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BFH Beschluss vom 31.07.1973 - VII R 125/71

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Leitsatz (amtlich)

Zum Erfordernis der allgemeinen Interessen bei der Bewilligung des Armenrechts für juristische Personen.

 

Normenkette

FGO § 142; ZPO § 114 Abs. 4

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine GmbH - wurde vom Beklagten und Revisionsbeklagten (HZA) durch vorläufigen Steuerhaftungsbescheid vom 6. November 1970 gemäß § 111 AO für die zweckwidrige Verwendung von Heizöl in Anspruch genommen. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Mit der fristgerechten Revision beantragt die Klägerin die Bewilligung des Armenrechts.

Den Antrag auf Bewilligung des Armenrechts begründet sie damit, daß sie nach dem 25. November 1970 den gesamten Geschäftsbetrieb habe einstellen müssen und keine Mittel mehr habe, die nicht vom HZA gepfändet worden seien. Das vom HZA beantragte Konkursverfahren sei mangels Masse nicht eröffnet worden. Dem HZA sei Mitte 1971 auf Anforderung ein vollständiges Vermögensverzeichnis übergeben worden, woraus sich ihre völlige Vermögenslosigkeit ergebe. Wegen der mangelnden Sachaufklärung durch das FG habe die Revision Aussicht auf Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Dem Antrag kann nicht stattgegeben werden.

Das Armenrecht kann auch einer juristischen Person wie der Klägerin als GmbH bewilligt werden. Bei ihr gelten aber für die Bewilligung des Armenrechts nicht die gleichen Voraussetzungen wie bei einer natürlichen Person, daß sie nämlich außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Lebensunterhalts die Kosten des Rechtsstreits zu bestreiten, und daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung (oder Rechtsverteidigung) eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 Abs. 1 ZPO i. V. mit § 142 FGO). Nach § 114 Abs. 4 ZPO muß - abgesehen von den Aussichten des Rechtsstreits - außer der Voraussetzung, daß die zur Führung des Rechtsstreits erforderlichen Mittel weder von der juristischen Person noch von den an der Führung des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können, noch die weitere Voraussetzung gegeben sein, daß die Unterlassung der Rechtsverfolgung (oder Rechtsverteidigung) allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.

Im Streitfall kann dahinstehen, ob die Klägerin mittellos ist und ob die Revision hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Denn die Unterlassung der Rechtsverfolgung würde allgemeinen Interessen nicht zuwiderlaufen. Was unter dem Begriff "allgemeine Interessen" zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht näher umschrieben. Er muß daher nach seinem Wortsinn unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem er steht, ausgelegt werden. Den allgemeinen Interessen steht das Interesse des einzelnen am Ausgang des Rechtsstreits gegenüber. Dem Interesse des einzelnen wird hinsichtlich der Bewilligung des Armenrechts bereits dadurch genügt, daß nach § 114 Abs. 1 ZPO - abgesehen von der Armut - zu prüfen ist, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtsreich ist und nicht mutwillig erscheint. Unterläßt er bei einem negativen Ergebnis dieser Prüfung die Rechtsverfolgung, so wird dadurch im wesentlichen nur sein eigenes Interesse berührt.

Die Allgemeinheit ist davon so wenig betroffen, daß man in der Regel nicht sagen kann, die Unterlassung laufe allgemeinen Interessen zuwider. Dieses Erfordernis muß vielmehr eine darüber hinausgehende Bedeutung haben (vgl. Entscheidung des BGH vom 20. September 1957 VII ZR 62/57, BGHZ 25, 183).

Notwendig erscheint auf jeden Fall, daß außer den an der Führung des Prozesses wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen durch die Unterlassung der Rechtsverfolgung in Mitleidenschaft gezogen würde. Denn nur dann ist wirklich die Allgmeinheit berührt.

Diese Auslegung wird dadurch bestätigt, daß ursprünglich das Armenrecht nur natürlichen Personen bewilligt werden konnte (s. Beschluß des Reichsgerichts in Zivilsachen vom 4. April 1894 V 55/94, RGZ 33, 366, und vom 25. Januar 1902 VI 11/02, RGZ 50, 394). Das Armenrecht konnte juristischen Personen erst auf Grund des Gesetzes zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27. Oktober 1933 (RGBl I, 780) bewilligt werden, durch das Abs. 4 in § 114 ZPO eingefügt wurde. In der Begründung zu diesem Gesetz (Reichsanzeiger Nr. 257) ist gesagt, daß bei dem Merkmal des "allgemeinen Interesses" an Fälle zu denken sein solle, in denen die juristische Person, z. B. eine Gemeinde oder gemeinnützige Stiftung, an der Erfüllung ihrer der Allgemeinheit dienenden Aufgaben gehindert werden würde, wenn der Prozeß nicht durchgeführt werde. Ferner sollten juristische Personen geschützt werden, die sonst zur Entlassung einer großen Zahl von Arbeitern schreiten müßten.

Im Streitfall betrifft die Rechtsverfolgung allenfalls die Gesellschaftsmitglieder und den Geschäftsführer der Klägerin. Würde die Rechtsverfolgung unterbleiben, so ergäben sich keine Auswirkungen für einen weiteren Kreis von Personen. Jedenfalls hat die Klägerin hierfür nichts dargetan. Auch die Akten lassen insoweit keine Schlüsse zu. Da es somit an dem Erfordernis, daß die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde, fehlt, war der Antrag auf Bewilligung des Armenrechts abzulehnen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70209

BStBl II 1973, 851

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