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BFH Urteil vom 27.06.1978 - VIII R 155/75

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Leitsatz (amtlich)

Enthält der endgültige Feststellungsbescheid unverändert die Feststellung, es liege ein begünstigter Veräußerungsgewinn in bestimmter Höhe vor, so ist diese Feststellung auch dann dem Steuerbescheid zugrunde zu legen, wenn in dem vorangegangenen, auf dem vorläufigen Feststellungsbescheid beruhenden Steuerbescheid das Vorliegen eines begünstigten Veräußerungsgewinns verkannt und demgemäß die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 und 2 EStG nicht gewährt worden war.

 

Normenkette

AO § 100 Abs. 2, § 213 Abs. 2, § 215 Abs. 2, § 218 Abs. 2, 4, § 232 Abs. 1; EStG §§ 16, 34 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bezieht als Gesellschafterin einer KG Einkünfte aus Gewerbebetrieb. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1959 beantragte sie für den auf sie entfallenden, noch nicht einheitlich und gesondert festgestellten Veräußerungsgewnin der KG die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Das Finanzamt (FA) H (FA H) veranlagte die Klägerin mit Bescheid vom 13. Februar 1961 zum normalen Tarif.

Durch gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufigen Bescheid vom 29. Januar 1965 stellte das Betriebs-FA den Gewinn der KG für 1959 einheitlich und gesondert fest. Der Anteil der Klägerin am laufenden Gewinn betrug 65 560 DM und an dem nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG begünstigten Veräußerungsgewinn 22 400 DM. Nach Eingang der Mitteilung des Betriebs-FA berichtigte das FA H die Veranlagung gemäß § 218 Abs. 4 AO durch Bescheid vom 3. August 1965 und setzte die Einkommensteuer auf 31 171 DM fest. Die Tarifvergünstigung des § 34 EStG gewährte es nicht. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Im Anschluß an eine Betriebsprüfung bei der KG stellte das Betriebs-FA durch endgültigen Feststellungsbescheid vom 29. September 1971 den Anteil der Klägerin am laufenden Gewinn auf 74 101 DM und am Veräußerungsgewinn unverändert auf 22 400 DM fest. Daraufhin erließ der inzwischen für die Besteuerung der Klägerin zuständig gewordene Beklagte und Revisionskläger (FA F) den nach § 218 Abs. 4 AO berichtigten Einkommensteuerbescheid vom 4. Dezember 1973 und erhöhte die Steuer auf 35 126 DM. Die Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 1 EStG wurde wiederum nicht gewährt.

Der Einspruch, mit dem die Klägerin die Steuerermäßigung beantragte, hatte nur zum Teil Erfolg. Das FA F gewährte sie in der Einspruchsentscheidung vom 7. Januar 1975 nur im Rahmen des § 232 AO und setzte die verbleibende Einkommensteuerschuld für 1959 auf 31 171 DM fest.

Im Klageverfahren wandte sich die Klägerin gegen die Anwendung des § 232 AO und beantragte, die Einkommensteuer auf 29 154 DM herabzusetzen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Zur Begründung führte es aus: Der endgültige Feststellungsbescheid sei an die Stelle des bisherigen Bescheids getreten. Demzufolge sei gemäß § 218 Abs. 4 AO der Einkommensteuerbescheid, der auf dem bisherigen Feststellungsbescheid beruhe, durch einen neuen Bescheid zu ersetzen, der der Änderung Rechnung trage. Dies könne nur in der Weise geschehen, daß alle Teile des Feststellungsbescheids in den Einkommensteuerbescheid übernommen würden. Dazu gehöre auch der unverändert gebliebene Anteil am Veräußerungsgewinn in Höhe von 22 400 DM. Da der Antrag auf Anwendung des begünstigten Steuersatzes rechtzeitig vor Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids gestellt worden sei, sei dem Klagebegehren in vollem Umfang zu entsprechen.

Mit der Revision rügt das FA F Verletzung der §§ 218 Abs. 2 und 4 und 232 Abs. 1 AO. Es vertritt die Ansicht: Die Anwendung des begünstigten Tarifs sei nur noch in den Grenzen des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids vom 3. August 1965 möglich. Bei dem auf § 218 Abs. 4 AO gestützten Berichtigungsbescheid vom 4. Dezember 1973 handele es sich in bezug auf die Anwendbarkeit der Tarifermäßigung nach § 34 EStG nur um eine technisch nicht relevante Wiederholung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids. Die Klägerin könne sich demgegenüber nicht auf die Bindung des FA an den endgültigen Grundlagenbescheid berufen. Denn die Tatbestandswirkung des § 218 Abs. 2 AO gehe nicht soweit, daß in jedem Fall der einheitlichen und gesonderten Feststellung eines Veräußerungsgewinns zwangsläufig der ermäßigte Steuersatz des § 34 Abs. 1, 2 EStG zur Anwendung komme. Über die Anwendung der Tarifvorschrift des § 34 EStG werde abschließend erst im Veranlagungsverfahren entschieden.

Das FA F beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Der Klägerin ist die Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG in dem nach § 218 Abs. 4 AO berichtigten Einkommensteuerbescheid 1959 zu gewähren. Dem steht § 232 AO nicht entgegen.

1. Die Feststellungen, die in einem Feststellungsbescheid getroffen werden, sind dem Steuerbescheid zugrunde zu legen. Wird ein Feststellungsbescheid durch Berichtigungsfeststellung geändert, so ist der auf ihm beruhende Einkommensteuerbescheid durch einen neuen Bescheid zu ersetzen, der der Änderung Rechnung trägt. Dies gilt auch dann, wenn der zu ersetzende Bescheid bereits unanfechtbar geworden ist (§§ 215 Abs. 2 Nr. 2, 213 Abs. 2, 218 Abs. 2 und 4 AO). Trägt das Veranlagungs-FA der Änderung des Grundlagenbescheids nur teilweise Rechnung, so kann der Steuerpflichtige im Einspruchsverfahren geltend machen, die Folgeänderung berücksichtige die Grundlagenänderung nicht in vollem Umfang. Der Steuerpflichtige kann dagegen nicht die Wiederaufrollung des Folgebescheids im ganzen erreichen. Außerhalb der Bindung an den Grundlagenbescheid liegende Fehler in einem unanfechtbaren Folgebescheid können nur in den Grenzen des § 232 AO berichtigt werden (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. November 1965 VI 128/65 U, BFHE 84, 365, BStBl III 1966, 131; vom 9. März 1965 I 258/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965 S. 490 - HFR 1965, 490 -, und vom 20. November 1969 IV 332/64, BFHE 99, 90, BStBl II 1970, 538). Daraus ergibt sich, daß der Steuerpflichtige bei Anfechtung eines nach § 218 Abs. 4 AO ergangenen Folgebescheids nicht schlechthin mit dem Begehren durchdringen kann, die im ersten Folgebescheid fehlerhafte Steuerfestsetzung sei nunmehr richtigzustellen. Dies ist nur im Rahmen des § 232 AO möglich. Dagegen kann er stets verlangen, daß die Steuer folgerichtig dem Grundlagenbescheid anzupassen sei.

2. Zu Recht hat das FG entschieden, daß die nur teilweise Berücksichtigung des begünstigten Steuersatzes dem Grundlagenbescheid vom 29. September 1971 nicht voll Rechnung getragen hat.

a) Die Beteiligten sind zutreffend davon ausgegangen, daß über die Frage, ob und in welchem Umfang in den einheitlich und gesondert festzustellenden Einkünften der KG ein begünstigter Veräußerungsgewinn i. S. von § 34 Abs. 2 EStG enthalten ist, im Feststellungsverfahren zu entscheiden ist. Der Grund für diese verfahrensrechtliche Zuordnung liegt in der Notwendigkeit, die die Mitunternehmer gemeinsam betreffenden Fragen auch gemeinsam, d. h. mit Wirkung für und gegen alle, zu lösen (BFH-Urteil vom 26. Oktober 1972 I R 229/70, BFHE 107, 265, BStBl II 1973, 121, mit weiteren Nachweisen).

Die in dem endgültigen Grundlagenbescheid enthaltene Feststellung eines begünstigten Veräußerungsgewinns war der nach § 218 Abs. 4 AO gebotenen Folgeänderung zugrunde zu legen. Die Unanfechtbarkeit des vorläufigen Grundlagenbescheids und des auf ihm beruhenden Folgebescheids stehen der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nicht entgegen. Aus der unveränderten Übernahme des Veräußerungsgewinns in den endgültigen Grundlagenbescheid kann nicht gefolgert werden, daß der endgültige Bescheid insoweit nur als rechtlich nicht erhebliche Wiederholung des ursprünglichen Feststellungsbescheids anzusehen ist und demgemäß nicht Grundlage einer erneuten Folgeänderung sein kann. Eine solche Verselbständigung des festgestellten Veräußerungsgewinns ist rechtlich nicht möglich. Denn der Feststellungsbescheid bildet einen einheitlichen Bescheid und nicht eine Zusammenfassung so vieler Bescheide, wie er Feststellungen enthält (§ 213 Abs. 2, § 215 AO). Demgemäß tritt der endgültige Bescheid seinem gesamten Inhalt nach an die Stelle des ursprünglichen Bescheids und nimmt jenen, auch soweit er ihn nicht ändert, in seinen Regelungsinhalt auf (BFH-Urteil vom 19. Januar 1977 I R 89/74, BFHE 121, 421, BStBl II 1977, 517 [vgl. auch Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231]). Im Streitfall kommt hinzu, daß der ursprüngliche Bescheid nach § 100 Abs. 2 AO in vollem Umfang vorläufig ergangen und damit noch nicht materiell bestandskräftig war (BFH-Urteil vom 13. November 1975 IV R 61/75, BFHE 120, 1, BStBl II 1977, 126, mit weiteren Nachweisen; Woerner, Zurücknahme und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 4. Aufl., S. 91). Die Ersetzung des vorläufigen durch den endgültigen Grundlagenbescheid bewirkt, daß das veranlagende FA alle Feststellungen aus dem endgültigen Feststellungsbescheid in den nach § 218 Abs. 2 und 4 AO zu ändernden Folgebescheid zu übernehmen hat.

b) Der Einwand des FA F, über die Anwendung des § 34 EStG werde abschließend erst im Veranlagungsverfahren entschieden, greift nicht durch. Es trifft zwar zu, daß ein Fehler, der dem FA bei der Prüfung der sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung des begünstigten Steuersatzes unterläuft, außerhalb der Bindung an den Grundlagenbescheid liegt und im Rahmen einer Folgeänderung nur in den Grenzen des § 232 AO berichtigt werden kann. Für einen solchen Fehler bestehen jedoch im Streitfall keine Anhaltspunkte. Denn die Zubilligung des ermäßigten Tarifs auf den festgestellten Veräußerungsgewinn hing lediglich noch von einem entsprechenden Antrag ab. Diesen hatte die Klägerin rechtzeitig innerhalb des Veranlagungsverfahrens gestellt. Es ist nicht ersichtlich, daß dem FA H bei der Beurteilung dieser Voraussetzung ein Fehler unterlaufen ist. Das FG ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, daß die Nichtgewährung der Tarifermäßigung allein darin seine Ursache hat, daß das FA H das Vorliegen eines begünstigten Veräußerungsgewinns verkannt hat. Insoweit handelt es sich um einen Fehler, der auf der Nichtbeachtung des Grundlagenbescheids beruht und aus den vorgenannten Gründen in vollem Umfang zu berichtigen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72854

BStBl II 1978, 637

BFHE 1979, 437

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