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BFH Urteil vom 26.04.1977 - VIII R 2/75

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Leitsatz (amtlich)

Das Entgelt, das ein Grundstückseigentümer dafür erhält, daß er ein für eine gewisse Zeit bindendes Kaufangebot über ein Grundstück abgibt, ist eine Einnahme i. S. von § 22 Nr. 3 EStG.

 

Normenkette

EStG § 22 Nr. 3

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 17.01.1978; Aktenzeichen 1 BvR 972/77)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war zusammen mit Frau S Miteigentümer in Erbengemeinschaft zu je 1/2 eines Grundstücks, hinsichtlich dessen sie sich unter Aufteilung der Flächen bereits auseinandergesetzt hatten. Frau S hatte den ihr überlassenen Flächenanteil zu je 1/3 an ihre Töchter übertragen.

Am 24. Februar 1966 machten die genannten Personen einer Verwaltungs-KG (KG 1) gegenüber ein notariell beurkundetes und bis zum 28. Februar 1969 befristetes - später verlängert bis zum 31. Januar 1971 - Kaufangebot hinsichtlich des vorerwähnten Grundstücks und einer eingetauschten Fläche zu einem vorläufigen qm-Preis von 80 DM - Kaufpreis insgesamt 854 000 DM -. Nach diesem Angebot konnte die Käuferin die Annahme nur erklären, wenn sie sich verpflichtete, den Kaufpreis auf 130 DM je qm zu erhöhen. Sollte sie einen niedrigeren Preis vorschlagen, waren die Anbieter in ihrer Entscheidung frei; eventuell war ein Kaufpreis neu festzulegen und zu vereinbaren. Weiter hieß es in dem Angebot u. a. : "Der nach dem Maßstab von 80 DM pro qm sich vorläufig errechnende Kaufpreis in Höhe von 854 000 DM ist von heute an bis zu seiner Fälligkeit mit jährlich 6 v. H. zu verzinsen. Die Zinsen sind monatlich im nachhinein zu zahlen. Die vorgesehene Kaufpreiserhöhung braucht nicht verzinst zu werden. Kommt es zu einer Annahme dieses Angebots durch die Käuferin nicht, weil diese das Angebot ablehnt oder die Angebotsfrist erfolglos abläuft, sind die Verkäufer nicht verpflichtet, die bis zu diesem Zeitpunkt von der Käuferin bereits bezahlten Zinsen wieder zurückzuzahlen. Sie würden vielmehr den Verkäufern verbleiben. Im Falle der Annahme dieses Angebots durch die Käuferin sind die bis dahin bezahlten Zinsen als vorausgeleistete Kaufpreiszahlung anzusehen und dem endgültig sich errechnenden Kaufpreis hinzuzuschlagen. Sie sind also weder zu verrechnen noch von den Verkäufern zurückzuzahlen." In einem Vertrag vom 12. November 1968 Wurde vereinbart, daß die Zinsen nur für die Zeit bis zum 31. Juli 1969 zu zahlen waren. Insgesamt wurden in den Jahren 1966 bis 1969 an die Anbieter 176 149,60 DM gezahlt. Davon erhielt der Kläger seinen Anteil in monatlichen Teilbeträgen.

Nachdem am 4. Dezember 1968 der Kläger seinen Hälfteanteil an einer Teilfläche an eine Hausbau-KG (KG 2), die zuvor von der KG 1 als Angebotsempfängerin bezeichnet worden war, verkauft hatte, verkaufte auch Frau S ihren Anteil zum vorgesehenen Höchstpreis von 130 DM je qm. Am 29. Januar 1971 wurde von der KG 2 auch das Angebot der Erbengemeinschaft vom 24. Februar 1966 hinsichtlich der übrigen Teilfläche zum qm-Preis von 130 DM angenommen. In den Annahmeurkunden wurden die in dem Angebot aufgeführten Zinsen nicht mehr erwähnt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) behandelte die dem Kläger gezahlten monatlichen Beträge als wiederkehrende Bezüge i. S. von § 22 Nr. 1 EStG und unterwarf sie nach Abzug des Werbungskostenpauschbetrags in nach § 222 AO berichtigten Bescheiden der Einkommensteuer. Einspruch und Klage dagegen blieben erfolglos. Das FG führte im wesentlichen aus:

Die streitigen Leistungen seien - unabhängig von der von den Vertragspartnern gewählten Bezeichnung - von Anfang an keine Kaufpreisraten, sondern Entgelt dafür gewesen, daß der Kläger für die vereinbarte Zeit an sein Angebot gebunden war und während dieser Zeit über die verbindlich angebotenen Grundstücke nicht verfügen konnte. Da die Leistungen auch nach Annahme des Angebots nicht zu Kaufpreisraten geworden seien, komme eine Anwendung von § 4 StAnpG nicht in Betracht.

Die wiederkehrenden Vergütungen könnten auch nicht als steuerfreie Einnahmen angesehen werden. Wenn dies in der Rechtsprechung des RFH (z. B. Urteil vom 6. Oktober 1937 VI A 576/63, RStBl 1938, 103) hinsichtlich der einmaligen Zahlung für die Einräumung einer Option so beurteilt worden sei, der BFH jedoch später (z. B. Urteil vom 22. Januar 1965 VI 243/62 U, BFHE 82, 184, BStBl III 1965, 313) eine andere Auffassung vertreten habe, dann beruhe das auf den unterschiedlichen Gesetzesfassungen, worauf auch der BFH hingewiesen habe. Nach § 22 EStG in der für die Streitjahre maßgebenden Fassung seien laufende Zahlungen allein wegen der wiederkehrenden Natur der Bezüge steuerpflichtig (§ 22 Nr. 1 EStG); einmalige Leistungen seien steuerpflichtig, wenn sie für ein Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein könne, erbracht würden (§ 22 Nr. 3 EStG).

Im Streitfall handele es sich um wiederkehrende Bezüge i. S. von § 22 Nr. 1 EStG. Wolle man den Begriff der wiederkehrenden Bezüge ähnlich wie bei der Rente erst dann als erfüllt ansehen, wenn mit einer Laufzeit von mindestens 10 Jahren gerechnet werden kann, dann fielen die streitigen Bezüge unter § 22 Nr. 3 EStG. Trotz der in den angefochtenen Steuerbescheiden berücksichtigten Werbungskostenpauschalen würde sich wegen des vom FG zu beachtenden Verböserungsverbots am Ergebnis nichts ändern.

Mit der Revision wird unrichtige Rechtsanwendung gerügt und dazu vorgebracht, das FG habe die Abmachungen zwischen den Vertragspartnern unzutreffend ausgelegt. Da im Angebot für den Fall der Annahme die bezahlten "Zinsen" als vorausgeleistete Kaufpreiszahlungen anzusehen und dem endgültigen Kaufpreis zuzurechnen seien, sei eindeutig festgelegt, daß die Zinsen bei Zustandekommen des Vertrags Kaufpreisteile werden sollten. Alle Abmachungen bildeten eine Einheit. Dies habe der beurkundende Notar bestätigt; das FG habe dazu nicht Stellung genommen.

Auf den Sachverhalt sei § 4 Abs. 3 StAnpG anwendbar, weil ein aufschiebend bedingter Kaufvertrag vorliege. Über das Entstehen einer Steuerschuld dürfe erst nach Verwirklichung eines Sachverhalts - das sei hier erst die Annahme des Kaufangebots - entschieden werden. Im Streitfall müßten auch die Grundsätze der Rechtsprechung zur "nachträglichen Tatbestandswandlung" berücksichtigt werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Vorentscheidung ist nicht zu beanstanden, wenn sie zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Zahlungen als sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 3 Nr. 7 EStG) der Einkommensteuer unterliegen.

Der Senat läßt offen, ob - wie es das FG in erster Linie angenommen hat - die Zahlungen als zu den sonstigen Einkünften gehörende wiederkehrende Bezüge i. S. von § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG steuerbar sind.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH sind Merkmale für die wiederkehrenden Bezüge i. S. der genannten Vorschrift, daß sich die Bezüge, die wie alle Einnahmen in Geld oder Gütern mit Geldwert bestehen können, aufgrund eines einheitlichen Entschlusses oder eines einheitlichen Rechtsgrunds mit einer gewissen Regelmäßigkeit, wenn auch nicht immer in gleicher Höhe, wiederholen (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juli 1971 VIII 24/65, BFHE 103, 410, BStBl II 1972, 170, mit Nachweisen). Außerdem dürfen die Bezüge nicht zu den Einkünften i. S. von § 2 Abs. 3 Nr. 1 - 6 EStG gehören und nicht den Charakter eines Veräußerungsentgelts haben (vgl. BFH-Urteil vom 30. August 1966 VI 284/64, BFHE 87, 131, BStBl III 1967, 69).

Im Streitfall kann zweifelhaft sein, ob das Merkmal eines einheitlichen Entschlusses oder eines einheitlichen Rechtsgrundes erfüllt ist. Aus dem einseitig bindenden Kaufangebot des Klägers ergab sich für die KG 1 keine Verpflichtung zu wiederkehrenden Zahlungen. Ein einheitlicher Entschluß ist nicht ohne weiteres zu bejahen, wenn - was hier nicht auszuschließen ist - die KG 1 die Möglichkeit hatte, die Leistungen aufgrund eines jeweils neu gefaßten Entschlusses zu erbringen. Außerdem bestehen Bedenken, ob die von der Rechtsprechung bisher genannten Merkmale für wiederkehrende Bezüge ausreichen, Einkünfte i. S. von § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG von nicht steuerbaren Bezügen abzugrenzen. Fraglich ist, ob es dem Sinn und Zweck der Vorschrift entspricht, eine Leistung, die bei einmaliger Zahlung nicht steuerbar wäre, nur deshalb zur Besteuerung heranzuziehen, weil sie - mehr oder weniger zufällig - wiederholt erbracht wird. Einer abschließenden Entscheidung dieser Fragen bedarf es indessen nicht, weil sich im Streitfall die Steuerpflicht aus einer anderen Vorschrift ergibt.

Die Zahlungen sind als zu den sonstigen Einkünften gehörende Einkünfte aus Leistungen i. S. von § 22 Nr. 3 EStG steuerbar.

In der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung gingen die Auffassungen darüber, ob Vergütungen für die Bindung eines Grundstückseigentümers an ein Kaufangebot zur Einkommensteuer herangezogen werden können, auseinander. Während der RFH z. B. im Urteil vom 2. März 1932 VI A 1330/31 (RStBl 1932, 511) eine solche Vergütung für nicht einkommensteuerpflichtig hielt, wurde vom BFH in dem Urteil VI 284/64 die gegenteilige Meinung geäußert und § 22 Nr. 3 EStG für anwendbar gehalten. Daß der BFH die Vorschrift des § 22 Nr. 3 EStG weit auslegt, kam u. a. im Urteil des Großen Senats vom 23. Juni 1964 GrS 1/64 S (BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500) zum Ausdruck. Andererseits hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 5. August 1976 VIII R 117/75 (BFHE 120, 182, BStBl II 1977, 27) ausgesprochen, daß die bisher für § 22 Nr. 3 EStG verwandte Begriffsbestimmung der Leistung als "jedes Tun, Unterlassen und Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein kann und um des Entgelts willen erbracht wird", nicht allumfassend ist, sondern unter dem Blickwinkel dieser Vorschrift von der Besteuerung nicht nur echte Veräußerungsvorgänge ausgenommen bleiben, sondern auch veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich, bei denen ein Entgelt dafür erbracht wird, daß ein Vermögenswert in seiner Substanz gemindert wird. Bei dieser Auslegung des § 22 Nr. 3 EStG fällt auch die Vergütung, die ein Grundstückseigentümer für ein bindendes Kaufangebot erhält, unter die Steuerpflicht. Die Schaffung einer Rechtslage ist ein Tun. Durch das Herbeiführen einer Rechtslage mit dem erwähnten Inhalt wird ein Vermögenswert weder veräußert noch in seiner Substanz gemindert; denn das Eigentumsrecht und der Gegenstand, auf den es sich bezieht, bleiben bis zur Annahme des Angebots bestehen, das Angebot erfolgt in Ausübung des Eigentumsrechts.

Bei Anwendung dieser Grundsätze sind im Streitfall die Zahlungen Entgelt für eine Leistung i. S. von § 22 Nr. 3 EStG. Entgegen der Meinung des Klägers waren die einzelnen Zahlungen im Zeitpunkt ihrer Leistung und damit beim Zufluß (§ 11 EStG) keine Gegenleistung für die Hingabe eines privaten Vermögensgegenstands. Bei einem Kaufvertrag (§ 433 BGB) ist für die Bestimmung der Gegenleistung nicht maßgebend, was die Vertragsschließenden als Kaufpreis bezeichnen, sondern was nach dem Inhalt des Vertrags der Käufer als Kaufpreis zu erbringen hat. Der Vertragsinhalt ist unter Beachtung der gesetzlichen Auslegungsregeln und unter Berücksichtigung der wesentlichen Umstände zu ermitteln (§§ 133, 157 BGB). Die Auslegung des Objektiven Gehalts von Willenserklärungen ist Rechtsanwendung und als solche in vollem Umfang der Nachprüfung des Revisionsgerichts unterworfen. Ohne Rechtsirrtum hat das FG die Überzeugung gewonnen, daß die vom Kläger während der Laufzeit des Kaufangebots empfangenen periodischen Zahlungen keine Kaufpreisraten, sondern Gegenleistungen für die Unterbreitung des über eine bestimmte Zeit bindenden Kaufangebots waren. Nach dem objektiven Erklärungsinhalt des Kaufangebots waren diese Zahlungen unabhängig von einer Grundstücksübertragung zu erbringen und dem Kläger auch dann zu belassen, wenn es nicht zu einer Grundstücksveräußerung gekommen wäre. Nach den objektiven Erklärungsinhalten des Kaufangebots und seiner Annahme war Gegenleistung für die Grundstücksveräußerung der nach einem bestimmten qm-Preis zu errechnende Kaufpreis, der, wie es im Angebot hieß, in der Annahmeurkunde endgültig festzustellen war. In dieser Urkunde wurden die hier streitigen Zahlungen nicht mehr erwähnt.

An der Beurteilung, daß die Zahlungen beim Zufluß keine Kaufpreisraten waren, ändert auch nichts, daß sie nach dem Kaufangebot für den Fall der Annahme "als vorausgeleistete Kaufpreiszahlungen anzusehen und dem endgültig sich errechnenden Kaufpreis hinzuzuschlagen" waren. Selbst wenn man annehmen wollte, daß mit der Annahme des Angebots dies im Wortsinn Vertragsinhalt geworden wäre - was den Interessen des Klägers zuwiderlaufen würde, weil er dann bei einer Rückgängigmachung des Vertrags auch diese Zahlungen erstatten müßte -, folgt daraus nicht, daß die Zahlungen auch tatsächlich Kaufpreisraten waren. Im Rahmen der bürgerlich-rechtlichen Gestaltungsfreiheit hatten die Vertragspartner - worauf das FA zutreffend hingewiesen hat - die Möglichkeit, Vereinbarungen über den Rechtscharakter früher geleisteter Zahlungen zu treffen. Eine derartige Vereinbarung hat jedoch allein schuldrechtliche Wirkung und, wenn sie unter einer Bedingung steht, auch zivilrechtlich keine rückwirkende Kraft (§ 159 BGB). Schon deshalb kann - entgegen der Annahme des Klägers - keine Rede vom nachträglichen Wegfall eines Besteuerungsmerkmals sein, so daß § 11 EStG eine Anwendung des § 4 Abs. 3 StAnpG ausschließt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 2. April 1974 VIII R 76/69, BFHE 112, 348, BStBl II 1974, 540).

 

Fundstellen

Haufe-Index 72378

BStBl II 1977, 631

BFHE 1978, 271

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