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BFH Beschluss vom 06.03.1991 - II B 65/90 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

AdV ohne Sicherheitsleistung - Verbot der Schlechterstellung im AdV-Beschwerdeverfahren

 

Leitsatz (NV)

1. Ein öffentliches Interesse an einer Sicherheitsleistung besteht nicht, wenn mit Gewißheit oder großer Wahrscheinlichkeit in der Hauptsache eine für den Steuerpflichtigen günstige Entscheidung zu erwarten ist.

2. Das Verbot der Schlechterstellung des Steuerpflichtigen gilt auch bei der Entscheidung über eine Beschwerde des Steuerpflichtigen gegen einen Beschluß des FG über die AdV.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 4, §§ 128, 69 Abs. 3

 

Tatbestand

Die A-GmbH war Eigentümerin eines unbebauten Grundstücks. Geschäftsführer der GmbH war Herr B. Es war geplant, dieses Grundstück mit einem Mehrfamilienhaus im freifinanzierten Wohnungsbau durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts bebauen zu lassen. Vorgesehen war ein Gesamtaufwand von . . . DM und ein Eigenkapital von . . . DM. Dies ergab sich aus einem von der B-GmbH & Co. KG (KG) herausgegebenen Prospekt. Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH der KG war Frau B. Durch notariell beurkundeten Vertrag wurde die Antragstellerin gegründet. Gründungsgesellschafter waren die A-GmbH zu 86,1 v. H. und Herr C. Durch in derselben Urkunde beurkundete Erklärungen beauftragten die Gründungsgesellschafter der Antragstellerin die C-GmbH - Geschäftsführerin Frau B - mit der Geschäftsbesorgung. Dazu sollten auch die Aufnahme und unter Umständen der Ausschluß von Gesellschftern gehören. Die A-GmbH erklärte ihre Absicht, nach Aufnahme weiterer Gesellschafter aus der Antragstellerin auszuscheiden. Am 27. Dezember 1984 schloß die Antragstellerin 11 Verträge der im Rahmen von Bauherrenmodellen üblichen Art. Vertragspartner waren - bis auf zwei Ausnahmen - Gesellschaften, deren Geschäftsführerin ebenfalls Frau B war.

Am 21. März 1985 schlossen die A-GmbH und die Antragstellerin einen notariell beurkundeten Vertrag, den sie als ,,Einbringungsvertrag" bezeichneten.

In diesem Vertrag wurde u. a. ausgeführt, daß nach dem Gesellschaftsvertrag vom 24. Oktober 1984 die A-GmbH verpflichtet gewesen sei, das Grundstück in die Antragstellerin einzubringen. Sie habe dies mit schuldrechtlicher Wirkung am 24. Oktober 1984 getan. Als Einbringungswert wurde ein Betrag von . . . DM vereinbart. Die Auflassung des Grundstücks wurde erklärt. Die dem Vertrag beigefügte Gesellschafterliste wies u. a. die A-GmbH mit einem Anteil von nunmehr 45,259 v. H. und Herrn C mit einem Anteil von 14,17 v. H. aus. Im Jahre 1985 traten der Antragstellerin weitere Gesellschafter bei. Aus einem Grundbuchberichtigungsvorgang von Ende 1986 ergab sich u. a., daß die A-GmbH aus der Antragstellerin ausgeschieden und der Erbe des inzwischen verstorbenen Herrn C ausgeschlossen worden war.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) setzte gegen die Antragstellerin Grunderwerbsteuer fest. Er ging dabei von einer Bemessungsgrundlage von . . . DM aus. Diesen Betrag hatte er ermittelt durch Abzug der Kosten für Endfinanzierung, Mietgarantie und Steuerberatung von dem kalkulierten Gesamtaufwand. Die beantragte Steuervergünstigung nach § 5 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes 1983 (GrEStG 1983) gewährte das FA nicht. Gegen die zurückweisende Einspruchsentscheidung erhob die Antragstellerin Klage zum Finanzgericht (FG). Über diese ist noch nicht entschieden.

Das FA erließ mehrere die Aussetzung der Vollziehung betreffende Bescheide. Im Ergebnis setzte es die Vollziehung in Höhe von . . . DM ohne Sicherheitsleistung aus. Der ausgesetzte Betrag ergab sich daraus, daß das FA einzelne in die Besteuerungsgrundlage einbezogene Positionen (Vermietungsbearbeitung, Bauzeitzinsen, Damnum, Zwischenfinanzierungskosten, Aval) als rechtlich zweifelhaft anerkannte.

Die Antragstellerin beantragte beim FG eine weitergehende Aussetzung der Vollziehung. Sinngemäß beantragte sie, die Vollziehung der Grunderwerbsteuerbescheide ohne Sicherheitsleistung auszusetzen bzw. die Vollziehung ohne Sicherheitsleistung aufzuheben, soweit die Steuerfestsetzung den Betrag von . . . DM übersteigt. In der Begründung bestritt sie das Vorliegen eines einheitlichen Vertragswerks. Die Grunderwerbsteuer sei deshalb nur aus dem Einbringungswert für das unbebaute Grundstück zu berechnen. Entgegen den Steuerbescheiden und der Einspruchsentscheidung sei die Steuer nicht aufgrund des lediglich ein Erfüllungsgeschäft darstellenden Vertrages vom 21. März 1985 entstanden, sondern bereits aufgrund des Verpflichtungsgeschäfts vom 24. Oktober 1984 (Gesellschaftsvertrag).

Das FG hat dem Antrag teilweise stattgegeben. Es hat durch Beschluß die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheids bis zur Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren in Höhe weiterer . . . DM ausgesetzt, und zwar in Höhe von . . . DM ohne Sicherheitsleistung und in Höhe von . . . DM gegen Sicherheitsleistung; hinsichtlich eines in den . . . DM enthaltenen Teilbetrags von . . . DM wurde die Vollziehung gegen Sicherheitsleistung aufgehoben. Es sei zweifelhaft, ob der im Steuerbescheid und in der Einspruchsentscheidung bezeichnete Vertrag vom 21. März 1985 der Grunderwerbsteuer unterliege. Sein Wortlaut spreche dafür, daß das Verpflichtungsgeschäft in dem Gesellschaftsvertrag vom 24. Oktober 1984 liege. Gehe man davon aus, daß die Steuer bereits durch den Gesellschaftsvertrag vom 24. Oktober 1984 ausgelöst worden sei, so sei des weiteren zweifelhaft, ob die Steuerfestsetzung dadurch bestätigt werden könne, daß statt des Vertrags vom 21. März 1985 der Gesellschaftsvertrag als Gegenstand der Steuer beurteilt werden könnte. Das FG neige der Auffassung zu, daß dies nicht möglich sei. Insofern bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung. Es liege allerdings - abgesehen von dem Betrag in Höhe von . . . DM - keine große Wahrscheinlichkeit der Rechtswidrigkeit der Steuerfestsetzung vor. Die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung aus wirtschaftlichen Gründen werde verneint. Hinsichtlich der Höhe der materiell zutreffenden Grunderwerbsteuer folge der Senat allerdings (überwiegend) der Auffassung des FA, nach der im Streitfall ein einheitliches Vertragswerk vorliege. Die Antragstellerin sei im Zeitpunkt ihres Grundstückserwerbs praktisch schon unkündbar weitgehend an die Initiatorin, Frau B, gebunden gewesen. Das FG hat die Beschwerde zugelassen.

Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr usprüngliches Antragsziel. Sie beantragt, die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 27. Juli 1986 in Höhe von weiteren . . . DM ohne Sicherheitsleistung mit Wirkung vom Fälligkeitstag an bis zur Entscheidung in dem beim FG geführten Hauptsacheverfahren auszusetzen mit der Maßgabe, daß hinsichtlich eines in dem Betrag von . . . DM enthaltenen Teilbetrags von . . . DM die Vollziehung ohne Sicherheitsleistung aufgehoben wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, nach § 69 Abs. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung über den gewährten Umfang hinaus ohne Sicherheitsleistung anzuordnen.

Aufgrund der von ihm angestellten Interessenabwägung ist das FG zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß im Streitfall ein Verzicht auf eine Sicherheitsleistung nicht bereits aus ,,wirtschaftlichen Gründen" geboten ist. Rechtlich zutreffend ist es davon ausgegangen, daß im Streitfall ein öffentliches Interesse an einer Sicherheitsleistung nur dann nicht besteht, wenn mit Gewißheit oder großer Wahrscheinlichkeit in der Hauptsache eine für den Steuerpflichtigen günstige Entscheidung zu erwarten ist (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Dezember 1969 V B 115-116/69, BFHE 97, 240, BStBl II 1970, 127, und BFH-Urteil vom 13. Oktober 1988 IV R 220/85, BFHE 154, 532, BStBl II 1989, 39). Das FG hat auch im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der angefochtene Grunderwerbsteuerbescheid im Ausmaß der Anfechtung nicht mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist.

Das FG leitet ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Grunderwerbsteuerbescheids in erster Linie daraus ab, daß möglicherweise nicht der vom FA im Steuerbescheid bezeichnete Vertrag vom 21. März 1985 der Steuer unterliege, sondern bereits der Gesellschaftsvertrag vom 24. Oktober 1984. Diese Überlegung ist nur dann schlüssig, wenn sich bereits aus dem Gesellschaftsvertrag ein Anspruch der Antragstellerin auf Übereignung des Grundstücks ergeben hätte. Dazu gibt der Wortlaut des Gesellschaftsvertrags keinen Anhalt. Keinesfalls kann durch die Formulierung im später abgeschlossenen ,,Einbringungsvertrag" der Gesellschaftsvertrag (nachträglich) einen solchen Inhalt (= Auflassungsanspruch) erhalten. Zumindest im summarischen Verfahren ist der Senat daher nicht der Auffassung, daß sich auch nur ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids daraus ableiten lassen, daß das FA die Besteuerung auf den Vertrag vom 21. März 1985 gestützt hat. Da nur die Antragstellerin Beschwerde eingelegt hat, braucht der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob die vom FG angeordnete Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 FGO gerechtfertigt war. Insoweit gilt das Verbot der Schlechterstellung des Steuerpflichtigen auch bei der Entscheidung über eine Beschwerde des Steuerpflichtigen gegen einen Beschluß des FG über die Aussetzung der Vollziehung (vgl. BFH-Beschluß vom 4. Juli 1969 III B 6/69, BFHE 96, 337, BStBl II 1969, 657). Eine mit großer Wahrscheinlichkeit vorliegende Rechtswidrigkeit - die allein das mit der Beschwerde verfolgte Ziel des Verzichts auf die Anordnung einer Sicherheitsleistung rechtfertigen würde - läßt sich aus dem für die Entscheidung des FG maßgeblichen Grund jedenfalls nicht ableiten.

Nach Auffassung des Senats bestehen jedoch - zumindest nach Überprüfung im summarischen Verfahren - Zweifel daran, ob das FA zu Recht auch die Aufwendungen für die Errichtung des Gebäudes in die Bemessungsgrundlage mit einbeziehen konnte. Nach dem vorliegenden Sachverhalt ist zumindest unklar, ob nach den von der Rechtsprechung des erkennenden Senats entwickelten Grundsätzen zum einheitlichen Vertragswerk bzw. zum ,,Erwerb im Bauherrenmodell" (vgl. z. B. BFH-Entscheidungen vom 29. Juni 1988 II R 258/85, BFHE 154, 149, BStBl II 1988, 898; vom 21. Dezember 1988 II B 47/88, BFHE 155, 419, BStBl II 1989, 333, und vom 18. Oktober 1989 II R 85/87, BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181) der Gegenstand des Erwerbsvorgangs tatsächlich das bebaute Grundstück ist. Die aus dieser Unklarheit herrührenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids führen jedoch wiederum nicht dazu, daß dieser im angefochtenen Umfang mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist. Das FG hat festgestellt, daß die Antragstellerin im Zeitpunkt ihres Erwerbs schon praktisch unkündbar weitgehend an die Initiatorin gebunden war, die über die Geschäftsbesorgerin entscheidenden und praktisch einen ausschließenden Einfluß auf das Geschehen genommen habe. Die Grundstücksveräußerin sei offensichtlich in das Geschehen eingebunden gewesen, sie müsse der Initiatorin gegenüber im Wort gewesen sein. Diese Feststellungen, denen die Beschwerdebegründung zumindest nicht substantiiert widerspricht, sprechen dafür, daß Gegenstand des Erwerbsvorgangs im Streitfall das bebaute Grundstück ist. Zumindest werden die sonst bei ähnlichen Sachverhalten bestehenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einbeziehung der Aufwendungen für die Gebäudeerrichtung in die Bemessungsgrundlage (vgl. z. B. Beschluß des erkennenden Senats vom 28. Juni 1989 II B 89/88, BFH/NV 1990, 323) dadurch so entscheidend abgeschwächt, daß der angefochtene Steuerbescheid im Ausmaß der Anfechtung nicht als mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig anzusehen ist.

Eine mit großer Wahrscheinlichkeit vorliegende Rechtswidrigkeit des Steuerbescheids im Ausmaß der Anfechtung kann sich auch nicht aus § 5 Abs. 2 GrEStG 1983 ergeben. Es stand von Anfang an fest, daß die grundstückseinbringende Gesellschafterin nach kurzer Zeit aus der Gesellschaft (= der Antragstellerin) wieder ausscheiden sollte. So ist es auch geschehen. Dies kann zur Versagung der Steuervergünstigung nach dieser Vorschrift trotz formaler Beteiligung an der Gesellschaft im Einbringungszeitpunkt führen, auch wenn das Ausscheiden aus der Gesellschaft erst nach dem im Streitfall vorliegenden Zeitraum erfolgt (vgl. dazu das Urteil des erkennenden Senats vom 16. Januar 1991 II R 38/87, BFHE 163, 246, BStBl II 1991, 374). Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Steuertatbestand nach Auffassung des Senats im summarischen Verfahren erst durch den Vertrag vom 21. März 1985 verwirklicht wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die einbringende GmbH nur noch mit ca. 45 v. H. an der Antragstellerin beteiligt. Auch diese Beteiligung hat sie noch in 1985 wieder aufgegeben. Es bestehen daher nicht einmal ernsthafte Zweifel daran, daß das FA zu Recht die Steuervergünstigung nach § 5 Abs. 2 GrEStG 1983 insoweit versagt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417667

BFH/NV 1992, 473

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