
90 Prozent der Immobilienunternehmen haben Schwierigkeiten mit dem Transformationsprozess. Wie es besser gehen kann, beschreibt Viktor Weber, Leiter des Future Real Estate Institute, in einem Leitfaden. Zum digitalen Profi in fünf Schritten.
Digitale Reife oder auch "Digital Maturity" sind oftmals Begriffe, die am Anfang eines digitalen Transformationsprozesses ins Spiel gebracht werden. Nicht selten wird diese Metrik zu eng gefasst und nur einmalig betrachtet, wobei sie konstant erhoben werden sollte, um Fortschritte messen zu können.
1. Schritt: Analyse der digitalen Reife
Die Bestimmung der digitalen Reife sollte in eine weitgefächerte und kontinuierliche Analyse eingebettet sein. So müssen repetitive, kostenintensive und dysfunktionale prozessuale Aspekte betrachtet sowie Ziele und zukunftsgewandte Ideen analysiert werden, um diese miteinander zu verknüpfen. Auch reicht es nicht, digitale Prozesse, Tools und Geschäftsbereiche als Proxy für digitale Reife zu bestimmen, sondern es muss der breite Wissensstand von Trainee bis Vorstand ergründet werden, um darauf aufbauend eine realisierbare und maßgeschneiderte Transformationsstrategie konzipieren zu können.
Bisher erarbeitete strategische Formulierungen, Unternehmenskultur, digitale Außen- und Innenwahrnehmung sowie Wertschöpfung und Qualität digitaler Lösungen sollten ebenfalls mit einfließen. Wie bei einer guten Forschungsarbeit sollten 70 bis 80 Prozent der Zeit nicht in "strategische" Formulierung, sondern in die Vorbereitung beziehungsweise die Forschung investiert werden, sodass bei ausreichender Datenlage und fundierter Untersuchung eine informierte Strategie entstehen kann. Hier passiert in der Praxis meist schon der erste Fehler, der zu unklaren Zielen, unpassender Strategie und mangelhafter Ausführung führt.
2. Schritt: Präzise Ziele definieren
Das "Reference Model for Continuous Digital Transformation" legt vor allem Wert auf konstantes Lernen und iteratives Optimieren der einzelnen Modellparameter, somit auch der unternehmenseigenen Ziele. Hier ist jedoch besonders zu beachten, dass Unternehmen präzise formulierte Ziele definieren, die sich allen Stakeholdern kommunizieren lassen. Erst eine gründliche Analyse erlaubt jene konkreten Ziele.
So könnte es zum Beispiel sein, dass in einem Unternehmen ein bestimmter Prozess 170 Mitarbeiterstunden benötigt, dies aber nicht als effizient betrachtet wird. Eine präzise Zieldefinition wäre, dass die benötigten Stunden innerhalb von zwölf Wochen bei maximal fünf Prozent mehr Kapitalinput um 30 Prozent reduziert werden sollen. Diese Zielsetzung informiert unter anderem über die Priorisierung innerhalb der strategischen Konzeption, kann aber auch bei der noch tiefergehenden Recherche, während der Strategieformulierung, angepasst werden. Sobald die Ziele temporär festgelegt sind, sollten für die Strategieumsetzung Meilensteine festgelegt und fortlaufend analysiert werden.
Hier lautet das Stichwort "Praktisch anwendbare und messbare Metriken", welche digital und bestenfalls automatisiert erhoben werden sollten. Gegenwärtig messen jedoch ungefähr 32 Prozent der deutschen Branche überhaupt nicht.
Schritt 3: Prozesse parallel in Gang bringen
Es braucht nicht zwingend "künstliches" Change-Management, wenn es gelingt, den Wandel auf natürliche Weise in der Unternehmenskultur zu verankern. Um dies zu begünstigen, muss ein Unternehmen durch eine Vision begeistern, Freiheiten bieten, kontinuierliche Selbstentwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern, Führung durch Vorbildsein abverlangen und vor allem alle künftig vom Wandel Betroffenen in den Transformationsprozess von Tag eins an einbinden.
Wenn Unternehmen das versäumen, ist es wenig verwunderlich, wenn Veränderung abgelehnt wird. Dies ist bei 50 Prozent der deutschen Immobilienunternehmen das offensichtlichste Hindernis auf dem Weg zur digitalen Zukunft. Präventive Krankheitsverhinderung ist folglich besser als die spätere Behandlung von Symptomen. Stichworte in diesem Kontext sind unter anderem offene Innovation, Fehlerkultur, Wertschätzung von Ideen, Kreativität und Transparenz.
Studie: 90 Prozent der Firmen haben Probleme mit Transformation
Schritt 4: Ist die Strategie umsetzbar?
Zunächst muss strategisch eine Vision, die Story hinter den einzelnen Zielen, geschrieben werden. Sie muss Sinn machen und zum jeweiligen Unternehmen passen. Bevor es aber um die Beleuchtung von Blockchain & Co., die Akquise von Startups oder sonstige zukunftsgewandte Themen gehen darf, sollte das Fundament für eine erfolgreiche digitale Transformation gebildet werden.
In den meisten Fällen wird dies gänzlich ausgelassen und ist auch mitverantwortlich für die hohe Scheiterungsquote von 84 Prozent und mehr, sei es bei einer digitalen oder "lean" Transformation. Unternehmen müssen daher eine skalierbare, sichere IT-Infrastruktur etablieren, Wissensmanagement betreiben, sich mit modernen Arbeitskonzepten und konkurrenzfähigen Modalitäten um digitale Talente bemühen, eine offene, fehlertolerante Unternehmenskultur verankern und das Management zu digitalen Vorbildern werden lassen.
Basierend auf dem Wissensstand, der unter anderem in Schritt eins eruiert wurde, muss unternehmensübergreifend digitale Kompetenz gebildet werden. Diese transzendiert jedoch den Umgang mit Informations- und Telekommunikationstechnologie, sondern meint vielmehr die fundierte Einschätzung neuer Technologien und Arbeitsweisen im unternehmenseigenen Umfeld sowie auf Makroebene der Branche und der Gesellschaft im Allgemeinen.
Im Anschluss kann, dank entsprechendem Fundament, mit der Optimierung und Neukonzeption von Altprozessen, neuen Aufgaben und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle begonnen werden, um langfristig Wertschöpfung zu generieren. Es ist essentiell, dass den allseits beliebten "Quick Wins" nicht zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, da diese oftmals langfristig wenig Bedeutung haben.
Schritt 5: Implementierung – die Kür
Erst in der Umsetzung, die das "i-Tüpfelchen" in einem fortwährenden Kreislauf ist, sollten Themen wie Software-as-a-Service-Lösungen, strategische Partnerschaften mit Tech-Unternehmen oder die Akquise von Startups eine Rolle spielen, auch wenn diese bereits strategisch in Schritt vier betrachtet wurden.
Die Auslassung der vorherigen Schritte birgt eine hohe Wahrscheinlichkeit von versunkenen Kosten in einem ungerichteten Verschlimmbesserungsprozess, da auch hier der Spruch gilt: "Aus einem schlechten Prozess wird höchstens ein digitaler schlechter Prozess." Die Implementierung sollte nicht insular erfolgen, sondern im Idealfall auf ganzheitlicher Unternehmensebene – wobei auch hier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konstant eingebunden werden müssen, sei es zum Beispiel bei der Bewertung von relevanten Softwarelösungen, der Neuaufsetzung der internen IT-Infrastruktur oder der digitalen Neugeschäftsentwicklung.
Fazit – die goldene Regel
Nehmen Sie Abstand von einer rein Technologie-fokussierten Betrachtung der digitalen Transformation, da vor allem Ihre Mitarbeiterschaft eine essentielle Rolle spielt.
Die digitale Transformation sollte darüber hinaus auf keinen Fall insular betrachtet, sondern unternehmensübergreifend, ganzheitlich gedacht werden. Auch muss klar sein, dass eine "einmalige Transformation" eine Utopie ist, denn wenn man sich einmal zu transformieren begonnen hat, hört man niemals auf. Für die Immobilienbranche sollte das Amazon-Credo "Es ist immer Tag eins" gelten.
Schlussendlich sollte die Digitalisierung nicht nur als weitere pekuniäre Wertschöpfungsmöglichkeit gesehen werden, sondern auch Themen wie Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeit und Lebensqualitität sollten eine gleichwertige Rolle spielen.