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BVerfG Beschluss vom 31.07.2000 - 2 BvR 1261/00

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederaufhebung eines rechtskräftigen Strafaussetzungsbeschlusses wegen neu bekannt gewordenen Tatsachen

 

Beteiligte

Rechtsanwältin Elke Zipperer

 

Verfahrensgang

OLG Dresden (Zwischenurteil vom 28.06.2000; Aktenzeichen 2 Ws 344/00)

LG Chemnitz (Zwischenurteil vom 30.05.2000; Aktenzeichen I StVK 466 + 467/00)

 

Tenor

Die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 17. April 1997 (Az. 3 Ns 440 Js 5751/96) und der Restgesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 31. März 1998 (Az. 4 Ds 820 Js 10522/98) wird bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers ausgesetzt.

 

Tatbestand

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Wiederaufhebung eines rechtskräftigen Strafaussetzungsbeschlusses aufgrund neu bekannt gewordener Tatsachen (§ 454 a Abs. 2 StPO) zu einem Zeitpunkt, zu dem der Beschwerdeführer sich nicht mehr für diese Sache in Strafhaft, sondern in anderer Sache in Erzwingungshaft befand, wobei nach seinem Vortrag die Vollstreckung der Erzwingungshaft zu Unrecht erfolgt war.

I.

Am 23. Mai 2000 setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Chemnitz die Vollstreckung der nach Verbüßung von zwei Dritteln noch verbleibenden Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 17. April 1997 (Az. 3 Ns 440 Js 5751/96) und der nach Verbüßung von zwei Dritteln noch verbleibenden Restgesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 31. März 1998 (Az. 4 Ds 820 Js 10522/98) ab Rechtskraft des Beschlusses zur Bewährung aus.

Der Beschluss wurde am 26. Mai 2000 rechtskräftig. Im Anschluss an die Entlassung in dieser Sache vollzog die Justizvollzugsanstalt ab dem 26. Mai 2000 eine in anderer Sache vom Amtsgericht Chemnitz angeordnete Erzwingungshaft von fünf Tagen wegen der Zahlung einer Geldbuße (Az. 100 VRs 36472/98). Durch den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 30. Mai 2000 hob die Strafvollstreckungskammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft ihren Aussetzungsbeschluss vom 23. Mai 2000 gemäß § 454 a Abs. 2 StPO wieder auf, nachdem ihr zwischenzeitlich bekannt geworden war, dass der Beschwerdeführer während des Vollzugs der Strafhaft wegen Erpressung und gemeinschaftlichen Betrugs erneut straffällig geworden sei. Die Restfreiheitsstrafen werden seitdem wieder vollstreckt; das Strafende ist auf den 17. Februar 2001 notiert.

In seiner gegen die Entscheidung vom 30. Mai 2000 eingelegten sofortigen Beschwerde wies der Beschwerdeführer u. a. darauf hin, dass die Vollstreckung der Erzwingungshaft unzulässig gewesen sei, denn er habe die gegen ihn festgesetzte Geldbuße bereits bezahlt und dies der Justizvollzugsanstalt mit Einzahlungsbeleg vom 17. April 2000 nachgewiesen.

Das Oberlandesgericht Dresden verwarf die sofortige Beschwerde mit dem mit der Verfassungsbeschwerde ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 28. Juni 2000. In der Begründung führte es u. a. aus, der Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung begegne keinen durchgreifenden Bedenken. „Entlassung” im Sinne des § 454 a Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz StPO sei als tatsächliche Freilassung aus der Haftanstalt zu verstehen, nicht als (fiktive) Entlassung in der jeweiligen Einzelsache aufgrund eines Aussetzungsbeschlusses. Denn nach dem Sinn der gesetzlichen Grundlage für die Aufhebung solle – da sie die Durchbrechung einer formellen Rechtskraft bewirke – alleinige Grenze der Vertrauensschutz des Verurteilten sein. Dieser könne aber erst mit der Entlassung in die Freiheit greifen, was sich aus der Fassung des § 454 a StPO ergebe.

 

Entscheidungsgründe

II.

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 104 Abs. 1 GG und von Art. 3 Abs. 1 GG. Er macht im Wesentlichen geltend, dass die Vollstreckungsgerichte in unvertretbarer Weise die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts – hier insbesondere des Freiheitsrechts – verkannt hätten. Der Beschwerdeführer habe sich bei Erlass der Aufhebungsentscheidung vom 30. Mai 2000 entgegen §§ 51 Abs. 4, 87 Abs. 2 c StVollstrO zu Unrecht in Erzwingungshaft befunden, da er die Geldbuße bereits am 17. April 2000 bezahlt, die Staatsanwaltschaft der Justizvollzugsanstalt die Erledigung der Erzwingungshaft rechtzeitig mitgeteilt und er darüber hinaus den Zahlungsnachweis am 29. Mai 2000 in der Justizvollzugsanstalt vorgelegt habe. Die Vollstreckungsgerichte hätten ihre Aufklärungspflicht verletzt, indem sie – trotz des entsprechenden Vorbringens des Beschwerdeführers in der sofortigen Beschwerde – die Rechtmäßigkeit der Anschlussvollstreckung keiner Überprüfung unterzogen hätten. Bei einer unrechtmäßigen Freiheitsentziehung könne die Vorschrift des § 454 a Abs. 2 StPO keine Anwendung finden. Damit hätten sich die Vollstreckungsgerichte nicht auseinander gesetzt.

Zugleich mit der Verfassungsbeschwerde begehrt der Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

III.

Das Sächsische Staatsministerium der Justiz hatte Gelegenheit, zum Erlass einer einstweiligen Anordnung Stellung zu nehmen.

IV.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (vgl. BVerfGE 71, 158 ≪161≫). Auch in einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden (vgl. BVerfGE 66, 39 ≪56≫; stRspr). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Hoheitsakte vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweise sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens muss das Bundesverfassungsgericht vielmehr die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 ≪161≫; stRspr).

2. a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg erschöpft und die Verfassungsbeschwerde fristgerecht erhoben und begründet. Nach seinem Vorbringen ist eine Grundrechtsverletzung – in Form der Verkennung der Tragweite des Freiheitsrechts (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und des Rechtsstaatsprinzips (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) – durch die Wiederaufhebung der Strafaussetzungsentscheidung zu einem Zeitpunkt, zu dem er sich nur deshalb noch in Haft befunden habe, weil eine Erzwingungshaft zu Unrecht vollstreckt worden sei, nicht von vornherein auszuschließen.

b) Die danach gebotene Folgenabwägung führt zum Erlass einer einstweiligen Anordnung.

aa) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich später die Verfassungsbeschwerde aber als begründet, so entstünde dem Beschwerdeführer durch die Fortsetzung der Strafvollstreckung ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Verlust an persönlicher Freiheit (vgl. BVerfGE 22, 178 ≪180≫; 84, 341 ≪344≫). Das hat unter den grundrechtlich verbürgten Rechten besonderes Gewicht (vgl. BVerfGE 65, 317 ≪322≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. August 1994 – 2 BvR 1414/94 – in JURIS veröffentlicht).

bb) Erginge die einstweilige Anordnung, wiese aber das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde später als unbegründet zurück, so wögen die damit verbundenen Nachteile weniger schwer. In diesem Fall könnten die noch offenen Restfreiheitsstrafen vorübergehend nicht vollstreckt werden; die Strafvollstreckung wäre aber dann fortzusetzen. Ein erheblicher Nachteil für das Wohl der Allgemeinheit ist dadurch nicht zu besorgen, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu leichteren Straftaten durch den Beschwerdeführer kommen sollte. Darauf kann (erneut) mit den Mitteln des Strafrechts reagiert werden (vgl. zur Aussetzung der Strafvollstreckung in entsprechenden Fällen im Wege der einstweiligen Anordnung BVerfGE 8, 102 ≪103≫; 14, 11 ≪12 f.≫; 15, 223 ≪226≫; 18, 146 ≪147≫; 22, 178 ≪180≫ 84, 341 ≪344≫).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Hassemer, Broß, Osterloh

 

Fundstellen

Haufe-Index 565306

www.judicialis.de 2000

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