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BSG Urteil vom 26.02.1991 - 10 RKg 27/90

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung der Rangfolge der Kindergeldberechtigten

 

Leitsatz (amtlich)

Die in § 3 Abs 2 S 1 BKGG geschaffene gesetzliche Rangfolge der Kindergeldberechtigten darf rechtsgeschäftlich nur geändert werden, soweit dies in § 3 Abs 2 S 2 und Abs 3 BKGG zugelassen ist.

 

Normenkette

BKGG § 3 Abs 2 S 1; BKGG § 3 Abs 2 S 2 Halbs 2; BKGG § 3 Abs 3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 17.07.1990; Aktenzeichen L 13 Kg 165/89)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 02.08.1989; Aktenzeichen S 4 Kg 20/88)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger das Kindergeld für seine ehelichen Töchter Eva und Britta für die Zeit ab August 1990 zu zahlen hat.

Der Kläger war in seiner am 20. September 1983 geschiedenen ersten Ehe mit der Beigeladenen zu 1) verheiratet. Aus dieser Ehe sind der am 1. Oktober 1976 geborene Sohn Christoph (erstes Kind) und die am 3. September 1979 geborenen Zwillinge Eva und Britta (zweites und drittes Kind) hervorgegangen. Nach der Scheidung sind der Kläger für Christoph und die Beigeladene zu 1) für Eva und Britta sorgeberechtigt. Beide Ehegatten haben eine zweite Ehe geschlossen, die Beigeladene zu 1) mit dem Beigeladenen zu 2). Aus der zweiten Ehe des Klägers ist das weitere Kind Thorsten (viertes Kind) hervorgegangen. Christoph und Thorsten leben im Haushalt des Klägers, die Kinder Eva und Britta im gemeinsamen Haushalt der Beigeladenen.

Der Beklagte zahlt dem Kläger Kindergeld für Christoph und Thorsten. Das Kindergeld für die Töchter Eva und Britta gewährt er ab 1. September 1983 der Beigeladenen zu 1). Den mit Zustimmung der Beigeladenen zu 1) gestellten und im Verlaufe des Verfahrens in zeitlicher Hinsicht auf die Zeit ab August 1990 beschränkten Antrag des Klägers, ihm das Kindergeld auch für Eva und Britta zu zahlen, lehnte der Beklagte durch den Bescheid vom 29. Juli 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 1988 mit der Begründung ab, der Beigeladene zu 2) sei vor dem Kläger kindergeldberechtigt; er bleibe es auch, weil die Beigeladene zu 1) auf das Kindergeld nicht zu Lasten des Beigeladenen zu 2) verfügen könne. Die Beigeladenen haben im Verlaufe des Verfahrens erklärt, daß sie das Begehren des Klägers unterstützten, das Kindergeld auch nicht selbst beantragt hätten und auch nicht beantragen wollten.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Beigeladene zu 2) sei als Stiefvater vorrangig vor dem Kläger kindergeldberechtigt. Der Verzicht der Beigeladenen zu 1) zugunsten des Klägers entspreche nicht der gesetzlichen Regelung im Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Das Landessozialgericht (LSG) hat hingegen den Beklagten antragsgemäß verurteilt: Die Rangfolge der Kindergeldberechtigung könne durch eine einverständliche Regelung aller Beteiligten abweichend von der gesetzlichen Bestimmung geregelt werden. Hier sei von den Berechtigten einvernehmlich bestimmt worden, daß der Kläger das Kindergeld auch für die Töchter Eva und Britta beanspruchen könne.

Der Beklagte hält in der Begründung seiner - vom LSG zugelassenen - Revision daran fest, daß die in § 3 Abs 2 Satz 2 zweiter Halbsatz BKGG getroffene Regelung abschließend sei. Demzufolge könnten die Beteiligten auch den gesetzlichen Vorrang des Beigeladenen zu 2) nicht durch eine anderweitige Regelung zugunsten des Klägers ändern.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. Juli 1990 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 2. August 1989 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat mit dem Einverständnis aller Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Revision des Beklagten ist begründet. Der Kläger hat entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht auch für die Zeit ab August 1990 keinen Anspruch auf das Kindergeld für die Kinder Eva und Britta.

Der Beklagte hat zunächst zutreffend für die Dauer der Ehe zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) im Hinblick auf die von den Ehegatten getroffenen Berechtigtenbestimmung (§ 3 Abs 3 BKGG) das Kindergeld für Eva und Britta an den Kläger gezahlt. Diese Berechtigtenbestimmung hat ihre Wirkung jedoch spätestens mit dem Zeitpunkt verloren, zu dem nach der Scheidung dieser Ehe der Beigeladenen zu 1) das Sorgerecht für die Töchter übertragen worden ist. Denn aus § 3 Abs 3 Satz 2 zweiter Halbsatz BKGG folgt für das Verhältnis der Eltern untereinander, daß die Beigeladene zu 1) infolge ihrer Bestimmung zur Sorgeberechtigten nunmehr allein anspruchsberechtigt ist. Demzufolge muß eine zuvor gemäß § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG erfolgte Berechtigtenbestimmung zwangsläufig mit der gesetzlichen Begründung der Alleinberechtigung der Mutter enden. Das hat zugleich zur Folge, daß der Kläger von der Begründung des Sorgerechts der Beigeladenen zu 1) an nicht mehr anspruchsberechtigt war.

Seine Anspruchsberechtigung ist auch in der Folgezeit nicht - insbesondere nicht mit Beginn des Monats August 1990 - neu entstanden. Denn da die Beigeladenen die Ehe geschlossen und die Kinder Eva und Britta in ihren Haushalt aufgenommen haben, kollidierte hier nicht mehr die Anspruchsberechtigung der natürlichen Eltern, sondern nur noch die der Beigeladenen. Auch insoweit hat der Gesetzgeber aber in § 3 Abs 2 Satz 2 BKGG den Grundsatz des § 3 Abs 1 BKGG, daß das Kindergeld für jedes Kind nur einer Person gewährt wird, in einer für die Massenverwaltung praktikabel gestalteten Weise geregelt. Der Gesetzgeber hat in § 3 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG die Stiefeltern, die das Kind in ihrem Haushalt aufgenommen haben (§ 2 Abs 1 Nr 1 BKGG), grundsätzlich vor den leiblichen Eltern - dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) - zum Kindergeldberechtigten bestimmt. Er mußte für den Fall der Begründung eines gemeinsamen Haushaltes zwischen einem Stiefelternteil (§ 3 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG) und einem natürlichen Elternteil - hier der Beigeladenen zu 1) - ebenso wie im Falle des Bestehens eines Haushalts der Eltern (§ 3 Abs 3 BKGG) eine Regelung treffen, welchem Elternteil - Stiefelternteil oder natürlichem Elternteil - das Kindergeld zustehen soll. § 3 Abs 2 Satz 2 BKGG ist mithin im Verhältnis zwischen Stiefelternteil und natürlichem Elternteil eine gegenüber § 3 Abs 3 BKGG vorrangige Sonderregelung, derzufolge der Kläger als der natürliche Elternteil, in dessen Haushalt die Kinder nicht leben, weiterhin nicht kindergeldberechtigt ist.

Die in § 3 Abs 2 Satz 2 BKGG getroffene Regelung geht dahin, daß grundsätzlich der natürliche Elternteil - hier die Beigeladene zu 1) - vor dem Stiefelternteil - hier der Beigeladene zu 2) - anspruchsberechtigt sein soll (§ 3 Abs 2 Satz 2 erster Halbsatz BKGG); auch insoweit soll aber das in § 3 Abs 3 BKGG geregelte Prinzip verwirklicht werden und der leibliche Elternteil - hier die Beigeladene zu 1) - auf seinen Vorrang gegenüber dem Stiefelternteil durch schriftliche Erklärung gegenüber der zuständigen Stelle verzichten können (§ 3 Abs 2 Satz 3 zweiter Halbsatz BKGG).

Das LSG hat nicht festgestellt, daß die Beigeladene zu 1) diesen nach § 3 Abs 2 Satz 2 zweiter Halbsatz BKGG statthaften Verzicht bisher zugunsten des Beigeladenen zu 2) erklärt hat. Das LSG hat daraus zutreffend gefolgert, daß der Kläger weiterhin nicht kraft Gesetzes kindergeldberechtigt für seine Töchter Eva und Britta ist.

Der Kläger ist auch nicht kraft Rechtsgeschäfts kindergeldberechtigt für die vorgenannten Töchter. Zwar haben die Beigeladene zu 1) am 22. Dezember 1988 (Blatt 28 der LSG-Akten) und der Beigeladene zu 2) am 17. Januar 1989 (Blatt 34 der LSG-Akten) erklärt, daß sie keine Anträge auf Zahlung des Kindergeldes stellen wollten und mit der Zahlung des Kindergeldes für die vorgenannten Töchter an den Kläger einverstanden seien. Diese Erklärung begründete aber entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht keine Anspruchsberechtigung für den Kläger. Das LSG hat bereits zutreffend auf das Urteil des erkennenden - damals als 8b-Senat tätigen - Senats vom 28. Juni 1979 - 8b RKg 10/78 - (SozR 5870 § 3 Nr 1) hingewiesen, in dem der Senat entschieden hat, die Vorschrift des § 3 Abs 3 BKGG regele nur den Konkurrenzfall, daß keine der in § 3 Abs 2 Satz 1 Nrn 1 - 3 BKGG genannten Personen vorrangig sei, weil andernfalls die gesetzliche Rangfolgeregelung gegenstandslos werde. Diese Rechtsfolge besteht entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht nicht nur für den (vom erkennenden Senat aaO entschiedenen) Fall des Verzichts eines leiblichen Elternteils zugunsten von Pflege- oder Stiefeltern, sondern auch für den Verzicht eines wiederverheirateten natürlichen Elternteils zugunsten des anderen leiblichen Elternteils, wenn ein Pflegekindverhältnis mit dem Stiefelternteil begründet wird. Für die in § 3 Abs 2 Satz 1 BKGG gesetzlich getroffene Rangfolgeregelung waren zwar entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht "Verwaltungserfordernisse" nicht maßgeblich. Denn es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Verwaltung eine über den Fall des § 3 Abs 2 Satz 2 BKGG oder den des § 3 Abs 3 BKGG hinausgehende unzumutbare Mehrbelastung auferlegt wird, wenn mehrere Berechtigte einvernehmlich den Bezugsberechtigten iS des § 3 Abs 1 BKGG bestimmen dürften. Der erkennende Senat (aaO) hat aber bereits auf die Zielsetzung des Kindergeldes, die Rangfolgeregelung und die Rechtsfolgen einer Dispositionsbefugnis hingewiesen. Die Rangfolge der Berechtigung ist in § 3 Abs 2 Satz 1 BKGG grundsätzlich an die Haushaltsaufnahme geknüpft, weil diese am ehesten der Zielsetzung der Kindergeldgewährung entspricht. Der Gesetzgeber hat deshalb das Dispositionsrecht nur einem Ehegatten in einer bestehenden Erstehe (§ 3 Abs 3 Satz 1 BKGG) oder einem Elternteil, der nach der Scheidung der ersten Ehe eine zweite Ehe eingegangen ist (§ 3 Abs 2 Satz 2 zweiter Halbsatz BKGG) eingeräumt, jedoch auch diese Regelung dahin beschränkt, daß nur der jeweilige Ehegatte anspruchsberechtigt ist oder zum Empfangsberechtigten bestimmt wird. Diese Regelung ist erschöpfend, insbesondere ist eine einvernehmliche Bestimmung unter mehreren Kindergeldberechtigten unter Mißachtung der gesetzlichen Rangfolge nicht vorgesehen.

Dem BKGG ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber sich vorbehalten hat, den Berechtigten zu bestimmen, wenn mehrere Personen die Anspruchsvoraussetzungen für dasselbe Kind erfüllen. Ausschließlich Eheleute dürfen frei vereinbaren, wem von ihnen das Kindergeld gewährt werden soll, wenn beide berechtigt sind. Damit wird ua gewährleistet, daß in einem Falle wie dem vorliegenden das Kindergeld für alle in Frage kommenden Kinder an ein und denselben Berechtigten gezahlt werden kann. Insbesondere aber hat der Gesetzgeber sich damit einer unnötigen Einmischung in die Entscheidungsbildung unter Eheleuten enthalten. Er hat dem Gebot des Schutzes der Familie durch die staatliche Ordnung, Art 6 Abs 1 GG, Rechnung getragen und das vornehmliche Recht der Eltern zur Pflege und Erziehung der Kinder, Art 6 Abs 2 GG, beachtet. In allen anderen Fällen bestimmt der Gesetzgeber die Rangordnung unter mehreren Berechtigten. Kann diese Zielsetzung bei mehreren Berechtigten nicht durch die vom Gesetzgeber in § 3 Abs 2 Satz 2 BKGG und in § 3 Abs 3 BKGG zur Verfügung gestellten Möglichkeiten einer Rangfolgebestimmung erreicht werden, bleibt nur die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts nach § 3 Abs 4 BKGG. Es ist jedoch nicht möglich, durch Vertrag unter mehreren Kindergeldberechtigten die gesetzliche Rangfolgeregelung des § 3 Abs 2 Nrn 1 - 3 BKGG zugunsten eines bestimmten Berechtigten zu verändern.

Diese Regelung führt auch nicht, wie das LSG meint, dazu, daß einem Beigeladenen das Kindergeld "aufgezwungen" wird. Wenn die Beigeladenen meinen, daß sie das Kindergeld für die Töchter Eva und Britta nicht beanspruchen sollen, steht es ihnen frei, von der Antragstellung (§ 9 BKGG) abzusehen, auf die Sozialleistung im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zu verzichten oder sie - ebenfalls im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten - an einen Dritten abzutreten. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern der Ausschluß einer einvernehmlichen Regelung über die Rangfolge mehrerer Kindergeldberechtigter das Wohl der Kinder berühren soll. Demgemäß konnte der Kläger auch nicht vertraglich für die Zeit ab August 1990 zum Kindergeldberechtigten bestimmt werden.

Zu Recht hat das LSG auch nicht geprüft, ob die Beigeladene zu 1) mit ihrer vorgenannten Erklärung ihren Anspruch wirksam an den Kläger abgetreten hat. Nach § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I können - soweit hier von Bedeutung - Ansprüche auf Geldleistungen übertragen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, daß die Übertragung im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt. Da das LSG die von der Beigeladenen zu 1) abgegebene Erklärung aber dahin ausgelegt hat, daß die Beigeladene zu 1) selbst keinen Kindergeldanspruch erheben will, entfällt auch von vornherein die Auslegung ihrer Erklärung als Abtretung iS des § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1667125

ZBR 1991, 313

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