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BFH Urteil vom 21.06.1979 - IV R 131/74

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Leitsatz (amtlich)

1. Eine Kommanditgesellschaft, über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, bleibt trotz der Konkurseröffnung in einem gerichtlichen Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung eines Gewinnfeststellungsbescheids Verfahrensbeteiligte. Sie wird in diesem Verfahren nach den für die Abwicklung konkursfreier Angelegenheiten geltenden Vorschriften über die Liquidation (§ 161 Abs. 2 i. V. m. §§ 145 ff. HGB) vertreten.

2. Auch nach Konkurseröffnung besteht für die Fortführung eines solchen gerichtlichen Verfahrens ein Rechtsschutzbedürfnis.

 

Normenkette

AO § 215; AO 1977 § 179ff; FGO § 69; KO §§ 3, 6; HGB § 145 ff.

 

Tatbestand

Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine KG, deren einzige Komplementärin eine GmbH ist. Bei der einheitlichen Gewinnfeststellung für das Jahr 1969 begehrte die Klägerin die Übertragung stiller Reserven auf Ersatzbeschaffungen (Abschn. 35 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR -). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gab dem Antrag nur zum Teil statt. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Über die Klage ist bisher noch nicht entschieden.

Den Antrag der Klägerin, die Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheids auszusetzen, lehnte das FA ab. Die Beschwerde wurde zurückgewiesen. Die Klage hatte nur teilweise Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 22. Juli 1974 zugestellt.

Gegen das Urteil legte die Klägerin Revision ein. Sie beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Über das Vermögen der Klägerin wurde am 4. Juli 1974 das Konkursverfahren eröffnet.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig.

a) Insbesondere war die Klägerin zur Einlegung der Revision befugt, obwohl im Zeitpunkt der Revisionseinlegung über ihr Vermögen bereits das Konkursverfahren eröffnet worden war.

Die Konkurseröffnung hat zwar zur Folge, daß der Gemeinschuldner die Befugnis verliert, sein zur Konkursmasse gehöriges Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen; das Verwaltungs- und Verfügungsrecht wird während der Dauer des Konkursverfahrens durch den Konkursverwalter ausgeübt (§ 6 der Konkursordnung - KO -). Dies gilt jedoch nicht hinsichtlich der konkursfreien Angelegenheiten; in diesem Bereich wird der Gemeinschuldner in seinem Verwaltungs- und Verfügungsrecht nicht beschränkt.

Bei Personengesellschaften gilt hinsichtlich der Abwicklung konkursfreier Angelegenheiten das für die Liquidation der Gesellschaft einschlägige Recht (vgl. Schilling in Großkommentar zum Handelsgesetzbuch, Anm. 6 zu § 145). Das bedeutet, daß die mit der Eröffnung des Konkursverfahrens (nach § 161 Abs. 2 i. V. m. § 131 Nr. 3 HGB) aufgelöste Gesellschaft in diesem Bereich - trotz des Verlustes ihrer Verfügungs- und Verwaltungsmacht im übrigen - wie eine in Liquidation befindliche Gesellschaft handeln kann. Sie kann daher bis zu ihrer Vollbeendigung in Prozessen selbständig als Verfahrensbeteiligte auftreten.

Zu den konkursfreien Angelegenheiten einer Gesellschaft gehört auch die Durchführung der einheitlichen Gewinnfeststellung (§ 215 der Reichsabgabenordnung - AO -; nunmehr: §§ 179 ff. der Abgabenordnung - AO 1977 -). Denn die Folgen der Gewinnfeststellung berühren nicht den (nach Konkursrecht abzuwickelnden) Vermögensbereich der Personengesellschaft; sie betreffen vielmehr die Gesellschafter persönlich (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Juli 1967 IV 191/63, BFHE 90, 87, BStBl III 1967, 790).

Aus diesen Gründen ist auch im Streitfall die Klägerin trotz ihrer Auflösung durch die Eröffnung des Konkursverfahrens weiterhin für ihren konkursfreien Bereich verwaltungs- und verfügungsbefugt geblieben; sie bleibt im gerichtlichen Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheids als Klägerin beteiligt.

b) Mit der Auflösung der Klägerin infolge der Konkurseröffnung haben sich allerdings die Vertretungsverhältnisse geändert.

Da für die Abwicklung konkursfreier Angelegenheiten die Vorschriften über die Liquidation (§ 161 Abs. 2 i. V. m. §§ 145 ff. HGB) maßgebend sind, wird eine KG in diesen Angelegenheiten - wie im Falle ihrer Liquidation - durch ihre Liquidatoren vertreten. Liquidatoren sind sämtliche Gesellschafter, sofern nicht durch Beschluß der Gesellschafter oder durch den Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmt ist (§ 146 Abs. 1 HGB).

Im Streitfall besteht für die Bestimmung des Liquidators eine vertragliche Regelung. Nach § 21 des Vertrages über die Gründung der Klägerin soll die Liquidation im Fall der Auflösung der Gesellschaft durch Beschluß "durch die zur Zeit vertretungsberechtigten Gesellschafter" erfolgen. Diese vertragliche Regelung ist zwar ihrem Wortlaut nach auf den Fall beschränkt, daß die Gesellschaft durch Beschluß aufgelöst wird. Unter Berücksichtigung der Interessenlage, die für diese vertragliche Regelung maßgebend war, ist aber anzunehmen, daß die hier vorgesehene Vertretungsregelung auch dann gelten soll, wenn die Gesellschaft durch Konkurseröffnung aufgelöst wird und hinsichtlich der konkursfreien Angelegenheiten eine Abwicklung erforderlich ist. Vertreterin der in Konkurs geratenen Klägerin für ihre konkursfreien Angelegenheiten ist hiernach - wie im Fall der Gesellschaftsauflösung durch Beschluß - die Komplementär-GmbH. Ihre Existenz ist durch die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Klägerin nicht berührt worden.

c) Dem Begehren der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung kann auch nach Eröffnung des Konkursverfahrens das Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden.

Ein Rechtsschutzbedürfnis ist zwar in den Fällen zu verneinen, in denen ein Steuerpflichtiger die Aussetzung der Vollziehung eines vor Konkurseröffnung ergangenen Steuerbescheides beantragt, wenn der Bescheid Steueransprüche betrifft, die zur Zeit der Konkurseröffnung bereits "begründet" waren (§ 3 Abs. 1 KO). Derartige Steuerforderungen müssen wie andere Konkursforderungen zur Konkurstabelle angemeldet (§§ 138 ff. KO) und - für den Fall, daß sie bestritten werden - außerhalb des Konkursverfahrens festgestellt werden (§ 146 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 KO). Die "Vollziehung" eines solchen vor Konkurseröffnung erlassenen Bescheides wäre also im Rahmen des Konkursverfahrens nicht möglich. Die Anordnung, die Vollziehung eines solchen Bescheides nach § 242 Abs. 2 AO (bzw. § 69 der Finanzgerichtsordnung) auszusetzen, könnte somit keinen Sinn haben (BFH-Urteil vom 27. November 1974 I R 185/73, BFHE 114, 164, BStBl II 1975, 208).

Anders liegt es indessen in den Fällen, in denen von einer in Konkurs befindlichen KG die Aussetzung der Vollziehung eines gegen sie ergangenen Gewinnfeststellungsbescheides begehrt wird. Denn der Gewinnfeststellungsbescheid enthält u. a. Besteuerungsgrundlagen für die Veranlagung der Gesellschafter zur Einkommensteuer; er stellt insoweit einen Grundlagenbescheid dar für Steuerforderungen, die sich gegen die Gesellschafter als solche richten und deshalb nicht gegenüber der Konkursmasse geltend zu machen sind.

2. Die Revision ist nicht begründet.

......

Mit dieser Ausgabe schließt der Teil II des Jahrgangs 1979.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73274

BStBl II 1979, 780

BFHE 1979, 322

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