Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
a) Handlung im natürlichen Sinn
Rz. 903
Entscheidend für die Anwendung des § 52 oder § 53 StGB ist, ob mehrere Gesetzesverletzungen durch eine oder durch mehrere Handlungen begangen werden. Davon zu trennen ist die Frage, ob trotz Vorliegens mehrerer Handlungen nicht nur eine einzige Tat im materiellen Sinn gegeben ist (s. dazu Rz. 862, 871 ff.). § 52 StGB ist einschlägig, wenn auch nach alltäglichem Verständnis eine einzige Handlung im natürlichen Sinn, also nur eine Willensbetätigung des Täters vorliegt. Zur Annahme von Idealkonkurrenz reicht es aus, wenn die zur Verwirklichung mehrerer Tatbestände führenden Handlungen teilweise identisch sind und insofern eine Überschneidung vorliegt. Unschädlich ist es damit, wenn zur Verwirklichung eines Tatbestands die mit der auch zur Erfüllung des anderen Tatbestands identische Ausführungshandlung nicht genügt, sondern noch weitere Handlungen erforderlich sind.
"Nach § 52 Abs. 1 StGB liegt materiellrechtlich Tateinheit vor, wenn dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzt. Tateinheit in diesem Sinne ist gegeben, wenn die tatbestandlichen, mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzenden Ausführungshandlungen in einem für sämtliche Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil zumindest teilweise identisch sind (BGH, Beschl. v. 21.3.1985 – 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163, 165 [= wistra 1985, 189] mit Bezugnahme u.a. auf RG, Urt. v. 28.4.1899 – Rep. 1158/99, RGSt 32, 137, 138 f.; BGH, Beschl. v. 11.11.1976 – 4 StR 266/76, BGHSt 27, 66, 67). Dagegen begründen eine einheitliche Zielsetzung des Täters, ein übereinstimmender Beweggrund oder die Verfolgung eines Endzwecks Tateinheit ebenso wenig (BGH, Beschl. v. 21.3.1985 – 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163, 165 m.w.N. [= wistra 1985, 189]) wie das bloße Zusammenfallen von zwei Tatbeständen, bei denen der Täter den einen Tatbestand lediglich gelegentlich der anderen Tat verwirklicht (vgl. BGH, Urt. v. 5.8.2010 – 3 StR 210/10, juris Rz. 16)".
Rz. 904
(Gleichartige) Tateinheit ist somit dann gegeben, wenn eine unrichtige Einkommensteuererklärung abgegeben wird und die unrichtigen Angaben sowohl zur Strafbarkeit wegen Verkürzung von Einkommensteuer einschließlich des Solidaritätszuschlags als auch der von der Einkommensteuer abhängigen Kirchensteuer führen, soweit diese als Steuerhinterziehung strafbar ist (s. Rz. 381). Da beim Solidaritätszuschlag nach § 1 SolZG ebenfalls keine selbständige Erklärungspflicht besteht, sondern sie als Annex auf der Grundlage der Hauptsteuererklärung (im konkreten Fall der Lohnsteuer-Anmeldung nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a SolZG) erfolgt, liegt auch insofern Tateinheit i.S.d. § 52 StGB vor. Geht man mit dem BGH davon aus, dass die Hinterziehung von Kirchensteuer als Betrug nach § 263 StGB strafbar sein kann (s. Rz. 382), liegt ungleichartige Idealkonkurrenz vor. Auch bei einer Schmuggelfahrt können durch eine unrichtige Angabe gleichzeitig mehrere Steuern hinterzogen werden. Möglich ist das auch beim Unterlassungsdelikt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO), wenn die bzgl. mehrerer Steuerarten bestehenden Pflichten durch dieselbe Erklärung zu erfüllen gewesen wären. So führt z.B. beim Einfuhrschmuggel von Zigaretten die Nichtdeklaration zur Tateinheit der Hinterziehung von Einfuhrumsatzsteuer, Zoll und Tabaksteuer. Müssen hingegen bspw. monatliche Lohnsteueranmeldungen oder Umsatzsteuervoranmeldungen abgeben werden, begründet die Nichtabgabe jeder einzelnen dieser Anmeldungen eine eigenständige Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; das Tatgericht muss deshalb die Besteuerungsgrundlagen für die jeweiligen monatlichen Anmeldezeiträume ermitteln und die verkürzte Lohn- bzw. Umsatzsteuer errechnen.
Rz. 905
Nach früherer Auffassung der Rspr. lag bei Verkürzung verschiedenartiger Steuern durch mehrere Steuererkärungen Tateinheit dann vor, wenn die Hinterziehungen kumulativ durch inhaltlich übereinstimmende Falschangaben in gleichzeitig abgegebenen Erklärungen oder Formblättern bewirkt wurden. Es reichte also nicht, dass die Abgabe mehrerer Steuererklärungen als äußerer Vorgang zusammenfiel oder in verschiedenen Steuerklärungen jeweils dieselben Falschangaben gemacht wurden. § 52 StGB war danach zu bejahen, wenn mehrere gleichzeitig abgegebene Steuererklärungen dieselben falschen Angaben enthielten oder eine falsche Erklärung förmlich für mehrere Steuerarten gemeinsam abgegeben wurde. Unklar war für die gemeinsame Abgabe verschiedener Erklärungen, inwieweit diese Grundsätze auf die elektronische Abgabe von Erklärungen Anwendung finden sollten. Diese Auffassung hat der 1. Strafsenat allerdings ausdrücklich aufgegeben:
„Eine für die Begründung von Tateinheit erforderliche Teilidentität der Ausführungshandlungen ist bei Abgabe mehrerer Steuererklärungen für verschiedene Steuerarten und verschiedene Veranlagungszeiträume durch einen äußeren Akt, etwa des Ver...