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BFH Beschluss vom 15.09.1967 - III B 32/67

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Leitsatz (amtlich)

Die Frage, ob ein Gesetz verfassungswidrig ist, bildet auch dann keinen Aussetzungsgrund beim FG oder beim BFH, wenn in anderen Fällen über ähnliche oder gleiche Rechtsfragen Verfassungsbeschwerden beim BVerfG anhängig sind.

 

Normenkette

FGO §§ 74, 128; GG Art. 100; BVerfGG § 90

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer, der im Jahre 1900 geboren ist, wurde als Rechtsanwalt zum 1. Januar 1963 unter Berücksichtigung der Freibeträge gemäß § 67 Absätze 2 und 3 BewG und § 5 Absätze 1 und 2 VStG, jeweils in den damals geltenden Fassungen, nach einem steuerpflichtigen Vermögen von 131 000 DM zur Vermögensteuer mit einer Jahresschuld von 1 310 DM veranlagt. Das Rohvermögen von 196 881 DM setzte sich aus 183 566 DM Wertpapiere, 5 315 DM Zahlungsmittel, Sparguthaben und dergleichen und 28 000 DM Einheitswert des Betriebsvermögens der Anwaltskanzlei zusammen. Der Beschwerdeführer erhob gegen die Vermögensteuerveranlagung Einspruch und gegen die Einspruchsentscheidung Klage bei dem FG mit dem Antrag, einen Freibetrag von 186 000 DM zu berücksichtigen, da ein solcher Betrag zur Erlangung einer monatlichen Altersrente und Witwenrente von 1 000 DM bzw. 600 DM bei einer Versicherungsgesellschaft eingezahlt werden müßte. Beim FG erhöhte er wegen Preissteigerungen den Betrag auf mindestens 200 000 DM. Sein Begehren sei gerechtfertigt, da der Kapitalwert einer Beamtenpension oder Angestelltenversicherungsrente kein steuerpflichtiges Vermögen sei. Die freiberuflich Tätigen ohne Altersversorgung würden dagegen mit ihren Ersparnissen, von deren Zinsen sie später leben müßten, zur Vermögensteuer herangezogen.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FA bezieht sich auf das VStG, das für die begehrte Freistellung zu Zwekken der Altersversorgung keine Vorschriften enthalte.

Über die Klage beim FG ist noch nicht entschieden. Der Beschwerdeführer beantragte vielmehr Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung einiger beim BVerfG anhängigen ähnlichen Sachen (Verfassungsbeschwerden). Zur Sache führte er u. a. aus, Grundstückseigentümer würden nach überholten Einheitswerten im Ergebnis zur Vermögensteuer bedeutend niedriger als Wertpapier- und Bargeldbesitzer veranlagt, die zudem im Gegensatz zu diesen und zu den Pensionären dem Kaufkraftschwund ausgesetzt seien.

Das FG lehnte den Aussetzungsantrag ab. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 74 FGO seien nicht gegeben; denn es liege kein Rechtsverhältnis vor, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen mindestens zum Teil die Entscheidung des anhängigen Vermögensteuerrechtsstreits abhänge. Es sei nicht über dasselbe Rechtsverhältnis zu entscheiden, sondern es seien lediglich ähnliche Rechtsstreitigkeiten beim BVerfG anhängig.

Gegen den ablehnenden Beschluß legte der Beschwerdeführer beim BFH Beschwerde ein mit dem Antrag, unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses die Aussetzung - evtl. das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung der beim BVerfG anhängigen, näher bezeichneten fünf Verfassungsbeschwerden - anzuordnen. Außerdem sei Aussetzung des Verfahrens wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nach Art. 100 GG geboten. Er trug zwei Gründe vor: Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes in der Vermögensbesteuerung im Verhältnis 1. zwischen Wertpapieren und Pensionen bzw. Angestelltenrenten, 2. zwischen Wertpapieren und Grundvermögen. Es sei ein nobile officium des FG, hier auszusetzen. Auch § 155 FGO in Verbindung mit §§ 148 ff., 251 ZPO ließen hier ein Ruhen bzw. die Aussetzung des Verfahrens geboten erscheinen, zumal die streitigen Vermögensteuerraten unter Vorbehalt gezahlt würden.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist nach § 128 FGO zulässig, jedoch unbegründet.

Die Rechtsgrundlage für eine Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens (Verhandlung) ist § 74 FGO. Danach kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Zu dem sachlichen Streitpunkt, dem selbständig Tätigen einen im VStG und BewG nicht vorgesehenen Freibetrag einzuräumen, hat der BFH in verschiedenen Entscheidungen Stellung genommen. Er hat einen Verstoß der derzeitigen Regelung gegen das GG, insbesondere gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verneint und die Gewährung eines zusätzlichen Freibetrags abgelehnt. Danach ist ein selbständig Tätiger ohne Verstoß gegen das GG zur Vermögensteuer heranzuziehen, auch wenn sein angespartes Vermögen der Alterssicherung dienen soll (BFH-Urteil III 102/64 vom 23. Juni 1967, das zwar amtlich nicht veröffentlicht ist, aber nach § 11 FGO gleiche Bindungswirkung hat; siehe auch BFH-Urteil III 139/60 vom 13. November 1964, HFR 1965, 394).

In dem erstgenannten Urteil ist weiterhin ausgeführt, daß die Minderung der Kaufkraft des Geldes der Vermögensbesteuerung nicht entgegensteht und daß die Erhebung der Vermögensteuer keine Verletzung der Eigentumsgarantie im Sinne des Art. 14 GG darstellt. Nach dem BFH-Urteil III 186/64 U vom 30. Juli 1965 (BFH 83, 200, BStBl III 1965, 574, und nach dem Urteil III 197/62 vom 12. November 1965 (HFR 1966, 141), jeweils zur Vermögensteuerveranlagung 1960, verstößt es nicht gegen das GG (Art. 3 und 14 GG), wenn Aktien unter Zugrundelegung der Kurswerte bzw. Steuerkurswerte zur Vermögensteuer herangezogen werden. In der Entscheidung vom 30. Juli 1965 ist dargetan, daß in der Berücksichtigung von Wertpapieren mit ihren Kurswerten und Steuerkurswerten weder im Hinblick auf die Behandlung des Grundbesitzes und des land- und forstwirtschaftlichen Besitzes bei der Vermögensteuer noch im Hinblick auf die Bewertung von Aktien ohne Kurswert ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz erblickt werden könne.

Das Steuergericht braucht sein Verfahren nicht auszusetzen, wenn es ein Steuergesetz für gültig hält, dessen Unvereinbarkeit mit dem GG in Verfassungsbeschwerden über ähnliche oder gleiche Rechtsfragen geltend gemacht ist (BFH-Urteil IV 264/65 vom 29. Juli 1966, BFH 86, 671, BStBl III 1966, 629, und die dort angeführten weiteren Entscheidungen). Infolgedessen bestand hier für das FG weder eine Rechtspflicht zur Aussetzung noch das vom Beschwerdeführer behauptete nobile officium zur Aussetzung noch eine Pflicht zur Vorlage nach § 100 GG, da das FG die hier maßgeblichen Gesetze (BewG und VStG) für verfassungskonform hält, und zwar noch dazu in Übereinstimmung mit der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des BFH.

Es handelt sich bei der vom FG abgelehnten Aussetzung um einen Sachverhalt, bei dem ebenso wie im obengenannten BFH-Urteil IV 264/65 beim BVerfG anhängige Verfassungsbeschwerden gemäß § 90 BVerfGG in Frage stehen, nicht aber ein sogenanntes abstraktes Normenkontrollverfahren (Art. 93 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 6 und § 76 BVerfGG). Nur im letzteren Falle haben nach der Rechtsprechung des BFH FG und BFH bei ihnen anhängige Verfahren bis zur Entscheidung des BVerfG im abstrakten Normenkontrollverfahren auszusetzen (vgl. Beschlüsse II S 2/66 vom 23. Februar 1966, BFH 86, 248, BStBl III 1966, 402; II B 3/66 vom 27. Juli 1966, BFH 86, 504, BStBl III 1966, 546; II S 30/66 vom 24. Januar 1967, BFH 87, 517, BStBl III 1967, 205, und II B 8/67 vom 1. August 1967, BFH 89, 178, BStBl III 1967, 562). Die genannten Entscheidungen halten in den Fällen einer anhängigen abstrakten Normenkontrolle eine sinngemäße Anwendung des § 74 FGO mit der Verpflichtung zur Aussetzung für gerechtfertigt, aber unter besonderer Betonung der Anhängigkeit eines abstrakten Normenkontrollverfahrens, während in Übereinstimmung mit dem hier erkennenden Senat auch in dem obengenannten Beschluß II B 3/66 hervorgehoben ist, daß grundsätzlich die Frage, ob ein Gesetz verfassungswidrig ist, für sich allein und als solche keinen Aussetzungsgrund bildet, wenn das angerufene Gericht selbst darüber entscheiden kann.

Ein etwaiges Ruhen des Verfahrens nach § 155 FGO, § 251 ZPO setzt den Antrag beider Parteien voraus. Daran fehlt es hier. Außerdem war ein solches Begehren des Beschwerdeführers nicht Gegenstand im finanzgerichtlichen Verfahren. Es entfällt daher die Erörterung dieses Problems in der Beschwerdeinstanz des BFH.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412764

BStBl II 1968, 46

BFHE 1968, 209

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