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BFH Urteil vom 24.10.2000 - VI R 21/99 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Auszahlung des Kindergeldes: zur Aufnahme des Kindes in einen Haushalt

 

Leitsatz (NV)

  1. Wer das Kind im Sinne des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG in seinen Haushalt aufgenommen hat, bestimmt sich in erster Linie nach dem tatsächlichen Umstand, dass das Kind nicht nur vorübergehend in dem betreffenden Haushalt lebt (vgl. R 195 Abs. 3 Satz 1 EStR 1999).
  2. Haben sich die für die Zahlung des Kindergeldes maßgeblichen Verhältnisse durch einen Haushaltswechsel des Kindes geändert, so ist die Festsetzung des Kindergeldes vom Zeitpunkt der Änderung an nach § 70 Abs. 2 EStG aufzuheben.
 

Normenkette

EStG 1996 § 64 Abs. 1, 2 S. 1, § 70 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bezog Kindergeld für ihre beiden Kinder, die mit ihr und ihrem Ehemann (dem Beigeladenen) in einem gemeinsamen Haushalt lebten. Im Oktober 1997 trennte sich die Klägerin von dem Beigeladenen und zog mit den Kindern in ein Frauenhaus. Als die Kinder später den Beigeladenen besuchten, gab dieser sie nach der vereinbarten Besuchszeit ―Ende 1997― nicht mehr an die Klägerin heraus. Aufgrund eines Eilantrags erließ das zuständige Amtsgericht im Januar 1998 eine Anordnung, dass die Kinder bis zur Erstellung eines Gutachtens über die Erziehungsfähigkeit beider Elternteile bei dem Beigeladenen bleiben sollten.

Das Arbeitsamt -Familienkasse- (der Beklagte und Revisionskläger ―Beklagter―) hob mit Bescheid vom 5. Mai 1998 die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf und forderte das Kindergeld für den Monat Januar 1998 in Höhe von 440 DM zurück.

Der hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt. Es führte aus, nach dem Auszug der Klägerin mit den Kindern seien diese nicht mehr in den Haushalt des Beigeladenen, sondern in den Haushalt der Klägerin aufgenommen gewesen. Die Haushaltsaufnahme i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG bestehe bei auswärtiger Betreuung fort, wenn diese nur vorübergehender Natur sei, insbesondere bei Besuchen. Eine nur vorübergehende Unterbringung außerhalb des bisherigen Haushalts liege auch dann vor, wenn Kinder getrennt lebender oder geschiedener Eheleute im Haushalt des einen Elternteils lebten und nach einem Besuch bei dem anderen Elternteil nicht zurückkämen. Stehe ein Umzug in den anderen Haushalt noch nicht endgültig fest, bestehe die Aufnahme in den ursprünglichen Haushalt weiter. Im Streitfall habe bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht im Januar 1998 noch nicht endgültig festgestanden, ob die beiden Kinder nur zeitweise nicht mehr im Haushalt der Klägerin lebten. Die vereinbarungswidrige Nichtherausgabe der Kinder ändere deren Haushaltszugehörigkeit nicht.

Mit der Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG. Zwar entfalle die Haushaltszugehörigkeit eines Kindes nicht durch eine vorübergehende anderweitige Unterbringung. Das Merkmal "vorübergehend" sei aber danach abzugrenzen, ob die bisherige Obhutsperson weiterhin als die maßgebliche Person für die Erziehung, Betreuung und Versorgung angesehen werden könne. Der Beigeladene habe durch das Behalten der Kinder zum Ausdruck gebracht, die Klägerin nicht mehr als zur Betreuung und Versorgung befugte Person anzusehen. Die vorübergehende Unterbringung der Kinder außerhalb des Haushalts der Klägerin sei ab diesem Zeitpunkt beendet gewesen.

Der Beklagte beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Entgegen der Auffassung des FG hat der Beklagte zu Recht die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin aufgehoben, weil das Kindergeld ab Januar 1998 an den Beigeladenen auszuzahlen war. Die Einwände der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Senats vom 20. Juli 2000 geben keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.

a) Der Anspruch auf Kindergeld steht zwar grundsätzlich beiden Elternteilen zu (§ 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Für jedes Kind wird aber nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt (§ 64 Abs. 1 EStG). Eine Aufteilung unter mehreren Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, findet nicht statt. Vielmehr wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies betrifft insbesondere den Fall, dass sich die Eltern trennen und das Kind sodann bei einem von ihnen im Haushalt lebt. Haben sich die für die Zahlung des Kindergeldes maßgeblichen Verhältnisse durch einen Haushaltswechsel des Kindes geändert, so ist die ―nicht mehr der materiellen Rechtslage entsprechende― Festsetzung des Kindergeldes vom Zeitpunkt der Änderung an nach § 70 Abs. 2 EStG aufzuheben, ohne dass die Familienkasse insoweit einen Entscheidungsspielraum hat (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231).

b) Nach diesen Grundsätzen ist der angefochtene Aufhebungsbescheid nicht zu beanstanden. Das Kindergeld für den Monat Januar 1998 stand nicht mehr der Klägerin, sondern dem Beigeladenen zu, weil die Kinder in dessen Haushalt aufgenommen waren. Das Merkmal der Haushaltsaufnahme gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG wird in erster Linie durch den tatsächlichen Umstand bestimmt, dass das Kind nicht nur vorübergehend in dem betreffenden Haushalt lebt (vgl. R 195 Abs. 3 Satz 1 der Einkommensteuer-Richtlinien 1999). Die Kinder der Klägerin lebten im Januar 1998 wieder in ihrem alten Heim bei ihrem Vater. Ihre ursprüngliche Besuchssituation war bereits Ende Dezember 1997 ―wenn auch gegen den Willen der Klägerin― in einen Daueraufenthalt übergegangen. Durch die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts wurde diese faktische Änderung rechtlich gebilligt, nicht aber erst hervorgerufen.

c) Da die Vorinstanz eine abweichende Rechtsauffassung vertreten hat, war ihr Urteil aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.

 

Fundstellen

BFH/NV 2001, 444

HFR 2001, 465

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