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BFH Urteil vom 26.11.1997 - I R 104/95 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderungsbescheid; Gegenstand des Verfahrens

 

Leitsatz (NV)

1. Auch eine sog. wiederholende Verfügung ist ein Änderungsbescheid i. S. des §68 Satz 1 FGO.

2. Unterläßt das Finanzamt den Hinweis auf die Monatsfrist des §68 FGO, so tritt anstelle dessen eine Jahresfrist. Dies gilt auch, wenn das Finanzamt entgegen §77 Abs. 3 FGO dem Finanzgericht keine Abschrift des Änderungsbescheides übersendet.

3. Wird ein Steuerbescheid vom Finanzamt wiederholt geändert, so wird der zuletzt ergangene Änderungsbescheid nur dann Gegenstand des Verfahrens, wenn sämtliche vorangegangenen Änderungsbescheide wirksam Gegenstand des Verfahrens geworden sind.

 

Normenkette

FGO §§ 68, 55 Abs. 2, § 77 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Bremen

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte im Streitjahr 1983 ihren Sitz in A und unterlag damit dem Zuständigkeitsbereich des Finanzamts (FA) A, dem bisherigen Beklagten und Revisionsbeklagten.

Das FA A erließ am 18. April 1988 gegenüber der Klägerin im Anschluß an eine Außenprüfung einen Körperschaftsteuer-Änderungsbescheid für 1983 gemäß §164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Hinsichtlich der Ermäßigung nach §17 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) erging der Bescheid vorläufig. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch und nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage mit dem Begehren ein, die von ihr gebildeten passiven Rechnungsabgrenzungsposten für vereinnahmte Zinsausfallentschädigungen anzuerkennen.

Während des Klageverfahrens verlegte die Klägerin ihren Sitz nach B. Das nunmehr örtlich zuständige FA B erließ gegenüber der Klägerin am 24. Mai 1993 einen Körperschaftsteuer-Änderungsbescheid für 1983, nachdem es die Klägerin im Schreiben vom 14. Dezember 1992 darauf hingewiesen hatte, daß die bisherige Körperschaftsteuervergünstigung nach §17 BerlinFG zu kürzen sei. Hinsichtlich eines weiteren Berlin- Darlehens erging der Bescheid weiterhin vorläufig. In diesem Körperschaftsteuer- Änderungsbescheid, der der Klägerin bekanntgegeben wurde, wurde weder darauf hingewiesen, daß der Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens erklärt werden könne, noch daß dies innerhalb der Monatsfrist des §68 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geschehen müsse. Weder das FA A noch das Finanzgericht (FG) erhielten Kenntnis von diesem Änderungsbescheid.

Das FG wies die Klage der Klägerin, die in erster Instanz nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten war, mit Urteil vom 5. September 1995 ab. Die Steuerakten wurden der Finanzverwaltung zurückgegeben. Nachdem die Klägerin gegen dieses Urteil Revision eingelegt hatte, legte das FA A dem Bundesfinanzhof (BFH) die Steuerakten vor, in denen der Änderungsbescheid vom 24. Mai 1993 nunmehr eingeheftet war.

In der Sache hat der Senat am ... 1996 einen Gerichtsbescheid erlassen. Auf Antrag der Klägerin fand am ... Juni 1997 eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf der Klägervertreter und das FA A erstmals Kenntnis vom Körperschaftsteuer-Änderungsbescheid vom 24. Mai 1993 erhielten. Nachdem die Sache vertagt worden war, stellte die Klägerin am ... Juni 1997 vorsorglich Antrag gemäß §68 FGO und hilfsweise Antrag auf Wiedereinsetzung in die Antragsfrist gemäß §56 FGO.

Sowohl das FA A als auch das FA B vertreten die Auffassung, daß die Klage unzulässig sei.

Am 12. August 1997 wurde der nach wie vor vorläufige Körperschaftsteuerbescheid 1983 für endgültig erklärt. Die Klägerin hat nunmehr beantragt, auch diesen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist mit der Maßgabe als unbegründet zurückzuweisen, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Die Klägerin ist durch den von ihr angefochtenen Verwaltungsakt nicht mehr beschwert. Der Körperschaftsteuer-Änderungsbescheid vom 24. Mai 1993 wurde nicht fristgerecht zum Gegenstand des Verfahrens erklärt.

Ergeht während des Klageverfahrens ein Verwaltungsakt, der einen anderen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt, so wird dieser auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens. Wird dieser Antrag nicht gestellt und auch kein Einspruch gegen den Änderungsbescheid eingelegt, wird die Klage, die sich damit nach wie vor gegen den ursprünglichen Bescheid richtet, mangels Beschwer unzulässig (ständige Rechtsprechung seit Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231).

Seit dem 1. Januar 1993 ist -- in Abweichung von der früheren Rechtslage (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 8. November 1971 GrS 9/70, BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219) -- der Antrag, den ändernden oder ersetzenden Verwaltungsakt zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, gemäß §68 Satz 2 FGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsaktes zu stellen. Hierauf ist gemäß §68 Satz 3 FGO in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen.

1. Diese Vorschrift gilt für alle Änderungsbescheide, die nach dem 1. Januar 1993 ergehen, und zwar auch dann, wenn der hierdurch geänderte Verwaltungsakt vor diesem Stichtag erlassen wurde. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich aus Art. 7 des FGO-Änderungsgesetzes (FGOÄndG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) nichts anderes. Danach richtet sich die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt nach den bisher geltenden Vorschriften, wenn der Verwaltungsakt vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bekanntgegeben worden ist. Auch wenn der Antrag, einen Steueränderungsbescheid nach §68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, als Rechtsbehelf im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sein sollte, wäre §68 FGO in der ab 1. Januar 1993 geltenden Fassung anzuwenden, da der maßgebliche Körperschaftsteuer-Änderungsbescheid am 24. Mai 1993 und damit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes bekanntgegeben wurde (vgl. z. B. auch Sachverhalte im BFH-Beschluß vom 16. Januar 1997 VI B 152/96, BFH/NV 1997, 584; BFH-Urteil vom 24. Juli 1996 X R 139/93, BFH/NV 1997, 105).

2. Der Antrag der Klägerin im Schriftsatz vom ... Juni 1997, den Körperschaftsteuer- Änderungsbescheid vom 24. Mai 1993 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, war verspätet.

Es entspricht mittlerweile ständiger Rechtsprechung, daß bei einem fehlenden Hinweis auf die Antragsfrist nach §68 Satz 3 FGO die Rechtsfolgen des §55 Abs. 2 FGO eintreten. Danach wird die Monatsfrist des §68 Satz 2 FGO grundsätzlich durch die Jahresfrist des §55 Abs. 2 FGO ersetzt (BFH-Beschluß in BFH/NV 1997, 584; BFH-Urteile in BFH/NV 1997, 105; vom 24. Juli 1996 I R 35/94, BFHE 181, 57, BStBl II 1996, 583; vom 26. Oktober 1995 XI R 26/94, BFH/NV 1996, 444; vom 24. Januar 1995 IX R 22/94, BFHE 176, 315, BStBl II 1995, 328; für Wiedereinsetzung in den vorigen Stand BFH-Urteil vom 18. Mai 1994 XI R 42/93, BFHE 174, 370, BStBl II 1994, 706). Diese Jahresfrist war bei Stellung des Antrags nach §68 FGO abgelaufen.

Nach Ablauf der Jahresfrist ist gemäß §55 Abs. 2 Satz 1 FGO die Einlegung eines Rechtsbehelfs und damit auch die Antragstellung nach §68 Satz 1 FGO nur noch zulässig, wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. Die fristgerechte Erklärung, den Änderungsbescheid vom 24. Mai 1993 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, war im Streitfall nicht durch höhere Gewalt unmöglich.

Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (ständige Rechtsprechung; vgl. z. B. Zwischenurteil vom 16. August 1979 I R 95/76, BFHE 129, 1, BStBl II 1980, 47; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §55 Rdnr. 29, m. w. N.; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, §58 Rz. 20). So kann ein Fall höherer Gewalt vorliegen, wenn ein Verfahrensbeteiligter durch ein Verhalten des Gerichts von einer form- oder fristgerechten Prozeßhandlung abgehalten wird (so z. B. BFH in BFHE 129, 1, BStBl II 1980, 47). Fehler des FG sind in diesem Zusammenhang jedoch nicht festzustellen. So hatte das FG von der Existenz des Änderungsbescheides keine Kenntnis, da weder das FA den Änderungsbescheid dem FG gemäß §77 Abs. 3 FGO vorgelegt noch die Klägerin das FG von dem Ergehen eines Änderungsbescheides unterrichtet hat.

Ein Fall höherer Gewalt liegt auch nicht deswegen vor, weil das FA erhebliches Mitverschulden an der nicht fristgerechten Erklärung nach §68 FGO trägt. Wie dargestellt, führt das -- pflichtwidrige -- Unterlassen des Hinweises auf die Monatsfrist dazu, daß diese durch die Jahresfrist des §55 Abs. 2 FGO ersetzt wird. §77 Abs. 3 FGO sieht für den Fall, daß der Änderungsbescheid dem FG nicht vorgelegt wird, keine Sanktionen vor.

Nach der von der Klägerin nach Lage der Sache zu erwartenden Sorgfalt mußte diese auch erkennen, daß der Körperschaftsteuer- Änderungsbescheid vom 24. Mai 1993 insgesamt ein ändernder Verwaltungsakt war, auch wenn das zu versteuernde Einkommen unverändert blieb. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, jeden formellen Verwaltungsakt als Verwaltungsakt i. S. des §68 FGO zu beurteilen, ohne darauf abzustellen, wieweit der Bescheid eine materielle Änderung enthält (vgl. BFH-Beschluß vom 14. März 1996 XI B 121/91, BFH/NV 1996, 630, m. w. N.; BFH-Urteil vom 29. Mai 1974 II 53/64, BFHE 113, 69, BStBl II 1974, 697). Aufgrund der von der Klägerin nach Lage der Sache zu erwartenden Sorgfalt durfte sie daher nicht darauf vertrauen, daß mangels Änderung des zu versteuernden Einkommens kein Änderungsbescheid vorliegt. Immerhin wurde die Körperschaftsteuer durch den Änderungsbescheid höher festgesetzt. Es entspricht heute allgemeiner Rechtserkenntnis, daß Verwaltungsakte, die den Vorstellungen des Steuerpflichtigen widersprechen, grundsätzlich (Ausnahme Änderung des angefochtenen Bescheides während des Einspruchsverfahrens) angefochten werden müssen. Wenn die Klägerin im Streitfall den Änderungsbescheid verfahrensrechtlich unbeachtet ließ, so mag sie für eine Übergangszeit bei Fehlen des Hinweises auf die Frist des §68 Satz 3 FGO noch kein Verschulden treffen (vgl. BFH in BFHE 174, 370, BStBl II 1994, 706). Der Annahme höherer Gewalt steht gleichwohl eine gewisse Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten entgegen.

Der Senat verkennt auch nicht, daß die Klägerin bei gleichem zeitlichen Ablauf den Antrag nach §68 FGO möglicherweise fristgerecht gestellt hätte, wenn sie sich in erster Instanz eines Prozeßbevollmächtigten bedient hätte (vgl. BFH-Urteile vom 5. Mai 1994 VI R 98/93, BFHE 174, 208, BStBl II 1994, 806; vom 7. Februar 1995 VIII R 27/93, BFH/NV 1996, 136; vom 30. August 1994 IX R 19/92, BFH/NV 1995, 596). Das war aber nicht der Fall. Wenn die Klägerin sich trotz fehlender eigener prozeßrechtlicher Erfahrung und Kenntnisse zur eigenen Prozeßführung in der Lage sah, so hat sie auch die sich aus der eigenen Prozeßführung ergebenden Konsequenzen zu tragen.

3. Die verspätete Antragstellung nach §68 FGO wird auch nicht dadurch geheilt, daß die Klägerin den während des Revisionsverfahrens ergangenen weiteren Änderungsbescheid vom 12. August 1997 innerhalb der Monatsfrist zum Gegenstand des Verfahrens erklärt hat. Die Überleitung eines zweiten Änderungsbescheides in ein laufendes Verfahren gemäß §68 FGO setzt voraus, daß ein vorausgegangener Änderungsbescheid ebenfalls Verfahrensgegenstand geworden ist (vgl. BFH-Beschluß vom 15. Mai 1997 XI R 53/88, BFHE 182, 304, BStBl II 1997, 514). Der vorausgegangene Körperschaftsteuer-Änderungsbescheid vom 24. Mai 1993 wurde aber, wie dargestellt, nicht Verfahrensgegenstand. Dem kann die Klägerin nicht entgegenhalten, daß nach dem Beschluß des XI. Senats in BFHE 182, 304, BStBl II 1997, 514 mehrere, denselben Veranlagungszeitraum betreffende Änderungsbescheide gleichzeitig zum Gegenstand des Verfahrens erklärt werden können. Der Sachverhalt, über den der XI. Senat des BFH zu entscheiden hatte, unterscheidet sich vom Streitfall dadurch, daß der erste Änderungsbescheid vor dem 1. Januar 1993 ergangen war und damit gemäß Art. 7 FGOÄndG nicht von der Neufassung des §68 FGO zum 1. Januar 1993 erfaßt wurde.

4. Mangels höherer Gewalt kann auch der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keinen Erfolg haben (§56 Abs. 3 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 67430

BFH/NV 1998, 1102

HFR 1998, 659

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