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BGH Urteil vom 26.01.1998 - II ZR 243/96

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung eines GmbH-Geschäftsführers und Geltung von Tarifnormen

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung eines Geschäftsführers, wenn der Dienstvertrag keine besondere Kündigungsregelung enthält, ergänzend aber auf die einschlägigen gesetzlichen und tarifvertraglichen Bestimmungen (hier BAT) verweist.

 

Leitsatz (redaktionell)

Enthält der Dienstvertrag eines GmbH-Geschäftsführers keine besondere Kündigungsregelung, verweist aber ergänzend auf die einschlägigen gesetzlichen und tarifvertraglichen Bestimmungen (hier BAT), so sind diese im Falle einer Kündigung auch heranzuziehen und zu berücksichtigen

 

Normenkette

BGB §§ 157, 620 ff.

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 12.06.1996)

LG Düsseldorf (Urteil vom 16.06.1995; Aktenzeichen 21 S 358/92)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 1996 aufgehoben und das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 16. Juni 1995 geändert:

Es wird festgestellt, daß das Anstellungsverhältnis des Klägers weder durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 27. Oktober 1993 zum 30. Juni 1994 noch durch dessen außerordentliche Kündigung vom 4. Mai 1995 aufgelöst worden ist.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte, mit Ausnahme der durch die Anrufung des unzuständigen Arbeitsgerichts Düsseldorf entstandenen Mehrkosten; diese trägt der Kläger.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß sein Anstellungsverhältnis durch die Kündigungen des Beklagten nicht aufgelöst worden sei.

Der bei Klageerhebung 53-jährige Kläger war seit dem 1. Mai 1970 beim Verband des K. N. e.V., ab 1. Januar 1971 beim Zentralverband des K. e.V. und bei dessen Rechtsnachfolger, dem Zentralverband des Kr., als Geschäftsführer angestellt. Aufgrund Anstellungsvertrags vom 16. Dezember 1985 wurde er ab 1. Januar 1986 zum Geschäftsführer des Verbandes des Kr. N. e.V. (Beklagten) bestellt. Während die beiden vorausgegangenen Dienstverträge jeweils eine dreimonatige Kündigungsfrist vorsahen, enthält der hier maßgebende Anstellungsvertrag keine Kündigungsregelung. Der Vertrag lautet auszugsweise:

§ 3

1. …

Zur Anpassung des Monatsgehaltes an die allgemeine Lohn- und Gehaltsentwicklung finden die ab 01. Jan. 1986 für Angestellte des öffentlichen Dienstes – Tarifgruppe 1a – eintretenden Gehaltsveränderungen analog Anwendung (mit Ausnahme der Altersstufenzuschläge) …

§ 4

1. Die Altersversorgung des Geschäftsführers regelt sich nach dem Vertrag über eine Versorgungszusage vom 11. Mai 1978, die als Zusatzvereinbarung zum Anstellungsvertrag vom 31.03.1976 zwischen dem Zentralverband des K. und Herrn S. abgeschlossen wurde. An die Stelle des Zentralverbandes des K. tritt hiermit der Verband des Kr. N. e.V.

§ 8

Herr S. ist seit 01.05.1970 beim Verband des K.-N. e.V., ab 01.01.1971 beim Zentralverband des K. und bei dessen Rechtsnachfolger, dem Zentralverband des Kr. als Geschäftsführer angestellt gewesen.

Diese Dienstjahre werden als Zeiten der Betriebszugehörigkeit beim Verband des Kr. N. e.V. angerechnet.

§ 9

Ergänzend zu diesem Anstellungsvertrag gelten die einschlägigen gesetzlichen und tarifvertraglichen Bestimmungen.

In § 7 der Versorgungszusage des Zentralverbands vom 11. Mai 1978 heißt es:

Versorgungsbezüge werden vom Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses an gewährt, wenn die unterzeichnete Wirtschaftsorganisation, ohne daß ein in der Person des Versorgungsberechtigten beruhender und von ihm verschuldeter wichtiger Grund (Treupflichtverletzung) vorliegt, den Dienstvertrag kündigt oder nicht verlängert, vorausgesetzt, daß bei Wirksamwerden der Kündigung der Versorgungsberechtigte das 45. Lebensjahr vollendet hat und mindestens 10 Jahre seit Inkrafttreten dieses Versorgungsvertrages ununterbrochen bei der unterzeichneten Wirtschaftsorganisation tätig gewesen ist.

Mit Schreiben vom 27. Oktober 1993 kündigte der Beklagte das Anstellungsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum 30. Juni 1994. Am 25. November 1993 beschloß die Mitgliederversammlung des Beklagten die Abwahl des Klägers als Geschäftsführer und genehmigte die Kündigung seines Dienstvertrags. Während des Rechtsstreits erklärten die Prozeßbevollmächtigten des Beklagten außerdem mit Schriftsatz vom 4. Mai 1995 vorsorglich auch die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrags, da der Kläger keine Bereitschaft gezeigt habe, sich in ein neues Team einzufügen und Bilanzen und Protokolle nicht oder nicht rechtzeitig vorgelegt habe. Der Kläger wies die Kündigung wegen fehlender Vollmachtsurkunde zurück.

Die auf Feststellung der Unwirksamkeit beider Kündigungen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Feststellungsanträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Die Klage ist in vollem Umfang begründet.

I. Das Berufungsgericht hält zwar die außerordentliche Kündigung vom 4. Mai 1995 mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde (§ 174 BGB) sowie mangels hinreichender Darlegung eines wichtigen Grundes unter Einhaltung der Zweiwochenfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB oder § 54 Abs. 2 BAT für unwirksam, die vom Beklagten am 27. Oktober 1993 erklärte ordentliche Kündigung zum 30. Juni 1994 dagegen für zulässig. Durch die Regelungen über die Unkündbarkeit bestimmter Angestellter in § 53 Abs. 3 BAT werde diese Kündigung nicht ausgeschlossen. Allerdings erfülle der Kläger altersmäßig und wegen seiner anrechenbaren Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren die Voraussetzungen dieser Bestimmung. Eine Auslegung des Anstellungsvertrags ergebe jedoch nicht, daß die Parteien deren Übernahme in den Arbeitsvertrag vereinbart hätten. Hierfür könne zwar sprechen, daß der Vertrag vom 16. Dezember 1985 im Gegensatz zu früher keine ausdrückliche Kündigungsregelung mehr enthalte, während er gleichzeitig die Anrechnung der vorausgegangenen Dienstjahre bestimme. Diese Anrechnungsklausel habe aber auch Sinn allein im Hinblick auf die fortgeltende Versorgungszusage, die ihrerseits ein Kündigungsrecht voraussetze. Nichts hätte näher gelegen als eine ausdrückliche Vereinbarung, wenn die Parteien von einer Unkündbarkeit des Klägers nach § 53 Abs. 3 BAT ausgegangen wären. Außerdem sollten nach § 9 des Anstellungsvertrags ergänzend zunächst die gesetzlichen, dann erst die tarifvertraglichen Bestimmungen gelten.

II. 1. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung insoweit nicht stand, als die ordentliche Kündigung vom 27. Oktober 1993 in Rede steht.

a) Nicht tarifgebundene Parteien können, wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend annimmt, durch individualrechtliche Vereinbarung ihr Arbeitsverhältnis dem Tarifrecht unterstellen. Außer durch Wiederholung der Tarifnormen im Arbeitsvertrag kann dies mit einer Verweisung auf einen Tarifvertrag erfolgen. Allerdings muß eindeutig bestimmbar sein, auf welchen Tarifvertrag verwiesen wird (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., § 208 I, III; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 3 Rdn. 84 ff., 95).

b) Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht zu Recht geprüft, ob der Anstellungsvertrag des Klägers vom 16. Dezember 1985 ergänzend auf den Bundes-Angestelltentarifvertrag als Ganzen verweist, da für eine Bezugnahme nur auf dessen Kündigungsregelungen kein Anhalt besteht, und hat hierfür die Vertragsbestimmungen ausgelegt. Sein Ergebnis trägt indes dem Gebot beiderseits interessengerechter Auslegung (siehe etwa BGH, Urt. v. 31. Oktober 1995 – XI ZR 6/95, NJW 1996, 248; v. 28. Oktober 1997 – XI ZR 260/96, ZIP 1997, 2149, 2150; zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt) nicht hinreichend Rechnung und verletzt damit revisionsrechtlich relevante allgemein anerkannte Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB).

Bedenklich ist schon der Ansatz des Oberlandesgerichts, wenn es unterstellt, daß die Parteien über das Kündigungsrecht nichts geregelt haben. Eine inhaltliche Regelung auch dieser Fragen, wenngleich nur mittelbar, enthält § 9 des Anstellungsvertrags, der ergänzend zu den Vertragsklauseln auf die tarifvertraglichen Bestimmungen verweist, unter denen das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei den Bundes-Angestelltentarifvertrag versteht. Die Bedeutung dieser Verweisung bleibt im Berufungsurteil ungeklärt. Sie läuft sogar nach dem Verständnis des Berufungsgerichts – was den Parteiinteressen in aller Regel widerspricht – jedenfalls weitgehend leer, auch deswegen, weil das Gericht – ebenso fehlerhaft – allein der Reihenfolge der Aufzählung einen Vorrang des dispositiven Gesetzesrechts vor den Tarifnormen entnimmt. Darin verkennt das Berufungsgericht das Ziel solcher Einbeziehung des Tarifrechts, im Interesse gleicher Arbeitsbedingungen oder auch wegen Sachangemessenheit seiner Normen das Arbeitsverhältnis zuvorderst gerade diesem Sonderrecht zu unterstellen.

Von daher stellt sich auch die Frage nach der Bedeutung des Umstands, daß der Anstellungsvertrag vom 16. Dezember 1985 über ein ordentliches Kündigungsrecht schweigt, anders als aus der Sicht des Berufungsgerichts. Besondere Bestimmungen darüber waren schon dann entbehrlich, wenn ersatzweise die tarifvertraglichen Normen über die ordentliche Kündigung eingriffen, nicht erst, wenn die Parteien, wofür konkreter Vortrag fehlt, im Hinblick auf § 53 Abs. 3 BAT bewußt von einer Unkündbarkeit des Klägers ausgingen. Es kann deshalb auf sich beruhen, ob die Regelung über die Anrechnung der Dienstzeiten in § 8 des Vertrags sinngemäß als Bezugnahme auf § 53 Abs. 3 BAT zu verstehen ist oder ob sie sonst auch für die vom Beklagten ebenfalls übernommene Versorgungszusage Sinn behält, wie das Berufungsgericht meint.

c) Mit der gegebenen Begründung kann die Abweisung dieses Feststellungsantrags darum nicht bestehenbleiben. Da neuer Sachvortrag nicht zu erwarten ist, weil die Parteien in den Vorinstanzen gerade um diese Frage gestritten haben, und weitere tatsächliche Feststellungen auch nicht erforderlich sind, kann der Senat den Vertrag selbst auslegen und in der Sache entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Die Auslegung führt dazu, daß die Parteien die ergänzende Anwendung des Bundes-Angestelltentarifvertrags in seiner Gesamtheit vereinbart haben, somit auch den in § 53 Abs. 3 BAT enthaltenen Kündigungsausschluß, dessen Tatbestandsvoraussetzungen hier nicht streitig sind. Das ergibt sich insbesondere aus der Verweisung auf die „einschlägigen tarifvertraglichen Bestimmungen” in § 9 des Anstellungsvertrags, unter denen angesichts der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Tarifregelungen des öffentlichen Dienstes in § 3 Nr. 1 des Vertrags und der sonstigen Übung des Beklagten (etwa Urlaubsregelung) zweifelsfrei der Bundes-Angestelltentarifvertrag zu verstehen ist; dies folgt ferner gemäß den oben dargelegten Gründen aus dem Verzicht der Parteien auf eine einzelvertragliche Regelung des Kündigungsrechts im Gegensatz zu allen früheren Dienstverträgen. Die Sonderregelung über eine Gehaltsanpassung entsprechend dem öffentlichen Dienstrecht in § 3 Nr. 1 des Anstellungsvertrags wird dadurch nicht überflüssig, weil hiermit über die Eingruppierung des Klägers noch nicht entschieden war; lediglich der Wortlaut dieser Bestimmung ist nicht auf die allgemeine Bezugnahme in § 9 des Dienstvertrags abgestimmt. Das gilt auch für die Zusage von Versorgungsbezügen nach einer ordentlichen Kündigung seitens des Beklagten gem. § 7 des Vertrags vom 11. Mai 1978. Das Anstellungsverhältnis des Klägers war dann allerdings für den Beklagten von Anfang an nicht mehr ordentlich kündbar. Angesichts des dem Beklagten in jedem Fall verbliebenen Rechts zur Kündigung aus wichtigem Grund gem. §§ 54, 55 BAT war dies jedoch hinnehmbar und spricht nicht entscheidend gegen das oben gefundene Auslegungsergebnis.

Damit erweist sich die gegen die Kündigung vom 27. Oktober 1993 gerichtete Feststellungsklage als begründet.

2. Entsprechendes gilt für den zusätzlichen Feststellungsantrag zu 2, daß das Anstellungsverhältnis des Klägers auch durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 4. Mai 1995 nicht aufgelöst worden sei. Ob der Kläger die von den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten schriftsätzlich erklärte Kündigung gem. § 174 Satz 1 BGB zurückweisen durfte, weil der ihm übermittelten Abschrift keine Vollmachtsurkunde beigefügt war, mag dahinstehen. Dem Berufungsgericht ist mindestens darin zu folgen, daß der Beklagte einen wichtigen Grund zur sofortigen Kündigung (§§ 54 f. BAT) nicht substantiiert dargelegt hat. Zu Recht hält es die pauschalen Behauptungen des Beklagten über Pflichtverletzungen des Klägers, die das Berufungsgericht entgegen der Revisionserwiderung nicht etwa übersehen hat, für unzureichend, weil sich daraus weder Zeitpunkt noch Ausmaß der dem Kläger vorgeworfenen Verfehlungen auch nur annähernd beurteilen lassen.

 

Unterschriften

Röhricht, Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Henze, Dr. Kapsa, Kraemer

 

Fundstellen

Haufe-Index 714197

BB 1998, 706

DStR 1998, 862

NJW 1998, 1481

FA 1998, 329

Nachschlagewerk BGH

WM 1998, 714

ZIP 1998, 605

GmbHR 1998, 375

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