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BFH Urteil vom 20.06.2001 - VI R 169/97 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagebefugnis bei Kindergeldaufhebung und Kosten des Beigeladenen

 

Leitsatz (NV)

  1. Hebt die Familienkasse festgesetztes Kindergeld auf, das an einen Sozialleistungsträger ausbezahlt wurde, so ist Letzterer klagebefugt (wie BFH-Urteil vom 12. Januar 2001 VI R 181/97, BStBl II 2001, 443, BFH/NV 2001, 863).
  2. Es entspricht der Billigkeit, außergerichtliche Kosten des Beigeladenen der unterliegenden Partei aufzuerlegen, wenn er eine Entscheidung des Revisionsgerichts ohne mündliche Verhandlung durch einen entsprechenden Verzicht ermöglicht.
 

Normenkette

FGO § 142 Abs. 1; ZPO § 114

 

Tatbestand

Der im Jahre 1953 geborene Sohn (X) der Beigeladenen ist wegen geistiger Behinderung zu 100 v.H. erwerbsunfähig. Er lebt seit vielen Jahren in einer Einrichtung für Behinderte. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) trägt als Sozialleistungsträgerin im Wege der erweiterten Eingliederungshilfe (§§ 39 ff., § 43 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes ―BSHG―) die Kosten der Unterbringung. Das Kindergeld für den Sohn wurde seit Jahren an die Klägerin ausbezahlt. Für die beigeladene Kindesmutter, die sich ebenfalls behinderungsbedingt in einer Einrichtung aufhält, ist ein Betreuer bestellt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Arbeitsamt ―Familienkasse―) setzte mit Bescheid vom 26. Februar 1997, der an den Betreuer der Beigeladenen gerichtet war, das Kindergeld ab 1. Januar 1997 auf 0 DM fest. Zur Begründung führte die Familienkasse an, aufgrund der geleisteten Eingliederungshilfe sei der Sohn nicht außerstande, sich selbst zu unterhalten.

Gegen den Bescheid vom 26. Februar 1997 legte lediglich die Klägerin, die eine Abschrift des Bescheids erhalten hatte, Einspruch ein. In diesem wies die Klägerin wegen ihrer Aktivlegitimation auf die Regelung des § 91a BSHG hin. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Nach Erhebung der Klage erklärte die Klägerin, sie leite den Kindergeldanspruch gemäß § 90 BSHG auf sich über. Ferner stellte sie unter Hinweis auf § 67 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einen neuerlichen Antrag auf Kindergeld. Diesen Antrag hat die Familienkasse mit Bescheid vom 9. Juli 1997 gleichfalls abgelehnt. Das Einspruchsverfahren ruht insoweit.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen an, der Rechtsweg zu den Finanzgerichten sei zwar für die erhobene Anfechtungsklage eröffnet (§ 33 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), da über eine Steuervergütung gestritten werde. Der Bescheid vom 26. Februar 1997 sei aber formell bestandskräftig geworden, weil er von der Beigeladenen nicht angefochten worden sei. Die Klägerin selbst sei nicht klagebefugt, da sie nicht in ihren Rechten verletzt sei. Die nachträgliche Überleitung des bereits erloschenen Kindergeldanspruchs sei ins Leere gegangen. Die Klägerin verkenne zudem, dass der Kindergeldanspruch der Kindesmutter und nicht dem Kind zugestanden habe; es hätten allenfalls Unterhaltsansprüche übergeleitet werden können. Die Vorschrift des § 91a BSHG sei nicht anwendbar. Eine Klagebefugnis ergebe sich auch nicht aus § 67 Satz 2 EStG, da die Klägerin offensichtlich kein berechtigtes Interesse in diesem Sinne habe.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 2, 90 BSHG und des § 40 FGO. Die Überleitung sei nicht ins Leere gegangen. Sie ―die Klägerin― sei in die Rechtsstellung des Anspruchsgläubigers eingetreten; hiermit sei das Recht verbunden, den Anspruch in eigenem Namen geltend machen zu können. Im Übrigen sei der Bescheid vom 26. Februar 1997 auch materiell rechtswidrig.

Die Klägerin beantragt, das Urteil der Vorinstanz und die Bescheide des Beklagten vom 26. Februar und 17. Juni 1997 aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Klägerin sei nicht in eigenen Rechten verletzt. Hinsichtlich der ins Leere gehenden Überleitung sei dem FG auch deswegen zu folgen, weil die Neuregelung des steuerrechtlichen Kindergeldes den bestehenden Rechtszustand hinsichtlich der Erstattungsansprüche habe beibehalten wollen (§ 74 Abs. 5 EStG 1996; jetzt: § 74 Abs. 3 EStG). Der Bescheid vom 17. Januar 1997 sei im Übrigen auch materiell rechtmäßig.

Mit Beschluss vom 19. Februar 2001 hat der erkennende Senat die Kindesmutter beigeladen (notwendige Beiladung, vgl. auch Senatsbeschluss vom 12. Januar 2001 VI R 49/98, BStBl II 2001, 246).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der streitigen Bescheide (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

1. Die Klage ist zulässig, die Klägerin ist insbesondere klagebefugt. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 12. Januar 2001 VI R 181/97 (BFH/NV 2001, 863, Deutsches Steuerrecht 2001, 618, Der Betrieb 2001, 1017).

2. Die Klage ist auch begründet.

Die streitigen Bescheide sind rechtswidrig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO). Die Beigeladene hat auch ab 1. Januar 1997 für ihren Sohn nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG einen Anspruch auf Kindergeld, da dieser außerstande gewesen ist, sich selbst zu unterhalten (§ 63 Abs. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG).

Mit Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 40/98 (BFHE 189, 449, 455, BStBl II 2000, 75) hat der erkennende Senat entschieden, dass ein behindertes Kind dann außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, wenn seine Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung seines Lebensunterhalts bestimmt oder geeignet sind, den maßgebenden Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ―im Jahre 1997 in Höhe von 12 000 DM― nicht übersteigen.

Es sind im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die zur Bestreitung des allgemeinen Lebensunterhalts zur Verfügung stehenden Einkünfte und Bezüge des Sohnes der Beigeladenen diesen Grenzbetrag überschreiten. Dies gilt selbst dann, wenn im Streitfall der ―nach der Sachbezugsverordnung berechnete― Wohnwert der Heimunterbringung als Bezug des Sohnes der Beigeladenen anzusetzen sein sollte (vgl. Senatsurteil vom 24. Mai 2000 VI R 89/99, BFHE 192, 477, BStBl II 2000, 580).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und § 139 Abs. 4 FGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Revisionsverfahren waren dem Beklagten aufzuerlegen. Es entspricht der Billigkeit, diese Kosten der unterliegenden Partei aufzuerlegen, wenn der Beigeladene das Revisionsverfahren jedenfalls dadurch wesentlich gefördert hat, dass er auf mündliche Verhandlung verzichtet und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ohne mündliche Verhandlung ermöglicht hat (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 22. Oktober 1991 VIII R 81/87, BFHE 165, 482, BStBl II 1992, 147; vom 6. Februar 1998 VI R 13/97, nicht veröffentlicht; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 139 Rz. 34).

 

Fundstellen

BFH/NV 2001, 1443

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