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BFH Urteil vom 27.10.1959 - I 131/58 U

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Rücknahme eines auf 0 DM lautenden Steuerbescheids.

Ob ein Freistellungsbescheid vorliegt, ist nicht nach der äußeren Form, sondern nach dem sachlichen Inhalt des Bescheids zu beurteilen.

 

Normenkette

AO §§ 93-94, 210 Abs. 3

 

Tatbestand

Der am 15. Mai 1951 verstorbene Fabrikant A. und dessen Sohn B., die das von der Bfin. betriebene Unternehmen in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft führten, vereinbarten am 10. August 1950 privatschriftlich, unter Einbringung des durch Bestandsaufnahme zum 30. Juni 1950 festgestellten Vermögens der Kommanditgesellschaft eine GmbH mit Wirkung ab 1. Juli 1950 zu gründen. Die Beurkundung des Gesellschaftsvertrages und die Eintragung in das Handelsregister sollten erfolgen, sobald die Eröffnungsbilanz der GmbH auf Grund der Schlußbilanz der Kommanditgesellschaft (die wegen des noch fehlenden Gesetzes zur änderung und Ergänzung des D-Markbilanzgesetzes noch nicht gefertigt werden konnte) erstellt war.

Nach dem Tode des Gesellschafters A., der von seinen Söhnen B. und C. je zur Hälfte beerbt wurde, schlossen diese am 28. Dezember 1951 einen notariell beurkundeten Vertrag über die Gründung einer GmbH. Die Vertragschließenden erklärten, daß sie sich ab "1. Juli 1950 zu einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zusammengeschlossen haben, demgemäß eine solche Gesellschaft errichten". Der Gesellschafter B. gab an, daß er diese Erklärung für sich zugleich als Rechtsnachfolger seines verstorbenen Vaters abgebe; auch der Gesellschafter C. gab seine Erklärung als Rechtsnachfolger seines Vaters ab. Das Stammkapital wurde von den beiden Gesellschaftern je zur Hälfte übernommen. Die GmbH wurde am 3. März 1952 in das Handelsregister eingetragen.

Das Finanzamt stellte den Gewinn der Kommanditgesellschaft für 1950 durch vorläufigen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid vom 8. April 1952 fest, wobei es entsprechend der Steuererklärung als Ende des Besteuerungszeitraumes den 30. Juni 1950 annahm. Im Körperschaftsteuerbescheid für 1950 vom 10. April 1952 ging das Finanzamt davon aus, die Bfin. sei ab 1. Juli 1950 körperschaftsteuerpflichtig. Auf Grund einer Betriebsprüfung berichtigte das Finanzamt den Gewinnfeststellungsbescheid für 1950 in der Weise, daß es die Kommanditgesellschaft als über den 30. Juni 1950 hinaus fortbestehend ansah und den im Verlauf des gesamten Jahres 1950 erzielten Gewinn den Gesellschaftern der Kommanditgesellschaft zurechnete. Die Verwaltungsbehörde verneinte die steuerliche Wirksamkeit des Vertrages vom 10. August 1950 über die Gründung der GmbH. Den vorläufigen Körperschaftsteuerbescheid berichtigte das Finanzamt durch endgültigen Bescheid vom 25. November 1952 unter Hinweis auf das Ergebnis der gegen die Kommanditgesellschaft gerichteten Betriebsprüfung und setzte die Steuer auf 0 DM fest. Im Rechtsmittelverfahren über die einheitliche Gewinnfeststellung entschied das Finanzgericht, daß die Gesellschafter der Kommanditgesellschaft als Mitunternehmer nur bis zum 30. Juni 1950 zu besteuern seien, weil die GmbH steuerlich ab 1. Juli 1950 anerkannt werden müsse.

Veranlaßt durch das rechtskräftig gewordene Urteil erließ das Finanzamt am 26. Juli 1956, gestützt auf § 94 Abs. 2 AO, gegen die Bfin. einen neuen Körperschaftsteuerbescheid für 1950; die Behörde ging nunmehr davon aus, die Bfin. sei ab 1. Juli 1950 körperschaftsteuerpflichtig. Der Einspruch und die Berufung hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. der GmbH ist nicht begründet.

Der Bfin. kann nicht in der Annahme gefolgt werden, der der Form nach auf 0 DM lautende Körperschaftsteuerbescheid sei ein Freistellungsbescheid. Ein solcher Bescheid setzt begrifflich voraus, daß die Steuer (rechts) - fähigkeit bejaht, jedoch die Steuer auf 0 DM festgesetzt wird, z. B. bei der erstmaligen Veranlagung (Urteil des Bundesfinanzhofs II 113/53 U vom 10. Juni 1953, BStBl 1953 III S. 214, Slg. Bd. 57 S. 558), oder wenn ein Steuerbescheid berichtigt oder geändert wird, weil die Steuerfestsetzung mit Rücksicht auf eine Befreiungsvorschrift, mangels eines steuerbaren Tatbestandes oder mangels steuerpflichtigen Einkommens materiell-rechtlich zu Unrecht erfolgt ist (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs II A 304/25 vom 26. Mai 1925, Slg. Bd. 16 S. 259; II A 232/33 vom 9. März 1934, RStBl 1934 S. 333, Slg. Bd. 35 S. 306). Ein derartiger Bescheid liegt im Streitfall nicht vor. Zwar hat das Finanzamt der äußeren Form nach den vorläufigen Körperschaftsteuerbescheid vom 10. April 1952 durch den als endgültig bezeichneten Körperschaftsteuerbescheid vom 25. November 1952 berichtigt und die Körperschaftsteuer auf 0 DM festgesetzt. Der umstrittene Steuerverwaltungsakt ist jedoch nicht nach seiner äußeren Form, sondern nach seinem materiellen Gehalt zu qualifizieren. Der Sache nach handelte es sich nicht um eine auf § 225 AO gestützte Berichtigung der Steuerfestsetzung auf 0 DM gegenüber einem als existent angesehenen Steuersubjekt. In Wirklichkeit hat das Finanzamt einen vorläufigen Steuerbescheid, der auf Grund der Vorläufigkeitserklärung innerhalb der Verjährungsfrist zugunsten des Steuerpflichtigen jederzeit abänderbar (§ 225 AO) und somit auch aufhebbar war, zurückgenommen. Die Rücknahme erfolgte, weil das Finanzamt auf Grund seiner (infolge der Feststellungen des Betriebsprüfers) geänderten Rechtsauffassung zu dem Ergebnis kam, die mit dem vorläufigen Körperschaftsteuerbescheid vom 10. April 1952 als subjektiv körperschaftsteuerpflichtig angesehene Gründergesellschaft der GmbH könne nicht Subjekt der Körperschaftsteuer sein. Verfahrensrechtlich wurde mit der Rücknahme ein Steuerbescheid beseitigt, durch den die Steuerfähigkeit eines Rechtsgebildes für den Veranlagungszeitraum 1950 festgestellt worden war, das nach der geänderten Rechtsauffassung des Finanzamts nicht der Körperschaftsteuer unterlag.

Die Rücknahme (Aufhebung) des vorläufigen Körperschaftsteuerbescheides vom 10. April 1952 durch den Bescheid vom 25. November 1952 hinderte das Finanzamt nicht, die Bfin. durch den umstrittenen Körperschaftsteuerbescheid erneut zur Körperschaftsteuer heranzuziehen, nachdem das Finanzgericht in dem Verfahren betreffend die einheitliche Gewinnfeststellung der Gesellschafter der Kommanditgesellschaft ausgesprochen hatte, die Gründergesellschaft oder Vorgesellschaft der GmbH sei ab 1. Juli 1950 körperschaftsteuerpflichtig. Auch im Bereich des Steuerrechts genießen Verwaltungsakte nicht den gleichen Bestandsschutz wie gerichtliche Urteile (vgl. Haueisen, Neue Juristische Wochenschrift 1959 S. 701). Die Bindungswirkung bei Verwaltungsakten ist beschränkt auf den Gegenstand der Regelung, den sog. Verfügungssatz; die Begründung nimmt an dem Bestandsschutz nicht teil (vgl. Haueisen, Deutsches Verwaltungsblatt 1959 S. 229). Bei der oben gegebenen Deutung des Bescheides vom 25. November 1952 ist der Verfügungssatz auf die (ersatzlose) Aufhebung des Bescheides vom 10. April 1952 beschränkt. Die Aufhebungsverfügung ist kein Steuerbescheid im Sinne der §§ 211, 212 AO, dessen Abänderbarkeit durch die §§ 94, 222 bis 225 AO eingeschränkt ist. Die Rücknahme- (Aufhebungs-) Verfügung fällt vielmehr unter § 93 AO (siehe auch Riewald, Reichsabgabenordnung, § 94 Anm. 5, S. 435; Hübschmann-Hepp- Spitaler, Reichsabgabenordnung, § 94 Anm. 15; Urteil des Reichsfinanzhofs I A 49/30 vom 30. April 1930, Steuer und Wirtschaft 1930 Nr. 586; Becker, Steuer und Wirtschaft 1930 Sp. 563). Derartigen Verfügungen kommt grundsätzlich keine Bindungswirkung und damit kein Bestandsschutz zu. Ob und unter welchen Voraussetzungen in Ausnahmefällen der auf § 93 AO beruhenden Rücknahme eines Verwaltungsaktes ausnahmsweise Bindungswirkung zukommen kann, braucht hier nicht erörtert zu werden. Nach Lage des Falles könnte der Rücknahmeverfügung vom 25. Oktober 1952 auch nicht mit Rücksicht auf Treu und Glauben eine Bindungswirkung zuerkannt werden, die dem Finanzamt den Erlaß des neuen Körperschaftsteuerbescheides verwehrt hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409529

BStBl III 1961, 286

BFHE 1962, 49

BFHE 73, 49

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