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BFH Urteil vom 14.11.1958 - III 103/58 U

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Rechtsmittelbehörde muß davon ausgehen, daß der Steuerpflichtige das Rechtsmittel hat einlegen wollen, das geeignet ist, zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu führen.

über die Ablehnung eines Antrags auf Berichtigung einer offenbaren Unrichtigkeit ist im Berufungsverfahren zu entscheiden.

 

Normenkette

AO §§ 249, 238, 92 Abs. 3, § 92/2, § 235/1, § 229/3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Vermögensabgabe-Veranlagung wegen offenbarer Unrichtigkeit berichtigt werden kann. Der Betrieb des Abgabepflichtigen erlitt im Juli 1943 einen Totalschaden, auf den er 75.000 RM als Entschädigung erhielt. Der Abgabepflichtige ist Eigentümer der in H belegenen Grundstücke mit Einheitswerten auf den 1. Januar 1935 von 70.000 RM und 71.000 RM. Die Gebäude auf diesen Grundstücken sind gleichfalls im Krieg zerstört worden und die Einheitswerte sind infolgedessen für den 21. Juni 1948 auf 35.000 DM und 39.000 DM herabgesetzt worden. Das Grundstück H 1 ist als Betriebsgrundstück bewertet und bei der Veranlagung zur Vermögensabgabe beim Betriebsvermögen berücksichtigt worden; das Grundstück H 2 ist als Grundvermögen bewertet und behandelt worden.

Der Einheitswert des gewerblichen Betriebs betrug am 1. Januar 1940 147.400 RM und am Währungsstichtag 29.600 DM; das Finanzamt errechnete daraus einen Schadenshöchstbetrag von 117.800 DM, den es bei der Veranlagung unberücksichtigt ließ, weil der Abgabepflichtige eine Entschädigung von mehr als 50 v. H. dieses Schadens erhalten habe. Der Schaden an dem Grundstück H 2 wurde als Schaden am Grundvermögen anerkannt.

Der Vermögensabgabebescheid wurde am 1. September 1955 zur Post gegeben. Am 15. Juni 1956 beantragte der Abgabepflichtige, den Bescheid wegen offenbarer Unrichtigkeit abzuändern. Er trug vor, beide Grundstücke hätten ununterbrochen dem Geschäftsbetrieb seiner Firma gedient, und zwar das Grundstück H 1 vollkommen und von dem Grundstück H 2 die großen Kellerräume, der Laden und der erste Stock, insgesamt reichlich 400 qm. Der Mietwert dieser Räume mache das Vielfache der für die übrigen - vermieteten - Räume zu zahlenden Mieten aus. Beide Grundstücke seien denn auch stets in den Büchern als Geschäftsgrundstücke geführt worden. Die an den beiden Betriebsgrundstücken und dem gewerblichen Betrieb entstandenen Kriegsschäden betrügen weit mehr als das Doppelte der seinerzeit gezahlten Entschädigung von 75.000 RM, zumal sich der tatsächliche Schaden an dem Warenlager und der Einrichtung allein bereits auf 208.845 RM belaufen habe. Die Berichtigung des Bescheides vom 1. September 1955 sei nötig, weil er für die Berechnung und Feststellung des Schadens durch das Ausgleichsamt verbindlich sei. Das Finanzamt behandelte das Schreiben vom 15. Juni 1956 als Einspruch und verwarf das Rechtsmittel als unzulässig. Auch die hiergegen eingelegte Berufung blieb erfolglos. Das Finanzgericht sagt in der Begründung seines Urteils, die Vermögensabgabe-Veranlagung selbst und die ihr zugrunde liegenden Feststellungsbescheide seien rechtskräftig und eine Berichtigung nach §§ 92 Abs. 3, 94 bis 96 der Reichsabgabenordnung (AO) komme nicht zum Zuge.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) vertritt der Beschwerdeführer (Bf.) die Ansicht, es liege eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 3 AO vor und bei dem Vermögensabgabebescheid handle es sich nicht um einen Besitz- oder Verkehrsteuerbescheid, so daß die Berichtigungsbeschränkungen des § 94 AO nicht zum Zuge kämen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.

Der Bf. hat seine Rechtsmittel damit begründet, die Nichtzurechnung des Grundstücks H 2 zum Betriebsvermögen sei offenbar unrichtig. Selbst wenn diese Behauptung zuträfe, könnte sie unter keinen Umständen durch ein Rechtsmittel gegen den Vermögensabgabebescheid zum Erfolg führen, weil für die Vermögensabgabe ebenso wie für die Ermittlung des Gesamtvermögens die Einheitswerte des Betriebsvermögens und des Grundvermögens maßgebend sind (ß 21 des Lastenausgleichsgesetzes - LAG -, § 4 des Vermögensteuergesetzes - VStG -, §§ 73 - 77 des Bewertungsgesetzes - BewG -). Ein theoretisch denkbarer Erfolg wäre nur in einem Verfahren gegen die Einheitswertbescheide möglich. Die Rechtsmittelbehörden müssen nun davon ausgehen, daß der Steuerpflichtige das Rechtsmittel gegen den Bescheid einlegen will, der angefochten werden muß, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu führen (vgl. u. a. Urteil des Reichsfinanzhofs III A 85/34 vom 9. Mai 1934, Reichssteuerblatt - RStBl - 1934 S. 658). Hat der Steuerpflichtige einen falschen Bescheid bezeichnet, so ist das von Amts wegen richtigzustellen. Im vorliegenden Fall müßte das Rechtsmittel des Steuerpflichtigen als gegen den Einheitswertbescheid für das bezeichnete Grundstück gerichtet angesehen werden. Da die Vorinstanzen dies verkannt haben, unterliegen die Vorentscheidungen der Aufhebung.

Das Finanzamt wird nunmehr über den Antrag auf Berichtigung des Einheitswertbescheides für das Grundstück H 2 zu entscheiden haben. Dazu ist folgendes zu bemerken: über die Ablehnung eines Antrags auf Berichtigung einer offenbaren Unrichtigkeit ist im Berufungsverfahren zu entscheiden. Zwar hat der Reichsfinanzhof im Urteil V A 173/21 vom 4. Januar 1922, Mrozek-Kartei, Reichsabgabenordnung § 130 Rechtsspruch 1, bei Ablehnung eines Antrags auf Berichtigung nach § 74 Abs. 3 AO 1919 (ß 92 Abs. 3 AO) nur die Beschwerde für zulässig erachtet; der Oberste Finanzgerichtshof hat im Urteil III 54/48 vom 2. März 1949, Deutsche Steuer-Zeitung B 1949 S. 194, ausgeführt, daß § 92 Abs. 3 AO dem Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf Berichtigung verleihe und daraus anscheinend den Schluß gezogen, daß das Berufungsverfahren gegen eine Ablehnung des Berichtigungsantrags nicht gegeben ist. Im Gegensatz hierzu hat der Reichsfinanzhof im Urteil VI 386/39 vom 26. Juli 1939, RStBl 1939 S. 946, ohne Begründung die Zulässigkeit des Berufungsverfahrens angenommen. Der Senat tritt der Ansicht bei, daß die Ablehnung einer Berichtigung gemäß § 92 Abs. 3 AO unter § 235 Ziff. 1 AO fällt und die Rechtsmittel des Berufungsverfahrens gegeben sind (vgl. Stieler, Der Betriebs-Berater 1949 S. 649; Kühn, Reichsabgabenordnung, 5. Auflage, § 235 Anm. 2; Berger, Der Steuerprozeß, S. 158; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung, § 235 Anm. 3). Der Wortlaut weder des § 235 Ziff. 1 noch des § 92 Abs. 3 AO steht dieser Rechtsmeinung entgegen; trotz der Wortfassung des § 92 Abs. 3 AO ("können auch ... berichtigt werden") wird man einräumen müssen, daß der Steuerpflichtige ein Recht auf Berichtigung hat, wenn die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind, und dieses Recht im Berufungsverfahren verfolgen kann. Mit dem Worte "können" in § 92 Abs. 3 AO ist nur die Zulässigkeit einer Durchbrechung der materiellen Rechtskraft zum Ausdruck gebracht.

Die Nichtzurechnung des Grundstücks H 2 zum Betriebsvermögen ist hier eine Rechtsentscheidung des Finanzamts, die nicht als offenbare Unrichtigkeit angesehen werden kann. Die Rechtsausführungen der Vorinstanzen sind in diesem Punkte also zutreffend. Auch die Ansicht des Bf., die Vermögensabgabe sei keine Besitzsteuer, ist irrig - wie der Senat im Urteil III 273/57 S vom 7. Februar 1958, Bundessteuerblatt 1958 III S. 157, Slg. Bd. 66 S. 407, ausgeführt hat.

Die Entscheidung über den Kostenpunkt folgt aus § 309 AO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409226

BStBl III 1959, 51

BFHE 1959, 134

BFHE 68, 134

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