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BFH Beschluss vom 17.12.1996 - VII B 217/96 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Eidesstattliche Versicherung; Divergenz

 

Leitsatz (NV)

1. Betreffen die vom Beschwerdeführer einander gegenübergestellten abstrakten Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil und aus einer Entscheidung des BFH unterschiedliche Voraussetzungen einer Vorschrift, kann schon gedanklich eine Divergenz i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht vorliegen.

2. Das Unterbleiben eines Vollstreckungsversuchs in das bewegliche Vermögen des Vollstreckungsschuldners (§ 284 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative AO 1977) ist kein entscheidungserhebliches Kriterium bei der Anwendung der zweiten Alternative dieser Vorschrift.

3. Auch ohne subjektive Kenntnis der Vollstreckungsbehörde darüber, daß der Schuldner pfändbares Vermögen nicht besitzt, kann aufgrund objektiver Umstände die Annahme gerechtfertigt sein, daß eine vollständige Befriedigung nicht zu erlangen sein wird (§ 284 Abs. 1 Satz 1 zweite Alt. AO 1977). Diese Voraussetzung für die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung hat einen eigenständigen Anwendungsbereich, der mit den Grenzen der Ermessensausübung (§ 284 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 AO 1977) nicht notwendigerweise kollidieren muß.

 

Normenkette

AO 1977 § 284 Abs. 1-2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb einen Handel mit Geräten für ... Seit Anfang 1993 kam er seiner Verpflichtung zur Zahlung der von ihm für seinen Betrieb geschuldeten Steuern nicht oder nur zum Teil nach. Nach fruchtloser Kontenpfändung und ergebnisloser Vollstreckung in das bewegliche Vermögen durch einen Vollziehungsbeamten am Betriebssitz des Klägers lud der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) den Kläger wegen der inzwischen auf ... DM gestiegenen Rückstände zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung.

Die vom Kläger hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, das FA habe zu Recht das Vorliegen der tat bestandlichen Voraussetzungen für die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 1 und 2 der Abgabenordnung (AO 1977) angenommen. Die vom FA unternommenen Vollstrekungsversuche hätten nicht zu einer vollständigen Befriedigung der Steueransprüche geführt; die gesamte Schuld sei vielmehr stets noch höher geworden. Ein Vollstrekungsversuch auch in der Privatwohnung des Klägers sei nicht erforderlich gewesen, da von vornherein anzunehmen sei, daß eine vollständige Befriedigung nicht zu erlangen sei, die Zwangsvollstreckung also aussichtslos erscheine. Dies ergebe sich sowohl nach Lage der Akten (vergebliche Vollstreckungsversuche, Existenz weiterer Gläubiger) als auch nach den eigenen Angaben des Klägers, der nicht einmal selbst behauptet habe, daß eine Vollstreckung in seinen Privaträumen erfolgreich sein würde.

Die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung sei auch nicht ermessensfehlerhaft. Ein Absehen von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung als alleinige ermessensfehlerfreie Entscheidung komme nach den Umständen des Streitfalls nicht in Betracht. Eine derartige Verengung des behördlichen Ermessens sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dann gegeben, wenn der Vollstreckungsbehörde die Vermögensverhältnisse des Schuldners bereits zuverlässig bekannt seien oder wenn sie wisse, daß der Schuldner pfändbares Vermögen nicht besitze (BFH-Beschluß vom 9. Mai 1989 VII B 205/88, BFH/NV 1990, 79). Hiervon könne aber im Streitfall nicht ausgegangen werden.

Gegen das Urteil des FG hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und diese auf Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) gestützt. Das Urteil des FG weiche von dem in Bezug genommenen BFH-Beschluß in BFH/NV 1990, 79 ab. Nach der BFH-Entscheidung dürfe die Vollstreckungsbehörde die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht verlangen, wenn sie wisse, daß der Schuldner pfändbares Vermögen nicht besitze. Zwar habe das FG ausgeführt, daß davon im Streitfall nicht ausgegangen werden könne. In den Entscheidungsgründen führe das FG andererseits aber aus, daß die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen dann nicht versucht worden zu sein brauche, wenn von vornherein anzunehmen sei, daß eine vollständige Befriedigung nicht zu erlangen sei, d. h. wenn die Zwangsvollstreckung aussichtslos erscheine. Dies sei aber nur dann der Fall, wenn ein vorheriger Zwangsvollstreckungsversuch auch in der Privatwohnung des Schuldners fruchtlos geblieben sei, denn nur dann sei bekannt, daß der Schuldner pfändbares Vermögen nicht besitze.

Das FA ist der Beschwerde entgegenge treten.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

Bei einer auf Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) gestützten Nichtzulassungsbeschwerde muß unter genauer Bezeichnung der Divergenzentscheidung des BFH kenntlich gemacht werden, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Abweichung vorliegt. Der Beschwerdeführer muß dartun, daß das vorinstanzliche Gericht seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit der näher angeführten Rechtsprechung des Revisionsgerichts nicht übereinstimmt. Hierzu müssen in der Beschwerdebegründung abstrakte Rechtssätze des vorinstanzlichen Urteils und der Divergenzentscheidung(en) des BFH so genau bezeichnet werden, daß eine Abweichung erkennbar wird (st. Rspr., vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 7. Dezember 1994 II B 179/93, BFH/NV 1995, 695, m. w. N.).

Der Senat läßt offen, ob der Kläger die Divergenz in diesem Sinne ausreichend bezeichnet hat (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO), denn die behauptete Divergenz liegt jedenfalls nicht vor. Die vom Kläger einander gegenübergestellten Rechtssätze des BFH (BFH/NV 1990, 79) und des FG beziehen sich ersichtlich auf unterschiedliche Voraussetzungen des § 284 AO 1977.

Das FG hat zu § 284 Abs. 1 Satz 1 zweite Alternative AO 1977 entschieden und erkannt, daß dieser Tatbestand als Voraussetzung für die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Streitfall erfüllt ist. Das FG ist mithin davon ausgegangen, daß aufgrund der Umstände des Streitfalles von vornherein anzunehmen ist, daß eine vollständige Befriedigung der Steuerrückstände nicht zu erlangen sein wird. Im Gegensatz zur ersten Alternative dieser Vorschrift braucht bei der zweiten Alternative ein Unpfändbarkeitsnachweis seitens des FA nicht erbracht zu werden. Es bedarf hier daher keines vorgängigen fruchtlosen Vollstreckungsversuchs in das bewegliche Vermögen des Vollstreckungsschuldners (vgl. Müller-Eiselt in Hübsch mann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 284 AO 1977 Rz. 21). Das Unterbleiben eines Vollstreckungsversuchs in der Privatwohnung des Klägers ist demnach kein entscheidungserhebliches Kriterium bei der Anwendung der zweiten Alternative der Vorschrift.

Demgegenüber bezieht sich der vom Kläger angeführte Rechtssatz in der angeblichen Divergenzentscheidung des BFH auf die Frage der Grenzen der Ausübung des Ermessens bei der Anordnung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, wobei dahinstehen kann, ob sich der Charakter der Anordnung nach § 284 AO 1977 als Ermessensentscheidung ausschließlich aus Absatz 2 Satz 2 oder nicht bereits aus Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift (wonach die vom Gesetz angeordnete Rechtsfolge nur auf "Verlangen" der Vollstreckungsbehörde eintritt) ergibt (vgl. dazu Müller-Eiselt, a.a.O., § 284 AO 1977 Rz. 37). Hiernach ist, wie der Senat in BFH/NV 1990, 79 im einzelnen ausgeführt und begründet hat, das Verlangen der Behörde nach § 284 Abs. 1 AO 1977 als schikanös und ermessensfehlerhaft anzusehen, wenn die Behörde die Vermögensverhältnisse des Schuldners bereits zuverlässig kennt oder weiß, daß der Schuldner pfändbares Vermögen nicht besitzt. Diese Sachverhaltsgestaltung hat das FG nicht für gegeben erachtet.

Da die vom Kläger angeführten abstrakten Rechtssätze aus der Vorentscheidung und der Divergenzentscheidung unterschiedliche tatbestandliche Voraussetzungen der Anordnung nach § 284 AO 1977 betreffen, kann folglich eine Abweichung des FG von einer Entscheidung des BFH in ein und derselben konkreten Rechtsfrage schon gedanklich nicht vorliegen.

Aber auch inhaltlich sieht der Senat keinen Widerspruch zwischen der zweiten Alternative des § 284 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 und den vom Senat gezogenen Ermessensgrenzen. Die Annahme, daß eine vollständige Befriedigung nicht zu erlangen sein wird, ergibt sich aufgrund einer Bewertung aller objektiven Umstände des Sachverhalts. Als solche hat das FG die vorgängigen fruchtlosen Vollstreckungsversuche des FA in das Betriebsvermögen des Klägers, die Existenz konkurrierender Gläubiger sowie das eigene Verhalten des Klägers angesehen. Die Ermessensgrenzen für die Anordnung nach § 284 AO 1977 knüpfen hingegen an die subjektive Kenntnis der Vollstreckungsbehörde von den Vermögensverhältnissen des Vollstreckungsschuldners an, nämlich an die zuverlässige Kenntnis derselben oder gar an das Wissen, daß der Schuldner pfändbares Vermögen nicht besitzt. Auch ohne eine solche subjektive Kenntnis kann für die Behörde aufgrund objektiver Umstände die Annahme gerechtfertigt sein, daß eine vollständige Befriedigung nicht zu erlangen sein wird. § 284 Abs. 1 Satz 1 zweite Alternative AO 1977 hat daher durchaus einen eigenständigen Anwendungsbereich, der mit den vom Senat angenommenen Grenzen der Ermessensausübung (§ 284 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 AO 1977) nicht notwendigerweise kollidieren muß.

Der vom Kläger dem FG wohl insoweit angelastete Verstoß gegen die Denkgesetze (auf den im übrigen -- materiell-rechtlicher Fehler -- eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden könnte) ist für den Senat daher nicht erkennbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422012

BFH/NV 1997, 461

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