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BFH Urteil vom 10.01.1964 - VI 1/61 U

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur steuerrechtlichen Beurteilung der sogenannten Tilgungsstreckung, die Banken bei der Gewährung von Tilgungsdarlehen vereinbaren.

Eine bürgerlich-rechtliche Vereinbarung zwischen dem Darlehnsgeber und dem Darlehnsnehmer, daß der Darlehnsnehmer vor dem Beginn der Tilgung der Hauptschuld das Damnum zu tilgen habe, ist auch steuerrechtlich zu beachten.

 

Normenkette

EStG §§ 9, 11/2, § 21

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige nahm im Jahre 1954 bei der X.-Bank (abgekürzt: Bank) ein Darlehen von 95.000 DM für einen Hausbau auf. Da die Bank nur 94 v. H. des Nennbetrages auszahlte, erbat der Steuerpflichtige ein Zusatzdarlehen, um den vollen Darlehnsbetrag von 95.000 DM verfügbar zu haben. Die Bank zahlte das Hauptdarlehen mit 89.300 DM aus und gab außerdem ein Zusatzdarlehen von 5.700 DM. Es wurde vereinbart, das Hauptdarlehen zunächst mit 1 v. H. und nach sechs Jahren mit 2 v. H. jährlich zu tilgen. über das Zusatzdarlehen wurde folgendes vereinbart: "Wir (die Bank) sind bereit, zur Erhöhung des Auszahlungskurses einen Teil der Kursdifferenz und des Geldbeschaffungskostenbeitrages, und zwar 6 v. H. des Darlehnsbetrages, als Zusatzdarlehen zu gewähren, d. h. Ihnen den ausmachenden Betrag in der Weise zu stunden, daß die in den Halbjahresleistungen enthaltenen Tilgungsbeträge zunächst hierauf abgeschrieben werden (Tilgungsstreckung)." In den Streitjahren 1955 und 1956 zahlte der Steuerpflichtige wie vereinbart je (1 v. H. von 95.000 DM =) 950 DM an die Bank. Er machte diesen Betrag bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung jeweils im Jahr der Zahlung als Werbungskosten geltend. Das Finanzamt versagte den Abzug, weil diese Zahlungen der Tilgung des Zusatzdarlehens gedient hätten und Schuldrückzahlungen keine Werbungskosten seien. Der Einspruch hiergegen wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Die Berufung des Steuerpflichtigen hatte Erfolg. Das Finanzgericht führte aus: Ein von einem Darlehnsnehmer als Damnum, Disagio, Abzugs- oder Bearbeitungsgebühr geleisteter Betrag könne im Jahre der Zahlung immer steuerlich voll als Werbungskosten abgesetzt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. Urteile VI 19/57 U vom 24. April 1959, BStBl 1959 III S. 236, Slg. Bd. 68 S. 619; VI 159/59 U vom 1. Juli 1960, BStBl 1960 III S. 347, Slg. Bd. 71 S. 261) seien zwar Geldbeschaffungskosten (Damnum) auf die Laufzeit des Darlehens zu verteilen. Dieser Auffassung sei aber nicht zuzustimmen. Diese Rechtsprechung führe nur zu richtigen Ergebnissen, weil das Damnum ein Aufgeld sei, d. h. wenn der Darlehnsnehmer mehr als den Nennbetrag des Darlehens zurückzahlen müsse. Das sei aber nicht die Regel. Gewöhnlich sei das Damnum ein Abgeld. Ein solches Abgeld belaste den Darlehnsnehmer rechtlich und wirtschaftlich schon bei der Darlehnsgewährung; es mindere den Nennbetrag der Darlehnsschuld. Im Streitfall sei das Damnum in Raten zu tilgen. Der Tilgungsbetrag von je 950 DM jährlich sei darum bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in den Streitjahren 1956 und 1957 als Werbungskosten abzusetzen.

Der Bundesminister für Finanzen, der dem Verfahren auf Ersuchen des Senats gemäß § 287 Ziff. 2 AO beigetreten ist und zu den vom Senat aufgeworfenen Rechtsfragen näher Stellung genommen hat, teilte nicht die Auffassung des Finanzgerichts, daß ein Damnum schon im Jahr der Auszahlung des Darlehens in voller Höhe als Werbungskosten abgesetzt werden könne. Ein Damnum werde nicht schon bei der Begründung des Darlehnsverhältnisses durch Aufrechnung, sondern erst mit der Zahlung getilgt. Bei Tilgungsdarlehen werde das Damnum während der Laufzeit des Darlehens getilgt, so daß es auch für die Besteuerung auf die Laufzeit des Darlehens zu verteilen sei. Die Verteilung, wie das Finanzgericht sie vorgenommen habe, sei jedoch bei entsprechender bürgerlich-rechtlicher Vertragsgestaltung im Einzelfall möglich. Auf jeden Fall könne man aber annehmen, daß zunächst das Damnum und erst dann das ausgezahlte Kapital getilgt werde, wenn die Vertragsbeteiligten eine solche Vereinbarung träfen. Im Streitfall brauche man darum das Damnum nicht, wie das Finanzamt es wolle, auf die Laufzeit der Hypothek verteilen, sondern man könne die streitigen Tilgungsbeträge, weil die Beteiligten das vereinbart hätten, schon im Jahre der Zahlung absetzen, wie es der Steuerpflichtige erstrebe. Die Entscheidung des Finanzgerichts sei demnach zwar in der Begründung bedenklich, im Ergebnis aber zutreffend.

Der Deutsche Industrie- und Handelstag, dem der Senat ebenfalls Gelegenheit zur äußerung gegeben hatte, hält die Entscheidung des Finanzgerichts in der Begründung und im Ergebnis für richtig.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts gegen das in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1961 S. 157 veröffentlichte Urteil des Finanzgerichts, mit der unrichtige Anwendung des geltenden Rechts gerügt wird, ist im Ergebnis nicht begründet.

Der Senat hat in dem Grundsatzurteil VI 62/63 S vom 8. November 1963 (BStBl 1964 III S. 31) zur Behandlung des Damnums Stellung genommen und entschieden, daß ein bei der Gewährung eines Darlehens vereinbartes Damnum nicht bereits bei der Darlehnsgewährung durch Aufrechnung getilgt werde. Für Tilgungsdarlehen hat er in übereinstimmung mit der vom Bundesminister der Finanzen im vorliegenden Fall vertretenen Auffassung ausgeführt, daß das Damnum vom Schuldner regelmäßig in gleichen Teilbeträgen während der Laufzeit des Darlehens abgedeckt werde und daß deshalb für jedes Jahr der Laufzeit des Darlehens ein gleicher Teil des Damnums zu berücksichtigen sei. Dem Finanzgericht, das von einer anderen rechtlichen Beurteilung ausgegangen ist, kann daher insoweit nicht zugestimmt werden. Infolge der anderen Beurteilung des Damnums durch den Senat haben die Ausführungen des Finanzgerichts über eine verschiedene Behandlung eines Darlehnsabgeldes und eines Darlehnsaufgeldes keine Bedeutung.

Die Vorentscheidung braucht jedoch trotzdem nicht aufgehoben zu werden, da der Senat ihr im Ergebnis aus anderen Gründen beitritt. Die steuerliche Beurteilung eines Damnums hat grundsätzlich an die von den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen anzuknüpfen, sofern diese ernst gemeint sind und durchgeführt werden. Der Senat hat hierauf im Grundsatzurteil VI 62/63 S a. a. O. hingewiesen. Schon in dem früheren Urteil VI 159/59 U a. a. O. hat der Senat auf Grund dieser Erwägung angenommen, daß nach den geschlossenen Verträgen das Damnum bereits während der ersten Jahre der Laufzeit des Darlehens getilgt wurde, und zwar in Höhe der für die späteren Jahre vereinbarten Darlehnstilgung. Die zur Tilgung des Damnums geleisteten Zahlungen wurden damals im Jahr der Zahlung als Werbungskosten berücksichtigt, und zwar für die ersten Jahre der Laufzeit des Darlehens.

Auch der Bundesminister der Finanzen erkennt in seiner Stellungnahme an, daß nach den zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner von Tilgungsdarlehen getroffenen Vereinbarungen die Tilgung eines Damnums anders als durch eine gleichbleibende Verteilung auf die Laufzeit des Darlehens zulässig sei.

Im Streitfall hat das Finanzgericht festgestellt, daß nicht zwei getrennte Darlehnsverpflichtungen begründet worden sind, sondern daß die Beteiligten von vornherein ein einheitliches Geschäft gewollt und auch geschlossen haben, bei dem es dem Steuerpflichtigen darauf ankam, über 95.000 DM verfügen zu können, da er diesen Betrag für sein Bauvorhaben brauchte. Daß die Abmachungen darüber in zwei getrennten Urkunden getroffen wurden, ist nicht wesentlich, zumal die Beteiligten das Darlehen von 5.700 DM ausdrücklich als "Zusatzdarlehen" bezeichnen. Daß ein solches zusätzliches Darlehen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich in engem Zusammenhang mit dem Hauptdarlehen stehen kann, erkennt auch der Bundesgerichtshof an. Im Urteil V ZR 153/59 vom 17. Mai 1961 (Wertpapier-Mitteilungen 1961 Teil IV S. 980) bezeichnete er es als eine mögliche Vertragsauslegung, daß ein Zusatzdarlehen, das ein Darlehnsschuldner zur Ausfüllung einer durch das Damnum bei dem Hauptdarlehen entstandenen Finanzierungslücke bei dem gleichen Darlehnsgläubiger aufnahm, den "sonstigen Bedingungen" des Hauptdarlehens unterliegt.

Der Senat hält es auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts für rechtlich richtig, im Streitfall wegen der engen rechtlichen und wirtschaftlichen Verknüpfung beider Darlehen die Tilgung des Zusatzdarlehens, die für die ersten sechs Jahre an die Stelle von 1 v. H. Tilgung der 95.000 DM des Hauptdarlehens getreten ist, als eine zinsähnliche, zusätzliche Leistung des Steuerpflichtigen zur Erlangung der von ihm für den Hausbau benötigten 95.000 DM anzusehen. Im wirtschaftlichen Ergebnis liegt der Fall nicht anders, als wenn die Hypothek von 95.000 DM voll ausgezahlt worden wäre, der Zins aber für die ersten sechs Jahre nicht 6,5 v. H. sondern 7,5 v. H. betragen hätte und der Tilgungssatz für die ersten sechs Jahre nur mit 1 v. H. und erst vom siebenten Jahr ab mit 2 v. H. bemessen worden wäre. Bei dieser gleichfalls vorkommenden Form der Tilgungsstreckung bestünden jedenfalls keine Bedenken, für die ersten sechs Jahre 7,5 v. H. von 95.000 DM als Werbungskosten zu berücksichtigen. Es liegen aber keine gewichtigen wirtschaftlichen Gründe vor, im Streitfalls anders zu verfahren.

Eine derartige Umdeutung der "Tilgung eines Zusatzdarlehens" in eine zusätzliche Verzinsung ist allerdings nur gerechtfertigt, wenn eine so enge Verknüpfung zwischen dem Haupt- und dem Zusatzdarlehen besteht, daß beide wirtschaftlich als eine Einheit erscheinen. Für den Streitfall kann dies mit dem Finanzgericht angenommen werden. Anders wäre es jedoch, wenn das zusätzliche Darlehen z. B. nicht von dem Geldgeber des Hauptdarlehens, sondern von einem anderen Gläubiger gegeben worden wäre. Da demnach die streitigen Beträge zinsähnlich und darum Werbungskosten sind, ist die Entscheidung des Finanzgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411094

BStBl III 1964, 157

BFHE 1964, 405

BFHE 78, 405

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