Sie verwenden eine veraltete Browser-Version. Dies kann unter Umständen zu Einschränkungen in der Funktion sowie Darstellung führen. Daher empfehlen wir Ihnen, einen aktuellen Browser wie z.B. Microsoft Edge zu verwenden.
Personal
Steuern
Finance
Immobilien
Controlling
Themen
Öffentlicher Dienst
Recht
Arbeitsschutz
Sozialwesen
Sustainability
Haufe.de
Shop
Service & Support
Newsletter
Kontakt & Feedback
Login

Personal Steuern Finance Immobilien Controlling Öffentlicher Dienst Recht Arbeitsschutz Sozialwesen
Immobilien
Controlling
Öffentlicher Dienst
Recht
Arbeitsschutz
Sozialwesen
Sustainability
Themen

BGH Urteil vom 16.04.2008 - 2 StR 95/08

Sie haben bereits ein Haufe Produkt? Hier anmelden
 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 09.11.2007)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 9. November 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Rz. 1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung für die Dauer von sechs Monaten zurückgestellt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Nebenklägers führt zur Aufhebung des Urteils, da die Annahme des Landgerichts, ein Tötungsvorsatz sei dem Angeklagten nicht nachzuweisen, der rechtlichen Überprüfung nicht standhält.

Rz. 2

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gerieten der zur Tatzeit 16-jährige Angeklagte und sein 13-jähriger Bruder im Kassenbereich eines Supermarktes in einen zunächst verbalen, dann handgreiflichen Streit mit dem etwa gleichaltrigen Nebenkläger und dessen Begleiter, nachdem der Angeklagte eine leere Flasche in den Markt geworfen hatte. Mehrere Angestellte und Kunden des Geschäfts trennten die Parteien und hielten den Angeklagten und seinen Bruder fest, um dem Nebenkläger und dessen Begleiter Gelegenheit zu geben, den Markt zu verlassen. Als der Angeklagte schließlich losgelassen wurde, rannte er sogleich hinter dem Nebenkläger her, um ihm „einen Denkzettel zu verpassen”. Hierzu klappte er ein mitgeführtes Klappmesser mit einer Klingenlänge von 8 cm auf; sein Bruder rief: „Wir stechen Euch ab!”. Der Angeklagte lief von hinten auf den Nebenkläger zu, der sich zu diesem Zeitpunkt keines weiteren Angriffs versah, und stach ihm das Messer mit großer Wucht von hinten im Bereich des rechten Schulterblatts in den Rücken. Hierdurch wurde der rechte Lungenflügel des Geschädigten durchstochen. Die Verletzung war lebensgefährlich; der Nebenkläger wurde durch eine Notoperation gerettet.

Rz. 3

Das Landgericht hat weiter festgestellt, der Angeklagte sei sich zwar der Tatsache bewusst gewesen, dass er den Nebenkläger verletzen werde, habe ihn jedoch nicht töten wollen, „weswegen er auch keine weiteren Stiche gegen ihn ausführte” (UA S. 5). Zur Beweiswürdigung hat das Landgericht zunächst ausgeführt, es sei kein Tötungsmotiv erkennbar. Der Angeklagte habe dem Tatopfer „einen Denkzettel verpassen” wollen; dies setze begriffsnotwendig ein Weiterleben voraus. Weiterhin lege zwar die Gefährlichkeit der Handlung die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nahe; es habe sich aber „um einen herzfernen Stich in den Rücken des Opfers gehandelt (…), dessen Lebensbedrohlichkeit sich einem medizinisch unbedarften Täter wie dem Angeklagten nicht unmittelbar erschließt” (UA S. 8). Der Angeklagte habe schließlich die hohe Hemmschwelle vor einem bedingten Tötungsvorsatz nicht überwunden. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass er auf den Nebenkläger in einem belebten Supermarkt in unmittelbarer Nähe eines Krankenhauses eingestochen habe, so dass medizinische Hilfe rasch zu erlangen war; zum anderen aus der in der Hauptverhandlung zu Tage getretenen Unreife des Angeklagten (UA S. 9).

Rz. 4

2. Diese Erwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar kann das Revisionsgericht in die dem Tatrichter obliegende Beweiswürdigung grundsätzlich nicht eingreifen; anders ist es aber, wenn diese Widersprüche oder gravierende Lücken enthält oder erhebliche Beweisanzeichen erkennbar nicht oder unzutreffend würdigt.

Rz. 5

a) So liegt es hier. Schon die Annahme, es sei kein Tatmotiv erkennbar, ist mit den Feststellungen nicht vereinbar, nach denen der Angeklagte dem Nebenkläger erkennbar aus Rache für die vorausgegangene körperliche Auseinandersetzung aus vollem Lauf ein Messer wuchtig in den Rücken stieß. Ein Tatmotiv des Angeklagten war somit offensichtlich gegeben. Soweit das Landgericht angenommen hat, die Absicht, dem Nebenkläger „einen Denkzettel zu verpassen”, sei mit der Annahme eines (bedingten) Tötungsvorsatzes nicht vereinbar, liegt dem eine Überbewertung des formalen Wortsinns und eine unzureichend konkretisierende Auslegung dieser Formulierung zu Grunde. Es bleibt schon offen, ob der Angeklagte selbst seine Motivation so beschrieben hat oder ob es sich um eine interpretierende Formulierung des Gerichts handelt; im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass vage umschreibenden, allgemeinen Formulierungen, namentlich im Zusammenhang mit Gewalthandlungen in aggressiv aufgeladener Situation, meist nur geringe Bedeutung als präzise Beschreibung von Handlungszielen oder Absichten zukommt. Das gilt im Übrigen gleichermaßen für den Ruf des Bruder des Angeklagten („Wir stechen Euch ab!”), der in der Beweiswürdigung des Landgerichts nicht mehr erwähnt ist.

Rz. 6

Soweit das Landgericht ausgeführt hat, der Angeklagte habe keinen Tötungsvorsatz gehabt, „weswegen” er von weiteren ihm möglichen Stichen abgesehen habe, bleibt auch dies unklar, da nicht festgestellt ist, ob der Angeklagte nach dem Stich mit der Möglichkeit rechnete, den Nebenkläger tödlich verletzt zu haben.

Rz. 7

b) Rechtsfehlerhaft ist weiterhin die Erwägung, es habe sich bei dem aus vollem Lauf geführten wuchtigen Stich neben das rechte Schulterblatt um einen „herzfernen Stich” gehandelt, dessen Lebensgefährlichkeit sich dem Angeklagten als medizinischem Laien nicht erschlossen habe. Diese Wertung widerspricht der Lebenserfahrung. Es ist eine allgemeinkundige Tatsache, dass Messerstiche in den oberen Rückenbereich in hohem Maße lebensgefährlich sind; Gründe, warum dies der offenbar geistig normal entwickelte und mit einem Klappmesser ausgerüstete Angeklagte nicht gewusst haben sollte, sind nicht ersichtlich.

Rz. 8

c) Eher fern liegend erscheint die weitere Erwägung des Landgerichts, gegen einen bedingten Tötungsvorsatz spreche der Umstand, dass die Tat in der Nähe des Krankenhauses H. begangen wurde, wo rasch medizinische Hilfe erlangt werden konnte. Dies lässt außer Acht, dass es sich um eine aus Rache und Wut motivierte Spontantat handelte und der Angeklagte den Tatort daher ersichtlich nicht unter dem Gesichtspunkt einer nahe liegenden Rettungsmöglichkeit ausgewählt hatte.

Rz. 9

Schließlich ergibt sich auch aus der Feststellung des „hohen Maßes an Unreife” des Angeklagten nicht das vom Landgericht angenommene Indiz gegen einen bedingten Tötungsvorsatz. Unreife im Zusammenwirken mit der vom Landgericht festgestellten „fehlenden Impulskontrolle und Sozialisation” (UA S. 13) kann vielmehr bei einem in momentaner Wut aus nichtigem Anlass ausgeführten bedenkenlosen Einsatz eines lebensgefährlichen Werkzeugs gegen ein argloses Opfer gerade auch für ein Überwinden der Hemmschwelle vor der Inkaufnahme des Todes eines anderen Menschen sprechen. Zutreffend hat die Revision im Übrigen darauf hingewiesen, dass schon der festgestellte Handlungsablauf, nämlich das wuchtige Stechen eines Messers von oben nach unten aus schnellem Lauf in den Rücken eines ahnungslosen Opfers das Überwinden einer hohen Hemmschwelle voraussetzt. Auch dies hat das Landgericht nicht erkennbar in seine Überlegungen einbezogen.

Rz. 10

3. Die genannten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils, da sich nicht ausschließen lässt, dass der Tatrichter bei zutreffender Gewichtung der Indizien zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Von einer Aufrechterhaltung von Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen hat der Senat abgesehen, um dem neuen Tatrichter insgesamt umfassende neue Feststellungen zu ermöglichen.

Rz. 11

Sollte der neue Tatrichter zur Feststellung eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes gelangen, wären zum einen nähere Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers sowie zur Motivationslage im Einzelnen (vgl. UA S. 12) zu treffen; zum anderen wäre dem konkreten Geschehensablauf vom Beginn des Angriffs bis zum Eingreifen Dritter sowie gegebenenfalls der Frage des subjektiven Rücktrittshorizonts des Angeklagten nach Ausführen des (ersten) Stichs größere Aufmerksamkeit zuzuwenden.

 

Unterschriften

Rissing-van Saan, Fischer, Roggenbuck, Appl, Schmitt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2564569

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?

Jetzt kostenlos 4 Wochen testen

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene Beiträge
  • § 57 Zivilprozessrecht / I. Muster: Anzeige der Verteidigungsbereitschaft
    533
  • § 20 Mahnverfahren / V. Verfahren nach Einspruch
    387
  • § 15 Familienrecht / cc) Muster: Einstweilige Anordnung zum Umgangsrecht
    304
  • Eigentümerwechsel – Rechtsfolgen / 1.3.3 Betriebskostenabrechnung
    243
  • Verwalter muß Anträge auf Tagesordnung setzen
    233
  • § 57 Zivilprozessrecht / 2. Muster: Anerkenntnis
    220
  • § 30 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG / 2. Anrechnung der Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG
    208
  • § 10 Die Gebühren in Strafsachen und in Bußgeldverfahren ... / I. Einstellung des Verfahrens (Erledigungsgebühr)
    198
  • § 57 Zivilprozessrecht / b) Muster: Antrag auf Kostenfestsetzung gegen die eigene Partei gem. § 11 RVG
    195
  • § 37 Sozialrecht / I. Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren
    188
  • § 31 Miete und Pacht / 3. Muster: Aufhebungsvertrag
    173
  • Grundstück und Grundbuch / 11 Kosten in Grundbuchsachen
    170
  • § 15 Familienrecht / c) Muster: Abänderungsantrag
    159
  • § 2 Die Grundlagen des RVG / 3. Die Reisekosten (Nrn. 7003 bis 7006 VV RVG)
    158
  • § 4 Arbeitsrecht / 9. Muster: Anschreiben Urlaubsansprüche und deren drohender Verfall
    158
  • Schönheitsreparaturklauseln im Gewerbemietrecht - Starre Fristenpläne funktionieren auch hier nicht - Es hieß immer, dass Parteien bei Gewerbemiete alles Mögliche vereinbaren können. Der BGH zeigt jedoch, dass es hier Grenzen gibt.
    154
  • Kündigung (außerordentliche) von Wohnraum / 8 Muster einer außerordentlichen fristlosen Kündigung
    142
  • Kautionsrückzahlung – Bei Verzug muss Vermieter Anwaltskosten zahlen
    141
  • § 9 Muster / III. Muster: Klageerweiterung wegen Zahlung mit PKH, hilfsweise Beiordnung
    128
  • § 2 Die Gebühren nach dem RVG / 2. Post- und Telekommunikation, Nr. 7001 und Nr. 7002 VV RVG
    125
Weitere Inhalte finden Sie u.a. in folgendem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium
Top-Themen
Downloads
Zum Haufe Shop

Produktempfehlung


Zum Thema Recht
Gesetzliche Vorgaben sicher umsetzen: Geldwäscherecht
Geldwäscherecht
Bild: Haufe Shop

Das Buch fokussiert sich auf die wesentlichen Themen des Geldwäscherechts. Anhand von Checklisten, zahlreichen Praxisbeispielen und Arbeitshilfen ermöglicht es eine sichere und effiziente Umsetzung der regulatorischen Anforderungen. 


BGH 4 StR 387/15
BGH 4 StR 387/15

  Verfahrensgang LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 23.03.2015)   Tenor 1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 23. März 2015 werden mit der Maßgabe verworfen, dass auch das ...

4 Wochen testen


Newsletter Recht
Bild: Haufe Online Redaktion
Newsletter Recht - Wirtschaftsrecht

Aktuelle Informationen aus dem Bereich Wirtschaftsrecht frei Haus - abonnieren Sie unseren Newsletter:

  • Handels- und Gesellschaftsrecht
  • Gewerblicher Rechtsschutz
  • Vertriebsrecht
Pflichtfeld: Bitte geben Sie eine gültige E-Mail Adresse ein.
Sie müssen den AGB zustimmen
Haufe Fachmagazine
Zum Recht Archiv
Themensuche A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z #
Haufe Group
Haufe People Operations
Haufe Fachwissen
Haufe HR-Software
Haufe Digitale Personalakte
Advolux
Haufe Onlinetraining
rudolf.ai - Haufe meets AI
Weiterführende Links
RSS
Newsletter
FAQ
Mediadaten
Presse
Editorial Code of Conduct
Redaktionsrichtlinie zum KI-Einsatz
Netiquette
Sitemap
Buchautor:in werden bei Haufe
Kontakt

Kontakt & Feedback
AGB

Compliance
Datenschutz
Impressum
Haufe Shop Recht
Anwaltssoftware
Anwaltliches Fachwissen Software
Gesellschafts- & Wirtschaftsrecht Lösungen
Alle Recht Produkte

    Weitere Produkte zum Thema:

    × Profitieren Sie von personalisierten Inhalten, Angeboten und Services!

    Unser Ziel ist es, Ihnen eine auf Ihre Bedürfnisse zugeschnittene Website anzubieten. Um Ihnen relevante und nützliche Inhalte, Angebote und Services präsentieren zu können, benötigen wir Ihre Einwilligung zur Nutzung Ihrer Daten. Wir nutzen den Service eines Drittanbieters, um Ihre Aktivitäten auf unserer Website zu analysieren.

    Mit Ihrer Einwilligung profitieren Sie von einem personalisierten Website-Erlebnis und Zugang zu spannenden Inhalten, die Sie informieren, inspirieren und bei Ihrer täglichen Arbeit unterstützen.

    Wir respektieren Ihre Privatsphäre und schützen Ihre Daten. Sie können sich jederzeit darüber informieren, welche Daten wir erheben und wie wir sie verwenden. Sie können Ihre Einwilligung jederzeit widerrufen. Passen Sie Ihre Präferenzen dafür in den Cookie-Einstellungen an.

    Mehr Informationen Nein, Danke Akzeptieren