Leitsatz (amtlich)

Während des Insolvenzverfahrens ist die Einzelzwangsvollstreckung wegen einer Insolvenzforderung in den Freistellungsanspruch des Schuldners gegen dessen Haftpflichtversicherer unzulässig, sofern der Gläubiger seine persönliche Forderung und nicht das Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Schuldners verfolgt.

 

Normenkette

InsO § 89 Abs. 1; VVG § 110

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Beschluss vom 05.11.2012; Aktenzeichen 52 T 69/12)

AG Hannover (Entscheidung vom 31.08.2012; Aktenzeichen 715 M 155469/12)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 52. Zivilkammer des LG Hannover vom 5.11.2012 wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 7.644,29 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Gläubigerin hat wegen einer durch vorläufig vollstreckbares Urteil titulierten Geldforderung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihrer Schuldnerin im Wege der Sicherungsvollstreckung nach § 720a ZPO die Pfändung der Forderung der Schuldnerin gegen ihren Haftpflichtversicherer beantragt. Sie behauptet, der Insolvenzverwalter habe die zu pfändende Forderung aus der Insolvenzmasse freigegeben. Das Vollstreckungsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Pfändungsantrag weiter.

II.

Rz. 2

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 793 ZPO) und auch im Übrigen zulässig. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Rz. 3

1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die beabsichtigte Einzelzwangsvollstreckung sei unzulässig. Die Gläubigerin sei als Insolvenzgläubigerin (§ 38 InsO) vom Vollstreckungsverbot des § 89 InsO betroffen, weil der Deckungsanspruch der Schuldnerin nach seiner Freigabe durch den Insolvenzverwalter in deren sonstiges Vermögen i.S.v. § 89 Abs. 1 InsO falle.

Rz. 4

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Der von der Gläubigerin betriebenen Zwangsvollstreckung steht das als Vollstreckungshindernis von Amts wegen zu beachtende (BGH, Beschl. v. 17.4.2013 - IX ZB 300/11, WM 2013, 939 Rz. 8 m.w.N.) Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO entgegen. Hiernach sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.

Rz. 5

a) Die Gläubigerin gehört zu den von dem Vollstreckungsverbot betroffenen Gläubigern. Mit ihrem Antrag auf Erlass eines Pfändungsbeschlusses betreibt sie die Sicherungsvollstreckung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen und vorläufig vollstreckbar titulierten persönlichen Anspruchs. Hinsichtlich dieses Anspruchs ist sie deshalb Insolvenzgläubigerin (§ 38 InsO). Sie wäre nur dann nicht von § 89 Abs. 1 InsO betroffen, wenn mit dem Pfändungsantrag nicht die persönliche Forderung vollstreckt, sondern ein Absonderungsrecht verwertet werden sollte (BGH, Beschl. v. 12.2.2009 - IX ZB 112/06, WM 2009, 807 Rz. 4; Breuer in MünchKomm/InsO, 3. Aufl., § 89 Rz. 11, 18, 21; HK-InsO/Kayser, 7. Aufl., § 89 Rz. 7; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 89 Rz. 20; FK-InsO/App, 7. Aufl., § 89 Rz. 6). So liegt der Fall jedoch nicht.

Rz. 6

aa) Die Rechtsbeschwerde macht allerdings mit Recht geltend, dass die Gläubigerin als Haftungsgläubigerin wegen des ihr gegen die Schuldnerin zustehenden Haftungsanspruchs gem. § 110 VVG abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch der Schuldnerin gegen deren Haftpflichtversicherer verlangen kann, nachdem über das Vermögen der Schuldnerin als Versicherungsnehmerin das Insolvenzverfahren eröffnet ist.

Rz. 7

(1) Gemäß § 110 VVG kann der geschädigte Dritte wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen, wenn über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Dies stellt sicher, dass die Versicherungsleistung dem geschädigten Dritten und nicht den Gläubigern des Versicherungsnehmers zugutekommt; letzteres widerspräche der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung zugunsten des Dritten (MünchKomm/VVG/Littbarski, § 110 Rz. 5 f.; Bruck/Möller/Koch, VVG, 9. Aufl., § 110 Rz. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter, VVG, 2. Aufl., § 110 Rz. 1; vgl. auch BGH, Urt. v. 15.11.2000 - IV ZR 223/99, VersR 2001, 90, 91). Materiell-rechtlich erlangt der Dritte wegen § 110 VVG in der Insolvenz des Schädigers ein gesetzliches Pfandrecht am Freistellungsanspruch (BGH, Urt. v. 28.3.1996 - IX ZR 77/95, VersR 1997, 61, 62 m.w.N.; v. 2.4.2009 - IX ZR 23/08, WM 2009, 960 Rz. 7; vgl. auch Ganter in MünchKomm/InsO, 3. Aufl., § 50 Rz. 115; a.A. - im Sinne eines dem gesetzlichen Pfandrecht lediglich ähnlichen Rechts - etwa Jaeger/Henckel, InsO, Vor §§ 49-52 Rz. 20, 22).

Rz. 8

(2) Das Absonderungsrecht nach § 110 VVG entsteht bei Vorliegen eines Schadensfalls schon mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des versicherten Schädigers, auch wenn der Haftpflichtanspruch noch nicht mit bindender Wirkung für den Versicherer (§ 106 Satz 1 VVG) festgestellt ist (vgl. Bruck/Möller/Koch, a.a.O., § 110 Rz. 5; Prölss/Martin/Lücke, VVG, 28. Aufl., § 110 Rz. 3; Thole, NZI 2013, 665, 667). Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob auch ein lediglich vorläufig vollstreckbares Urteil, das Grundlage der von der Gläubigerin betriebenen Sicherungsvollstreckung ist, die Fälligkeit des Deckungsanspruchs nach § 106 Satz 1 VVG auslösen kann (so Prölss/Martin/Lücke, a.a.O., § 106 Rz. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter, a.a.O., § 106 Rz. 4; a.A. MünchKomm/VVG/Littbarski, a.a.O., § 106 Rz. 17; Bruck/Möller/Koch, a.a.O., § 106 Rz. 9; jeweils m.w.N.).

Rz. 9

bb) Mit dem Antrag auf Pfändung des Freistellungsanspruchs macht die Gläubigerin jedoch nicht ihr Absonderungsrecht geltend.

Rz. 10

(1) Aufgrund der Regelung in § 110 VVG verfügt die Gläubigerin bereits über ein Pfandrecht, mindestens über ein pfandrechtsähnliches Recht an dem Freistellungsanspruch der Schuldnerin. Gemäß dem hiernach anwendbaren § 50 Abs. 1 InsO sind Gläubiger, die an einem Gegenstand der Insolvenzmasse ein Pfandrecht haben, nach Maßgabe der §§ 166 bis 173 InsO für Hauptforderung, Zinsen und Kosten zur abgesonderten Befriedigung an dem Pfandgegenstand berechtigt. Ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 166 Abs. 2 InsO besteht nicht (vgl. BGH, Urt. v. 11.4.2013 - IX ZR 176/11, WM 2013, 935 Rz. 15 m.w.N.). Der deshalb gem. § 173 Abs. 1 InsO selbst zur Verwertung berechtigte Gläubiger kann sein Absonderungsrecht entsprechend den auf sein Sicherungsrecht anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen außerhalb des Insolvenzverfahrens durchsetzen (vgl. Landfermann in HK/InsO, 7. Aufl., § 173 Rz. 2; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, 13. Aufl., § 173 Rz. 3; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2009, § 173 Rz. 7). Als Inhaberin eines Pfandrechts könnte die Gläubigerin entweder die Forderung der Schuldnerin gegen ihren Haftpflichtversicherer unmittelbar einziehen (§§ 1282 Abs. 1, 1228 Abs. 2 BGB), nach Feststellung des Haftungsanspruchs somit unmittelbar vom Versicherer Zahlung verlangen (vgl. BGH, Urt. v. 17.3.2004 - IV ZR 268/03, VersR 2004, 634, 635 m.w.N.; Bruck/Möller/Koch, a.a.O., § 110 Rz. 9 ff.; Ganter in MünchKomm/InsO, 3. Aufl., § 51 Rz. 236; HK-InsO/Lohmann, 7. Aufl., § 51 Rz. 53; Thole, NZI 2013, 665, 667). Einer vorherigen Pfändung bedarf es in diesem Fall nicht. Alternativ könnte die Gläubigerin nach §§ 1282 Abs. 2, 1277 BGB Befriedigung aus dem mit dem Pfandrecht belasteten Recht suchen. Erforderlich wäre hierfür ein dinglicher Titel auf Duldung der Zwangsvollstreckung oder auf Gestattung der Befriedigung aus dem verpfändeten Recht (vgl. BGH, Beschl. v. 19.3.2004 - IXa ZB 199/03, BGHReport 2004, 1323; RGZ 103, 137, 139; Staudinger/Wiegand, BGB, 2009, § 1277 Rz. 2). Aus einem solchen Titel geht die Gläubigerin nicht vor. Sie betreibt vielmehr die Sicherungsvollstreckung aus einem persönlichen Zahlungstitel. Mit ihrem Absonderungsrecht aus § 110 VVG hat dies nichts zu tun.

Rz. 11

(2) Nichts anderes gilt, wenn der Insolvenzverwalter, wie von der Gläubigerin behauptet, den Freistellungsanspruch der Schuldnerin gegen ihren Haftpflichtversicherer freigegeben hat. Das nach § 110 VVG materiell-rechtlich entstandene Pfandrecht am Deckungsanspruch erlischt durch die Freigabe nicht (BGH, Urt. v. 28.3.1996 - IX ZR 77/95, WM 1996, 835, 837 m.w.N.; v. 2.4.2009 - IX ZR 23/08, WM 2009, 960 Rz. 7). Seine Verwertung erfolgt auch in diesem Fall nach den vorstehend angeführten gesetzlichen Bestimmungen. Der Antrag auf Pfändung dient dieser Verwertung nicht.

Rz. 12

b) Vollstreckt die Gläubigerin mithin als Insolvenzgläubigerin ihre persönliche Forderung, greift das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO. Dieses gilt für Vollstreckungen in die Insolvenzmasse wie auch in das sonstige Vermögen des Schuldners. Auf die von der Gläubigerin behauptete Freigabe des Deckungsanspruchs kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht an. Denn die vom Insolvenzverwalter aus der Masse freigegebenen Gegenstände gehören zu dem sonstigen Vermögen des Schuldners i.S.v. § 89 Abs. 1 InsO (BGH, Urt. v. 19.1.2006 - IX ZR 232/04, BGHZ 166, 74 Rz. 26; Beschl. v. 12.2.2009 - IX ZB 112/06, WM 2009, 807 Rz. 12). Die Zuordnung freigegebener Gegenstände zum sonstigen Vermögen des Schuldners und damit deren Einbeziehung in den Vollstreckungsschutz des § 89 Abs. 1 InsO soll es dem Schuldner ermöglichen, noch während des Insolvenzverfahrens eine neue wirtschaftliche Existenz zu begründen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.2.2009, a.a.O., Rz. 11 m.w.N.). Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, der Freistellungsanspruch des insolventen Versicherungsnehmers sei hiervon auszunehmen, weil er für dessen neue wirtschaftliche Existenz nicht erforderlich sei und ein Ausschluss der Einzelzwangsvollstreckung lediglich dem Haftpflichtversicherer zugutekomme, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Unbillige Ergebnisse sind nicht zu befürchten. Dem Haftungsgläubiger bleibt es unbenommen, seine Rechte aus § 110 VVG entsprechend den aufgezeigten gesetzlichen Verfahrensweisen zu verfolgen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 7358314

DB 2014, 2464

DB 2014, 7

EBE/BGH 2014

NJW-RR 2015, 821

EWiR 2015, 17

WM 2014, 2057

WuB 2015, 86

ZIP 2014, 2090

DZWir 2015, 33

JZ 2014, 699

MDR 2014, 1351

NJ 2014, 6

NZI 2014, 998

Rpfleger 2015, 92

VersR 2015, 497

ZInsO 2014, 2164

InsbürO 2014, 534

KSI 2015, 41

NJW-Spezial 2014, 54

NJW-Spezial 2015, 54

RENOpraxis 2014, 278

VE 2014, 206

VK 2015, 14

ZVI 2014, 452

FMP 2015, 15

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