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BVerfG Beschluss vom 28.08.2000 - 1 BvR 1821/97

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Bankgebühren für Freistellungsauftrag

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Kreditinstitut benachteiligt seine Kunden unangemessen, wenn es für die Verwaltung von Freistellungsaufträgen Gebühren erhebt (nicht amtlich)

 

Normenkette

AO 1977 §§ 93, 107; GG Art. 2, 12, 14

 

Verfahrensgang

BGH (Aktenzeichen XI ZR 269/96)

OLG Karlsruhe (Aktenzeichen 15 U 198/95)

 

Tatbestand

Gründe:

I. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob Kreditinstitute für die Bearbeitung steuerrechtlicher Freistellungsaufträge von Kunden, die solche Aufträge bei ihnen einreichen, eine Vergütung verlangen dürfen.

1. Die Beschwerdeführerin betreibt eine Volksbank. Sie nimmt von ihren Kunden Freistellungsaufträge entgegen und führt sie durch. Dafür beansprucht sie ein Entgelt von 12 DM im Jahr. Das geschieht auf der Grundlage Allgemeiner Geschäftsbedingungen, deren Nr. 12 Abs. 1 wie folgt lautet:

Zinsen und Entgelte im Privatkundengeschäft

Die Höhe der Zinsen und Entgelte für die im Privatkundengeschäft üblichen Kredite und Leistungen ergibt sich aus dem "Preisaushang - Regelsätze im standardisierten Privatkundengeschäft", und ergänzend aus dem "Preisverzeichnis". Wenn ein Kunde einen dort aufgeführten Kredit oder eine dort aufgeführte Leistung in Anspruch nimmt und dabei keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde, gelten die zu diesem Zeitpunkt im Preisaushang oder Preisverzeichnis angegebenen Zinsen oder Entgelte ..."

Im Preisaushang heißt es unter "Sonstiges": Verwaltung Freistellungsauftrag: 12,00 DM pro Jahr.

Im Ausgangsverfahren beantragte ein Verbraucherschutzverein, der Beschwerdeführerin die Verwendung dieser Klausel gegenüber Privatkunden zu untersagen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen (vgl. WM 1995, S. 1805; WM 1996, S. 2331). Dagegen hat der Bundesgerichtshof dem genannten Antrag in dem angegriffenen Urteil stattgegeben (vgl. BGHZ 136, 261). Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

§ 8 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (im Folgenden: AGBG) stehe einer Inhaltskontrolle der Entgeltklausel der Beschwerdeführerin nicht entgegen. Unter Rechtsvorschriften in der Bedeutung dieser Regelung seien nicht nur Gesetzesvorschriften im materiellen Sinne zu verstehen, sondern auch allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze und das Abweichen von wesentlichen Rechten und Pflichten, die sich aus der Natur des jeweiligen Vertragsverhältnisses ergäben. Der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen könne nach allgemeinen Grundsätzen Entgelte nur für Leistungen verlangen, die er auf rechtsgeschäftlicher Grundlage für den einzelnen Kunden erbringe. Jede Entgeltregelung, die sich nicht auf eine solche Leistung stütze, sondern die Aufwendung für die Erfüllung gesetzlich begründeter eigener Pflichten des Verwenders abzuwälzen versuche, stelle deshalb eine Abweichung von Rechtsvorschriften dar.

Der danach hier eröffneten Inhaltskontrolle halte die streitige Klausel nicht stand, weil sie gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG mit wesentlichen Grundgedanken der Rechtsordnung unvereinbar sei und die betroffenen Kapitalanleger im Sinne von § 9 Abs. 1 AGBG in unangemessener Weise benachteilige. Mit der Verwaltung von Freistellungsaufträgen erfülle die Beschwerdeführerin eine ihr vom Staat im öffentlichen Interesse auferlegte Pflicht, mit der ihre vertragliche Pflicht zur Auszahlung der Kapitalerträge an den Kunden insoweit modifiziert werde, als sie den Steuerabzug einzubehalten und an den Staat abzuführen habe. Ähnlich wie beim Lohnsteuerabzug oder bei der Einbehaltung der Versicherungssteuer würden Kreditinstitute durch das Zinsabschlaggesetz vom 9. November 1992 (BGBl I S. 1853) zur Erfüllung staatlicher Aufgaben herangezogen. Ob die damit für sie verbundene finanzielle Belastung noch zumutbar sei, sei eine verfassungsrechtliche Frage, die die Wirksamkeit der diese Pflichten begründenden Steuernormen betreffe. Das Verhältnis der Kreditinstitute zu ihren Kunden werde dadurch nicht tangiert.

Die Verpflichtung zum Einzug der Kapitalertragsteuer schließe die Entgegennahme und Beachtung von Freistellungsaufträgen ein. Die Vorlage der der Vermeidung einer Erstattung zu Unrecht geleisteter Steuern, mithin der Verwaltungsvereinfachung, dienenden Freistellungsaufträge sei tatbestandliche Voraussetzung für "die Abstandnahme vom Steuerabzug". Eine Dienstleistung des Kreditinstituts gegenüber dem Kapitalanleger liege nicht vor; jenem stehe es nicht frei, Freistellungsaufträge abzulehnen. Zu den wesentlichen Grundgedanken unserer Rechtsordnung gehöre, dass nach dispositivem Gesetzesrecht jeder Rechtsunterworfene die Aufwendungen, die ihm durch die Erfüllung seiner dem Staat gegenüber bestehenden Pflichten erwachsen, als Teil seiner Gemeinkosten selbst zu tragen habe. Er könne sie nicht unter Berufung auf das Verursacherprinzip offen auf Dritte abwälzen, indem er die ihm durch staatliche Organe aufgebürdeten Verwaltungsaufgaben in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu individuellen Dienstleistungen gegenüber denjenigen erkläre, die unmittelbar oder mittelbar daraus Nutzen zögen. Vielmehr müsse er wie jeder andere diese Gemeinkosten durch die im freien Wettbewerb erzielbaren Leistungspreise erwirtschaften. § 354 Abs. 1 HGB ändere daran nichts; er setze voraus, dass einem anderen Geschäfte besorgt oder Dienste geleistet werden.

Die Nichtbeachtung dieser Grundsätze stelle einen Verstoß gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG dar. Die Entgeltklausel benachteilige den Kunden auch unangemessen, weil ihm Kosten aufgebürdet würden, die dem Kreditinstitut "als staatlicher Zahlstelle" entstünden. Ihm werde die Entlohnung des Kreditinstituts dafür abverlangt, dass es von der Einbehaltung und Abführung einer nicht geschuldeten Steuer absehe. Dies stehe in deutlichem Gegensatz zu dem Grundsatz, dass der Staat für das Steuererhebungsverfahren kein Entgelt verlange. Daran sei auch für die Bereiche festzuhalten, in denen sich der Fiskus bei der Steuereinziehung im Interesse der Allgemeinheit Privater bediene. Ein nicht unerheblicher Teil der ersparten Steuerabzüge verbleibe im Übrigen auf den Konten der Kreditinstitute und erhöhe deren Erträge.

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG. Der vom Bundesgerichtshof angenommene Grundsatz sei das Ergebnis unzulässiger Rechtsfortbildung. Die Freiheit, einen Beruf auszuüben, schließe das Recht ein, vom Vertragspartner eine angemessene Vergütung zu fordern. Anders als vom Bundesgerichtshof vertreten, erfolge Annahme und Bearbeitung von Freistellungsaufträgen auf rechtsgeschäftlicher Grundlage. Der Freistellungsauftrag sei, wie der Gesetzeswortlaut belege, ein geradezu klassischer privater Auftrag des Kunden. Wenn mit ihm nicht ein selbstständiger Geschäftsbesorgungsvertrag begründet werde, so vollziehe sich die Freistellung jedenfalls im Rahmen des bereits bestehenden Vertragsverhältnisses zwischen Bank und Kunden. Eine Verpflichtung zur Annahme des Freistellungsauftrags durch die Bank bestehe nicht. Dafür hätte es nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Entscheidung bedurft, die nicht getroffen worden sei. Abgesehen davon würde auch eine gesetzliche Annahmeverpflichtung das Bestehen vertraglicher Beziehungen nicht in Frage stellen, weil auch ein gesetzlicher Kontrahierungszwang das Zustandekommen vertraglicher Beziehungen nicht ausschließe. Der Annahme einer vertraglichen Berufstätigkeit stehe schließlich nicht entgegen, dass von den Banken zugleich öffentliche Aufgaben wahrgenommen werden. Rechtlich könne man bei der Erfüllung eines privaten Auftrags durchaus öffentlich-rechtlichen Bindungen unterliegen.

Rechtliche Grundlage für den aus der vertraglichen Berufstätigkeit resultierenden Zahlungsanspruch bildeten die §§ 612, 315 BGB und § 354 HGB. Das Freistellungsverfahren diene in erster Linie, zumindest aber gleichrangig neben dem öffentlichen und dem Interesse der Beschwerdeführerin dem der Kunden, weil diese sich ein Erstattungsverfahren ersparten. Durch die Vornahme einer besonderen, nicht bereits vom vertraglichen Grundverhältnis abgedeckten Tätigkeit unterscheide sich die vorliegende Fallkonstellation von den Fällen, in denen der Bundesgerichtshof den Banken das Recht zur Erhebung besonderer Entgelte abgesprochen habe.

Die Geltendmachung des Entgeltanspruchs sei auch nicht gesetzlich ausgeschlossen. Einen Rechtsgrundsatz des vom Bundesgerichtshof behaupteten Inhalts gebe es nicht. In der Rechtsordnung fänden sich unterschiedliche Regelungen zu der Frage, ob der Indienstgenommene von der öffentlichen Hand eine Entschädigung für seine Tätigkeit beanspruchen könne. Neben Regelungen, die das bejahten oder verneinten, gebe es Regelungen, die dazu schwiegen. Auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lasse sich für die Fälle, in denen das Gesetz schweige, ein Rechtsgrundsatz, demzufolge die öffentliche Hand die Indienstnahme Privater für öffentliche Aufgaben nicht entschädigen müsse, nicht herleiten. Die Antwort ergebe sich vielmehr aus dem Sinnzusammenhang der gesetzlichen Regelung. Dabei möge das Schweigen des Gesetzgebers dann für eine Entschädigungsfreiheit der öffentlichen Hand sprechen, wenn sich die Indienstnahme für den Betroffenen als wirtschaftlich zumutbar erweise, weil es diesem möglich sei, die Kosten auf Dritte abzuwälzen. Das Bundesverfassungsgericht habe die Abwälzung als zulässigen Vorgang anerkannt. Zwar könnten Freistellungsverfahren, wenn sie die Finanzämter durchführten, für den Steuerpflichtigen möglicherweise kostenfrei sein, so dass eine Regelung nachvollziehbar gewesen wäre, die dies auch bei der Einschaltung von Kreditinstituten vorsehe. Eine solche Regelung sei aber nicht getroffen worden.

3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich das Bundesministerium der Justiz namens der Bundesregierung, der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, der Deutsche Sparkassen- und Giroverband und der Bundesverband deutscher Banken geäußert. Das Bundesministerium hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die Verbände teilen dagegen die Auffassung der Beschwerdeführerin.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzlich verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. dazu die nachstehend unter 2 angeführten Entscheidungen).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

a) Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG, das dem Grundrechtsträger die Freiheit der Berufsausübung als Grundlage seiner persönlichen und wirtschaftlichen Lebensführung gewährleistet (vgl. BVerfGE 101, 331 ≪346 f.≫) und wegen des in Art. 12 Abs. 1 GG verwendeten weiten, nicht personalgebundenen Berufsbegriffs gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen wie die Beschwerdeführerin anwendbar ist (vgl. BVerfGE 97, 228 ≪252 f.≫ m.w.N.). Das Grundrecht umschließt auch die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder mit denen, die an diesen Leistungen interessiert sind, auszuhandeln (vgl. BVerfGE 88, 145 ≪159≫; 101, 331 ≪347≫).

b) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die es Kreditinstituten wie der Beschwerdeführerin verwehrt, für die Bearbeitung von Freistellungsaufträgen von den Kunden des Instituts offen eine Vergütung zu verlangen, greift in diese Freiheit ein (vgl. BVerfGE 47, 285 ≪321≫; 101, 331 ≪347≫).

c) aa) Mit Art. 12 Abs. 1 GG ist dies nur vereinbar, wenn der Eingriff auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, wenn also das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Regelungsziels geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 94, 372 ≪390≫). Erfolgt der Grundrechtseingriff durch eine normauslegende und -anwendende gerichtliche Entscheidung, muss diese die Tragweite des Grundrechts der Berufsausübung hinreichend berücksichtigen, und sie darf im Ergebnis nicht zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führen (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪258≫).

bb) Gemessen daran gibt die angegriffene Entscheidung zu durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken keinen Anlass.

aaa) Die gesetzliche Grundlage für das vom Bundesgerichtshof angenommene Verbot der Erhebung einer Vergütung für die Verwaltung von Freistellungsaufträgen sieht das Revisionsurteil in § 9 AGBG in Verbindung mit den Regelungen des Zinsabschlaggesetzes. Dabei entnimmt der Bundesgerichtshof diesem Gesetz nicht nur eine Heranziehung der Kreditinstitute zur Erfüllung einer staatlichen Aufgabe, indem sie im öffentlichen Interesse grundsätzlich verpflichtet werden, die bei ihren Kunden anfallende Kapitalertragsteuer unentgeltlich einzuziehen und an den Staatsfiskus abzuführen. Der Bundesgerichtshof kommt vielmehr auch zu dem Ergebnis, dass das Privatrechtsverhältnis zwischen Kreditinstitut und Kunde insoweit durch das Zinsabschlaggesetz modifiziert wird, darüber hinaus aber zwischen diesen hinsichtlich der Bearbeitung von Freistellungsaufträgen eine Privatrechtsbeziehung, in deren Rahmen eine Vergütung verlangt werden könnte, nicht entsteht.

(1) All dies einschließlich des in diesem Zusammenhang festgestellten Grundsatzes, dass Aufwendungen, die dem Indienstgenommenen durch die Erfüllung seiner dem Staat gegenüber bestehenden Pflichten erwachsen, nicht offen auf die unmittelbar oder mittelbar aus der Pflichterfüllung Nutzen ziehender Kunden abgewälzt werden können, ist nachvollziehbar begründet und lässt weder eine grundlegende Verkennung von Bedeutung und Tragweite der Berufsausübungsfreiheit noch sachfremde Erwägungen im Sinne von Willkür (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪96≫; 89, 1 ≪13 f.≫) sichtbar werden. Das Gleiche gilt für die einfachrechtliche Würdigung, der genannte Grundsatz gehöre im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG zu den wesentlichen Grundgedanken unserer Rechtsordnung und die Abweichung von ihm benachteilige die betroffenen Kapitalanleger unangemessen im Sinne des § 9 Abs. 1 AGBG.

(2) Gegen das vom Bundesgerichtshof gefundene Auslegungsergebnis sind auch nicht deshalb verfassungsrechtliche Bedenken zu erheben, weil die Grenzen überschritten wären, die sich für richterliche Entscheidungen aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergeben.

Art. 20 Abs. 2 GG gibt dem Grundsatz der Gewaltenteilung Ausdruck. Dieser Grundsatz schließt es aus, dass die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung eindeutig dem Gesetzgeber zugewiesen sind. Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Rechtsprechung darüber hinaus an Gesetz und Recht. Damit wäre es unvereinbar, wenn sich die Gerichte aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben, also objektiv betrachtet sich der Bindung an Recht und Gesetz entziehen würden (vgl. BVerfGE 87, 273 ≪280≫; 96, 375 ≪394≫).

Diese Verfassungsgrundsätze verbieten es dem Richter allerdings nicht, das Recht fortzuentwickeln. Angesichts des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse, der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers und der offenen Formulierung zahlreicher Normen gehört die Anpassung des geltenden Rechts an veränderte Verhältnisse im Gegenteil zu den Aufgaben der rechtsprechenden Gewalt. Der Richter darf sich bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe freilich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Seine Funktion beschränkt sich darauf, diesen unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 96, 375 ≪394≫). Ob diese Grenzen eingehalten sind, unterliegt, wenn die Rechtsfortbildung das einfache Recht betrifft, wie dessen Auslegung und Anwendung durch die dafür zuständigen Gerichte (vgl. dazu BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 85, 248 ≪257 f.≫) einer nur eingeschränkten Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Seine Kontrolle beschränkt sich unter dem Gesichtspunkt von Art. 20 GG darauf, ob das zuständige Gericht bei der Rechtsfortbildung die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert hat und den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung gefolgt ist (vgl. BVerfGE 96, 375 ≪395≫).

Diesem Maßstab hält die angegriffene Entscheidung stand. Das vom Bundesgerichtshof angenommene Verbot der Entgelterhebung für die Verwaltung von Freistellungsaufträgen steht im Zusammenhang mit der Entscheidung des Gesetzgebers, die Kreditinstitute zur Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer an den Staat heranzuziehen. Diese Inpflichtnahme, aber auch die Bearbeitung von Freistellungsaufträgen mit der Folge des Absehens vom Steuerabzug beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, dient, worauf das Bundesministerium der Justiz in seiner Stellungnahme im Einklang mit dem Bundesgerichtshof unwidersprochen hingewiesen hat, der Verwaltungsvereinfachung und damit auch der Effizienz der steuerlichen Inanspruchnahme der Steuerpflichtigen durch den Steuern erhebenden Staat. Statt von der staatlichen Steuerverwaltung werden die maßgeblichen steuerlichen Vorgänge dort bearbeitet, wo die zu versteuernden Erträge anfallen. Das bündelt die für die Einbehaltung und Abführung der Steuer maßgeblichen Arbeitsschritte bei dem jeweiligen Kreditinstitut und spart damit Kosten, setzt allerdings voraus, dass nicht für Verrichtungen, die bei Durchführung der Besteuerung durch die staatliche Finanzverwaltung gebührenfrei wären, von den Kreditinstituten Vergütungen verlangt werden. Das vom Bundesgerichtshof im Wege der vor allem teleologischen Interpretation gewonnene Auslegungsergebnis hält sich damit im Rahmen der vom Gesetzgeber getroffenen Grundentscheidung.

bbb) In der Zielrichtung, mit der Verwaltung der Freistellungsaufträge durch die Kreditinstitute die Ermittlung und gegebenenfalls Abführung der Kapitalertragsteuer an den Staatsfiskus zu vereinfachen und zu verbessern, liegt zugleich der Gemeinwohlbelang, der die vom Bundesgerichtshof angenommene Regelung hinreichend rechtfertigt. Die Regelung wahrt auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Unentgeltlichkeit der Bearbeitung von Freistellungsaufträgen ist, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, für die Erreichung des genannten Regelungsziels geeignet und, weil ein gleich wirksames, die Kreditinstitute aber weniger fühlbar belastendes Mittel nicht erkennbar ist, erforderlich (vgl. BVerfGE 83, 1 ≪18≫). Sie ist den betroffenen Kreditinstituten schließlich auch zumutbar. Der Bundesgerichtshof hat mit der angegriffenen Entscheidung den Kreditinstituten nur verwehrt, die Personal- und Sachkosten, die ihnen durch die Bearbeitung von Freistellungsaufträgen entstehen, nach dem Verursacherprinzip auf diejenigen abzuwälzen, die derartige Aufträgeerteilt haben. Die Kreditinstitute sind jedoch nicht gehindert, die genannten Kosten, soweit dies die Marktlage zulässt (vgl. BVerfGE 30, 292 ≪326≫), in die Berechnung der Entgelte einzubeziehen, die von den Kunden insgesamt verlangt werden. Der Bundesgerichtshof weist auf diese Möglichkeit ausdrücklich hin. Zu Recht hat er weiter hervorgehoben, dass ein nicht unerheblicher Teil der mittels des Freistellungsverfahrens ersparten Steuerabzüge auf den Konten der Kreditinstitute verbleibt und deren Erträge erhöht. Auch im Hinblick auf diesen Effekt erscheinen die Konsequenzen, zu denen die angegriffene Entscheidung für die Betroffenen führt, noch angemessen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 592525

BFH/NV Beilage 2001, 68

BB 2000, 2064

DB 2000, 2113

DStZ 2000, 802

HFR 2001, 280

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