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BGH Urteil vom 05.07.1988 - IX ZR 7/88

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Leitsatz (amtlich)

a) Die Rang- und Quotenordnung des § 60 Abs. 1 KO ist bereits anzuwenden, wenn ernstlich mit einer Masseunzulänglichkeit zu rechnen ist (im Anschluß an BAGE 31, 288).

b) Ein Konkursverwalter verletzt die ihm gegenüber einem Prozeßgegner als Beteiligtem am Konkursverfahren obliegenden Pflichten, wenn er bei drohender Masseunzulänglichkeit Masseverbindlichkeiten ohne Rücksicht auf eine vor- oder gleichrangige Kostenerstattungsforderung des Gegners berichtigt.

 

Normenkette

KO § 60 Abs. 1, § 82

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 01.12.1987)

LG Lüneburg (Urteil vom 11.02.1987)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 1. Dezember 1987 aufgehoben und das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 11. Februar 1987 geändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.959 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 7. Mai 1986 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Beklagte war Verwalter im Konkurse über das Vermögen der G. + Chemotechnische Ingenieur-Gesellschaft mbH & Co in W./A.. Die spätere Gemeinschuldnerin hatte gegen die Klägerin im Oktober 1981 vor dem Landgericht Lüneburg Klage auf Zahlung von 70.803,75 DM nebst Zinsen erhoben. Am 11. Februar 1983 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter ernannt. Im März 1984 nahm der Beklagte das unterbrochene Verfahren auf. Durch Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 19. September 1984 wurde die Klägerin zur Zahlung der Klagesumme zuzüglich Zinsen verurteilt. Auf ihre Berufung wurde die Klage vom Oberlandesgericht Celle am 1. April 1986 abgewiesen; die Kosten des Rechtsstreits – mit Ausnahme von Säumniskosten – wurden dem Beklagten auferlegt. Die der Klägerin zu erstattenden erst- und zweitinstanzlichen Kosten wurden auf 9.975 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 7. Mai 1986 festgesetzt. Durch Beschluß vom 24. Oktober 1986 wurde das Konkursverfahren gem. § 204 KO eingestellt. Die Klägerin konnte Befriedigung aus der Konkursmasse nicht erlangen. Mit ihrer Klage hat sie den Beklagten persönlich in Höhe der festgesetzten Kosten in Anspruch genommen, weil er durch Begleichung nachrangiger Masseverbindlichkeiten verhindert habe, daß ihr Kostenerstattungsanspruch aus Mitteln der Konkursmasse habe erfüllt werden können.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung, mit der die Klägerin lediglich noch Ersatz ihrer außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz in Höhe von 4.959 DM nebst Zinsen begehrt hat, ist ohne Erfolg geblieben (OLG Celle ZIP 1988, 586). Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Berufungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte habe ihm gegenüber der Klägerin als Beteiligter obliegende Verwalterpflichten nicht verletzt. Insbesondere sei er mangels entsprechender Bestimmungen in der Konkursordnung nicht verpflichtet gewesen, für eventuell der Klägerin zu erstattende außergerichtliche Verfahrenskosten zu einem Zeitpunkt Rückstellungen vorzunehmen, als die Konkursmasse dies noch erlaubt habe. Eine solche Pflicht sei insbesondere nicht aus § 60 KO abzuleiten. Diese Norm erlaube keine unmittelbaren Schlüsse darauf, wie sich der Konkursverwalter zu verhalten habe, solange er berechtigt davon ausgehen dürfe, daß alle Massegläubiger befriedigt werden könnten.

II.

Diese Erwägungen tragen die Abweisung der Klage nicht.

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Klägerin als Beteiligte im Sinn von § 82 KO angesehen. Mit der Zustellung der Klage der Gemeinschuldnerin gegen die Klägerin war deren Anspruch auf Erstattung der Prozeßkosten aufschiebend bedingt entstanden (BGH, Urt. v. 6. Dezember 1974 – V ZR 86/73, WM 1975, 97, 98 = LM BGB § 419 Nr. 29; Urt. v. 21. April 1988 – IX ZR 191/87, JZ 1988, 675). Nach der Aufnahme des Verfahrens durch den Beklagten richtete sich der Anspruch gegen die Masse (vgl. Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 3 Rdnr. 90; § 10 Rdnr. 119; Kilger, KO 15. Aufl. § 59 Anm. 1 b; Kuhn/Uhlenbruck, KO 10. Aufl. § 59 Rdnr. 5 a). Als – auch nur bedingte – Massegläubigerin war die Klägerin Beteiligte, der gegenüber der Beklagte nach § 82 KO verantwortlich war (vgl. Jaeger/Weber, KO 8. Aufl. § 82 Anm. 8 Abs. 3; J. Simon, MDR 1957, 203; auch BGHZ 100, 346, 350; BGH, Urt. v. 12. November 1987 – IX ZR 259/86, WM 1987, 1567, 1568 = BGHR KO § 82 – Grundstücksveräußerung 1; Kuhn/Uhlenbruck a.a.O. § 82 Rdnr. 8).

2. Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht hat der Beklagte seine ihm gegenüber der Klägerin obliegenden konkursspezifischen Pflichten verletzt.

Unstreitig ließ die Masse bei Aufnahme des Verfahrens durch den Beklagten die Begleichung eines möglichen Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin zu. Der Beklagte hat mithin durch die Verfahrensaufnahme Verwalterpflichten gegenüber der Klägerin als Prozeßgegnerin auch dann nicht verletzt, wenn die Rechtsverfolgung – was hier freilich kaum anzunehmen ist – keine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten haben sollte.

Die Pflichtwidrigkeit des Beklagten liegt vielmehr darin, daß er nachrangige Massegläubiger noch zu einem Zeitpunkt bediente, als damit zu rechnen war, daß die Masse zur vollständigen Befriedigung aller Massegläubiger nicht mehr ausreichte. Dies war spätestens der Fall, als sich im Herbst 1985 bei einer Besprechung ergab, daß – von der gegen die Klägerin geltend gemachten Forderung abgesehen – durchsetzbare Ansprüche der Masse nicht bestanden. Den genauen Zeitpunkt der Besprechung hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Dem Vorbringen des Beklagten ist jedoch zu entnehmen, daß dieser Zeitpunkt vor dem 18. Oktober 1985 und damit vor den Terminen (18. Oktober, 18. November und 16. Dezember 1985) lag, zu denen der Beklagte die nachrangigen Masseverbindlichkeiten der Posten 127/85 (Umsatzsteuerforderung in Höhe von 964,62 DM) und 128/85 (Forderung des Landesarbeitsamts in Höhe von 4.228,04 DM) sowie die gleichrangige Masseschuld 130/85 (Prozeßkostenforderung des Rechtsanwalts Wehage in Höhe von 3.606,51 DM) erfüllte. Auch wenn die Masseunzulänglichkeit nicht vor dem 1. April 1986, dem Tage der Verkündung des Berufungsurteils in dem gegen die Klägerin anhängigen Rechtsstreit, feststand, durfte der Beklagte die nachrangigen Masseverbindlichkeiten nicht, die gleichberechtigte nicht in vollem Umfang ohne Rücksicht auf einen Kostenerstattungsanspruch der Klägerin begleichen.

Nach dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 KO ist die Rang- und Quotenordnung dieser Bestimmung erst anwendbar, „sobald sich herausstellt, daß die Konkursmasse zur vollständigen Befriedigung aller Massegläubiger nicht ausreicht”. Dies war nicht vor Erlaß des Urteils am 1. April 1986 der Fall. Indessen konnte der Beklagte schon vorher nicht ohne weiteres annehmen, das ihm günstige erstinstanzliche Urteil werde im zweiten Rechtszug bestätigt werden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist vielmehr davon auszugehen, daß für den Beklagten das übliche Prozeßrisiko bestand. War der Prozeßausgang aber offen, ließ sich jedenfalls nach der Besprechung im Herbst 1985 die Gefahr nicht von der Hand weisen, daß der Prozeß gegen die Klägerin verlorenging, deren Kostenerstattungsanspruch unbedingt wurde und die noch vorhandene Konkursmasse dann nicht ausreichte, alle verbliebenen Massegläubiger mit Einschluß der Klägerin vollständig zu befriedigen. In Fällen solcher Art, in denen ernstlich mit einer Masseunzulänglichkeit zu rechnen ist, gebietet es der Schutzzweck des § 60 Abs. 1 KO, den Anwendungsbereich dieser Norm vorzuverlagern und auch diese Fälle bereits in ihre Regelung einzubeziehen. Vor- und gleichrangige Massegläubiger würden nur unzulänglich geschützt, falls trotz drohender Masseunzulänglichkeit die Rangordnung und Quotenregelung des § 60 Abs. 1 KO erst anzuwenden wäre, wenn endgültig feststeht, daß die Masse zur Befriedigung sämtlicher Massegläubiger nicht ausreicht, und ein Massegläubiger nicht gehindert werden könnte, sich bis zu diesem Zeitpunkt unangreifbare Deckung zu verschaffen. Dies hat bereits das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 31. Januar 1979 (BAGE 31, 288, 295 = AP KO § 60 Nr. 1) ausgeführt (vgl. auch BAG ZIP 1986, 1338, 1339). Andere Gerichte sind dem gefolgt (vgl. OLG Köln ZIP 1980, 855, 860; OLG Hamm ZIP 1987, 528; auch BSG ZIP 1982, 191, 192). Auch in der Literatur hat die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts Anerkennung gefunden (vgl. Henckel, Anm. in AP KO § 60 Nr. 1 Bl. 6 Rückseite, 9 f; Kilger a.a.O. § 60 Anm. 1; Kuhn/Uhlenbruck a.a.O. § 60 Rdnr. 3 d; Mohrbutter/Mohrbutter, Handbuch der Konkurs- und Vergleichsverwaltung 5. Aufl. Rdnr. 392). Der Senat schließt sich dem an.

Dann aber war der Beklagte, dem sämtliche objektiven Umstände bekannt waren, gehalten, die nach dem 17. Oktober 1985 noch offenen Masseansprüche nicht – jedenfalls nicht in vollem Umfang – vor dem Kostenerstattungsanspruch der Klägerin zu erfüllen. Klagen oder Vollstreckungsversuchen von Massegläubigern hätte er den Einwand drohender Masseunzulänglichkeit entgegenhalten können und müssen. Durch die vorbehaltlose Erfüllung nachrangiger Masseansprüche am 18. Oktober und 18. November 1985 in einer den noch geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch überschreitenden Höhe hat der Beklagte die ihm gegenüber der Klägerin obliegenden Verwalterpflichten verletzt (vgl. LG Mannheim JZ 1955, 338; Kilger a.a.O. § 82 Anm. 3 b; Kuhn/Uhlenbruck a.a.O. § 82 Rdnr. 11 f; zu eng J. Simon MDR 1957, 203, 205).

Der Beklagte hat auch schuldhaft gehandelt. Bei Anwendung der von ihm als Konkursverwalter zu erwartenden Sorgfalt hätte er die im Vorstehenden dargestellte Auffassung in Rechtsprechung und Literatur kennen können und müssen. Die entgegenstehenden Entscheidungen der Instanzgerichte vermögen den Beklagten schon deshalb nicht zu entschuldigen, weil sie auf einer unvollständigen Würdigung des Sachverhalts beruhen.

Das angefochtene Urteil ist mithin gem. § 564 Abs. 1 ZPO aufzuheben. Der Senat entscheidet nach § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO selbst. Der Sachverhalt ist unstreitig. Insbesondere ist die Höhe der Klageforderung und des ihrer Bemessung zugrundegelegten Streitwerts nicht angegriffen.

 

Unterschriften

Merz, Henkel, Gärtner, Schmitz, Kreft

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502494

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1988, 1068

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