Sie verwenden eine veraltete Browser-Version. Dies kann unter Umständen zu Einschränkungen in der Funktion sowie Darstellung führen. Daher empfehlen wir Ihnen, einen aktuellen Browser wie z.B. Microsoft Edge zu verwenden.
Personal
Steuern
Finance
Immobilien
Controlling
Themen
Öffentlicher Dienst
Recht
Arbeitsschutz
Sozialwesen
Sustainability
Haufe.de
Shop
Service & Support
Newsletter
Kontakt & Feedback
Login

Personal Steuern Finance Immobilien Controlling Öffentlicher Dienst Recht Arbeitsschutz Sozialwesen
Immobilien
Controlling
Öffentlicher Dienst
Recht
Arbeitsschutz
Sozialwesen
Sustainability
Themen

BGH Beschluss vom 09.02.2011 - XII ZB 526/10

Sie haben bereits ein Haufe Produkt? Hier anmelden
 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Betreuerbestellung bei Volljährigkeit. Fachliche Qualifikation

 

Leitsatz (amtlich)

a) Nach der zum 1.7.2005 eingeführten Vorschrift des § 1896 Abs. 1a BGB darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist deswegen neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht.

b) Zu den Anforderungen an die fachliche Qualifikation eines Sachverständigen nach § 280 Abs. 1 FamFG (Abgrenzung zum BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 383/10, FamRZ 2010, 1726 zur Unterbringung).

 

Normenkette

BGB § 1896 Abs. 1a; FamFG § 280 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Ansbach (Beschluss vom 23.09.2010; Aktenzeichen 4 T 927/10)

AG Weißenburg i.Bay (Beschluss vom 16.07.2010; Aktenzeichen XVII 193/10)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Ansbach vom 23.9.2010 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 Satz 2 KostO). Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Das AG hat dem Betroffenen nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung mit Beschluss vom 19.7.2010 eine Betreuerin mit den Aufgabenkreisen der Vermögenssorge, der Vertretung gegenüber Behörden, Versicherung, Renten- und Sozialleistungsträgern und für die Entgegennahme und das Öffnen der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise bestellt. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das LG ein Zusatzgutachten zu der Frage eingeholt, ob der Betroffene, der der Einrichtung der Betreuung widerspricht, in der Lage ist, im Rahmen der Wirkungskreise einen freien Willen gem. § 1896 Abs. 1a BGB zu bilden. Nach Eingang des Sachverständigengutachtens hat das LG die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

II.

Rz. 2

Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.

Rz. 3

1. Die Rechtsbeschwerde rügt einen Verstoß gegen § 1896 Abs. 1a BGB. Nach dieser zum 1.7.2005 eingeführten Vorschrift darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene - wie hier - der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht.

Rz. 4

a) Die Vorschrift beruht auf der Rechtsprechung des BVerfG, wonach die Einrichtung einer Betreuung den Betreuten ganz oder teilweise in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG einschränkt. An seiner Stelle kann innerhalb des vom Gericht angeordneten Aufgabenkreises auch der Betreuer entscheiden. Je nach Aufgabenkreis kann es deshalb auch in höchstpersönlichen Angelegenheiten zu Entscheidungen gegen den ausdrücklichen Willen des Betreuten kommen. Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen gegen den Willen des zu Betreuenden setzt deswegen voraus, dass der Betreute seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger in ihrer Freiheit zu beschränken, ohne dass sie sich selbst oder andere gefährden. Die Bestellung eines Betreuers, ohne dass hinreichende Tatsachen für eine Beeinträchtigung des freien Willens vorliegen, verletzt deshalb das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 GG (BVerfG FamRZ 2010, 1624 Rz. 43).

Rz. 5

Hinzu kommt, dass das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen des eigenen Persönlichkeitsbildes schützt. Die Einrichtung einer Betreuung hat für den Betroffenen stigmatisierende Wirkung. Mit ihr ist die Einschätzung verbunden, der Betreute könne einen freien Willen nicht bilden. Hierdurch wird das Persönlichkeitsbild des Betroffenen negativ geprägt und beeinträchtigt. Ein solcher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur gerechtfertigt, wenn das zuständige Betreuungsgericht nach angemessener Untersuchung des Sachverhalts davon ausgehen darf, dass die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung tatsächlich gegeben sind. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Betreuung im Wege einer einstweiligen Anordnung eingerichtet wird (BVerfG FamRZ 2010, 1624 Rz. 46).

Rz. 6

Ebenso hat der Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass jeder das Recht habe, sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten, soweit nicht Rechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter betroffen sind (Art. 2 Abs. 1 GG). Ist Letzteres nicht der Fall, hat der Staat nicht das Recht, den zur freien Willensbestimmung fähigen Betroffenen zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu schädigen. Soweit der Betroffene zur freien Willensbestimmung fähig ist, darf gegen seinen Willen ein Betreuer nicht bestellt werden. Eine Bestellung gegen den freien Willen des Betroffenen stellt einen Eingriff in die Würde des Betroffenen dar, der zu unterlassen oder zu beseitigen ist (BT-Drucks. 15/2494, 28).

Rz. 7

Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einem Gebrechen i.S.d. § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Abzustellen ist jeweils auf das Krankheitsbild des Betroffenen. So vermag ein an einer Psychose erkrankter Betroffener das Wesen und die Bedeutung einer Betreuung im Detail eher zu begreifen als der an einer Demenz leidende Betroffene. Wichtig ist das Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB) bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können (BT-Drucks. 15/2494, 28).

Rz. 8

Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt dabei denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen (OLG Hamm FamRZ 2009, 1436 Rz. 9; OLG Brandenburg FamRZ 2009, 152 Rz. 10; OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 1710 Rz. 4; OLG Köln FGPrax 2006, 117 Rz. 5). Diese Voraussetzungen hat das fachärztlich beratene Gericht festzustellen.

Rz. 9

b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind diese Voraussetzungen hier erfüllt. Das LG hat zu dieser Frage ein Ergänzungsgutachten eingeholt und der Sachverständige hat insoweit festgestellt, dass der Betroffene im Umfang der angeordneten Betreuung nicht zu einer freien Willensbestimmung in der Lage sei. Infolge der extremen Störung seines Kurzzeitgedächtnisses ist es dem Betroffenen nicht möglich, die Diskrepanz zwischen seiner eigenen Wahrnehmung und den von der Betreuungsbehörde ermittelten tatsächlichen Verhältnissen zutreffend einzuschätzen. Dies ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

Rz. 10

2. Soweit die Rechtsbeschwerde die Verwertung des Gutachtens und des Ergänzungsgutachtens rügt, weil sich aus der Akte nicht ergebe, dass der Sachverständige Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie i.S.d. § 280 Abs. 1 FamFG sei, bleibt ihr der Erfolg versagt, weil § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG insoweit lediglich eine Sollvorschrift enthält.

Rz. 11

Im Rahmen der Einrichtung einer Betreuung "soll" der Sachverständige Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Nur bei psychischen Krankheiten oder geistig-seelischen Behinderungen "ist grundsätzlich" ein Facharzt für Psychiatrie oder Neurologie zu beauftragen, zumindest aber ein in der Psychiatrie erfahrener Arzt (zum früheren Recht vgl. OLG Brandenburg Beschl. v. 16.1.2007 - 11 Wx 66/06 - juris Rz. 7; BayObLG FamRZ 1993, 351 [352]). Der Gesetzgeber hat insoweit bewusst eine Sollvorschrift gewählt, um anderen Erkrankungen Rechnung zu tragen, die nicht lediglich aus psychiatrischer Sicht beurteilt werden können. In solchen Fällen sind eine Facharztausbildung oder Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie nicht zwingend erforderlich. Dabei unterscheidet sich diese Vorschrift von § 321 Abs. 1 Satz 4 FamFG, wonach der Gutachter im Rahmen einer Unterbringung Arzt für Psychiatrie sein soll und jedenfalls Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie haben "muss" (vgl. BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 383/10, FamRZ 2010, 1726 Rz. 13 ff.). Im Hinblick auf das vorliegende hirnorganische Psychosyndrom des Betroffenen mit massiver Störung des Kurzzeitgedächtnisses erfüllt der beauftragte Amtsarzt deswegen die Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG.

Rz. 12

Die weiteren von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG i.V.m. § 564 Satz 1 ZPO).

Rz. 13

3. Von einer weiteren Begründung wird gem. § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2643683

EBE/BGH 2011

FuR 2011, 324

FGPrax 2011, 119

BtPrax 2011, 127

MDR 2011, 427

NJ 2011, 5

FamRB 2011, 145

R&P 2011, 112

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?

Jetzt kostenlos 4 Wochen testen

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene Beiträge
  • Bundeswaldgesetz / §§ 39 - 40 Abschnitt V Ergänzende Vorschriften
    0
  • Datenschutz (ZertVerwV) / 6 Informationspflichten
    0
  • Dauerwohnrecht / 2 Begründung des Dauerwohnrechts
    0
  • Förderprogramme zur Finanzierung energetischer Maßnahmen / 2.1.2.3 Darlehenskonditionen
    0
  • Grüner Mietvertrag (Green Leases): Anwendungsbereiche un ... / 11.1 Innenraumqualität
    0
  • Landesnaturschutzgesetz Nordrhein-Westfalen / §§ 35 - 55 Kapitel 4 Schutz bestimmter Teile von Natur und Landschaft
    0
  • Landeswaldgesetz Hamburg / Anlage 2 Beschilderung (§ 9 Abs. 1)
    0
Weitere Inhalte finden Sie u.a. in folgendem Produkt VerwalterPraxis Gold
Top-Themen
Downloads
Zum Haufe Shop

Produktempfehlung


Zum Thema Immobilien
Haufe Shop: Vermieter-Lexikon

Hier finden Sie Antworten auf alle wichtigen Rechtsfragen von A wie Abmahnung bis Z wie Zahlungsverzug. Das Buch hilft, Probleme zu erkennen, zu vermeiden oder zu lösen. Mit über 10.000 aktuellen Gerichtsentscheidungen – von Experten ausführlich erläutert. Jetzt in der 18. Auflage!


BGH XII ZB 352/14
BGH XII ZB 352/14

Entscheidungsstichwort (Thema) Beschwerde gegen Anordnung der Betreuung. Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung. Rechtsbeschwerde Leitsatz (redaktionell) Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im ...

4 Wochen testen


Newsletter Immobilien
Newsletter ImmobilienVerwaltung

Aktuelle Informationen aus dem Bereich Immobilienverwaltung frei Haus - abonnieren Sie unseren Newsletter:

  • Rechtsprechung
  • Miet- und Wohnungseigentumsrecht
  • energetische Sanierung
Pflichtfeld: Bitte geben Sie eine gültige E-Mail Adresse ein.
Bitte bestätigen Sie noch, dass Sie unsere AGB und Datenschutzbestimmungen akzeptieren.
Haufe Fachmagazine
Themensuche
A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z #
Zum Immobilien Archiv
Haufe Group
L'Immo-Podcast: Alle Folgen Haufe Onlinetraining Haufe HR-Software Haufe Digitale Personalakte Haufe Akademie rudolf.ai - Haufe meets AI
Weiterführende Links
RSS Newsletter FAQ Mediadaten Presse Editorial Code of Conduct Redaktionsrichtlinie zum KI-Einsatz Netiquette Sitemap Buchautor:in werden bei Haufe
Kontakt
Kontakt & Feedback AGB Cookie-Einstellungen Compliance Datenschutz Impressum
Haufe Immobilien Shop
Immobilien Lösungen Immobilien-Verwaltung Produkte Wohnungswirtschaft Lösungen Private Vermietung Produkte Alle Immobilien Produkte
 

    Weitere Produkte zum Thema:

    × Profitieren Sie von personalisierten Inhalten, Angeboten und Services!

    Unser Ziel ist es, Ihnen eine auf Ihre Bedürfnisse zugeschnittene Website anzubieten. Um Ihnen relevante und nützliche Inhalte, Angebote und Services präsentieren zu können, benötigen wir Ihre Einwilligung zur Nutzung Ihrer Daten. Wir nutzen den Service eines Drittanbieters, um Ihre Aktivitäten auf unserer Website zu analysieren.

    Mit Ihrer Einwilligung profitieren Sie von einem personalisierten Website-Erlebnis und Zugang zu spannenden Inhalten, die Sie informieren, inspirieren und bei Ihrer täglichen Arbeit unterstützen.

    Wir respektieren Ihre Privatsphäre und schützen Ihre Daten. Sie können sich jederzeit darüber informieren, welche Daten wir erheben und wie wir sie verwenden. Sie können Ihre Einwilligung jederzeit widerrufen. Passen Sie Ihre Präferenzen dafür in den Cookie-Einstellungen an.

    Mehr Informationen Nein, Danke Akzeptieren