
Die Preise für Wohnimmobilien steigen derzeit gerade in Ballungsräumen weit schneller als die Miete. Das ist bedenklich, da Neuinvestments immer riskanter werden. Offene Immobilienfonds zeigen trotzdem wachsendes Interesse an der früher eher ungeliebten Nutzungsklasse.
Die Immobilienmärkte ticken weiter im Boommodus. Vor allem bei Wohnimmobilien werden Stimmen lauter, die vor einer Blasenbildung warnen. Bereits vor einigen Monaten wies etwa der Chefvolkswirt der Commerzbank auf die bedenkliche Entwicklung hin, dass die Relation zwischen Häuserpreisen und Mieten immer weiter auseinanderdriftet. Sie liege nur noch weniger als fünf Prozent unter dem Niveau von Anfang 2008, als sich in einigen Euro-Ländern am Immobilienmarkt gefährliche Blasen gebildet hatten, gibt der Experte zu bedenken.
Die Finanzkrise ließ sie platzen. Und es dauerte in einigen Ländern viele Jahre, bis die Folgen wenigstens halbwegs überwunden waren. Dass die aktuelle Entwicklung brisant ist, haben die meisten Marktteilnehmer realisiert. Dennoch hält das viele von ihnen nicht von weiteren Investments ab. Auch offene Immobilienfonds intensivieren ihr Engagement.
Offene Immobilienfonds zurück an der Spitze der Wohnimmobilienkäufer
Laut Immobiliendienstleister JLL steckten offene Publikums- und Spezialfonds allein im ersten Halbjahr dieses Jahres 3,6 Milliarden Euro in den Erwerb von Wohnimmobilien und somit fast genauso viel wie im gesamten vergangenen Jahr. Sie rangierten damit erstmals seit vielen Jahren wieder an der Spitze der Wohnimmobilienkäufer.
"Auch wenn der enorme Zuwachs vor allem einem Mega-Deal zu verdanken ist, zeichnet sich dennoch der Trend ab, dass Immobilienfonds ganz heiß auf Wohnimmobilien sind." Helge Scheunemann, Head of Research Germany bei JLL
Er verweist auf die deutlich geschrumpften Spreads der Renditen von Wohn- und Gewerbeimmobilien. Er reduzierte sich zum Beispiel bei Wohn- und Büroobjekten in Berlin im Schnitt von Ende 2015 bis Mitte 2019 von 1,4 auf 0,35 Prozentpunkte.
Entwicklung der Renditen und des Spreads von Wohn- und Büroimmobilien in Berlin und Frankfurt
Q4/2015 Angaben in % | Q4/2016 Angaben in % | Q4/2017 Angaben in % | Q4/2018 Angaben in % | Q2/2019 Angaben in % | |
Büro (Berlin) | 4,00 | 3,30 | 2,90 | 2,90 | 2,90 |
Wohnen (Berlin) | 2,60 | 2,60 | 2,60 | 2,55 | 2,55 |
Büro (Frankfurt) | 4,35 | 3,80 | 3,25 | 3,15 | 2,95 |
Wohnen (Frankfurt) | 3,05 | 3,00 | 2,85 | 2,75 | 2,70 |
Spread (Berlin) | 1,40 | 0,70 | 0,30 | 0,35 | 0,35 |
Spread (Frankfurt) | 1,30 | 0,80 | 0,40 | 0,40 | 0,25 |
Einer aktuellen Studie der Branchenexperten von Scope zufolge wollen fast 75 Prozent der befragten Fondsmanager in den nächsten drei Jahren ihr Wohnimmobilienportfolio mitunter erheblich aufstocken.
"Aus Rendite-Risiko-Abwägungen ist es deshalb sinnvoll, Immobilienportfolien breiter zu diversifizieren und neben Gewerbe- auch in Wohnimmobilien zu investieren." Sonja Knorr, Leiterin der Immobilienfondsanalyse bei Scope Analysis
"Bislang handelt es sich jedoch noch um eine Investmentnische", relativiert Knorr. Doch das könnte sich schnell ändern.
So sollen in den kommenden fünf Jahren bis zu drei Milliarden Euro des zweitgrößten deutschen offenen Immobilienpublikumsfonds hausinvest (Fondsvermögen: knapp 15 Milliarden Euro) der Commerz Real in Wohnimmobilien investiert werden. Der erste Deal, ein Neubauprojekt in Darmstadt mit fast 200 Wohnungen, ist eingetütet, wovon ein Viertel öffentlich gefördert ist. Der zweite folgte vor wenigen Tagen: ein Bauvorhaben in Dresden in der gleichen Größenordnung. Bei Erreichen des Zielvolumens könnte das Wohnimmobilienportfolio 8.000 bis 10.000 Einheiten umfassen. Investiert werden soll auch bei weiteren Käufen vorwiegend in Projektentwicklungen.
"Die Investments erfolgen dabei meist in Form von Forward Deals." Michael Bender, Senior Team Leader Residential Investment bei JLL
Inzwischen werde jeder dritte Deal bei Wohnimmobilien über eine Forward-Deal-Struktur realisiert, 2015 seien es erst 15 Prozent gewesen. Das Motiv: "Forward Deals ermöglichen es Käufern, sich vorzeitig interessante Objekte in attraktiven Lagen zu sichern", fügt er hinzu.
Fonds sucht Immobilie
Geeignete Immobilien zu finden ist nicht leicht. Bei offenen Immobilienpublikumsfonds haben Union Investment und Commerz Real vorgemacht, wie man mit einem professionellen Partner schnell auf ungewohntem Terrain Fuß fasst. Die Commerz Real verlässt sich hierbei auf die Expertise des Wohnimmobilienspezialisten Wertgrund.
"Unsere Aufgabe ist es passende Objekte zu finden sowie sich später um deren Vermietung und Verwaltung zu kümmern." Thomas Meyer, Vorstandschef der Wertgrund Immobilien AG
Ein hoher Anteil der Investments soll in öffentlich geförderten Wohnraum mit Mietpreisbindung fließen. Ähnlich sieht die Strategie von Catella aus. Die Skandinavier setzen beim Erwerb von Wohnimmobilien in Deutschland für ihre Spezialfonds auch auf Projektentwicklungen mit öffentlicher Förderung. Zumal Kommunen bei der Vergabe von Baugenehmigungen verstärkt ihren Einfluss geltend machen würden, so Thomas Beyerle, Geschäftsführer von Catella Property Valuation. Und fürs Image dürften sie ebenfalls vorteilhafter sein als der Erwerb von Bestandsimmobilien.
Diese Sichtweise teilt Meyer: Bezahlbarer Wohnraum sei insbesondere in den Ballungsräumen knapp geworden und daher politisch ein hochsensibles Thema. Trotzdem kann Scheunemann die immer wieder aufflammende Debatte um einen Mietpreisdeckel und die Enteignung von Wohnimmobilienbesitzern nicht verstehen. In großen Städten würden Neubauvorhaben fast nur noch genehmigt, wenn auch öffentlich geförderte Wohnungen, die zu günstigen Konditionen vermietet werden, entstehen, sagt Scheunemann.
Dass offene Immobilienfonds so stark ins Fadenkreuz der öffentlichen Kritik geraten könnten wie die Wohnkonzerne, hält Meyer aber für ausgeschlossen: Ihr Wohnimmobilienportfolio werde nie selbst nur annähernd deren Dimension erreichen, argumentiert er. Ferner hätten in den hausinvest fast 900.000 Kleinanleger Geld gesteckt. Angesichts von Renditen von im Schnitt 2,5 bis drei Prozent pro Jahr kann ihnen wohl niemand ernsthaft Gier vorwerfen.
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