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BFH Urteil vom 21.04.1988 - IV R 200/85 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweislast für Einhaltung der Rechtsbehelfsfrist; Beweiskraft eines Eingangsvermerks

 

Leitsatz (NV)

1. Die Einhaltung der Rechtsbehelfsfrist ist eine Sachentscheidungsvoraussetzung, für die der Rechtsbehelfsführer die Beweislast trägt.

2. Zur Beweiskraft eines Eingangsvermerks.

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 1 S. 1; ZPO § 415 Abs. 1, § 418 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 1981 als Handelsvertreter tätig. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte gegen ihn auf der Grundlage von Schätzungen Einkommensteuer und Umsatzsteuer für das Streitjahr fest. Der Einkommensteuerbescheid wurde am 14. Oktober 1983, der Umsatzsteuerbescheid am 18. Oktober 1983 zur Post aufgegeben.

Gegen diese Bescheide legte der Kläger mit einem auf den 10. November 1983 datierten Schreiben Einsprüche ein. Das Schreiben gab er persönlich bei dem zuständigen Sachbearbeiter des FA, Steueroberinspektor . . . (im folgenden: G) ab. Dieser versah das Schreiben mit dem handschriftlichen Eingangsvermerk ,,Eing 2/12/83 G".

Die Einsprüche verwarf das FA als unzulässig, da sie verspätet eingelegt worden seien. Die Behauptung des Klägers, er habe das Einspruchsschreiben bereits am 11. November 1983 bei dem Sachbearbeiter des FA abgegeben, sei nicht glaubhaft.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied aufgrund einer mündlichen Verhandlung, an der auch der Prozeßbevollmächtigte des Klägers teilgenommen hatte.

Mit der Revision beantragt der Kläger, das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Mit der Begründung, das FG habe über seinen Antrag auf Akteneinsicht nicht entschieden, rügt der Kläger die Verletzung seines Rechts auf Gehör (§ 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Eine derartige Rechtsverletzung kann indessen im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn die Möglichkeit bestanden hatte, den Mangel bereits vor dem FG zu rügen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Oktober 1979 I R 247/78, BFHE 129, 524, BStBl II 1980, 299). Die schlüssige Rüge eines Mangels im Sinne des § 119 Nr. 3 FGO erfordert deshalb u. a. die Darlegung, daß der Verfahrensbeteiligte die von ihm geltend gemachte Verletzung seines Rechts auf Gehör erfolglos vor dem FG gerügt hat. Darüber hinaus muß im einzelnen substantiiert dargelegt werden, wozu sich der Beteiligte nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (BFH-Beschluß vom 16. Januar 1986 III B 71/84, BFHE 145, 497, BStBl II 1986, 409). An solchen Darlegungen hat es hier gefehlt. Der Kläger hat sich in der Revisionsbegründung auf das Vorbringen beschränkt, er müsse ,,davon ausgehen, daß der Inhalt seiner Steuerakten bei der Urteilsfindung verwertet worden ist, ohne daß er hierzu Stellung nehmen konnte".

2. Dem FG ist darin beizupflichten, daß es aufgrund der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts die Einlegung der Einsprüche als verspätet angesehen hat.

a) Die Rechtsbehelfsfrist beträgt einen Monat (§ 355 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -); sie beginnt mit der Bekanntgabe des Bescheids.

Im Streitfall ist der angefochtene Einkommensteuerbescheid am 14. Oktober 1983 zur Post aufgegeben worden. Er gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, also am 17. Oktober 1983, als bekanntgegeben (vgl. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). Die Frist für die Einlegung des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid endete hiernach am 17. November 1983 (Donnerstag). - Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid wurde am 18. Oktober 1983 zur Post aufgegeben und gilt sonach am 21. Oktober 1983 als bekanntgegeben. Die Einspruchsfrist für den Umsatzsteuerbescheid endete mithin am 21. November 1983 (Montag).

b) Die Einhaltung der Rechtsbehelfsfrist ist eine Sachentscheidungsvoraussetzung, für die der Rechtsbehelfsführer die Beweislast trägt (BFH-Urteil vom 8. Dezember 1976 I R 240/74, BFHE 121, 142, BStBl II 1977, 321; Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO, Tz. 17 f. a. E.). Läßt sich der Nachweis für die fristgerechte Einlegung des Rechtsbehelfs nicht führen, so hat der Rechtsbehelfsführer die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen.

Im Streitfall ist dem Kläger der Nachweis der rechtzeitigen Einspruchseinlegung nicht gelungen. Wie das FG in dem angefochtenen Urteil ausführt, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts nicht fest, daß der Kläger das Einspruchsschreiben innerhalb der Einspruchsfrist beim FA abgegeben hat. Ein Teil der Zeugen hat zwar die Darstellung des Klägers bekräftigt, er habe das Einspruchsschreiben bereits am 11. November 1983 beim FA abgegeben. Die anderen Zeugen haben dagegen bekundet, daß das Einspruchsschreiben erst am 3. Dezember 1983 übergeben worden sei. Hieraus hat das FG den Schluß gezogen, daß eine der beiden Zeugengruppen einem Erinnerungsirrtum unterlegen sei und der Kläger deshalb die Richtigkeitsvermutung des durch den Eingangsvermerk des G ausgewiesenen Eingangsdatums nicht hinreichend zu widerlegen vermocht habe. Das Fehlen der Möglichkeit, den Sachverhalt restlos aufzuklären, geht, wie das FG zu Recht ausgeführt hat, zu Lasten des Klägers.

c) Die Rüge des Klägers, das FG habe die Vorschriften der §§ 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht richtig angewendet, kann keinen Erfolg haben.

Nach §§ 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 ZPO begründen Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer amtlichen Befugnisse in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind, vollen Beweis des durch die Behörde beurkundeten Vorgangs. Eingangsstempel und handschriftlich angebrachte Eingangsvermerke werden im Rahmen des Zivilprozeßrechts als öffentliche Urkunden in diesem Sinne behandelt. Umstritten ist dagegen, ob Eingangsstempel und -vermerke auch im Bereich des finanzgerichtlichen Verfahrens sowie des außergerichtlichen Vorverfahrens den vollen Beweis der bezeugten Tatsachen (Zeitpunkt des Eingangs) erbringen können (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 14. März 1985 IV R 216/84, BFH/NV 1987, 17; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 82 Tz. 40; Tipke/Kruse, a.a.O., § 55 FGO Tz. 6).

Das FG hält - einer verbreiteten Auffassung folgend (vgl. Gräber/Koch, a.a.O.) - die für den Zivilprozeß geschaffene Beweisregelung der §§ 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 ZPO im finanzgerichtlichen Verfahren nicht für anwendbar. Es ist vielmehr der Ansicht, daß im Verfahren vor dem FG zur Widerlegung der Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde kein förmlicher Gegenbeweis im Sinne des § 418 Abs. 2 ZPO geführt werden müsse. Zur Widerlegung der ,,Richtigkeitsvermutung" des durch den Eingangsvermerk ausgewiesenen Eingangsdatums genüge das Vorbringen und die Glaubhaftmachung konkreter Anhaltspunkte, aus denen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ergebe, daß die Beurkundung sachlich unrichtig sei. Dieser Auffassung entsprechend hat sich das FG für seine Entscheidung nicht mit der durch den Eingangsvermerk vermittelten Beweiskraft begnügt, sondern sich zur Erhebung weiterer Beweise (durch Vernehmung von vier Zeugen) veranlaßt gesehen.

Die vom Kläger erhobene Rüge, der vom Sachbearbeiter des FA auf dem Einspruchsschreiben angebrachte Eingangsvermerk könne nicht die von der ZPO vorgesehene Beweiswirkung haben, weil sich der Sachbearbeiter nicht ,,innerhalb der Grenzen seiner Amtsbefugnis bewegt" habe, ist schon deshalb nicht rechtserheblich, weil das FG die in der ZPO vorgesehene Beweiswirkung öffentlicher Urkunden ohnehin im finanzgerichtlichen Verfahren nicht für anwendbar erachtete und eine zusätzliche Beweisaufnahme für erforderlich hielt.

d) Auch die Rüge der Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO (durch fehlerhafte Beweiswürdigung) kann keinen Erfolg haben.

Der Kläger ist der Auffassung, der Sachbearbeiter des FA habe den Eingang des Einspruchsschreibens - entgegen § 10 Abs. 2 der Geschäftsordnung für die Finanzämter - FAGO - (BStBl II 1954, 66) - nicht an die Posteingangsstelle des FA weitergegeben; in diesem Verhalten liege eine Vereitelung des dem Kläger obliegenden Beweises. Als ,,Beweisverderber" dürfe das FA ,,keinen Vorteil aus der schuldhaften Beweisvereitelung ziehen". Wären die Einsprüche des Klägers rechtlich einwandfrei bearbeitet worden, so hätte der Kläger anhand des Posteingangsstempels und des weiteren Geschäftsgangs (nämlich der unverzüglichen Eintragung in die Rechtsbehelfsliste und der Weiterleitung an die Rechtsbehelfsstelle) nachweisen können, daß seine Einsprüche rechtzeitig eingelegt worden seien.

Die Berufung des Klägers auf den - auch in § 444 ZPO enthaltenen - allgemeinen Gedanken, daß eine Vereitelung der Beweisführung im Rahmen freier Beweiswürdigung für die Richtigkeit des gegnerischen Vorbringens gewertet werden kann (vgl. hierzu Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. April 1960 II C 68.58, BVerwGE 10, 270; Oberlandesgericht Frankfurt, Urteil vom 19. September 1979 17 U 159/75, Neue Juristische Wochenschrift 1980, 2758) kann der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Denn es fehlt auf seiten des FA an einem Verhalten, das sich als Beweisvereitelung bewerten ließe. Insbesondere hat der Sachbearbeiter G nach der für den verwaltungsinternen Geschäftsgang maßgebenden FAGO in nicht zu beanstandender Weise gehandelt, wenn er das ihm persönlich übergebene Schreiben des Klägers mit einem Eingangsvermerk versah; § 10 Abs. 5 FAGO sieht vor, daß Schreiben dienstlichen Inhalts, die Verwaltungsangehörigen an Amtsstelle übergeben werden, von diesen mit dem Eingangstag und ihrem Namenszeichen versehen werden. Mit der Anbringung dieses Vermerks wird der Tag des Eingangs bekundet. Auf die Einhaltung der weiteren - in § 10 Abs. 5 FAGO enthaltene - Anweisung, daß ein auf diese Weise übergebenes und mit Eingangstag und Namenszeichen versehenes Schreiben in die Posteingangsstelle gegeben werden soll, kann es bei dieser Sachlage nicht mehr ankommen; spätere Vorgänge können an der Beurkundung des Eingangsdatums nichts mehr ändern. Der Ansicht des Klägers, in der Unterlassung der Weitergabe des Schreibens an die Posteingangsstelle liege eine Beweisvereitelung, kann deshalb nicht gefolgt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415745

BFH/NV 1989, 172

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