache des Aktiennennwerts festzusetzen, obwohl die schwedische Emittentin entgegen § 3 Abs. 1 BörsZulV erst seit einem halben Jahr operativ tätig ist, die bisher nur in Schweden am offenen Markt gehandelten Aktien entgegen § 9 Abs. 1 BörsZulV zu über 80 % von einer Person gehalten werden, für den Jahresabschluss nach Aufnahme der operativen Tätigkeit und nach Erwerb des in immateriellem Anlagevermögen bestehenden einzigen wesentlichen Vermögensgegenstands der Emittentin kein qualifiziertes Wirtschaftsprüfertestat vorliegt und darüber hinaus die einzige realistische Einnahmequelle der Emittentin - ein Cashback-Scanner - auch nach deren eigener Auskunft gerade erst die Marktreife erreicht und sich am Markt noch nicht bewährt hat.

2. Die Wertpapierhandelsbank verschließt sich dabei jedenfalls bewusst der Erkenntnis, dass die Aktien der Emittentin bei Erwerb zu diesem Preis für den Anleger keine Gewinnchancen bergen.

 

Normenkette

BGB §§ 826, 830; BörsO FWB § 89; BörsZulV §§ 3, 9

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 11.03.2020; Aktenzeichen 2-28 O 243/18)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 10.11.2022; Aktenzeichen III ZR 13/22)

 

Tenor

Das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11.03.2020 (2-28 O 243/18) wird auf die Berufung des Klägers hin abgeändert wie folgt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.706,08 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.12.2018 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte und Herausgabe 5.000 Stück Aktien der A Group, WKN: ..., ISIN: ....

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 16.000,- EUR festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger verfolgt mit der Berufung nach Klageabweisung in erster Instanz gegen die Beklagte seine erstinstanzlich gestellten Anträge weiter, gerichtet auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzungen der Beklagten im Rahmen der Begleitung des deutschen Börsengangs der heute als A Group firmierenden schwedischen Aktiengesellschaft X1 AB unter Leitung des aus Australien stammenden Vorstands Vorname1 B (im Folgenden: X), der jedenfalls über die Muttergesellschaft der X2 AB auf Konten der schwedischen Bank1 AB auch einen Großteil der X-Aktien hielt.

Die Beklagte betreibt eine Wertpapierhandelsbank in Frankfurt am Main und ist insbesondere im Bereich Aktienhandel und Emissionsbetreuung tätig. Die X verfügte über ein Stammkapital von 72.750,- EUR, das kleinteilig in 363 Millionen auf den Inhaber lautende Stammaktien mit einem Nennwert von nur jeweils 0,0 002 EUR bzw. 0,02 Cent aufgeteilt war (Schwedischer Handelsregisterauszug, Anlage K 7).

In den Jahren 2009 bis Ende 2013 war X nicht kommerziell tätig, sondern existierte nur als Vorratsgesellschaft mit einem Aktienvermögen von 11.000,- EUR. Erst im Jahr 2014 begann die Geschäftstätigkeit der X.

Die Aktien der X waren zunächst am nicht regulierten "Swedish open market Aktie Torget" notiert, so dass die Erstellung eines Verkaufsprospekts nicht erforderlich war.

Mit dem "Engagement Agreement" von Ende Januar 2014 zwischen dem verbundenen Unternehmen der Beklagten Y1 GmbH (im Folgenden: Y) und der X verpflichtete sich Y gegen eine Vergütung von 80.000,- EUR die Zulassung und Börsennotierung der X-Aktien am regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse (im Folgenden: FWB) zu begleiten, und zwar im Spezialistenmodell. Mit Zulassung in Frankfurt sollte die Notierung am "Swedish open market Aktie Torget" enden. Nach Ziff. 2.5 des Agreements ist sich X bewusst, dass zur Bestimmung eines ersten indikativen Quotes ("first quote price") eine sorgfältige Unternehmensbewertung erforderlich ist und dass Y zu diesem Zweck die Durchführung einer "due diligence" anbietet. Nach Ziff. 3 des Agreements sollte Y in dem Rahmen die Prospektverantwortung tragen. Wegen der Einzelheiten wird auf das "Engagement Agreement" in der Anlage K 26, Bl. 183 ff. d. A. verwiesen.

Gesellschaftszweck der X ab dem Jahr 2014 war der Betrieb der Social-...

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