BGH mahnt: Mehr Sorgfalt bei Härtefallprüfung nach Kündigung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zwei Urteile aufgehoben, in denen Gerichte Eigenbedarfskündigungen nicht gründlich genug geprüft hatten. Insbesondere, ob ein Härtefall vorliegt. In beiden Fällen muss nun neu verhandelt werden.

Hintergrund

Der Vermieter einer Dreizimmerwohnung in Berlin verlangt von der 80-jährigen Mieterin nach einer Kündigung die Räumung. Das Mietverhältnis besteht seit 1974, der Vermieter hat die Wohnung im Jahr 2015 erworben. Neben der Mieterin leben noch deren Söhne in der Wohnung.

Der Vermieter, der mit seiner Ehefrau und zwei kleinen Kindern zur Miete in einer Zweizimmerwohnung lebt, kündigte das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Die Mieterin hat der Kündigung widersprochen.

Amts- und Landgericht hielten die Eigenbedarfskündigung zwar für wirksam, das Landgericht hat die Räumungsklage aber dennoch abgewiesen. Es hat einen Härtefall im Sinne von § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB angenommen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit angeordnet. Zugunsten der Mieterin seien deren hohes Alter, eine Demenzerkrankung, ihre mit der langen Mietdauer einhergehende Verwurzelung sowie die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von bezahlbarem Ersatzwohnraum in Berlin zu berücksichtigen. Der Vermieter habe hingegen schon bei Erwerb der Wohnung gewusst, dass die Mieterin bei einer Kündigung Härtegründe einwenden könnte.

In einem weiteren Fall verlangen die Vermieter einer Doppelhaushälfte von den Mietern die Räumung. Sie hatten das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs gekündigt.

Die Mieter widersprachen der Kündigung. Ein Umzug sei nicht zumutbar, weil eine Mieterin unter schweren Krankheiten (Parkinson, Depression, chronische Wirbelsäulenbeschwerden) leide und ein weiterer Bewohner Pflegestufe 2 habe und alkoholkrank sei. Die Räumungsklage hatte vor Amts- und Landgericht Erfolg. Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB könnten die Mieter nicht verlangen. Aus den von ihnen vorgelegten ärztlichen Attesten ergebe sich nicht, dass der Umzug für sie aus medizinischer oder psychologischer Sicht unzumutbar sei und insbesondere zu einer drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung oder Lebensgefahr führe.

Entscheidung: Alter allein ist noch kein Härtefall

Der BGH hat in beiden Fällen das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung zurück an die Gerichte verwiesen, insbesondere zum Bestehen von Härtegründen.

Da sowohl auf Seiten des Vermieters wie auf Seiten des Mieters grundrechtlich geschützte Belange (Eigentum, Gesundheit) betroffen sind, sind eine umfassende Sachverhaltsaufklärung sowie eine besonders sorgfältige Abwägung erforderlich, ob im jeweiligen Einzelfall die Interessen des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses diejenigen des Vermieters an dessen Beendigung überwiegen (§ 574 Abs. 1 BGB).

Allgemeine Fallgruppen, etwa ein bestimmtes Alter des Mieters oder eine bestimmte Mietdauer, in denen generell die Interessen einer Partei überwiegen, lassen sich dem BGH zufolge nicht bilden. Die Faktoren Alter und lange Mietdauer würden sich mit einer damit einhergehenden Verwurzelung im bisherigen Umfeld je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung des Mieters unterschiedlich stark auswirken, so die Begründung der Karlsruher Richter. Ohne weitere Feststellungen zu den sich daraus ergebenden Folgen im Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels rechtfertigt sich daraus grundsätzlich nicht die Annahme einer Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Werden vom Mieter für den Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels substantiiert ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend gemacht, haben sich die Gerichte – wie der BGH bereits mit Urteil vom 15.3.2017 (VIII ZR 270/15) ausgesprochen hat – beim Fehlen eigener Sachkunde regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann.

Mit der neuen Entscheidung hat der BGH diese Rechtsprechung nun dahin präzisiert, dass ein Sachverständigengutachten regelmäßig von Amts wegen eingeholt werden muss, wenn der Mieter eine zu besorgende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes durch ärztliches Attest belegt hat. Auf diese Weise ist zu klären, an welchen Erkrankungen der betroffene Mieter konkret leidet und wie sich diese auf seine Lebensweise und Autonomie sowie auf seine psychische und physische Verfassung auswirken. Dabei ist auch von Bedeutung, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen mittels Unterstützung durch das Umfeld beziehungsweise durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern lassen. Nur eine solche Aufklärung versetzt die Gerichte in die Lage, eine angemessene Abwägung bei der Härtefallprüfung des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmen.

In dem Verfahren VIII ZR 180/18 ist das Berufungsgericht zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Eigenbedarfskündigung des Klägers wirksam ist. Es hat jedoch dem Erlangungsinteresse des Klägers rechtsfehlerhaft deshalb ein geringeres Gewicht beigemessen, weil dieser eine vermietete Wohnung erworben hat. Zudem hat es die Härtefallabwägung im Rahmen des § 574 BGB ohne die gebotene Aufklärung über zu besorgende erhebliche Verschlechterungen des Gesundheitszustandes der Beklagten (Einholung eines Sachverständigengutachtens) und somit auf einer nicht tragfähigen tatsächlichen Grundlage vorgenommen.

Im Verfahren VIII ZR 167/17 hat das Berufungsgericht bereits die Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung rechtsfehlerhaft bejaht, weil es sich trotz des Bestreitens des Eigenbedarfs durch die Beklagten mit dem Vortrag der Kläger begnügt hat, anstatt den angebotenen Zeugenbeweis über die Ernsthaftigkeit des geltend gemachten Bedarfs zu erheben und gegebenenfalls die Klägerin persönlich anzuhören. Zudem hat das Berufungsgericht die für den Beklagten substantiiert dargelegten und durch Atteste belegten Härtegründe bagatellisiert und ebenfalls versäumt, ein Sachverständigengutachten zu den Auswirkungen eines erzwungenen Umzugs auf den Gesundheitszustand des Beklagten einzuholen. Letztlich hat es ohne die erforderliche konkrete Abwägung zwischen den Interessen des Mieters und des Vermieters der Vermieterseite den Vorrang eingeräumt.

(BGH, Urteile v. 22.5.2019, VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17)

Linke im Bundestag fordert besseren Kündigungsschutz für Menschen über 70

Die Linke-Fraktion im Bundestag fordert in einem Antrag ein Kündigungsverbot für Mieter über 70 Jahre. Themen im Forderungskatalog, den die Fraktion dem Bundestag vorgelegt hat, sind neben der Kündigung wegen Mietrückständen, Eigenbedarfs auch der bessere Schutz von Mietern, die das 70. Lebensjahr vollendet haben.

In der Begründung heißt es, ältere Menschen seien von Mietenexplosion und Wohnungslosigkeit besonders betroffen. Aufgrund der oft niedrigen Rente, die mit dem Mietenanstieg nicht Schritt halte, hätten viele ältere Menschen kaum die Chance, die Mieten zu bezahlen. Eine neue, bezahlbare Wohnung zu finden sei in vielen Städten nahezu aussichtslos. Zudem sei es eine besondere soziale Härte, im fortgeschrittenen Alter noch umziehen zu müssen. Um den Betroffenen den oft langfristigen, aufreibenden und mit persönlichen Risiken verbundenen Klageweg zu ersparen, müsse der Gesetzgeber hier für Klarheit sorgen.


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BGH-Rechtsprechungsübersicht zu Kündigung


§ 573 BGB Ordentliche Kündigung des Vermieters

(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. […] 
(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn 
[…] 
2. der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt […] 

§ 574 Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung

(1) Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Dies gilt nicht, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zur außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt.

(2) Eine Härte liegt auch vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann. 
[…] 

§ 574a BGB Fortsetzung des Mietverhältnisses nach Widerspruch

(1) Im Falle des § 574 kann der Mieter verlangen, dass das Mietverhältnis so lange fortgesetzt wird, wie dies unter Berücksichtigung aller Umstände angemessen ist. Ist dem Vermieter nicht zuzumuten, das Mietverhältnis zu den bisherigen Vertragsbedingungen fortzusetzen, so kann der Mieter nur verlangen, dass es unter einer angemessenen Änderung der Bedingungen fortgesetzt wird.

(2) Kommt keine Einigung zustande, so werden die Fortsetzung des Mietverhältnisses, deren Dauer sowie die Bedingungen, zu denen es fortgesetzt wird, durch Urteil bestimmt. Ist ungewiss, wann voraussichtlich die Umstände wegfallen, auf Grund derer die Beendigung des Mietverhältnisses eine Härte bedeutet, so kann bestimmt werden, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird.

Schlagworte zum Thema:  Eigenbedarf, Kündigung, Mietrecht