Jahrelang gab es bei den Preisen für Wohnimmobilien nur eine Richtung: steil nach oben. Damit könnte in Kürze Schluss sein. Experten gehen davon aus, dass der Boom bald endet und immer mehr Käufergruppen aus dem Markt fallen. Ein Grund dafür sind die steigenden Zinsen.

Nach mehr als 10 Jahren Immobilienboom am deutschen Wohnungsmarkt können sich vor allem wegen der steigenden Zinsen immer weniger Leute den Kauf einer Wohnung oder eines Hauses leisten, sagt Michael Voigtländer, Experte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Bisher seien Vorzieheffekte zu sehen, also Menschen, die noch schnell Immobilien kaufen wollten – im 2. Quartal 2022 sei dann eine Wende zu sehen.

"Klar ist, dass mit rapide steigenden Zinsen mehr und mehr Käufergruppen aus dem Markt fallen", meint Voigtländer. Auch bei großen Investoren ändere sich das Bild: Die seien nicht mehr bereit, angesichts des hohen Zinsniveaus jeden Preis zu bezahlen. Denkbar ist laut Voigtländer auch eine längere Preisstagnation, bis der Markt über steigende Einkommen wieder ein Gleichgewicht gefunden habe.

Höhere Finanzierungskosten dämpfen Nachfrage bei Wohnimmobilien

Die Zinsen für 10-jährige Standardkredite sind nach Angaben der Frankfurter FMH-Finanzberatung seit Dezember 2021 von 0,9 % auf zuletzt rund 2,5 % in die Höhe geschossen. Das sei der schnellste Anstieg seit 1980, Tendenz steigend, glaubt FMH: "Zinssätze von 4 % in diesem Jahr sind keine Schwarzmalerei, sondern sehr realistisch."

Stefan Mitropoulos, Ökonom bei der Landesbank Helaba, geht davon aus, dass die deutlich höheren Finanzierungskosten die Nachfrage nach Wohnimmobilien insgesamt dämpfen und stärker in das preisgünstigere weitere Umland der großen Städte lenken wird. Damit sollte sich im Jahresverlauf der Preisanstieg am Wohnungsmarkt "spürbar verlangsamen", meint Mitropoulos.

Aufwärtszyklus am Wohnungsmarkt vor dem Ende

In den vergangenen Jahren sind die Immobilienpreise immer schneller gestiegen. Im Jahr 2021 mussten Käufer für Wohnungen und Häuser im Schnitt 11 % mehr zahlen als ein Jahr zuvor. Die Immobilienpreise in den Städten lägen zwischen 15 % und 40 % über dem Preis, der sich fundamental begründen lasse, warnte die Bundesbank im Frühjahr 2022.

Nach Berechnungen der Deutschen Bank läuft der Aufwärtszyklus am Wohnungsmarkt im Jahr 2024 aus. Die Preisüberbewertungen nähmen zu, während in der Pandemie weniger Menschen nach Deutschland gezogen seien und der Neubau dynamisch zugelegt habe, erklärte Experte Jochen Möbert. Er rechnet jedoch nicht mit Preiseinbrüchen, sondern eher mit einer "verhaltenen Preiskorrektur".

Immobilienaktien stürzen ab

An der Börse ist die Unsicherheit schon spürbar. Die Aktien von Immobilienkonzernen wie Vonovia sind abgestürzt, da Investoren die Aussichten der Branche im Zinsanstieg kritisch beäugen. Und auch Entwickler von Wohnungs- und Gewerbeprojekten bekommen Gegenwind.

Kreditgeber vorsichtig

Während die Finanzierungskosten weiter steigen, seien Banken bei Krediten zurückhaltender, berichtete die Analysefirma Bulwiengesa. Auch am lange boomenden Bau läuft es nicht mehr rund. In einer Umfrage des Ifo-Instituts klagten kürzlich rund die Hälfte der Hochbau- und Tiefbauunternehmen über Lieferengpässe, so viele wie noch nie seit Beginn der Erhebungen 1991. "Neue Projekte sind kaum kalkulierbar", so Ifo-Experte Felix Leiss.

Baukosten bleiben hoch

"Der seit 2009 laufende Bauboom steht nicht vor dem Ende, aber trübt sich ein", ergänzte Björn Reineke, Partner bei der Strategieberatung EY-Parthenon, das Bild. Er bleibt allerdings zuversichtlich. So treibe der enorme Bedarf an energetischen Sanierungen die Branche langfristig an.

Die Baupreise, die im Jahr 2021 um 9 % gestiegen sind, dürften aber hoch bleiben. Für private Bauherren werde es nicht billiger, so Reineke. Kosten für Baumaterial und Zinsen seien hoch, künftige Vorhaben würden wegen der Inflation und Zinssteigerungen "mit spitzerem Bleistift gerechnet".

Wohnungsneubau hinkt hinterher

Dass ein starker Neubau den Wohnungsmangel in den deutschen Ballungszentren beseitigt, erwarten die Experten nicht. Im vergangenen Jahr wurden überraschend nur rund 293.000 Wohnungen fertiggestellt. Das ist eine Zahl meilenweit entfernt vom Neubauziel der Bundesregierung von 400.000 Wohnungen jährlich. Wohnraum bleibt vielerorts ein knappes und teures Gut.

Helaba-Experte Mitropoulos glaubt deshalb auch nicht an Preiseinbrüche. Die steigenden Zinsen sprächen für eine langsamere Gangart. "In unserem Basisszenario, in dem sich der Zinsanstieg nicht in diesem Tempo fortsetzt und die deutsche Volkswirtschaft nicht in eine Rezession gerät, ist aber eine Abschwächung am hiesigen Immobilienmarkt viel wahrscheinlicher als eine Korrektur."

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