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BFH Urteil vom 09.10.1979 - VIII R 226/77

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Leitsatz (amtlich)

Ein Überlegungsfehler des Veranlagungsbeamten schließt die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit i. S. des § 129 AO 1977 dann nicht aus, wenn sich der Fehler auf den tatsächlichen Ablauf des maschinellen Veranlagungsverfahrens bezieht.

 

Normenkette

AO 1977 § 129

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erklärten in ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1972 u. a. einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 925 DM und einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 28 818 DM. Für den Veräußerungsgewinn beantragten sie Steuerbefreiung.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) führte die Veranlagung unter Verwendung einer EDV-Anlage durch. Beim Ausfüllen des Eingabewertbogens setzte der Sachbearbeiter des FA sowohl bei der Kennziffer 240 (begünstigte Einkünfte nach § 34 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) als auch bei der darunterliegenden Kennziffer 316 (steuerfrei bleibende Veräußerungsgewinne) jeweils 28 818 DM ein. Der Eingabewertbogen ist in Abschn. E. unter "Steuerbegünstigte Einkünfte" wie folgt gestaltet:

"1. Begünstigte Einkünfte nach

a) § 34 Abs. 2 EStG, die dem Steuerabzug vom

Arbeitslohn nicht unterlagen 240

Steuerfrei bleibende Veräußerungsgewinne i. S.

der §§ 14, 14 a Abs. 1-3, 16, 17 und 18 Abs. 3 EStG 316

b) § 34 Abs. 2 EStG, die dem Steuerabzug vom

Arbeitslohn unterlagen 241

c) § 34 Abs. 3 EStG, soweit sie auf die Vorjahre

bzw. Folgejahre entfallen 242

manuell berechnete Einkommensteuer zu c)

... (ggf. 'O') 243

d) Nebeneinkünfte aus wissensch., künstl.

oder schriftst. Tätigkeit - Steuerpfl. A 267

darin enthalten begünst. Eink. nach § 34

Abs. 4 EStG (Abschn. 197, 202 EStR) 244

e) Nebeneinkünfte aus wissensch., künstl.

oder schriftst. Tätigkeit - Ehegatte - B 268

darin enthalten begünst. Eink. nach § 34

Abs. 4 EStG (Abschn. 197, 202 EStR) 245

f) § 34 b Abs. 3 Ziff. 2 EStG (Abschn. 205 EStR) 246

g) § 34 b Abs. 3 Ziff. 3 Buchst. c EStG 247

h) § 34 b Abs. 3 Ziff. 3 Buchst. b EStG

(Abschn. 206 EStR) 248

i) Abschnitt 211 Abs. 3 EStR ... (bis 1964) 250

j) § 34 b Abs. 3 Ziff. 1 EStG (Abschn. 204 EStR) 251

k) § 34 b Abs. 3 Ziff. 3 Buchst. a EStG

(Abschn. 206 EStR) 252

l) § 34 c Abs. 4 EStG (Abschn. 197 EStR) 253

2. ..."

Aufgrund der doppelten Eintragungen beließ die Datenverarbeitungsanlage in dem von ihr erstellten Steuerbescheid vom 31. Januar 1974 den Veräußerungsgewinn steuerfrei und gewährte zusätzlich noch den begünstigten Steuersatz nach § 34 Abs. 2 EStG, der sich bei den gesamten übrigen Einkünften der Kläger auswirkte.

Nach Aufdeckung des Fehlers erließ das FA am 2. März 1977 einen nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) berichtigten Einkommensteuerbescheid, der zu einer Mehrsteuer von 838 DM führte.

Das Finanzgericht (FG) hob nach erfolglosem Einspruchsverfahren den berichtigten Einkommensteuerbescheid auf, weil es in dem Fehler des FA keine offenbare Unrichtigkeit sah. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Rechtliche Zweifel darüber, daß der Veräußerungsgewinn nur steuerfrei zu belassen und nicht nochmals steuerlich begünstigt werden könne, seien zwar ausgeschlossen. Trotzdem liege eine offenbare Unrichtigkeit nicht vor. Der Fehler beruhe auf der Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache, weil die vom FA vorgenommenen Eintragungen im Eingabewertbogen zwangsläufig zu dem fehlerhaften Ergebnis führen mußten. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. Mai 1977 IV R 44/74 (BFHE 122, 393, BStBl II 1977, 853) sei auch in diesem Fall die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit ausgeschlossen.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision macht das FA die Verletzung des § 129 AO 1977 geltend. Nach der Rechtsprechung des BFH sei eine offenbare Unrichtigkeit auch dann gegeben, wenn der Eingabewertbogen versehentlich falsch ausgefüllt werde (vgl. Urteil vom 1. April 1977 VI R 153/76, BFHE 123, 1, BStBl II 1977, 853). Die Annahme eines Rechtsirrtums habe das FG selbst ausgeschlossen.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das FA war berechtigt, den Einkommensteuerbescheid 1972 vom 31. Januar 1974 wegen offenbarer Unrichtigkeit zu berichtigen.

1. Nach § 129 AO 1977 (früher: § 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung - AO -) können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Den Schreib- und Rechenfehlern "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" sind mechanische Versehen, zu denen in erster Linie Fehler beim Ablesen der Steuertabelle und Übertragungsfehler gehören. Eine offenbare Unrichtigkeit kann aber auch dann vorliegen, wenn der Veranlagungsbeamte den Eingabewertbogen versehentlich falsch ausgefüllt (vgl. BFH-Urteil VI R 153/76) oder sich über den tatsächlichen Ablauf des maschinellen Veranlagungsverfahrens geirrt hat (vgl. BFH-Urteile vom 5. Oktober 1967 IV R 84/67, BFHE 90, 106, BStBl III 1967, 793, und VI R 153/76). Solche Fehler bei der Feststellung der Eingabewerte und ihrer Eintragung in den Eingabewertbogen sind nach den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil IV R 84/67). Ob ein mechanisches Versehen, ein Irrtum über den Programmablauf oder ein die Berichtigung nach § 129 AO 1977 ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muß nach den Verhältnissen des Einzelfalles beurteilt werden (vgl. BFH-Urteile vom 31. Juli 1975 V R 121/73, BFHE 116, 462, BStBl II 1975, 868, und VI R 153/76).

2. Im Streitfall war nach den Feststellungen der Vorinstanz die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen. Da der veranlagende Beamte zweifelsfrei von nur einem Veräußerungsgewinn ausging, scheidet auch die Annahme eines Tatsachenirrtums aus. Dann aber ist es unerheblich, ob der Veranlagungsbeamte den Veräußerungsgewinn nur aus Unachtsamkeit bei zwei Kennziffern eingetragen hat oder ob er aufgrund der unklaren Gestaltung des Eingabewertbogens von der irrigen Annahme ausgegangen ist, der Veräußerungsgewinn müsse bei beiden Kennziffern eingetragen werden. Im ersten Fall würde es sich um ein mechanisches Versehen handeln, im letzteren um einen Irrtum über den Gang des maschinellen Veranlagungsverfahrens, der ebenfalls zur offenbaren Unrichtigkeit des Steuerbescheids führt (vgl. BFH-Urteil IV R 84/67).

3. Die Vorentscheidung stützt sich zu Unrecht auf das BFH-Urteil IV R 44/74. Darin hat der BFH ausgeführt, daß eine offenbare Unrichtigkeit auch dann nicht vorliege, wenn ein Fehler auf der Nichtberücksichtigung feststehender Tatsachen beruhe; vielmehr gehöre dieser Fehler in den Regelungsbereich des § 222 AO. Aus dem Hinweis auf § 222 AO wird deutlich, daß unter Tatsache ein Lebensvorgang zu verstehen ist, der einen gesetzlichen Steuertatbestand erfüllt. Dazu gehört aber nicht - worauf das FG seine Entscheidung gestützt hat - die Tatsache, daß bei der maschinellen Veranlagung widersprüchliche Eintragungen im Eingabewertbogen zwangsläufig zu einem falschen Ergebnis führen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425968

BStBl II 1980, 62

BFHE 1980, 5

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