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BFH Beschluss vom 27.05.2005 - III B 197/04 (NV) (veröffentlicht am 27.07.2005)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückforderungsanspruch der Familienkasse nach § 37 Abs. 2 AO 1977 bei Auszahlung des Kindergeldes an einen Dritten

 

Leitsatz (NV)

Hat der Kindergeldberechtigte die Familienkasse in einer formularmäßigen Veränderungsmitteilung aufgefordert, das Kindergeld nunmehr auf ein anderes Konto zu überweisen, bleibt der Kindergeldberechtigte Leistungsempfänger, auch wenn der Inhaber des neu benannten Kontos ein Dritter ist. Bei Wegfall der Voraussetzungen zur Gewährung des Kindergeldes ist die Familienkasse daher berechtigt, zu Unrecht ausgezahltes Kindergeld von dem Kindergeldberechtigten selbst zurückzufordern. Eine Inanspruchnahme des tatsächlichen Zahlungsempfängers scheidet aus.

 

Normenkette

AO 1977 § 37 Abs. 2; BGB § 242; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2

 

Verfahrensgang

FG Münster (Urteil vom 28.10.2004; Aktenzeichen 6 K 2307/04 AO)

 

Tatbestand

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (Familienkasse) teilte der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) im März 2003 schriftlich mit, das Kindergeld für ihren am 3. April 1983 geborenen Sohn solle ab März 2003 an sie ausgezahlt werden. Entsprechend einer formularmäßig übermittelten Veränderungsmitteilung der Klägerin überwies die Familienkasse das Kindergeld für die Monate August bis Dezember 2003 auf das Konto Nr. … bei der Sparkasse … Kontoinhaber war der Sohn der Klägerin.

Mit Bescheid vom 4. März 2004 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für die Monate September bis Dezember 2003 auf mit der Begründung, der Sohn der Klägerin habe im August 2003 seine Berufsausbildung abgebrochen und stehe erst seit Januar 2004 einer Berufsberatung zur Verfügung. Das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld von 616 € forderte die Familienkasse nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) von der Klägerin zurück.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich die Klägerin auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und macht darüber hinaus die Zulassungsgründe der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird daher zurückgewiesen (§ 132 FGO).

1. Der Rechtsstreit ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht grundsätzlich bedeutsam i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im Allgemeininteresse liegt. Die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und im Revisionsverfahren klärbaren Frage in Betracht. Im Allgemeinen besteht kein Klärungsbedarf mehr, wenn eine Rechtsfrage bereits vor dem BFH geklärt worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 18. Dezember 2002 XI B 131/00, BFH/NV 2003, 479, und vom 10. Januar 2003 XI B 80/00, BFH/NV 2003, 898).

b) Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen sind durch den BFH bereits geklärt.

aa) Die Rechtsfrage, unter welchen konkreten Umständen jemand Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 sei, wenn zugleich feststehe, dass das Kindergeld tatsächlich an Dritte ausbezahlt worden sei, ist vom BFH bereits mehrfach entschieden worden.

Demnach ist ein Dritter als tatsächlicher Empfänger einer Zahlung dann nicht Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977, wenn die Behörde u.a. aufgrund einer Zahlungsanweisung des Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigten an einen Dritten zahlt (vgl. BFH-Beschluss vom 28. März 2001 VI B 256/00, BFH/NV 2001, 1117, m.w.N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 37 AO 1977 Tz. 113 a). Denn auch in einem derartigen Fall erbringt die Finanzbehörde ihre Leistung mit dem Willen, eine Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber zu erfüllen. Da der durch die Anweisung begünstigte Zahlungsempfänger den Zahlungsanspruch nicht aus eigenem Recht geltend machen kann und die Leistung mit dem Willen erbracht wird, eine Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber mit befreiender Wirkung zu erfüllen, ist nicht der Empfänger der Zahlung, sondern der nach materiellem Steuerrecht Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigte als Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977 anzusehen. Diese Grundsätze gelten auch für das Kindergeld, da es nach § 31 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Steuervergütung gezahlt wird (BFH-Urteile vom 29. Januar 2003 VIII R 64/01, BFH/NV 2003, 905, und vom 16. März 2004 VIII R 48/03, BFH/NV 2004, 1218).

Auch im Streitfall war die Klägerin Leistungsempfängerin des ohne Rechtsgrund gezahlten Kindergeldes. Die Klägerin hatte mit der Angabe des Kontos ihres Sohnes der Familienkasse die Anweisung erteilt, das Kindergeld auf dieses (von ihr benannte) Konto zu überweisen. Die Familienkasse konnte daher mit befreiender Wirkung gegenüber der Klägerin das Kindergeld auf dieses Konto zahlen.

Die Rechtslage ist vom BFH mithin eindeutig im Sinne der Familienkasse entschieden. Da die Klägerin --abgesehen davon, dass sie die Anwendung dieser Rechtsprechung auf den Streitfall für unzutreffend hält-- auch keine Umstände vorgetragen hat, die ein Überdenken der zitierten Rechtsprechung begründen könnten, besteht keine weitere Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Tz. 50).

bb) Auch die von der Klägerin in diesem Zusammenhang ergänzend aufgeworfene Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen der Grundsatz von Treu und Glauben i.S. von § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) eine Rückforderung von Kindergeld nach § 37 Abs. 2 AO 1977 hindert, ist bereits vom BFH entschieden.

Hiernach steht der Grundsatz von Treu und Glauben der Rückforderung zu viel gezahlten Kindergeldes nicht bereits dann entgegen, wenn die Behörde trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, zunächst weiterhin Leistungen erbringt. Erforderlich sind vielmehr besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123).

Aus dieser Entscheidung geht zugleich hervor, dass der BFH bei anderen ihm bereits bekannten Fallgruppen, bei denen die Familienkasse keine Kenntnis von Umständen hatte, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen könnten, sondern --wie im Streitfall-- erst später davon erfahren hat, im Regelfall keine Einschränkung des Rückforderungsanspruchs durch die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben annimmt. Dies bedeutet, dass für alle dem Streitfall vergleichbaren Sachverhaltskonstellationen, bei denen die eingangs zu II. 1. aa zitierte Rechtsprechung einschlägig ist, für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben grundsätzlich kein Raum bleibt, sofern nicht aus besonderen anderen Gründen eine illoyale Rechtsausübung durch die Familienkasse gegeben ist.

Die Klägerin hat keine besonderen Gesichtspunkte vorgetragen, die für eine grundsätzliche Änderung bzw. weitere Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsprechung sprechen könnten.

Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, wem die Angaben in der Veränderungsmitteilung zur Bankverbindung zuzurechnen sind und ob insoweit eine illoyale Rechtsausübung durch die Familienkasse angenommen werden kann, ist durch die zuvor zitierte Rechtsprechung geklärt. Hiernach sind die Angaben in der Veränderungsmitteilung ausschließlich der Klägerin zuzurechnen. Besondere Anhaltspunkte für eine illoyale Rechtsausübung der Behörde sind insofern weder vorgetragen, noch ersichtlich. Insoweit ist mithin kein weiterer Klärungsbedarf durch die Rechtsprechung gegeben.

Der weiterhin von der Klägerin vorgetragene Gesichtspunkt, dass ihr Sohn mit Wirkung ab dem 1. Januar 2004 Kindergeld beziehe und die Inanspruchnahme der Klägerin durch die Familienkasse deshalb treuwidrig sei, ist nicht entscheidungserheblich. Für den streitbefangenen Zeitraum vom September bis Dezember 2003 hatte die Familienkasse ausschließlich einen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977 als alleinige Kindergeldberechtigte und Leistungsempfängerin, nicht aber gegen den Sohn der Klägerin, der während dieser Zeit nach Maßgabe der zitierten Rechtsprechung insoweit lediglich "Zahlstelle" für die Klägerin war. Somit begründet auch dieser Umstand keine weitere Klärungsbedürftigkeit der Rechtsprechung.

2. Da die aufgeworfenen Rechtsfragen mithin bereits geklärt sind, ist auch keine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO erforderlich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1393610

BFH/NV 2005, 1486

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