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BFH Urteil vom 20.11.1969 - IV R 22/68

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Leitsatz (amtlich)

Bei der Berechnung des Kapitalswerts einer betrieblichen Kaufpreisleibrente ist die Berücksichtigung eines höheren Rechnungszinsfußes als 5,5 v. H. besonders dann nicht gerechtfertigt, wenn eine Wertsicherungsklausel vereinbart wird.

 

Normenkette

EStG 1958 ff. § 5; EStG 1958 ff. § 6 Abs. 1 Nr. 3

 

Tatbestand

Streitig ist bei den Einkommensteuerveranlagungen 1958 bis 1961 die Höhe des bei der Berechnung des Kapitalwerts einer betrieblichen Leibrentenverpflichtung zugrunde zu legenden Rechnungszinsfußes (§ 5, § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG).

Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger) war Kaufmann. Durch Vertrag vom 29. März 1958 kaufte er ein Großhandelsgeschäft. Der Kaufpreis bestand im wesentlichen in einer Leibrente zugunsten des Verkäufers und für den Fall seines Todes zugunsten dritter Personen. Die Rentenleistungen sollten im Verhältnis zum Gehalt eines Kommunalbeamten der Stadt H fallen oder steigen.

Bei der Ermittlung des Kapitalwerts der Leibrentenverpflichtung legte der Steuerpflichtige einen Zinsfuß von 8 v. H. zugrunde. Das FA, das von der Allgemeinen Sterbetafel 1949/51 der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und damit von einer durchschnittlichen höheren Lebenserwartung ausging, als sie der Steuerpflichtige angesetzt hatte, wandte einen Zinssatz von 5,5 v. H. an. Es erhöhte damit den vom Steuerpflichtigen passivierten Betrag von 121 698 DM auf 155 717 DM. Nach denselben Grundsätzen erhöhte es die Gegenwartswerte in den Folgebilanzen. Den sich bei der erstmaligen Bilanzierung der Verbindlichkeit ergebenden Mehrbetrag von 34 019 DM rechnete das FA dem vom Steuerpflichtigen bisher mit 24 205,65 DM ausgewiesenen Firmenwert zu. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das FG gab der Klage im Streitpunkt statt. Es führte aus, daß die Berechnung des versicherungsmathematischen Gegenwartswerts der Leibrentenverpflichtung unter Anwendung eines Rechnungszinsfußes von 5,5 v. H. gegen einkommensteuerrechtliche Bewertungsgrundsätze verstoße. Wegen des Fehlens einer gesetzlichen Regelung sei von der üblichen Verzinsung auszugehen. Maßgebend sei der Rechnungszinsfuß, den ein Erwerber des ganzen Unternehmens im Rahmen des Gesamtkaufpreises bei der Ermittlung des Übernahmewertes der Leibrentenverpflichtung ansetzen würde. Dem Steuerpflichtigen müsse ein Bewertungsspielraum zugebilligt werden. Im Hinblick auf die Entwicklung der Verhältnisse am Kapitalmarkt seit der Begründung der Leibrentenverpflichtung sei der von dem Steuerpflichtigen gewählte Rechnungszinsfuß nicht unangemessen hoch, zumal die Forderung des Veräußerers nicht dinglich gesichert worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Günden:

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Das EStG enthält keine ausdrückliche Vorschrift, der ein bestimmter, bei der Berechnung des Barwerts einer betrieblichen Leibrentenverpflichtung anzuwendender Zinsfuß zu entnehmen wäre. In den §§ 5 und 6 EStG ist die Frage nicht besonders geregelt. Sie muß deshalb durch Auslegung der allgemeinen Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG beantwortet werden. Nach dieser Vorschrift sind Verbindlichkeiten unter sinngemäßer Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusetzen. Bewertungsmaßstab ist daher der Teilwert (vgl. Urteil des BFH IV 456/61 U vom 12. März 1964, BFH 80, 138, BStBl III 1964, 525). Teilwert einer Verbindlichkeit ist der Betrag, mit dem ein Erwerber des Betriebes die Verbindlichkeit in der Übernahmebilanz ansetzen würde. Er ist gleich dem Bar- oder Zeitwert der Verbindlichkeit (vgl. BFH-Urteil IV 456/61 U).

Nach den Grundsätzen der kaufmännischen Vorsicht ist eine Verbindlichkeit im Zweifel eher höher als zu niedrig anzusetzen. Dem entspricht, daß bei der Ermittlung des Barwerts einer Rentenlast eher ein niedrigerer als ein zu hoher Zinssatz zugrunde zu legen ist. Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, daß die Zinssätze für langfristig aufgenommenes Kapital anwendbar sein sollen (vgl. Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl. 1968, Rdnrn. 21 und 58 zu § 156 AktG, S. 573, 585; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 61 zu § 5 EStG, mit weiteren Nachweisen). Die Rechtsprechung bezeichnete dagegen in mehreren Entscheidungen einen Zinssatz von 5 bis 5,5 v. H. als angemessen (vgl. Urteile des RFH VI A 1323/30 vom 10. Februar 1932, RFH 31, 21, RStBl 1932, 628 - nur Leitsatz -; BFH-Urteile I 213/59 vom 19. Januar 1960, StRK, EStG § 5, Rechtsspruch 220, - hier 5 v. H. -; IV 456/61 U). Der erkennende Senat ist auch für den streitigen Zeitraum (ab 1958) der Auffassung, daß ein Satz von 5,5 v. H. in der Regel nicht als zu niedrig angesehen werden kann. Denn entscheidend ist, daß es sich bei betrieblichen Kaufpreisleibrenten um besonders langfristige Verbindlichkeiten handelt und daß sich die bei solchen Kapitalanlagen auf sehr lange Sicht gerechtfertigte Zinserwartung nicht nach einem konjunkturell und damit zeitbedingten hohen Zinsniveau richten darf. Es muß auch mit Schwankungen nach unten gerechnet werden. Da der zu wählende Zinsfuß während des Bestehens der Verbindlichkeit grundsätzlich beizubehalten ist, kommt nur die Wahl eines mittleren Zinssatzes in Betracht.

Die Streitfrage ist zwar nach den Grundsätzen des § 6 EStG zu beantworten. Gleichwohl bieten die allgemeinen Vorschriften des BewG (§§ 2 bis 17 BewG 1934) für die Bestimmung des maßgebenden Zinssatzes einen brauchbaren Anhalt. Dort ist für die Berechnung des Kapitalwerts wiederkehrender Nutzungen und Leistungen ein Zinssatz von 5,5 v. H. zugrunde gelegt (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BewG). Das Gesetz verwendet auch sonst diesen Zinssatz (vgl. § 14 Abs. 3 BewG), und zwar für die Schuldner- wie für die Gläubigerseite. Die Wahl dieses Zinssatzes stellt somit eine keine Seite bevorzugende oder benachteiligende Entscheidung des Gesetzgebers dar. Im Regelfall ist auch bei der Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG davon auszugehen, daß dieser Zinsfuß angemessen ist und daß ein höherer Satz nur bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht kommt, die z. B. auch in der besonderen Kurzfristigkeit der Leibrente bestehen könnten.

Ein Zinsfuß von nicht mehr als 5,5 v. H. ist vor allem dann angemessen, wenn wie hier die Vertragsparteien die Leibrentenvereinbarung mit einer Wertsicherungsklausel ausgestattet haben, nach der die Rentenleistungen an die Entwicklung der Beamtengehälter oder an einen anderen Index gekoppelt sind. Die Wertsicherungsklausel bildet einen Schutz für den Verkäufer des Betriebes, der bei einem Steigen der Lebenshaltungskosten mit erhöhten Rentenleistungen rechnen darf. Dann müssen sich die Beteiligten, wenn sie im Hinblick auf das seit längerer Zeit erhöhte allgemeine Kapitalzinsniveau einen über 5,5 v. H. liegenden Satz als vereinbart ansehen wollen, außerdem entgegenhalten lassen, daß diese Erhöhung eine Folge des anhaltenden Kaufkraftschwunds der Währung ist, von dem ein durch Wertsicherungsklausel geschützter Gläubiger nicht betroffen wird und dessen Berücksichtigung deshalb vom Schuldner nicht verlangt wird.

Gegen die Anwendung eines Zinsfußes von 5,5 v. H. kann nicht eingewendet werden, daß es sich um eine nicht dinglich gesicherte Verbindlichkeit gegenüber dem Verkäufer handele und deshalb ein wesentlich höherer Satz als 5,5 v. H. zugrunde gelegt werden müsse. Denn für die Bewertung einer Verbindlichkeit beim Schuldner kann es keine Rolle spielen, ob die Forderung des Gläubigers gesichert ist. Der Gesichtspunkt der Zahlungsfähigkeit des Schuldners ist nur für die Bewertung der Forderung auf der Gläubigerseite von Bedeutung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68924

BStBl II 1970, 309

BFHE 1970, 28

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