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BFH Urteil vom 03.08.1966 - IV R 75/66, IV R 152/66

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung/Steuerliche Betriebsprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

1.Zur Sachverhaltsaufklärung ist, wenn sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse eines Stpfl. nicht übersehen lassen und die Annahme verschwiegener Einkünfte naheliegt, grundsätzlich eine das gesamte Vermögen des Stpfl. umfassende Vermögenszuwachsrechnung erforderlich. Die Beschränkung der Prüfung auf einen Teil der Vermögensbewegungen genügt nicht.

2.Aus einem ungeklärten Vermögenszuwachs kann in freier Beweiswürdigung der Schluß gezogen werden, der Vermögenszuwachs stamme aus verschwiegenen steuerpflichtigen Einkünften.

3.An den Nachweis von Spielgewinnen sind strenge Anforderungen zu stellen.

AO § 171 Abs. 1, § 208; EStG § 4 Abs. 1 und 3, § 5.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, § 4/3, § 5; AO § 171 Abs. 1, § 208

 

Tatbestand

Der Stpfl. betreibt ein im Handelsregister eingetragenes Unternehmen, das sich mit der Aufstellung und Vermietung von Spiel-, Unterhaltungs- und Warenautomaten befaßt. Durch eine Betriebsprüfung wurde festgestellt, daß der Stpfl. in den Jahren 1955 und 1957 bis 1959 Wertpapiere mit Anschaffungskosten von insgesamt 153 805 DM erworben hatte. Die versteuerten Einkünfte reichten unstreitig für den Wertpapiererwerb nicht aus. Der Stpfl. behauptete, die Anschaffungskosten aus Spielgewinnen von rd. 200 000 DM bestritten zu haben. Das Finanzamt (FA) glaubte dem Stpfl. nicht und setzte in den Berichtigungsveranlagungen die Kosten der Wertpapieranschaffungen den festgestellten (unstreitigen) Mehrumsätzen und Mehrgewinnen nach der Betriebsprüfung hinzu. Die Berufung hatte Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) sah auf Grund einer Beweisaufnahme die Spielgewinne als nachgewiesen an. Es ging hierbei davon aus, daß an den Nachweis von Spielgewinnen grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen seien. Es stützte sich im wesentlichen auf die Angaben einer Zeugin, die nach ihrer Aussage von 1954 bis Anfang 1958 im Auftrage des Stpfl. gespielt hatte und die für ihn gewonnene Gesamtsumme auf ungefähr 200 000 DM schätzte. Das FG hielt es nach den detaillierten Angaben der Zeugin für erwiesen, daß sie mit dem von ihr angewendeten System für den Stpfl. tatsächlich so erfolgreich habe spielen können. Es hätten sich aus den amtlichen Permanenzlisten des Spielkasinos gewisse Favoritzahlen ergeben, die häufiger als andere mit Gewinnen herausgekommen seien. Die Favoritzahlen seien auf die Beschaffenheit des Spielkessels in Verbindung mit der Art der Wurfgeste des Croupiers zurückzuführen.

Mit der Rb. rügt der Vorsteher des FA Verstöße gegen den klaren Inhalt der Akten und die Lebenserfahrung bei der Beweiswürdigung des FG. Er führt zur Begründung aus, die Herkunft der Gelder für die Wertpapierkäufe der Jahre 1958 und 1959 lasse sich nicht mit Spielgewinnen erklären. Denn es sei unstreitig letztmalig Ende 1957 / Anfang 1958 gespielt worden. Das FG hätte deshalb in seinem Urteil nicht davon ausgehen dürfen, daß die Aufwendungen für Wertpapierkäufe der Jahre 1958 und 1959 durch Spielgewinne gedeckt seien. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, daß ein Kaufmann von den angeblich in den Jahren 1954 bis Anfang 1958 erzielten Gewinnen mindestens rund 79 000 DM - das war der Kaufpreis für die Wertpapiere in den Jahren 1958 und 1959 - in seiner Wohnung aufbewahrt habe, während andererseits noch in den Jahren 1958 und 1959 Bankschulden von rund 250 000 bzw. 200 000 DM bestanden hätten. Das FG betone in seinem Urteil, die Lebenserfahrung lehre, daß bestimmte Menschen vom Glück besonders begünstigt seien; das lasse sich auf rational nicht erfassbare Einflüsse zurückführen. Mit dieser Begründung setze es sich in Widerspruch zur Zeugenaussage, wonach die Gewinne nicht auf irrationale Kräfte zurückzuführen seien, sondern auf verstandesmäßige Überlegungen (Systemspiel).

 

Entscheidungsgründe

Die am 8. Dezember 1965 in der Umsatzsteuersache und am 10. Dezember 1965 in der Einkommensteuersache eingelegten Rbn. waren nach Inkrafttreten der FGO (1. Januar 1966) als Revisionen zu behandeln. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und Zurückverweisung der Sachen an das FG.

Auf Grund des im Urteil des FG festgestellten Sachverhalts läßt sich nicht beurteilen, ob die Vorinstanz zu ihrer Entscheidung kommen konnte. Denn es genügte zur Aufklärung des ungeklärten Vermögenszuwachses im Streitfall nicht, daß das FG lediglich einen Teil der Vermögensbewegungen, nämlich nur die angeblichen Spielgewinne und die Wertpapierkäufe, zum Gegenstand seiner Prüfung machte, während es die übrigen offenbar nicht unerheblichen Vermögensdispositionen des Stpfl. außer acht ließ. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß der Stpfl., sollte er die behaupteten Spielgewinne tatsächlich erzielt haben, diese für andere Zwecke als für den Erwerb der Wertpapiere wieder verausgabte. Hierfür spricht namentlich der große zeitliche Abstand zwischen dem letzten angeblichen Spielgewinn Ende 1957 / Anfang 1958 und dem teilweise sogar erst 1959 erfolgten Wertpapiererwerb (43 164 DM).

Unter diesen Umständen war das einzige Mittel zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts eine Vermögenszuwachsrechnung, die das FG nunmehr nachzuholen haben wird. Erst sie gibt den für die Würdigung des Vorbringens des Stpfl. erforderlichen Aufschluß über die Vermögensentwicklung sowie die privaten Einnahmen und Ausgaben (siehe Schema einer Vermögenszuwachsrechnung in der Betriebsprüfungs-Kartei der Oberfinanzdirektionen Düsseldorf, Köln und Münster, Teil II, Stichwort "Vermögenszuwachsrechnung" S. 4-6). Die Vermögenszuwachsrechnung wird zeigen, ob der Stpfl. seinen privaten Verbrauch, seine Einlagen in den Betrieb und die Anschaffung von Vermögensgegenständen (hierunter auch der unstreitige Wertpapiererwerb) aus seinen nachgewiesenen Einkünften bestreiten konnte. Fällt diese Überprüfung zu seinen Ungunsten aus, rechtfertigt das nach ständiger Rechtsprechung den Schluß, der Vermögenszuwachs stamme aus verschwiegenen steuerpflichtigen Einkünften (letztes veröffentlichtes Urteildes BFH IV 359/58 vom 10. November 1961, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 217, Rechtsspruch 45). Bei der Vermögenszuwachsrechnung wird im vorliegenden Falle wegen des großen Zeitraums zwischen den letzten Spielgewinnen und den letzten Wertpapiererwerben auf die in den einzelnen Jahren für Privatzwecke zur Verfügung stehenden Barmittel besonders zu achten sein. Hierüber geben die Steuerakten oft Aufschluß (Vermögenserklärungen, Stundungsgesuche in den Einkommensteuerakten).

Da die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung bereits zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt, braucht der Senat nicht mehr die Frage zu entscheiden, ob der vom Stpfl. mit Hilfe einer Zeugenaussage über die Spielgewinne geführte Nachweis strengen Anforderungen standhält. Auch insoweit erheben sich gegen die angefochtenen Urteile Bedenken. Ein Nachweis von Spielgewinnen läßt sich nicht dadurch führen, daß die Aufzeichnungen über den Spielverlauf mit den Permanenzen (Veröffentlichungen des Spielkasinos über die Gewinnzahlen) übereinstimmen. Es wird sich kaum mit Sicherheit feststellen lassen, ob die Aufzeichnungen über den Spielverlauf vor oder kurz nach Herausgabe der Permanenzen angefertigt wurden. Ferner erscheint es dem Senat zweifelhaft, ob das Spielsystem die behaupteten Gewinne glaubhaft macht. ...

Diese Bedenken machen es erforderlich, im zweiten Rechtsgang die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussage nochmals von Grund auf, gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen, zu überprüfen. Bei dieser Gelegenheit wird das FG auch zu erörtern haben, ob es möglich ist, daß eine Zeugin den Reingewinn einer Spielzeit von rund vier Jahren schätzt. Es liegt nahe, daß hiermit das menschliche Schätzungsvermögen überfordert ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412226

BStBl III 1966, 650

BFHE 1966, 736

BFHE 86, 736

BB 1966, 1434

DB 1966, 1874

DStR 1967, 58

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