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BFH Urteil vom 26.09.1995 - VII R 117/94 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Zurückverweisung bei unterlassener notwendiger Beiladung, Berufsbezeichnung "Steuerbevollmächtigter"

 

Leitsatz (NV)

1. Ist die im finanzgerichtlichen Verfahren notwendige Beiladung unterblieben, so führt dies ohne Sachprüfung zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

2. Zur notwendigen Beiladung der Steuerberaterkammer, wenn streitig ist, ob der Kläger befugt ist, die Berufsbezeichnung eines Steuerbevollmächtigten zu führen.

 

Normenkette

FGO § 60 Abs. 3, §§ 110, 126 Abs. 3 Nr. 2; StBerG § 46 Abs. 1 S. 2, §§ 73-74; StBerO § 19

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat seine berufliche Tätigkeit bis jedenfalls Ende September 1990 in den alten Bundesländern ausgeübt. Ende August 1990 erhielt er die Staatsbürgerschaft der DDR. Ende September 1990 beantragte er beim Vorsteher des Finanzamts (FA) die Zulassung als Helfer in Steuersachen. Mit Schreiben vom Oktober 1990 teilte ihm der Vorsteher des FA mit, die Unterlagen für die Zulassung als Helfer in Steuersachen seien dort eingegangen. Damit sei seine -- des Klägers -- Anmeldung für eine diesbezügliche Tätigkeit "in unserem Territorium" erfolgt; er erkläre sein Einverständnis, daß der Kläger "in unserem Territorium als Helfer in Steuersachen wirksam werden" könne. Mit Verfügung vom Dezember 1992 stellte die Beklagte und Revisionsklägerin (die Oberfinanzdirektion -- OFD --) dem Kläger gegenüber fest, daß er nicht befugt sei, die Berufsbezeichnung eines Steuerbevollmächtigten zu führen und als solcher tätig zu werden. Des weiteren wurde festgestellt, daß er auch nicht berechtigt sei, sich Helfer in Steuersachen zu nennen.

Die nach erfolgloser Beschwerde erhobene Klage führte aus den in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 290 veröffentlichten Gründen antragsgemäß zur Aufhebung der Verfügung der OFD vom Dezember 1992 und der Beschwerdeentscheidung des Finanzministeriums vom Oktober 1993.

Mit der Revision rügt die OFD, das Finanzgericht (FG) sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Kläger wirksam zum Helfer in Steuersachen zugelassen worden sei und dieser damit als zum Steuerbevollmächtigten bestellt gelte. Außerdem hat sie in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, daß das FG die notwendige Beiladung der zuständigen Steuerberaterkammer unterlassen habe. Die OFD beantragt, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung als unbegründet abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der OFD ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Das FG hat es unterlassen, die für den Kläger zuständige Steuerberaterkammer beizuladen, obwohl sie nach § 60 Abs. 3 FGO hätte notwendig beigeladen werden müssen.

a) Ist im finanzgerichtlichen Verfahren die notwendige Beiladung unterblieben, so stellt dies als Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens einen wesentlichen, auch ohne Rüge im Revisionsverfahren zu prüfenden Mangel des Verfahrens dar, der ohne Sachprüfung zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 19. April 1988 VII R 56/87, BFHE 153, 472, BStBl II 1988, 789). Dies gilt grundsätzlich ohne Einschränkung, vor allem unabhängig davon, was der notwendig Beizuladende im konkreten Fall hätte vortragen können und ob er, unabhängig von einer Beiladung, den Willen äußern konnte, dem Verfahren beizutreten (vgl. BFH-Urteil vom 14. Februar 1989 IX R 128/84, BFH/NV 1989, 707). Ein derartiger Verfahrensfehler liegt im Streitfall vor; denn die zuständige Steuerberaterkammer war gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Klageverfahren notwendig beizuladen.

b) Die Beiladung ist notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 60 Abs. 3 FGO). Das ist dann der Fall, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte Dritter u. a. bestätigt (vgl. BFH-Urteil vom 27. Februar 1969 IV R 263/66, BFHE 95, 148, BStBl II 1969, 343; Beschluß vom 29. Januar 1980 VII B 34/79, BFHE 129, 536, BStBl II 1980, 303). Ein solches Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit ist im Streitfall gegeben. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob ein solches Abhängigkeitsverhältnis besteht, ist das Rechtsverhältnis, über das ausgehend vom Streitgegenstand durch das Urteil des FG entschieden worden ist. Denn insoweit reicht gemäß § 110 FGO die Bindungswirkung des Urteils. Diese umfaßt jedenfalls den der Entscheidung tatsächlich zugrunde gelegten Sachverhalt und die hierzu angestellten, die Entscheidung tragenden rechtlichen Erwägungen, wie sie sich aus den Urteilsgründen ergeben (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 110 Rz. 15ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 110 FGO Rz. 9).

c) Nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils galt der Kläger gemäß § 19 Abs. 1 und 2 der Verordnung über die Hilfeleistung in Steuersachen vom 27. Juni 1990 (Gesetzblatt der DDR Sonderdruck Nr. 1455) als Steuerbevollmächtigter und hatte demzufolge die Befugnis, in den neuen Bundesländern im steuerberatenden Beruf tätig zu sein. Das FG hat damit nicht nur über die Befugnis des Klägers zur Hilfeleistung in Steuersachen, sondern auch über die von ihm für entscheidungserheblich gehaltene Vorfrage entschieden, ob der Kläger -- ungeachtet einer nach § 46 Abs. 1 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) etwa in Betracht kommenden Rücknahme der Bestellung -- Steuerbevollmächtigter ist.

Nach den §§ 73, 74 StBerG sind u. a. Steuerbevollmächtigte, die ihre berufliche Niederlassung in einem OFD-Bezirk haben, Mitglieder der für diesen Bezirk zuständigen Steuerberaterkammer. Aufgrund dieser Vorschriften ist der Kläger von Gesetzes wegen Mitglied der Steuerberaterkammer, wenn er Steuerbevollmächtigter ist. Mit der Entscheidung über die Eigenschaft des Klägers als Steuerbevollmächtigter wird demnach auch über die Mitgliedschaft des Klägers in der Steuerberaterkammer entschieden und damit unmittelbar bestätigend -- oder gegebenenfalls verneinend -- in die Rechte der Steuerberaterkammer eingegriffen. Deshalb konnte das Urteil, das über das zwischen der OFD und dem Kläger streitige Rechtsverhältnis unter Einbeziehung der Vorfrage entschieden hat, ob der Kläger als Steuerbevollmächtigter -- und damit von Gesetzes wegen Mitglied der Steuerberaterkammer -- galt, nur einheitlich gegenüber dem Kläger und der Steuerberaterkammer ergehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420993

BFH/NV 1996, 269

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